Problem von Larissa - 14 Jahre

Ich war noch nicht bereit

Hallo,

ich habe euch schon mal geschrieben weil ich starken Liebeskummer hatte und nicht über einen Jungen hinweg kam. Ihr habt mir sehr gut geholfen, jedoch gibt es eine Sache was mich seit einem Monat richtig kaputt macht. Ich habe nur mit ein paar Freundinnen darüber geredet, weil ich Angst hatte, nicht verstanden zu werden und das man mir nicht glaubt.

Ich hatte mit einem Jungen Freundschaft Plus... ich habe in meinem 1. Beitrag im November glaube ich schon erzählt, dass ich mein erstes Mal mit ihm hatte. Die Sache, die mich daran kaputt macht, ist einfach, dass ich noch nicht wollte. Ich habe mir immer gedacht:,, Ja okay, ist halt so, kann man nicht ändern.``. Aber seit einem Monat macht es mich richtig kaputt und ich mache mir selber starke Vorwürfe. Ich habe meinen Eltern schon vor einer Woche ein paar Gründe genannt, warum es mir nicht gut geht, jedoch nicht das ich mein 1.Mal so bereue.

Ich habe ihm damals gesagt, als es so weit war, dass ich nicht weiß ob ich will. Jedoch sagte er darauf nur, dass ich es will. Ich habe ihm aber als er auf mich zu kam gesagt, dass ich nicht will und mich nicht bereit fühle. Ich habe es ihm schon öfters gesagt das ich damals nicht bereit war, er entschuldigt sich aber immer nur.

Ich mache mir selber einfach extreme Vorwürfe, weil ich mir denke, das es nicht passiert wäre, wenn ich nicht zu ihm gegangen wäre oder mich stärker gewährt hätte sollen.

Ich hoffe, das ich eine hilfreiche Antwort bekomme und ich hoffe das ihr mir glaubt.

Mit freundlichen Grüßen,
Larissa.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Larissa,

seit deiner Zuschrift sind gut drei Wochen vergangen, was mir sehr leid tut. Jedoch gehe ich davon aus, dass deine Gedanken noch immer vorhanden sind, und hoffe deshalb, dass ich dir eine kleine Hilfe geben kann.

Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen. Ich habe keinen Grund, dir nicht zu glauben. Du hast erzählt, was dich beschäftigt, und dein Schmerz ist wirklich sehr gut nachvollziehbar. Ich wäre sehr froh, wenn es dir inzwischen etwas besser ginge.

Entscheidend ist, Larissa: Du machst dir nicht nur deswegen Vorwürfe, weil die Art und Weise, wie es abgelaufen ist, nicht deinen Vorstellungen entsprochen hat. Das kann vorkommen, aber wenn man sich liebt, kann man darüber lachen. Sondern du grämst dich auch und vor allem, weil du überhaupt noch nicht bereit warst, der Junge dir die Entscheidung aber aus der Hand genommen hat. Dieser Schmerz ist sehr verständlich und auch berechtigt, denn dazu hatte er nicht das Recht. Ich will hier nicht entscheiden, wie das Gesetz diese Situation sehen würde - das darf ich auch gar nicht. Trotzdem solltest du nicht vergessen, dass, was dir passiert ist, als Vergewaltigung gewertet werden kann. Das mag dich vielleicht überraschen. Vergiss aber nicht: Das Opfer bestimmt, was Gewalt ist. Und in deinem Fall kam es zum Sex, obwohl du mehrfach deutlich gesagt hast, dass du nicht möchtest. Dass der Junge dich vielleicht nicht geschlagen oder festgehalten hat, muss nichts bedeuten - du wolltest nicht, was passiert ist, und er wusste es. Er hat nicht das Recht, dir eine Meinung vorzugeben. Wenn du sagst, dass du es nicht willst, dann muss er danach handeln. Sprich, dich in Ruhe lassen oder es bei dem belassen, wozu dein Okay gibst. Vielleicht wärst du mit Küssen oder Petting an dem Tag einverstanden gewesen - mit Sex warst du es nicht. Und das ist entscheidend, nichts Anderes.

Der Junge, der dich entjungfert hat, kann dir nicht zurück geben, was er dir genommen hat. Und damit meine ich nicht deine Jungfräulichkeit, sondern deine Sicherheit und Fröhlichkeit. Du musst nun zunächst entscheiden, wie du dich zu ihm stellen willst: Möchtest du noch Kontakt mit ihm haben - oder "Berührung", falls ihr euch aus Schule oder Verein kennt? Gibt es dir noch etwas, ihn zu sehen? Es wird dir vermutlich nicht leicht fallen, aber: Wenn dich die Begegnung mit ihm immer wieder daran erinnert und den Schmerz aufstört, dann solltest du ihm sagen, dass er dich enttäuscht hat und du gerne den Kontakt mit ihm auf das Nötigste beschränken möchtest. Dass er sich bei dir entschuldigen will, ist gut und schön, leider gibt es dafür keine Entschuldigung. Er muss damit leben. So wie auch du damit leben musst, nur dass das Erlebnis für dich (mal ganz vorsichtig ausgedrückt) wesentlich unangenehmer war, und dich deswegen auch viel stärker beschäftigen wird.

Lass dir nicht einreden, dass du es auf sich beruhen lassen müsstest, nur weil er sich entschuldigt hat. Er kann dir nicht zurückgeben, was er dir genommen hat; also wird er auch damit leben müssen, es getan zu haben. Er hat dich in deine jetzige Situation gebracht, aber du bist diejenige, die damit umgehen muss. Da ist es ganz und gar unangebracht, wenn du dir jetzt auch noch Vorwürfe machst. Ein klares "Nein" muss genügen, und das hast du ihm geliefert - aber er hat es nicht respektiert. In deiner momentanen Lage ist es nur zu menschlich, sich das Erlebte selbst zuzuschreiben und über alles nachzusinnen, was vielleicht dazu geführt hätte, dass "es" nicht geschehen wäre. Darüber nachzudenken, ist aber erstens ungerechtfertigt, weil das, was du dem Jungen vermittelt hast, schon deutlich genug war. Und zweitens ist es auch nicht gesund, denn es hilft dir nicht. Selbst wenn du ihm nicht signalisiert hättest, dass du noch nicht bereit warst, und es im Nachhinein festgestellt hättest, wären dein Frust und deine Verzweiflung absolut verständlich. Denn das erste Mal kann man eben nur einmal erleben. Und gemeinhin wird es sehr hoch bewertet, auch wenn man natürlich beim Ersten Mal noch nicht wirklich über die Erfahrung und Sicherheit verfügen kann, um zu garantieren, dass es schön wird.

An diesem Punkt möchte ich auch anknüpfen: Larissa, du bist ein junges Mädchen von gerade mal 14 Jahren. Es wäre schön, wenn es dir gelingen würde, dich in Zukunft nicht von gesellschaftlichen Ansprüchen unter Druck setzen zu lassen. Der Junge, mit dem du den ersten Sex hattest, war deiner wohl nicht wert, und das kannst du ihm auch sagen. Aber für die Zukunft - überstürze nichts. Lass dich nicht stressen, wenn Andere dir von ihren Erlebnissen im Bett berichten, wenn du gerade nichts Vergleichbares erzählen kannst. Lass dich nicht auf eine Beziehung oder eine "Freundschaft mit Vorzügen" ein, wenn du dir des Menschen, um den es sich handelt, nicht sicher bist. Gib dir die Zeit, die du brauchst, um das Erlebte zu verarbeiten, und erwarte von einem jeden Menschen, der mit dir zusammen sein will, unbedingt das Gleiche. Irgendwann, da bin ich sicher, wirst du einen Jungen oder Mann kennen lernen, der dich nicht drängt, der dann mit dir Sex haben möchte, wenn du es sicher willst, und der Rücksicht nehmen wird, wenn du zögerst. Mit ihm wirst du dein zweites erstes Mal erleben können, das gewiss unvergleichlich schön werden wird.

