Problem von Jule - 19 Jahre

Plötzlich Schwanger

Lieber Paul,
schon mal vorab, vielen Dank für deine lieben Worte. Du weißt gar nicht, wie sehr du mich damit wieder aufgebaut hast! Die Dinge haben sich bei mir inzwischen etwas geändert.
Ich war beim Frauenarzt, erst die 5. Woche. Man sieht es noch nicht einmal mit dem bloßen Auge. Ich wollte mir ein Bild mitnehmen, doch ich durfte nicht. "Du wolltest es doch abtreiben. Nur Leute, die ihr Baby auch lieben und bekommen möchten, bekommen ein Bild von mir mit nachhause." Ich wollte es nicht für mich, sondern für meinen Freund, oder meine Familie, damit sie es sich noch einmal anders überlegen. Aber vielleicht ist, mich damit nicht zu konfrontieren, einfach der leichteste Weg.
Mein Freund und ich streiten immer mehr. Inzwischen wird ihm das ganze auch zu viel. Vor allem weil er an dem anderen Ende von Deutschland wohnt. Er zweifelt jetzt schon, ob er es jetzt schon wirklich will, oder nicht doch erst in 5 Jahren. Aber ist es fair, ein Kind weg machen zu lassen, damit ich es in 5 Jahren nochmal versuche, weil es mir da besser passt? Ich mache mir keine Gedanken darum, ob ich es schaffe wenn er weg ist. Ich weiß, ich werde es genauso gut schaffen. Denn er ist nicht einmal jetzt da. Ich mache mir keine Gedanken, ob mich jemand dann noch will mit Kind. Ich mache mir darum Gedanken jemanden zu enttäuschen, der mir viel bedeutet. Wie meine Familie, oder das Kind. Meine Familie versteht mich jetzt besser. Sie haben verstanden, dass ich es moralisch verwerflich finde, stimmen mir jedoch nicht zu. "Es ist ja noch kein Lebewesen. Denk an dich, du bist schon jetzt auf der Welt, das Kind noch nicht." Manchmal wünschte ich mir, allein zu sein. Dann bräuchte ich mich um nichts sorgen, könnte machen wonach mir der Sinn steht. Würde niemanden enttäuschen. Aber ich bin nicht allein. Mein Opa wird immer schwächer mit stolzen 92 Jahren, meine Oma brauch mehr Hilfe, dann wären da noch meine Tiere und meine Mutter ist voll Berufstätig. Klingt beängstigend. Ist es auch. Ich möchte es mir nicht leicht machen, in dem ich es abtreibe. Ich möchte es den anderen nicht schwer machen, in dem ich es bekomme. Ich habe mich jetzt erstmal abgelenkt, den positiven Test in einer Schublade vergraben, die Wände neu gestrichen und hier alles umgestellt. Sieht besser aus als vorher. Nun kommen meine Probleme wieder und keiner außer Du und den anderen, denen dieses Thema zu sagt wissen was in meinem Kopf so los ist. Danke nochmal. Ich weiß zwar nicht wer du bist, wie alt du bist und woher du kommst. Und eigentlich hatte ich Zweifel mit 19 in einem Kummerkasten zu posten, aber mir war danach. Einmal die richtige Entscheidung getroffen, Danke.

Ich wusste gar nicht, dass das so ein spannendes Thema ist, das man darüber auf dem laufenden gehalten werden möchte. Oder was es dir gibt, Probleme fremder Menschen zu lesen und zu beantworten. Aber ich glaube, ich spreche für einige, denen du schon mit deinen Worten ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hast. Und das bei diesem anstrengenden Tag. Ich sag es gerade sehr oft, aber noch lange nicht zu oft. Danke!

Liebe Grüße

Jule

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Jule,

als gestern deine Antwort eintraf, habe ich erst einmal aufgeatmet. Ich habe wirklich befürchtet, mein Text würde einer völlig aufgelösten Person zugehen, die nur noch wütend reagieren kann. Dass du dich bereits hast untersuchen lassen, und überhaupt die Dinge so rational siehst, beruhigt mich erstmal sehr. Nun möchte ich dir gerne noch schildern, was mir zu deiner Erzählung eingefallen ist.

Grundsätzlich solltest du wissen: Ich habe dir zwar den Rat gegeben, dich von niemandem beeinflussen zu lassen, welche Entscheidung du letztlich triffst. Das schließt mich selbst auch ein. Und bei diesem Rat bleibe ich auch. Gleichzeitig habe ich ja schon angedeutet, dass ich mich sehr freuen würde, wenn du dich für das Kind entscheidest. Was umgekehrt auch heißt, dass ich schon traurig wäre, wenn du dich gegen es entscheidest. Diese Dinge beeinflussen natürlich das, was ich dir hier so schreibe. Ich bitte dich aber, dies alles nicht als Versuch zu sehen, dich unter Druck zu setzen. So ist es von mir nicht gedacht. Ich werde deine Entscheidung respektieren, welche es auch sein wird.

Zudem bin ich hier (wenn auch ehrenamtlich) in einer Beraterposition. Dabei sollten wir im Hinterkopf behalten: Es ist in Deutschland illegal, in irgendeiner Weise für Abtreibungen zu werben oder dazu aufzufordern - das gilt für die, die mit Beratungen betraut sind. Auch ist festgelegt, dass eine Schwangerschaftskonfliktberatung (und eine solche haben wir hier) ermutigen und bestärken soll. Warum schreibe ich das? Damit du weißt, dass das, was ich dir schreibe, Gründe hat. Ein Grund ist meine Überzeugung. Ich wäre froh, dich für dein Kind öffnen zu können - auch wenn ich selbstverständlich deine endgültige Entscheidung respektieren und dich nicht dafür kritisieren werde, falls du dich für eine Abtreibung entscheidest. Denn das Gesetz schreibt vor: Eine Entscheidung darf nur mit und nicht gegen die werdende Mutter getroffen werden. Dies schreibe ich dir, damit du weißt, wie ich meine eigene Rolle hier verstehe. Ich würde dieser Richtlinie auch dann folgen, wenn sie nicht ohnehin schon meiner Überzeugung entsprechen würde.

Um es zusammenzufassen: Mein Ziel ist also zweierlei. Erstens - das gebe ich offen zu - möchte ich dich in Bezug auf dein Kind ermutigen. Zweitens möchte ich trotzdem versuchen, dich für den Fall auszurüsten, dass deine Entscheidung anders sein wird. Denn dann muss ich die Gründe nicht kennen. Aber dann ist es trotzdem dein Recht und mein Wunsch, dass du zu dieser Entscheidung stehen und dich selbst noch gern haben kannst.

Im Moment geht dir sehr viel durch den Kopf, was nur verständlich ist. Etwas, das ich bei dir sehr deutlich herauslesen konnte, ist die Frage: Bin ich egoistisch, wenn ich mich für das Kind entscheide? Dazu dürfen wir nicht vergessen, Jule: Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist die älteste und innigste, die es gibt. Alle um dich herum - ob dein Freund, deine Eltern, deine Kollegen - sind nicht in der Position, über eine Abtreibung entscheiden zu müssen. Was immer auch geschieht, Jule, es geschieht mit und in deinem Körper. Und dein Körper gehört dir. Über ihn frei entscheiden zu wollen, ist nicht "egoistisch", sondern dein gutes Recht. Dieses Recht ist absolut nicht verhandelbar.

Deshalb: Versuche bitte, alle Überlegungen, ob du mit deiner Entscheidung irgendjemandem etwas "schwer machst" oder jemanden "enttäuschst", nicht zu groß werden zu lassen. Wenn du es kannst, verbanne diese Überlegungen ganz. Hier geht es um dich, um deinen Körper, um das, was in ihm wächst. Und du bist als Mutter des Kindes, sollte es zur Welt kommen, diejenige, die die meiste Verantwortung erhält (und zwar für die nächsten zwanzig Jahre). Von den Schmerzen und dem Stress mal ganz abgesehen. Deswegen, noch einmal: Die Frage, ob du "egoistisch" wärst, kann man nur mit einem klaren "Nein!" beantworten. Hier geht es mit Fug und Recht erstmal nur um DICH. Um DEINE Gefühle. Um DEINEN Körper.

Die Fragen, die du dir stellen solltest, sind daher nicht: Was heißt das für meine Eltern? Was heißt es für meinen Freund? Was heißt es für meine Großeltern? Dass diese Fragen in dir wach werden, ist verständlich, aber nicht zielführend. Wenn du Mutter wirst, Jule, dann können Freunde und Verwandte durchaus den berechtigten Wunsch haben, dass du sie nicht vereinnahmst. Das ist aber etwas Anderes, als jetzt, wo das Ganze ja von dir nicht geplant war, von dir zu verlangen, dass du sie überhaupt nicht behelligst. Bei deinen Eltern können wir es vielleicht noch halbwegs nachvollziehen, da du ja volljährig bist und sie sich bereits um deine Großeltern sorgen. Dennoch haben auch sie die Pflicht, dich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu unterstützen, solange du noch zuhause wohnst und es brauchst. Was deinen Freund betrifft: Dein Freund hat das Kind mit dir gemeinsam gezeugt, er kann seiner Verantwortung nicht entgehen. Dass es in deinem Körper wächst, bedeutet nicht, dass seine Verantwortung kleiner ist. Was es bedeutet, ist: Er muss akzeptieren, dass du das letzte Wort hast. Wenn er es anders haben will, dann soll er auch die Gewissensbisse und den Seelenschmerz, die auf eine Abtreibung folgen können, mit dir teilen. Das kann er aber nicht. Und darum bist du es, die entscheidet, und zwar zu Recht.

Lass uns mal so rational wie möglich ein paar Tatsachen durchgehen, Jule. Die erste ist folgende: Wenn du das Kind bekommst, muss das nicht bedeuten, dass es bei dir aufwächst. Schon in diesem frühen Stadium mit dem Gedanken an eine Adoption zu spielen, mag brutal klingen - wenn, dann tut es mir leid. Denn worum es mir geht, ist, dir zu vermitteln: Die Frage, ob du das Kind bekommst, ist eine andere als die, wie du für es sorgen kannst. Dein Baby würde einen Platz in dieser Welt finden, ganz egal, ob du dich bereit fühlst, für es zu sorgen oder nicht. Wenn du in dich gehst und findest, dass du es nicht kannst, dann wäre das kein Zeichen von Herzlosigkeit, sondern ganz im Gegenteil eines von großer Reife und Selbstkenntnis. Gleichzeitig hast du auch Recht, wenn du sagst: Die Schwangerschaft hat kaum begonnen, es fällt schwer, sich in dem, was da ist, den Menschen vorzustellen, der es einmal werden kann. Das verlange ich auch nicht von dir. Mein Ziel ist es, dich von der Angst zu befreien, dass du irgendjemand Anderem Rechenschaft schuldig wärst. Das bist du nicht. Du bist nur dir selbst Rechenschaft schuldig.

Und darum, formuliere die Fragen, die unweigerlich kommen, prägnant, sodass sie dir weiterhelfen. Fragen, auf die es keine befriedigende Antwort gibt, helfen dir nicht weiter. Niemand kann wissen, ob dein Freund es in einem Jahr bitter bereut, wenn er sich jetzt zurückziehen sollte. Wo du selbst dich in einem Jahr siehst, lässt sich da schon leichter sagen, denn du kennst dich selbst am allerbesten. In dir wächst etwas, was einmal ein Mensch werden kann. Das verpflichtet dich nicht, das Kind zu behalten. Aber um zu erfahren, ob du dich dieser Aufgabe stellen kannst, musst du dich zunächst einmal fragen: Habe ich Angst davor, dem Mutter-sein nicht gewachsen zu sein - oder eher davor, dass sich materielle Probleme ergeben? Habe ich das Gefühl, die nächsten zwanzig Jahre für ein Kind da sein zu können? Im Glück, aber auch in Krankheit, Angst und Unsicherheit? Traue ich mir das zur Not auch allein zu, oder wünsche ich mir meinen Freund an meiner Seite? Könnte ich damit leben, wenn das Kind nicht bei seinen leiblichen Eltern aufwächst?

