Problem von Anonym - 21 Jahre

An Paul: Da bin ich wieder

Hallo Paul,

ich kann mich nicht dran erinnern, wann genau ich dir zum letzten Mal geschrieben habe. Ich hoffe, es geht dir gut. Und es tut mir leid, dass ich wieder mit meiner „alten Leier“ anfange, aber ich weiß einfach nicht, wem ich es sonst erzählen soll.

Ich glaube, der letzte Stand, den ich dir mitgeteilt habe, war, dass zwischen H und mir Funkstille war, oder? Ich setze da nochmal an.

Kurz bevor du mir im November geantwortet hast, habe ich ihn zufällig getroffen. Ich war bei ihm im Dorf, weil meine Tante – oh, was ein Zufall – dort ein Baugrundstück gekauft hat. Ich war dort mit meinem Exfreund (wir verstehen uns zum Glück noch recht gut), um ihm das Grundstück zu zeigen. Wir liefen dort die Straße entlang und ich vermutete, da es Freitagabend war, dass H, wie üblich, auf der Arbeit war. Da hatte ich mich schwer getäuscht, denn auf einmal kam er vor meiner Nase mit seinem Traktor angefahren und fuhr über die Kreuzung vor uns. Er sah mich mit einem etwas schiefen Lächeln an und winkte mir unsicher zu. Und ich winkte zurück, bevor ich auch nur realisiert hatte, dass er es wirklich war. Ich hatte ihn zwei Monate nicht mehr gesehen. Und so schnell, wie er dort aufgetaucht war, so schnell war er auch wieder weg, da er weiterfuhr. Ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand. Dieser Moment hatte alles wieder aufgewühlt. Ich hatte wirklich versucht, ihn zu vergessen und war gerade dabei, ihn nicht mehr so sehr zu vermissen.
Ich hielt es nicht lange aus – ich glaube, höchstens zwei Tage – und schrieb ihn an. Ja, du kannst jetzt den Kopf schütteln und dich fragen, wieso ich das getan habe. Vernünftig war das sicherlich nicht. Ich schrieb ihm, dass ich es (die Funkstille) nicht mehr aushielt. Er antwortete, dass er dachte, ich sei sauer auf ihn. Im Grunde war ich das ja auch gewesen. Aber ER hatte sich nicht mehr bei MIR gemeldet, nicht umgekehrt! Er entschied doch immer noch, ob wir Kontakt hatten oder nicht.
Das Ende vom Lied war, dass wir uns zwei Wochen später nach der Arbeit trafen. Wir gingen zusammen spazieren und erzählten uns irgendwelche Dinge, neckten einander und lachten auch viel. Ich weiß, das alles was zwischen uns geschehen war, bildete wirklich keine gute Grundlage, um doch eine Freundschaft aufzubauen, aber in diesem Moment, in diesen zwei Stunden, fühlte ich mich wieder so wohl bei ihm, wie in der Zeit, bevor es so kompliziert zwischen uns wurde. Keine Sekunde lang dachte ich ernsthaft darüber nach, ihn küssen zu wollen. Umarmen ja, vielleicht. Aber ich hatte nicht die Absicht, ihm wieder näher zu kommen. Später saßen wir kurz in seinem Auto und er guckte mich ununterbrochen an. Natürlich machte mich das wieder nervös und ich sagte ihm, er solle damit aufhören. Irgendwann murmelte er dann etwas, wovon ich bis heute vermute, dass es etwas war wie: „Du weißt nicht, was ich grade am liebsten machen würde“. Oder so ähnlich. Zum Glück ist es an dem Abend zu nichts gekommen…

… Denn es dauerte weitere fünf Monate, bis wir uns wiedersahen. Nach unserem Treffen im November, hatte sich nicht viel geändert. Ich weiß auch gar nicht, was ich so wirklich erwartet hatte. Alles und nichts. Das Spiel kannte ich ja eigentlich schon zu gut. Trotzdem tat es erneut weh, zu merken, dass ich ihn kaum noch interessierte. Wir schrieben bis zum Ende des Jahres vielleicht noch zwei, drei Mal miteinander, aber nichts in der Richtung, ob wir uns nochmal sehen würden. Irgendwann dachte ich, dass wir uns dieses eine Treffen doch hätten sparen können.

Nach Silvester schrieb er mir wieder. Seine Mutter lag unerwartet im Krankenhaus. Wenige Tage später fragte ich nach ihr. Sie war gestorben. Als ich das las, fing ich an zu weinen. E s tat mir so leid für ihn und ich wäre so gerne für ihn da gewesen. Jetzt, wo ich das schreibe, weine ich schon wieder. Er schrieb, dass er sich erst einmal um alles kümmern müsse und, dass er dann mal vorbei käme. Ich hab’s ihm geglaubt. Naiv, wie ich bin. So viel Verständnis ich auch dafür habe, dass er viel um die Ohren hatte deswegen – ich war trotzdem wieder enttäuscht, als er nicht fragte, wann ich Zeit hätte. Ich wollte mit ihm über seine Mutter reden, für ihn da sein und konnte es nicht, weil ich mich ihm nicht aufdrängen wollte und er scheinbar keine Zeit hatte… oder was auch immer seine Gründe waren. Dann war wieder über zwei Monate Funkstille. Wieder fing ich an, zu vergessen und ihn nicht mehr so sehr zu vermissen. Ich war wirklich an einem Punkt, an dem ich der Überzeugung war, ich brauche ihn nicht in meinem Leben und, dass es mir wirklich besser gehe, wenn ich ihn nicht mehr sehe. Ich dachte immer noch jeden Tag an ihn, aber ich war dabei, mit dem Ganzen abzuschließen und das alles wenigstens ansatzweise hinter mir zu lassen. Ich bin bis jetzt der Meinung, dass ich ihn und all die schönen und schlimmen Momente mit ihm nie vergessen werde. Schließlich hatte ich es wirklich ernst mit ihm gemeint.

Seit März bin ich wieder in meiner „ausbildungsbedingten“ Wohnung. Vor zwei Wochen saß ich gerade an meinem Schreibtisch und lernte, als es auf einmal klingelte. Ich fragte mich wirklich, wer das sein könnte. Meine Mutter? Meine Oma? Mein Exfreund? Mein Vermieter? Ich hätte jeden anderen vermutet, nur ihn nicht. Ich öffnete die Tür und ging in den Hausflur, um zu sehen wer es war. Da kam er die Treppe hoch gelaufen. Reflexartig sagte ich nur „Oh Gott.“ Mir fiel wirklich nichts anderes ein. Mit ihm hatte ich in tausend Jahren nicht gerechnet, so desinteressiert wie er sich in den letzten (insgesamt) acht Monaten verhalten hatte. Ich kann mich schon gar nicht mehr dran erinnern, was er darauf sagte, so durch den Wind war ich in diesem Moment. Vermutlich anstandshalber oder, weil man Besucher üblicherweise hinein bittet, sagte ich zu ihm „Komm rein“. Ich stand vollkommen neben mir. Als wir dann auf meiner Couch saßen und er sagte „Und? Erzähl!“, hätte ich ihm eine scheuern können. Er tat einfach so, als wäre zwischen uns nie etwas gewesen, als hätte er mich nicht einfach ohne jede Erklärung fallen gelassen, als hätten wir uns erst vor drei Wochen das letzte Mal gesehen. Als wären wir gute Freunde. Und ich wusste einfach nicht, was ich ihm erzählen sollte. Irgendwie fanden wir dann doch Gesprächsthemen, aber nach einer halben Stunde machte er sich auch schon wieder aus dem Staub. Fast so als hätte er Angst, dass seine Freundin herausfinden könnte, wo er war, sollte er noch zehn Minuten länger bleiben. Eine Stimme in meinem Kopf sagte mir, ich solle ihn bitten, noch etwas zu bleiben, aber ich stand nach wie vor so neben mir, dass ich einfach kein Wort rausbrachte, während er seine Jacke anzog. Er drückte mich kurz und verabschiedete sich. Ich brachte irgendwie ein „Tschüs“ raus und schloss die Tür hinter ihm. Ich drehte mich um und konnte nicht glauben, dass er grade wirklich da gewesen war. Ich legte mich ins Bett und blieb dort eine Stunde liegen. Ich kann mich nur wiederholen: Ich war total durch den Wind. Wusste nicht, was ich jetzt erwarten sollte. Besser nichts. Aber wieder mal hatte er es geschafft, alles durcheinander zu bringen. Grade jetzt, wo ich ihn nicht mal mehr wiedersehen wollte.

Wie bereits gesagt, ist das Ganze zwei Wochen her. Seitdem denke ich wieder viel (zu viel) an ihn, träume nachts wieder von ihm… Im Traum liegen wir in meinem Bett, küssen uns und sind glücklich zusammen. Im Wachzustand weiß ich nicht mal, ob ich das wirklich wollte. Einerseits will meine unvernünftige Seite das vielleicht schon. Aber mein Verstand sagt mir, dass das nicht wieder passieren darf. Dass ich doch irgendwas in den letzten Monaten gelernt haben muss. Die Tatsache, dass ich ihn im letzten halben Jahr nur zwei Mal gesehen habe, lässt mich etwas vernünftiger und klarer darüber denken. Ich muss mir immer wieder sagen, dass er mich nicht will. Nicht richtig, so wie ich es mir vor ein paar Monaten mehr als alles andere gewünscht habe. Vielleicht bin ich irgendwann auch vollends davon überzeugt, wenn ich es mir nur lange genug einrede.

Du denkst bestimmt, es war ein Fehler, ihn in meine Wohnung zu lassen. Ihn wieder in mein Leben zu lassen. Ein Teil von mir sieht das genauso. Und der andere wünscht sich immer noch, dass es zwischen ihm und mir wieder so wird, wie vor unserem ersten Kuss. Ich vermisse die Zeit, in der ich dort, zu ihm, zur Arbeit fuhr manchmal so sehr, dass ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Ich wünschte auch, dass ich nochmal dort abends aushelfen könnte.
Aber ich weiß nicht, ob ich es anders machen würde, wenn ich nochmal an diesem Punkt wäre, als unsere Affäre begann: Ob ich so vernünftig sein und ihm widerstehen könnte. Aber die Gedanken „Was wäre, wenn…“ bringen mich nicht weiter.

Ich sitze hier und frage mich, was in Zukunft wohl noch alles zwischen ihm und mir passieren wird. Eigentlich weiß ich, dass, solange er immer wieder auftaucht, ich ihn nicht aus meinem Kopf bekommen werde. Meinen ersten „Schwarm“ konnte ich vier Jahre nicht loslassen. Das hier wird wohl ähnlich lange dauern. Es sei denn, jemand anderes taucht in meinem Leben auf. Aber danach sieht es im Moment nicht aus.

Ich stelle mir gerade schon vor, wie du mir antwortest, dass ich versuchen soll, ihn einfach zu vergessen, aber es geht einfach nicht. Ich bin nicht in der Lage, ihm ernsthaft für all das böse zu sein. Im Gegenteil: Ich vergebe ihm alles viel zu schnell. Würden wir uns ab jetzt alle paar Wochen sehen können, ich glaube, ich würde/könnte nicht Nein sagen. Ich muss alles auf die harte Tour lernen. Noch nie hatte ich bei jemandem das Gefühl, dass wir uns so gut ergänzen. Er akzeptiert mich wie ich bin und in meinem Leben hat es schon zu viele Leute gegeben, die mich verbiegen wollten. Er und ich sind einfach auf einer Wellenlänge. Waren es vom ersten Tag an, als wir uns kennen lernten. Es ist so traurig, dass wir uns das alles kaputt gemacht haben. Du hast einmal gesagt, dass eine Freundschaft zwischen uns wohl kaum möglich ist, wenn wir doch immer wieder die Begierde spüren werden und vielleicht immer wieder kurz davor wären, „rückfällig zu werden“. Aber ich will diesen Menschen einfach nicht verlieren.

Eigentlich lohnt es sich für dich kaum, mir Ratschläge zu geben, weil ich ja doch kaum einen befolgen kann. Aber du gehst so unvoreingenommen an die Sache ran, dass ich das Gefühl habe, dass es niemanden gibt, der mir besser weiterhelfen könnte. Du weißt ja, was ich mir von dir wünsche: Deine Gedanken zu dem, was ich dir geschildert habe. Auch wenn ich ein hoffnungsloser Fall bin und das alles hier – gerade gegen Ende – wieder sehr konfus wurde. Ich habe mich wirklich bemüht, einen roten Faden in das Schreiben rein zu bekommen, aber im Grunde spiegelt das Chaos ganz gut meinen Gefühlszustand wider.

Ich freue mich auf deine Antwort.


Liebe Grüße

Anonym

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

ich habe eine Weile vergehen lassen müssen, ehe ich dir antworte. Ich hätte persönlich nicht damit gerechnet, dass die Situation sich so entwickelt, und es ist mir wichtig, dich durch meine Deutung nicht noch weiter zu belasten. In der Vergangenheit hat sich Manches nicht bewahrheitet, was ich mir so überlegt hatte. Andere Dinge, die du aber selbst schon geahnt hast, sind eingetroffen. Was du jetzt erzählt hast - da bin ich ganz ehrlich - habe ich nicht erwartet, und die Geschichte ist an einem Punkt, wo ich nicht mehr auf meine persönliche Erfahrung oder die in meinem Bekanntenkreis zurückgreifen kann. Ich hoffe trotzdem, dass es ein bisschen eine Hilfe für dich ist.

Was ich interessant finde: Anscheinend erwartest du von mir, dass ich dir rate, ihn zu vergessen. Warum sollte ich das tun? Was ich mir für dich wünsche, liebe Anonyme, ist nicht, dass er völlig (also auch geistig) aus deinem Leben verschwindet. Sondern dass du diese Erfahrung für dich produktiv verwerten kannst. Der Punkt ist mehr, dass dir das nicht gelingen wird, solange euer Verhältnis nicht geklärt ist und solange er dich nicht gehen lassen möchte.

Es spricht nichts dagegen, dass H. und du euch grüßt, wenn ihr euch seht, oder vielleicht auch freundschaftlich trefft. Es besteht auch nach wie vor die Möglichkeit, dass sich zwischen euch mehr entwickelt. Diese Möglichkeit besteht immer - ihr seid erwachsene Leute und habt das ganz allein in der Hand. Das wird immer so sein.

Die entscheidende Frage ist doch aber - nach wie vor - : Was willst du eigentlich? Was wünschst du dir? Kannst du dir weiterhin eine Beziehung zu ihm vorstellen? So wie du dich für mich anhörst, eigentlich nicht. Ich lese deinen Text eher als Frustration darüber, dass sein Erscheinen in deiner Wohnung eine alte Wunde aufgerissen hat. Und dieser Ärger ist mehr als verständlich. Denn wenn er sich mit dir trifft, sollte vorher feststehen, was das zwischen euch ist: Eine Freundschaft, der alten Zeiten wegen - oder eine Affäre, oder etwas, was in diese Richtung geht. Und diese Klarstellung sollte ER liefern, denn du bist ungebunden. Solange er dich mit etwas lockt, was du nicht guten Gewissens zulassen kannst (weil er in einer Beziehung ist), zwingt er dir Gewissensbisse auf. Die du nicht haben müsstest, wäre es anders. Wenn er inzwischen von seiner Partnerin getrennt wäre, zum Beispiel. Du bist eine erwachsene Frau, du triffst dich mit wem du willst - und du schläfst auch mit wem du willst. Verwerflich ist das nur, wenn (wie hier) eine Beziehung gefährdet ist. Der Vorwurf richtet sich aber nicht an dich, sondern an H., denn er führt durch die Art und Weise, wie er mit dir umgeht, seine Beziehung "auf Sparflamme", lässt seine Partnerin im Unwissen über seine Gefühle, und hindert gleichzeitig dich daran, dir ein Leben mit Glück in der Liebe aufzubauen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass er es vor allem ist, der sich entscheiden muss: Ehe du darüber befinden könntest, was du von ihm willst, müsst er er erst frei sein. Du hast dich - zum Glück für dich - weder jetzt noch in der Vergangenheit zu seinem "schmutzigen Geheimnis" machen lassen, wenn es auch hart an der Grenze war. Es ist nicht richtig von ihm, diese Situation erneut heraufzubeschwören, obwohl er weiß, dass sie nicht zu eurem Vorteil war.

Denn dass er das weiß, kann man ja ganz klar sehen. Er wird ja nicht ohne Grund den Kontakt zu dir gemieden haben, auch wenn er den Grund dafür jetzt dir zuschiebt. Selbst wenn du sauer auf ihn gewesen wärst, so wäre es doch nur schlüssig gewesen, eine Klärung zu versuchen. Entweder also warst du ihm nicht so wichtig, dass er das getan hätte. Oder aber, er wusste genau, dass diese Situation nicht fortdauern konnte. Du kannst dich beglückwünschen, denn offensichtlich hast du deine "rote Linie" deutlich kommuniziert: Sex gibt es nicht. Auch wenn er offensichtlich schon wieder das Bedürfnis hat, mit dir zu schmusen. Ich habe das Gefühl, als ob er mit allem, was tut und sagt, DIR die Verantwortung anhängen möchte: Mit seinem Verhalten stellt er sich selbst als armen, von seinen Gefühlen (und seiner Begierde!) beherrschten Mann dar, der nicht von dir lassen kann, weil du immer noch präsent bist. In Wirklichkeit ist natürlich ER es, der sich nicht entscheiden konnte, und jetzt dafür Verständnis erwartet. Das kannst du ihm nicht geben. Selbst wenn er sich morgen für dich entscheidet, wissen wir, dass seine Gefühle für dich vermutlich nie so stark waren, dass er ernsthaft an einen Neuanfang mit dir gedacht hätte. Sonst hätte es diese lange Kontaktpause nicht gegeben.

Natürlich - wenn ihr feststellt, dass ihr beide noch Gefühle füreinander habt, ist noch immer alles möglich. Aber dann kannst du ihn jetzt schon einschätzen: Er ist niemand, der radikale Brüche vollzieht, um sich ganz in etwas Neues zu geben. Er ist auch niemand, dem daran gelegen ist, Probleme aus der Welt zu schaffen. Wie wäre es zum Beispiel gewesen, wenn er an dem Nachmittag bei dir in der Wohnung versucht hätte, zwischen euch klare Verhältnisse zu schaffen? Hat er das? Hat er dir gesagt, was er dir bieten will? Freundschaft? Sex unter der Bedingung, dass du ihn teilst? Oder doch vielleicht eine Beziehung? Ich lese aus deinem Text vielmehr Unsicherheit, weil ihr euch zwar gut unterhalten könnt, die eigentlichen Probleme aber nach wie vor wie ein "rosa Elefant" im Raum stehen, den jeder sehen kann, aber keine anfassen will. So kann es nicht nur auf Dauer, so kann es überhaupt nicht funktionieren. Denn dadurch kannst du die Zeit mit ihm nicht einmal genießen, was doch völlig vertretbar wäre, da ihr euch schlicht und einfach gut versteht.

Wenn ihr euch also noch einmal trefft (mag ja sein, dass das jetzt endgültig das letzte Mal war), dann solltest du das große Fragezeichen nicht umgehen, sondern ansprechen: Was willst du von mir, H.? Hoffst du nach wie vor, mich rumkriegen zu können? Willst du mich nur als Freundin nicht verlieren? Und du wirst sehen, was er dir antwortet. Vergiss dabei nie: Keine Antwort ist auch eine Antwort. Wenn ihr beide etwas wollt, ist alles möglich. Aber er will offensichtlich nicht sein Leben für dich umkrempeln, das hat er dir klar bewiesen. Zumindest galt das für die Vergangenheit.

Vor der Frage, was ER will, kommt - kaum überraschend - die Frage, was DU willst: Kannst du ihn nicht vergessen (was du eh nicht sollst!), weil du noch Gefühle für ihn hast? Und wenn ja - sind diese Gefühle wirklich Liebe, oder ist es eher Wehmut, weil euer Kontakt so unsauber auseinander gegangen ist? Man kann auch um Erlebnisse trauern, die man niemals gemacht hat. Um genau zu sein, ist das sogar der wesentliche Grund, warum Trennungen so schlimm sind. Nicht nur das, was man gemeinsam erlebt hat, wird sich nicht wiederholen. Auch das viele, was man sich erträumt und erhofft hat, wird sich nie verwirklichen können. Und Träume haben eine riesige Macht. Es gilt, sich darüber bewusst zu sein, wieviel Macht es bedeutet, in den Träumen eines Anderen zu leben. Ich glaube, H. weiß es; sonst würde er nicht soviel Mut besessen haben, wieder in dein Leben zu treten. Aber er geht damit nicht verantwortungsvoll um, weil er versucht, an etwas anzuknüpfen, was in die Vergangenheit gehört. Es ist nicht falsch, liebe Erinnerungen zu pflegen. Aber man kann die Vergangenheit auch nicht zurückholen. Entweder, man versucht etwas Neues aufzubauen, auf einer vernünftigen Grundlage - in eurem Fall am besten ein klärendes Gespräch, das dich von deinen Zweifeln erlöst. An dessen Ergebnis H. sich aber auch halten muss, solange die äußeren Umstände dieselben sind. Es wäre natürlich etwas Anderes, wenn seine Beziehung morgen enden würde. Oder aber: Man versucht, an einen alten Faden einen neuen zu binden, was nicht lange gut geht. Es wird reißen.

Niemand kann dir die Entscheidung abnehmen, was jetzt sein soll. Aber du weißt auch, dass sie H. mindestens genauso betrifft wie dich. Überlege dir jetzt und heute, was dein Weg sein soll - und fordere ihn von H. ein, so wie du es bisher gemacht hast. Erbitte dir von ihm Konsequenz. Die er auch leisten wird, wenn du ihm irgendetwas bedeutest.

Was immer aber passieren wird: Es muss sich für dich gut anfühlen. Und im Moment fühlt es sich nicht gut an. Das habe ich deutlich beim Lesen deines Textes spüren können. Ich weiß nicht, liebe Anonyme, was dein Weg ist. Aber ich glaube, dass du es weißt. Glaube deshalb nicht, dass ich mir von dir wünsche, dass du ihn vergisst. Dem ist nicht so. Aber der Teil deines Lebens, den H. symbolisiert, muss für dich einen Sinn haben. Das geht sowohl, wenn er weiterhin ein Teil davon ist, als auch, wenn nicht. Aber irgendwie muss es einen Sinn ergeben. Solange du ihn nicht kennst und fühlst, wird dein Herz weh tun.

Ich wünsche dir alles Gute und hoffe, dass sich die Situation klären wird - besser noch, dass du sie klären kannst. Wenn du das Gefühl hast, dass unser Schriftwechsel dir hilft, können wir ihn jederzeit fortsetzen. Ich bin da.

Liebe Grüße,

Paul