Problem von Milena - 22 Jahre

Umgang mit einer möglicherweise suizidgefährdeten Freundin

Hallo zusammen.

Nachdem ich nun schon mehrfach ernste Gespräche mit meiner Freundin führte und mittlerweile an einem Punkt angekommen bin, an dem ich einfach nicht mehr weiß, wie ich ihr helfen kann, wollte ich es versuchen und mich an Dritte wenden, die etwas Distanz zu der Situation haben.

Ich bin seit etwa zwei Jahren mit einem Mädchen befreundet, das ich über ein gemeinsames Hobby, das Schreiben, kennengelernt habe. Der Einfachheit halber nennen wir sie einfach mal Kathi. Sie ist ein wenig jünger als ich (letztes Jahr 18 geworden) und geht auch noch zur Schule. Anfangs hatten wir keine Probleme miteinander - und ich will es auch heute noch nicht so richtig als Problem bezeichnen, da ich mir hauptsächlich Sorgen um sie mache. Mit der Zeit ist sie jedoch deutlich besitzergreifender geworden, wollte ständig wissen, worüber ich mit einer anderen Freundin gesprochen habe, wenn ich denn mal mit dieser alleine war oder hat behauptet, es wäre jedem von uns egal, wenn sie mal nicht da wäre. Das war anfangs höchstens ein wenig nervig, aber da ich selbst ein sehr klammernder Mensch bin, habe ich mir nicht viel dabei gedacht. Irgendwann hat sie mir dann auch ihre Probleme anvertraut. Sie wird in der Schule gemobbt, ihre Mutter hat sehr ambivalente Erziehungsmethoden (Auf der einen Seite überhäuft sie Kathi mit Zuneigung, auf der anderen Seite kommen Aussagen wie "Wenn es dir so schlecht geht, dann spring doch vor nen Zug" und generell scheint sie ihren Bruder deutlich zu bevorzugen) und auch in unserer Freundesgruppe scheint sie sich von allen ignoriert und nicht wertgeschätzt zu fühlen, obwohl sie mit Abstand die einzige ist, die sich wirklich mit fast allen versteht. Ich bin nun selbst schon seit einigen Jahren regelmäßig bei einem Psychotherapeuten, da ich unter starken Angstproblemen leide, die es teilweise unmöglich machen einen Kassierer im Supermarkt anzusprechen, deshalb bin ich nicht ganz sicher, ob ich vielleicht übertreibe und außer "Hör auf mit ihr zu reden" hat mein Therapeut mir bisher auch keinen Rat geben können...