Diese Fragen kommen noch vor den ganz, ganz konkreten: Wo werde ich wohnen? Werde ich meine Ausbildung machen können? Bin ich körperlich dem zusätzlichen Stress gewachsen? Welche finanziellen Ansprüche habe ich? Auch diese Fragen sind wichtig, jedoch bin ich für sie nicht der richtige Ansprechpartner. Dafür gibt es die ausgebildete Schwangerschaftsberatung, deine Frauenärztin und das Jugendamt. Irgendjemand ist immer da - darauf kannst du vertrauen. Doch ich persönlich habe das Gefühl, bevor du dich mit Zahlen überlädst, musst du deine Richtung kennen: Neigt dein Herz eher der Herausforderung Mama-sein zu, oder fühlst du dich einfach noch nicht bereit (was jeder akzeptieren muss, auch ich)? Das ist eine Entscheidung, die du nur selbst treffen kannst.

Was ist da noch? Dein Freund meint, er fühlt sich noch nicht bereit. Mit anderen Worten, da ist die Tatsache, dass es erstmal ganz einfach nicht zu eurer ursprünglichen Lebensplanung passt. Worüber du hier befinden musst, ist, ob diese sich überhaupt noch wie ursprünglich angedacht verwirklichen lässt - selbst wenn du dich gegen das Kind entscheidest. Denn wie auch immer du dich entscheidest, spurlos wird es nicht an dir und euch vorübergehen, das ist klar. Wenn du dich also zu einer Abtreibung entschließt, weil das Argument deines Freundes ("vielleicht in fünf Jahren, aber nicht jetzt") dir einleuchtet, dann musst du aufpassen, dass daraus keine Anspruchshaltung wird. Sowohl bei dir, als auch bei ihm. Will heißen: Du weißt nicht, ob deine Einstellung zur Familiengründung sich in Zukunft verändern wird, durch das Erlebnis der Abtreibung. Vielleicht ändert sich dadurch dein Verhältnis zu deinem Körper und deiner Sexualität, und auch dein Freund muss sich bewusst sein, dass die Zustimmung zu der Aussage "nicht jetzt, aber in fünf Jahren... vielleicht" von deiner Seite kein Versprechen ist. Es kann auch sein, dass die Zukunft daraus ein "wir hatten unsere Chance... ungeplant... jetzt geht es nicht mehr" werden lässt.

Zusammengefasst: Was geschehen ist, ist geschehen. Eine Abtreibung macht nichts ungeschehen, es lenkt deinen Lebenslauf nur in eine andere unvorhersehbare Richtung. Dass es nicht mehr die sein kann, die es ohne die ungeplante Schwangerschaft geworden wäre, ist dabei sowieso klar. Darum solltest du dir bewusst sein: Mit jeder Entscheidung stößt du eine Tür auf, von der du nicht weißt, was dahinter ist. Diese Tatsache lässt sich positiv oder negativ deuten. Aber grundsätzlich: Genauso wenig, wie die Entscheidung für das Kind dich in eine bestimmte Richtung zwingt (keiner kennt die Zukunft), genauso wenig schaltet die Entscheidung gegen das Kind dein Leben auf Status quo zurück (denn die Vergangenheit kann man nicht rückgängig machen).

Du hast gesagt, dass du vor einer Abtreibung moralische Bedenken hast. Das ist einleuchtend. Sicherlich wird es auch nicht ausbleiben, dass jemand dir vom religiösen Standpunkt ins Gewissen reden möchte, zumindest aber wirst du irgendwo so etwas lesen. Ich denke, dass es deshalb wichtig ist, dass wir uns darüber Gedanken machen. Zunächst: Ich bin zwar kein Atheist, und ich teile grundsätzlich deine moralische Sichtweise. Aber ich halte es trotzdem für ungut, durch Aussagen wie "Das menschliche Leben beginnt bei der Zeugung, und jeder Mensch hat ein Recht auf Leben" jede Diskussion über Pro und Kontra von vorneherein abzuwürgen. Denn das Gefühl allein, das Kind aus ethischen Gründen bekommen zu müssen, bringt noch nicht mit sich, dass du zu dem kleinen Lebewesen wirklich Ja sagen kannst. Auch zu der Person, die aus ihm wird. Du musst für dich auch abwägen, ob du aus Pflichtgefühl, oder aus Überzeugung einer Seite zuneigst. Das gilt in beiden Fällen -
für das Ja und für das Nein.

Das Religiöse / Moralische hat die Auffassung, dass wir in dem Kind, das im Augenblick noch nicht mal einen Körper hat, den Menschen sehen sollten, der einmal aus ihm wird. Richtig ist zwar, dass da ein Mensch heranwächst, und das sollten wir auch nicht vergessen. Gleichzeitig liegt dann aber ein Vorwurf wie "Abtreibung ist Mord!" nahe, den ich gefährlich finde, weil er nichts bewirken kann außer entsetzlichen Schuldgefühlen und Selbsthass. Wenn man das ungeborene Leben konsequent so sehen soll, als wäre es bereits geboren, dann müsste man sich auch fragen: Was für ein Mensch wird wohl aus ihm werden? Ein genialer Künstler, eine grandiose Ärztin? Wird er mit zehn Jahren einen schlimmen Unfall haben, und sein Leben lang an den Rollstuhl gebunden sein? Wird sie den Planeten retten, wenn sie groß ist? Um diese Fragen geht es im Grunde, wenn wir moralisch vorgehen. Wir kennen die Antwort nicht - du kannst daher nur sagen: Ich will der Welt diese Chance nicht vorenthalten. Du könntest auch sagen: Ich will dieses Wagnis nicht eingehen. Warum schreibe ich das? Nicht um dir eine Abtreibung nahezulegen (!) Sondern: Weil ich hoffe, dass es dich in deiner Entscheidung freier machen wird. Und weil ich verhindern möchte, dass jemand dich mit Schuldgefühlen unter Druck setzen kann. Meine eigene Präferenz kennst du. Ich würde mich sehr freuen, einen Beitrag leisten zu können, dass deinem Kind der Weg in die Welt geebnet wird. Aber der richtige Weg liegt immer noch in dir, in dir ganz allein. Du bist es, die ihn kennen lernen muss.

Die Frage, über die du entscheiden musst, ist also nicht nur "Darf ich / will ich / kann ich (menschliches) Leben beenden, ja oder nein?" Die Frage ist außerdem: "Mit welchem Risiko, mit welcher Verantwortung, mit welcher Belastung kann ich leichter leben?" Der Zeitraum, der dir dafür zur Verfügung steht, ist recht knapp bemessen. Man könnte darüber ein Leben lang nachsinnen, aber du hast effektiv nur ein paar Wochen. Darum ist es umso wichtiger, dass deine Entscheidung respektiert wird. Abtreibungen können dramatische Spätfolgen haben, und haben es oft - ja. Aber was mich empört, ist, wenn andererseits gerade religiöse Menschen so tun, als würden Frauen es sich mit dieser Entscheidung leicht machen. Die ethische Frage, was das Bessere ist, hat keine befriedigende Antwort. Denn sie lässt sich bis an Punkte denken, die eigentlich gar nichts mehr mit deiner jetzigen Situation zu tun haben (Wie die obige Frage "Was würde sie / er für ein Mensch sein?"). Aus genau diesem Grund ist es dir, als der Mutter, gegeben, zu entscheiden. Niemand anders kann dafür die Fähigkeiten haben.

Wenn es die fünfte Woche war, als du beim Arzt warst, dann bist du immerhin in der guten Position, dich nicht so schnell entscheiden zu müssen. Das heißt: Nicht so schnell wie andere. Ich denke, dein Ansatz, dich zunächst nicht so damit zu konfrontieren, ist sinnvoll. Zumindest dann, wenn "nicht konfrontieren" heißt, dich nicht mit Bildern und Meinungen zu überladen. Bilder und Meinungen, die nur deine Gefühle überschwappen lassen. Trotzdem ist es jetzt immens wichtig, dem Ganzen nicht auszuweichen, sondern dich zu informieren. Und eben auch über die ganz praktischen Dinge. Hinzu kommt natürlich die Sorge für deine Gesundheit. Ich weiß nicht, ob es in deinem Sinne ist, die Entscheidung innerhalb einer bestimmten Frist zu treffen. Wenn du das tun willst, musst du selbst diese Frist bestimmen. Meine persönliche Meinung ist: Wahrscheinlich wird der Entschluss, den du am Ende triffst, einem spontanen Gefühl entsprechen, dass du sehr kurz nach der Erkenntnis hattest, dass du schwanger bist. Irgendwann in den ersten Stunden, auch wenn sie vor deinem Gedächtnis im Nachhinein verschwimmen. Möglicherweise hast du sie nur als panisch in Erinnerung, möglicherweise schwanktest du auch zwischen Faszination und Angst. Möglicherweise hattest du aber auch ein unerklärliches Hochgefühl? Ich weiß es nicht. Was ich dir damit sagen will, Jule: Die Antwort liegt in dir. Und du solltest dir erlauben, diese Antwort in Ruhe zu finden. Nur verdrängen solltest du es auch nicht. Denn dann wird mit einem Mal, wenn deine Schwangerschaft voranschreitet, aus dem "sich-nicht-konfrontieren" panische Angst. Nur eine Antwort, die in Ruhe, aber bewusst gefasst ist, kann dir am Ende Befriedigung geben und dir helfen, das Leben zu meistern, für das du dich jetzt entscheidest.

Am Ende dieses Textes möchte ich dir für dein großes Lob danken. Es hat mich sehr gefreut. Du hast gefragt, was mich bewegt, hier im Kuka mitzuarbeiten. Wahrscheinlich kann ich mit meiner Antwort auch die übrigen Mitglieder des Teams einschließen: Wir alle haben unsere Geschichte. Und ob wir gut oder weniger gut raten, hängt auch immer davon ab, welche persönlichen Emotionen in uns wach werden. Manchmal stehe ich vor den Zuschriften und bin ratlos, was ich zu diesem oder jenem sagen soll. Manchmal kapituliere ich auch, weil ich keine Worte finde - das ist nicht schön, und ich schäme mich ehrlich gesagt dafür. Und manchmal fließt es wie von selbst aus mir heraus. Warum? Da gibt es vieles. Ich glaube, als ich selbst noch in meiner größten Lebenskrise steckte, war es oft sogar leichter, Antworten zu schreiben - es ist immer leicht, Menschen Ratschläge weiterzugeben, die man selbst gerade umzusetzen versucht. Was dein Problem betrifft, hat es mich sehr berührt; und ich möchte betonen, dass es mir keine Last ist, dir zu antworten.

Ich würde mich freuen, wenn ich irgendetwas für dich tun kann, von dir weiter zu hören. Natürlich musst du nicht. Es interessiert mich dann doch, wie du dich letztendlich entscheiden wirst - aber ich habe kein Recht darauf, es unbedingt zu wissen. Ich verstehe, wenn du es lieber nicht sagen möchtest. Vorerst wünsche ich dir möglichst ruhige Tage, ohne Streit - und dass es dir gelingt, deine Gedanken zu ordnen und einen Entschluss reifen zu lassen, mit dem du gut leben kannst. Welcher es auch sein mag: Ich bin sicher, du wirst die Herausforderung in jedem Fall meistern!

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul