Problem von Johanna - 17 Jahre

Innere Leere und einfach Traurigkeit

Hallo,
Bevor ich von meinem Problem berichte, möchte ich mich bei dir, Bernd, bedanken. Vor einer gefühlten Ewigkeit habe ich schonmal ein Problem geschrieben, müsste so 4 Jahre her sein. Seit dem denke ich oft noch an deine Worte zurück. Es ging darum, dass meine Mutter mir keine Liebe gezeigt hat und sich nur um meine Geschwister gekümmert hat (sie hat sich erst um die "wichtigen Probleme" gekümmert ) .

Nun zu meiner derzeitigen Lage. Ich bin jetzt bald 18 Jahre alt und eigentlich läuft alles ganz ok, könnte mich eigentlich nicht beschweren, wäre da nicht diese tiefe Traurigkeit phasenweise in mir drin. Es fühlt sich so an, als wäre meine Seele verletzt. Ich bin ständig alleine zu Hause und fühle mich sehr einsam. Wenn ich zu Hause bin, muss ich mich um vier Hunde kümmern, meine Geschwister sind schon ausgezogen und meine Zwillingsschwester hält sich nur in ihrem Zimmer auf. Ich würde mich selber als sehr liebes Kind bzw lieben Menschen bezeichnet, weil ich meine Ansprüche immer zurück stelle und versuche nur für meine Mutter da zu sein, Vater wohnt woanders und zu dem habe ich keinen Kontakt. Meiner Mutter geht es nicht so gut. Weil mir diese ganze familiäre Situation vor paar Monaten zu viel wurde, fing ich in der Schule an zu weinen. Das hat dann dazu geführt, dass ich mich meinem Deutschlehrer anvertraut habe ( er ist 58) aber weil ich nach einem halben Jahr gemerkt habe, dass er sich in mich verliebt hat ( er hat mir ein Liebesgedicht geschrieben und mir Komplimente gemacht usw, ist also keine Vermutung sondern feststehender Fakt) und er für mich einfach nur ein Vaterersatz war, habe ich versucht alles zu beenden und er akzeptiert es auch so. Zeitweise hat mein Lehrer diese Leere gefüllt, weil er einfach da war, mir zugehört hat aber so ging es nicht weiter. Das war ja nicht mehr normal. Nun plagen mich Albträume und Schlafstörungen. Ich bin wie in einem Gedankenkarussel gefangen. Ich sehne mich nach einem Menschen, der mit mir auf der selben Ebene ist, der auch vom Denken so komplex ist wie ich. Ich denke oft zu viel und hinterfrage alles. Vielleicht bin ich deshalb nicht glücklich, obwohl es mir doch eigentlich an nichts fehlt? Mein Lehrer, meine Mutter und auch viele Bekannte sagen, dass ich anders bin und besonders, erwachsener als andere in meinem Alter aber bin ich das? Ich meine, im Grunde bin ich doch noch ein Kind? Ich habe noch eine Kinderseele und merke immer mehr, dass meine Seele richtig verletzt ist und einfach eine Leere dort dominiert. Wie kriege ich diese Leere weg? Ich versuche mich nicht zu Hause zu verstecken sondern versuche meinen damaligen Hobbys nachzugehen und Dinge zu tun, die mir einfach Freude machen, versuche mich mit Freunden zu treffen aber egal wie viele nette Menschen um mich herum sind, es bleibt diese Einsamkeit.
Ich hoffe, der Text ist nicht zu verwirrend.
Ich würde mich über eine Antwort wirklich freuen.

Bernd Anwort von Bernd

Hallo Johanna,

Es ist etwa 2 1/2 Jahre her, dass ich Dir geschrieben hatte. Ich habe es mir nochmal durchgelesen. Und wenn ich das nun mit Deiner jetzigen Situation in Einklang zu bringen versuche .... habe ich wohl mit Schuld an Deinem Gefühl:
"...weil ich meine Ansprüche immer zurück stelle und versuche nur für meine Mutter da zu sein."

Ich wollte zwar, dass Du versuchst, Deine Mutter zu verstehen. Aber ganz gewiss nicht, dass Du Dich selber "opferst"!
Und es tut mir leid, dass ich es bisher nicht gesehen habe, dass Du danach von uns gleich zweimal keine Antwort bekommen hattest.
Mir zeigt es nochmal ganz deutlich, wie wenig wir im Internet für Dich wirklich da sein können.
Im Grunde werfe ich mir vor, Dich "ruhig gestellt" zu haben. Und dadurch zum Opfer gemacht!
Das alles ist so fern vom tatsächlichen Leben.

Was Deinen Lehrer wirklich angetrieben hat, mag und kann ich nicht beurteilen. Sicherlich wirst Du es richtig bewerten, wenn Du schreibst, dass es "Fakt" ist und er sich in Dich verliebt hat.
Nun weiß ich allerdings aus eigener Erfahrung, dass auch Vatergefühle einen Mann dazu bringen können, der "gefühlten Tochter" Komplimente zu machen. Und ihr alles bieten (ersetzen) zu wollen, was man denkt, dass dem geliebten Menschen fehlt.
Du merkst: ich schreibe auch von dem "geliebten Menschen"!
Ganz gewiss gibt es in unserer Gesellschaft genügend Gründe zu glauben, dass viele, wenn sie von "Liebe" reden, es auch gleich mit "Sex und Ausnutzung" gleichsetzen.
Oft ist es nur ein Satz, der die Richtung vorgibt.
Ich selber sehe mich immer als Vater (nun langsam auch als Opa) für die, denen ich einen Rat gebe.
Trotzdem leitet mich "Liebe".
Am Schluss meines Lieblings- Liebesliedes heißt es:
"Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen".

Was ich Dir schreiben will: "Liebe" hat so viele ganz verschiedene Abstufungen!
Und wenn Dir von "Liebe" gedichtet oder erzählt wird, ist es immer noch nur an Dir, jedem "Gedicht" eine eigene Wertung zuzuordnen.
Liebe ist nicht gleich Liebe?!
Wenn ich Dir hier über meine Liebe erzähle, ist der Abstand natürlich durch das Medium "Internet" schon vorgeben.
Wenn ein Lehrer Dir von "Liebe" erzählt, wirst Du wohl nachfragen müssen!
Manchmal lohnt es vielleicht trotzdem: nachzufragen, statt einfach vornweg zu urteilen?

Was mich selbst mal komplett infrage gestellt hatte, war, das jemand mir geantwortet hatte: "einen Vater habe ich schon"!
Also irgendwie das Gegenstück von dem, was Du von dem Erlebnis mit Deinem Lehrer schreibst!

Nicht wegsehen, sondern Grenzen setzen.
Was wäre, wenn Dein Lehrer und Du tatsächlich den gleichen Ansatz hättet?
Wenn er sich als Dein Vater empfindet und es "Liebe" nennt?

Du bist besonders! Da haben Dein Lehrer, Deine Mutter und Deine Bekannten unbedingt Recht!
Und Deine Seele ist brutal verletzt! Das siehst Du auch ganz richtig!

Du schreibst: "Ich sehne mich nach einem Menschen, der mit mir auf der selben Ebene ist, der auch vom Denken so komplex ist wie ich. Ich denke oft zu viel und hinterfrage alles."

Aber ich denke, dass es da zwei Aufgaben gibt, die es zu lösen gilt. Und dazu brauchst Du vielleicht auch zwei ganz unterschiedliche Ansätze und unterschiedliche Partner:
- Deine Vergangenheit aufarbeiten ist die eine Aufgabe.
Zu hinterfragen und Antworten darauf zu finden, wo Deine Seele verletzt wurde und wie man verhindern kann, dass Du weiterhin verletzt wirst.
Die Leere aufzufüllen, die Dein Vater, von dem Du wohl nie so wirklich etwas hattest, bei Dir zurückgelassen hat:

Dabei solltest Du Dich nicht scheuen, Dir professionelle Hilfe zu suchen.
Ein Partner, mit dem Du die Zukunft gestalten willst, ist für diese Aufgabe vielleicht nicht so sehr geeignet.
So verrückt sich das auch anhören mag: Jemand, der Dich aus Deinem Loch herausführen will, braucht einerseits viel Verständnis. Andererseits braucht er aber auch einen gewissen persönlichen Abstand von Dir, damit er die Situation immer objektiv und ungerührt einschätzen kann. Und er sollte nicht unbedingt selbst in einem ähnlichen Loch stecken?!
Das ist nicht der "Partner fürs Leben"!
Eine unbefangene "Vatergestalt" könnte da - wenn Du die Scheu überwindest - der "Pater" oder Pfarrer eurer Gemeinde sein.
Oder suche Dir einen Therapeuten Deines Vertrauens.

- die zweite Aufgabe ist, Deine Zukunft positiv und möglichst ohne "Restbelastung" zu planen und zu gestalten. Und dazu wirst Du einen Partner finden, der zu Dir passt und mit dem Du glücklich wirst.

Unbefangen, unbeschwert und trotzdem auch mit dem seelischen und intellektuellen Tiefgang, der zu Dir passt!

Das wünsche ich Dir von ganzem Herzen!

Alles Liebe
Bernd