Das Problem ist, egal wie sehr ich ihr zu helfen versuche oder wie sehr die anderen ihr helfen wollen (zumindest weiß ich von 2 Personen, dass sie sich da sehr viel Mühe geben und eine hatte mich neulich tränenüberströmt angerufen, weil sie einfach nicht zu Kathi durchdringen konnte und sich Sorgen macht, dass sie sich etwas antut), sie will einfach nicht darauf hören. Wir sind keine Profis, deshalb raten wir ihr jetzt schon seit Monaten zu einem Psychotherapeuten zu gehen. Ein ärztliches Attest dafür hat sie auch schon seit knapp 2 Monaten. Aber bisher hat sie noch keine Anstalten gemacht, einen Termin auszumachen - laut ihr, weil sie nicht möchte, dass ihre Mutter etwas davon mitbekommt. Ich hatte angeboten, den Termin für sie auszumachen und sie könne schlichtweg behaupten, dass sie zu mir kommt. Schließlich kommt das nicht selten vor. eine andere Freundin, die näher bei ihr wohnt (ich muss etwa 1 Stunde fahren), hat auch vorgeschlagen, mit ihr zu dem Termin zu gehen, falls ihr das hilft, aber bisher ohne Reaktion.
Sie beschwert sich immer öfter über ihre Probleme - und das ist auch schön und gut und ich freue mich, dass sie uns so sehr vertraut, aber mittlerweile hat es den Zustand erreicht, dass sie alle einfach nur mit sich runterzieht, weil sie Aufmunterungsversuche nach etwa 5 Minuten schon wieder vergessen hat und genau das gleiche Problem wieder aufgreift. Ich bemühe mich, sie viel zu knuddeln, wenn ich kann und zu ihrem Geburtstag habe ich ihr ein enorm aufwändiges Fotoalbum mit eigenen Zeichnungen und persönlichen Nachrichten geschenkt, um ihr zu zeigen, dass es Leute gibt, die sie lieb haben und die sich um sie sorgen, aber kürzlich erst hat sie sich bei mir und einer anderen Freundin darüber beschwert, dass sie nie Geschenke bekommt und alle anderen sich für jeden so viel Mühe geben und sie dabei komplett ignoriert wird. Als hätte mein Fotoalbum keinen Wert.
Ich habe sie auch kürzlich erst zu meinem Geburtstag eingeladen. Eigentlich feiere ich nur noch selten, aber ich dachte, es wäre eine schöne Möglichkeit die Truppe zu versammeln, weil manche von uns in anderen Bundesländern leben. Es haben es letzten Endes nur 4 Personen geschafft, Kathi eingeschlossen, aber es war für mich sehr schön, mal wieder Freunde zu sehen. In meinem näheren Umfeld habe ich keine (bis auf meinen festen Freund), deshalb bedeuten mir diese Kontakte sehr viel. Ich weiß allerdings nicht, ob es so klug war, Kathi einzuladen. Nicht, weil ich sie nicht mag oder weil sie die Stimmung gedrückt hat, aber weil diese ganzen Geschenke bei ihr die Wunde wieder aufgerissen haben. Eine Freundin, die ich schon ewig nicht mehr gesehen habe und seit der Grundschule kenne, hat sich enorm viel Mühe für mich gemacht, wofür ich ihr sehr dankbar bin, aber Kathi hat das jetzt alles gesehen und wäre fast in Tränen ausgebrochen. Sie hat versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber zumindest ich habe es ihr deutlich angesehen. Bei einem Geschenk, das ich schon vorher ausgepackt hatte, eben damit sie es nicht sieht, hatte sie dann auch etwas wie "Das auch noch" gemurmelt, als sie es auf der kommode im Schlafzimmer entdeckt hatte. (Ich bin nicht davon ausgegangen, dass wir ins Schlafzimmer gehen, aber da spontan doch noch jemand übernachtet hat, mussten wir etwas improvisieren). Den ganzen Abend über habe ich versucht, sie irgendwie aufzumuntern und sie in den Arm zu nehmen, aber ich weiß nicht, ob das etwas gebracht hat. Die andere Freundin, die mich damals angerufen hatte, hat mir heute auch erzählt, dass Kathi ursprünglich gar nicht kommen wollte, "weil es ja eh keiner merkt, wenn sie nicht da ist".
Und ich habe jetzt so ein schlechtes Gewissen und weiß nicht einmal weswegen genau. Hätte ich sie lieber nicht einladen sollen? Soll ich mich schuldig fühlen, weil ich die Geschenke vor ihr ausgepackt habe? Ich wollte eigentlich nicht, aber meine anderen Freundinnen wollten unbedingt wissen, was ich dazu sage, daher...

Mittlerweile ist es einfach schon so schlimm, dass ich an Tagen, an denen ich mit Kathi gesprochen habe, so deprimiert bin, dass ich kaum aus dem Bett komme oder das Haus verlassen kann, weil mich die Gedanken so fertig machen. (Was gar nicht gut ist, da ich zurzeit eigentlich meine Bachelorarbeit vor mir habe und Bewerbungen für danach abschicken muss...) Aber ignorieren kann ich sie auch nicht. Ich habe schon wegen ihr um ein Semester verlängern müssen, ich will nicht noch ein weiteres Semester brauchen...
Ich schicke ihr täglich Gifs mit den Botschaften "Du bist toll", "Wir lieben dich", "Bleib stark" und ähnlichen Texten (manche davon auch aus eigener Feder, wenn ich die Zeit dafür habe), aber sie fühlt sich trotzdem allein auf der Welt und ungeliebt und ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll. Ich will ihr helfen, aber ich bin psychisch selbst gar nicht im Stande dazu und musste mich neulich erst von der Gruppe ausklinken, weil mich das alles zu sehr belastet hat, als es einen heftigeren Streit gab. (Es ging darum, dass Kathi das Gefühl hat, dass nie jemand ihre geschriebenen Geschichten kommentiert und sie glaubt, dass sie zu schlecht schreibt oder es uns egal ist. Dabei bekommt sie eigentlich unglaublich viel Fanart von allen, die malen können und hat mehr Kommentare als die meisten von uns (wir sind eine kleine Hobbyautorengruppe und das Kommentarsystem funktioniert über eine Online-Plattform (Fanfiktion.de)). Und einer hat sie dann eben darauf angesprochen, dass sie ja selbst selten Kommentare schreibt und sie deshalb doch eigentlich weiß, wie viel Zeit so ein ausführliches Kommentar in Anspruch nehmen kann und da sie sehr schnell schreibt, kommt man da einfach nicht so leicht hinterher. Das wollte sie aber gar nicht hören...).

Ich wiederhole mich wahrscheinlich, aber ich weiß einfach nicht, wie ich ihr noch helfen soll und ich habe bei jeder Begegnung Angst, dass sie sich danach irgendetwas antun könnte, weil sie ständig Andeutungen dazu macht. Soweit ich weiß ritzt sie sich aber nicht - zumindest hätte die andere Freundin (die, die mich damals angerufen hat) das gewusst, da sie keine Probleme haben, sich voreinander umzuziehen. Nach der Übernachtung bei meiner Feier taumelte sie in der Früh aber viel, aber meinte sie wäre nur müde, als ich sie darauf ansprach. Ich weiß nicht, was genau mit ihr los ist und ich wünschte, sie würde endlich zu einem Profi gehen, aber ich weiß nicht, wie ich ihr das klar machen kann, damit sie es endlich tut. Mein eigener Therapeut sagt, ich soll einfach aufhören, mit ihr zu sprechen, weil sie mich selbst hinunterzieht und meine ganzen Fortschritte seitdem extreme Einbrüche haben, aber ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn sie sich dann von mir verlassen fühlen sollte und sich dann wirklich etwas antut. Jemand aus der Gruppe meinte auch, sie versuche nur Aufmerksamkeit zu bekommen, aber ehrlich gesagt will ich es nicht darauf ankommen lassen...
Und... ich weiß einfach nicht mehr weiter.
Wisst ihr, wie man so jemandem am besten helfen kann? Sollte ich einen anderen Therapeuten aufsuchen und nach seiner Meinung fragen? Oder sollte ich wirklich auf den Rat meines Therapeuten hören und den Kontakt abbrechen, obwohl ich sie lieb habe?

Liebe Grüße
Milena (Das ist nur mein Zweitname, den sie hoffentlich nicht kennt, aber ich dachte, es macht den Text vielleicht persönlicher...)

Bernd Anwort von Bernd

p.s.: Milena, Du hast ein feedback bekommen, das Dir hoffentlich sehr helfen wird!
Schau bitte hier nach:

http://mein-kummerkasten.de/330099/Feedback-zu-http-mein-kummerkasten-de-330004-Umgang-mit-einer-moeglicherweise-suizidgefaehrdeten-Freundin-html.html


Hallo Milena,

auch ich bin kein Profi. Deshalb habe auch ich ganz gewiss den Ratschlag Deines Therapeuten ganz vorn in meiner Ratschlagsliste!
Mir fällt bei allem, was Du schreibst vor allem eines auf: Deine/eure Freundin scheint in all ihrem Tun und Sagen keinen Widerspruch zu erfahren? Niemand, der ihr mal die eigene Meinung sagt?
Aussagen ihrer Mutter in der Art wie :"Wenn es dir so schlecht geht, dann spring doch vor nen Zug"
finde ich unverantwortlich
dem Lokfahrer gegenüber, der nicht reagieren kann und sich dann schuldig fühlt!

Das war hart! Oder?

Aber irgendwann habe ich mich einmal zu der Auffassung durchgerungen, dass wir für Menschen, die mit ihrem Leben nichts mehr anzufangen wissen eigentlich nur eines machen können:

Wir können ihnen unsere Hand ausstrecken!

Zugreifen müssen sie selber!

Und wenn sie nicht zugreifen, müssen wir uns bald auch um unsere eigene Sicherheit bemühen.
Bevor wir uns in Löcher hinunterreißen lassen, die uns eigentlich fremd sind.

Als Du Deiner Freundin den Weg zum Therapeuten - ohne dass ihre Mutter das mitbekommen hätte - gezeigt hast, hast Du ihr die Hand ausgestreckt!

Das kannst Du vielleicht auch nochmals versuchen!
Aber gib Deiner Freundin auch ruhig zu verstehen, dass Du es nicht mehr erträgst, wenn sie Deine ausgestreckte Hand zurückweist!
Sage ihr auch ruhig, wo Du das Gefühl hast, dass sie Dir ein Schuldgefühl für ihre eigene Untätigkeit vermittelt: die Untätigkeit, sich professionell helfen zu lassen.
Sage ihr, was Du von ihr erwartest.
Und wenn sich nichts ändert, solltest Du zu Deinem eigenen Schutz Deine Hand zurückziehen!

Alles Liebe
Bernd