Aber, Larissa: Wann das sein wird, wissen wir nicht. Es muss nicht bald sein. Lass zu, dass du - wenn es dir besser damit geht - vorerst keine neue Beziehung eingehst. Bleibe stark darin, jedem deine Bedürfnisse und Grenzen zu kommunizieren, das hast du ganz toll gemacht. Die Ansprüche, die du in der Zukunft an einen Jungen stellen solltest, der mit dir intim sein will, sollten hoch sein. Du solltest dir unbedingt zu schade dafür sein, jemandem etwas zu geben, von dem du dir nicht ganz sicher bist, dass er der Richtige ist. Und du musst dir die Zeit nehmen, herauszufinden, ob er es ist. Derjenige ist richtig, der dir die Initiative lässt, der deine Worte respektiert und nach deinen Bedürfnissen fragt. Und auch wenn es dir nicht leichtfällt: Da du damit rechnen musst, dass das Erlebte dich noch lange beschäftigen wird - zögere nicht, jemandem, der dir wirklich, wirklich wichtig ist, auch davon zu erzählen, denn so gibt es keine Missverständnisse.

Ob du dein Erlebnis deinen Eltern mitteilst, musst du davon abhängig machen, was du dir davon versprichst. Grundsätzlich hast du, glaube ich, nichts zu verlieren - es ist ja auch schön, dass deine Eltern deinen Zustand bemerken und nachfragen. Andererseits kann es sein, dass sie sehr geschockt sein werden - was ich für wesentlich wahrscheinlicher halte, als dass sie dir etwa nicht glauben. Aber generell ist es von großer Bedeutung, dass du dich mitteilst - wenn du Freundinnen hast, die bereit sind, sich deine Geschichte anzuhören und Verschwiegenheit zu bewahren, umso besser. Auch der Kummerkasten steht dir immer zur Verfügung, aber wie du gesehen hast, mahlen unsere Mühlen recht langsam. Du musst selbst entscheiden, wovon du glaubst, dass es dir helfen würde: Hast du das Gefühl, dass du das Erlebte möglichst schnell vergessen willst? Das mag verlockend sein, birgt aber die Gefahr, dass es früher oder später wieder an die "Oberfläche" treibt, wenn du es am wenigsten brauchen kannst. Von einer Anzeige gegen den Jungen, vermute ich, kann man sich nicht viel versprechen - das ist jedoch ein sehr ernstes Thema, zu dem du wirklich deine Eltern befragen solltest. Wenn du das nicht möchtest, ist es grundsätzlich wichtig, dass du deine Gefühle nicht in dir vergräbst und dich damit einschließt, sondern versuchst, ihnen produktiv entgegenzutreten. Jetzt, wo das Frühjahr vor der Tür steht, kann das durch Sport passieren, oder auch nur durch ehrgeizige Planungen für die nächsten Ferien; das Zentrale ist, begib dich unter Menschen, auch wenn du es nicht musst, führe Gespräche, unternimm etwas, gib deiner Energie ein Ziel. Es ist weder nötig noch sinnvoll, über all das rasch hinwegzukommen. Du solltest dir die Zeit geben, die dein Gefühl dir vorgibt - und in gewisser Weise wird der Gedanke daran wahrscheinlich nie ganz abwesend sein. Das ist hart - doch es ist niemandem gedient, wenn du dich selbst zu Unrecht beschuldigst und dich mit alldem nicht auseinandersetzt. Ob eine Therapie für dich in Frage käme, kannst du auch am besten selbst beurteilen; ich bin mir unsicher, ob es nicht zurzeit etwas übereilt wäre, aber vielleicht siehst du das ja ganz anders.

Ich wünsche dir vorerst einen schönen Frühlingsanfang und möchte dir danken, dass du dich uns geöffnet hast. Ich hoffe, dass du die Kraft findest, ins Leben zurückzukehren, und dass du anerkennen kannst, dass du dir nichts vorzuwerfen hast.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul