Problem von Charlotte - 17 Jahre

Ich werde durch meinen neuen Stiefvater aus meinem eigenen zu Hause verdrängt

Hallo liebes Kummerkasten-Team. Um anzufangen, würde ich erst einmal ein bisschen über mich als Person erzählen. Ich bin eine, aus einer Kleinstadt stammenden, 17-jährige Schülerin und besuche zur Zeit ein Gymnasium (11. Klasse). Außerdem lebe ich alleine mit meiner Mutter in einer 3 Zimmer Wohnung. Bei mir zu Hause geht alles drunter und drüber und der Grund dafür ist die neue Beziehung meiner Mutter. Es fing alles vor ca. 4 Monaten an, als ihr neuer Freund zu uns nach Hause kam. Er stellte sich ganz normal vor und mit der Zeit konnte ich mir ein ziemlich gutes Bild von ihm machen: Meiner Meinung nach ist er ein wirklich netter und lustiger Mensch mit dem ich gut umgehen kann, kurz gesagt ich habe nichts gegen ihn. Einzig und allein stört mich, dass er seit diesen 4 Monaten durchgängig bei uns ist, obwohl er ein Haus und eine gleichaltrige Tochter hat, die ich selbst kenne. Das er seine Tochter dabei alleine lässt, scheinen ihm und meiner Mutter völlig egal zu sein. Ich fühle mich in meiner Wohnung komplett eingeengt und habe 0 Privatsphäre. Außerdem bin ich nicht daran gewöhnt, dass eine männliche Person in meinem Leben ist, da ich nie mit einem Vater aufgewachsen bin. Alles was sie tun ist sich mit sich selbst zu beschäftigen und mich nicht zu beachten. Mir ist klar, dass ich meine Mutter darauf ansprechen müsste, aber sie ist in solchen Situationen einfach immer stur gewesen und achtet ausschließlich auf ihre Gefühle. Natürlich freut es mich, dass sie jemanden gefunden hat, aber ich bin ihr Kind und sie sollte auch Rücksicht auf mich nehmen.
Nun zum eigentlichen Auslöser meines Schreibens: Alles fing damit an, das ich vor zwei Wochen krank wurde. Ich ging zum Arzt und weil ich oft anfällig für Halsschmerzen bin, wurde ich als Notfallpatient an den HNO-Arzt weitergeleitet. Als ich mit dieser Nachricht nach Hause kam, wurde ich auf übelste von meiner Mutter angeschrien und das sie keine Lust hätte "schon wieder" mit mir zum Arzt zu fahren. Nach langen Diskussionen entschied sie sich doch dazu, wir fuhren zum Arzt , dieser verschrieb mir Schmerzlindernde Medikamente. Zwei Tage darauf, als es mir immer schlechter ging, beschlossen meine Mutter und ihr Freund wegzufahren, obwohl ich wollte das sie bei mir bleibt, da es mir nicht gut ging. Mein Zustand verschlechterte sich und ich lief zu meiner Tante, die mit mir in die Notaufnahme fuhr, wo sich herausstellte, dass ich Pfeiffersches Drüsenfieber hatte. Meiner Mutter war völlig egal, dass ich im Krankenhaus war, ihrer Meinung nach hätte ich mich ja bei ihr melden müssen. Es ist dann so schlimm geworden, dass ich meine Sachen packte und zu meiner Oma ging, die sich liebreizend um mich kümmerte. Von meiner Mutter kam nicht mal eine Nachricht, in den Tagen in denen ich weg war. Vor ein paar Stunden kam ich dann wieder nach Hause (was sehr viel Überwindung kostete) und meine Mutter zog weiter vor mich zu ignorieren. Sie tut einfach so, als wäre nichts passiert und sie und ihr Freund reden und lachen miteinander. Ich hörte sie sagen, dass ich nicht mehr bei ihr ankommen brauch. Kleine Hintergrundgeschichte: Meine Mutter hat sich sehr mit ihrem Mutter (der Oma bei der ich war) gestritten, weil sie die gleiche Meinung bezüglich der neuen Beziehung hat. Meine Mutter broch den Kontakt ab und wollte nicht mal versuchen andere Meinungen zu verstehen, weswegen ich sie erst gar nicht ansprechen möchte. Sie war früher nie so. Anfang des Jahres, als sie noch nicht mit ihrem Freund zusammen war und ich Grippe hatte, wollte sie am liebsten bei mir schlafen und hat jede Sekunde nach mit geschaut. Alles an sie im Umgang mit mir hat eine Wendung genommen. Ich kann mich nicht an einen Tag seitdem erinnern, an dem wir einen Mutter-Tochter Tag hatten. Sie unterstellt mir ich würde nur ihr Geld wollen, verbietet mir zum Frauenarzt gehen schreit mich an, droht mich zu schlagen, wenn ich etwas falsches machen sollte. "Meine Schwester kann froh sein, dass mein Neffe alle zwei Wochen bei seinem Vater ist. Ich muss mich seit 17 Jahren um diese Olle kümmern". Das ist nur ein Bespiel von den Themen, die die beiden besprechen, in dem Gauben ich würde es nicht hören. Und ich höre alles... leider. Ob es beim rummachen oder beim Sex ist. Es ist einfach so unbeschreiblich unangenehm. Alles was ich tue ist mich für den kompletten Tag in meinem kleinen Zimmer einzusperren und darauf zu warten, dass sie schlafen gehen, damit ich Ruhe von diesem ganzen Stress habe.
Ich bin einfach komplett verzweifelt und habe Angst vor dem was noch kommen wird. Meine schulischen Leistungen sind deswegen sehr abgefallen, obwohl ich eine gute Schülerin bin. Bis vor 4 Monaten lernten meine Mutter und ich immer zusammen, was mir sehr half, dies tut sie natürlich auch nicht mehr. Natürlich finde ich immer Unterschlupf bei meinen Freunden und meinem Freund, aber mir ist klar, dass das keine Lösung auf Dauer ist.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Charlotte,

ich kann nachfühlen, wie enttäuschend und unangenehm deine aktuelle Situation für dich sein muss! Es sind ja gleich mehrere Bereiche, die weh tun. Das Eine ist deine unzureichende Privatsphäre, das Andere sind deine Mutter und ihr neuer Partner - deren rücksichtsloses Verhalten und speziell, wie deine Mutter mit dir umgeht.

Ich habe deine gewählte Überschrift im Kopf umformuliert: "Meine Mutter ist jetzt so lieblos zu mir." Das sehe ich ehrlich gesagt als das zentrale Problem an. Du schreibst ja selbst, dass ihr Freund im Grund nett und umgänglich ist. Natürlich macht er mit, wenn sie sich negativ verhält, aber anscheinend geht er dich nicht aktiv an - und seien wir mal ehrlich: Er ist zwar ständig bei euch, doch in erster Linie macht doch deine Mutter gerade euer gutes Verhältnis kaputt, nicht er. Es geht daher vor allem um das Verhalten deiner Mutter. Doch eines nach dem Anderen:
Wenn es jetzt nur um eure beengte Wohnsituation ginge, wäre der Fall vermutlich einfacher gelagert: Ihr könntet miteinander sprechen und eine für alle geeignete Wohnung finden. Doch da fängt es schon an: Offenbar lässt sich (derzeit) nicht mit deiner Mutter sprechen. Ein Ansatz wäre, das Gespräch mit dem "Stiefvater" zu suchen, doch ist das vermutlich ungünstig, solange deine Mutter so schlecht über dich denkt und alles so unklar ist. Was du aber durchaus machen kannst: Ihn unter vier Augen zu bitten, nicht jeden Tag oder nur zu bestimmten Zeiten zu euch zu kommen. Einen Versuch ist es wert!

Was wirklich hilft: Mit jenen reden, die real für dich da sind! Also erzähl bitte deiner Oma, deinem Freund, anderen Freund:innen von deinem Kummer im Alltag! Du darfst mit diesem Frust nicht allein bleiben! Sieh diese Menschen als deine Kraftquelle, die du nutzen solltest. Dabei musst du kein schlechtes Gewissen haben. Du befindest dich gerade in einer heiklen Lage und benötigst verschiedene Formen von Unterstützung, die ihr vor allem über das drüber Reden herausarbeiten könnt.

Ich weiß nicht, warum sich deine Mutter so verändert hat. Positiv formuliert können wir festhalten: Sie war nicht immer so, d.h. du hast glückliche Stunden mit ihr erleben dürfen, in denen sie sich rührend um dich gekümmert und dir vermittelt hat, dass sie dich liebt. Das kann also potenziell wieder kommen! Vielleicht sind diese Gefühle im Augenblick verschüttet. Vielleicht ist sie gerade derart auf ihre neue Beziehung fokussiert, dass sie alles Drumherum als Bedrohung ansieht. Du schreibst ja, dass vorher kein Mann bei euch gelebt hat. Es scheint auch für sie was ganz Neues zu sein. Vier Monate sind überdies kein langer Zeitraum. Es kann gut sein, dass sie noch total verliebt und dadurch (leider) wie "verblendet" ist. Ja, im Zustand intensiver Verliebtheit kann es passieren, dass Menschen egoistisch handeln, weil sie einen Tunnelblick haben.
Zudem ist die Zeit der Pubertät oft für alle Beteiligten nicht so einfach. Wer weiß, was für deine Mutter belastend ist? Vielleicht raubt ihr etwas ganz Bestimmtes schon seit Jahren Kraft, ohne dass konkret jemand etwas dafür kann. Es kommt auch immer auf die Umfeldbedingungen an und was jeder Mensch an Kraftreserven hat bzw. Energieräuber (sowas wie Arbeitsbelastungen, generelle Unzufriedenheit etc.).
Ich will nicht unnötig spekulieren, doch natürlich kann auch noch was Anderes hinter ihrem abweisenden Verhalten stecken. Stichwort psychische Erkrankung. Doch das ist erstens nicht deine Verantwortung, zweitens kenne ich euch bzw. deine Mutter für eine tiefere Einschätzung ja nicht. Mir geht es eher darum, dir Möglichkeiten aufzuzeigen, warum sie sich so verhalten könnte. Vielleicht kannst du so besser 1 und 1 zusammenzählen und daraus Schlüsse ziehen.
Damit möchte ich allerdings keinesfalls beschönigen, wie sie sich dir gegenüber benimmt. Und die von dir zitierten Aussagen erschrecken mich ehrlich gesagt schon, da ich der Ansicht bin: Selbst wenn ich chronisch gestresst oder total auf andere Personen fixiert bin, spreche ich nicht so respektlos über mein Kind!

Deswegen ist das Nächste, was ich dir raten würde: Ausziehen. Zumindest vorübergehend. Die Vorteile liegen auf der Hand: Du hättest vermutlich wieder mehr Privatsphäre und das Verhältnis zu deiner Mutter könnte sich im besten Fall entspannen.
Ich weiß nicht, wann du volljährig wirst, doch vielleicht wäre das eine Möglichkeit, dass du dann in eine WG oder eine eigene kleine Wohnung ziehen kannst. Für eine Ausbildung oder ein Studium könntest du dann ggf. BaföG beantragen, um die Kosten zu decken.

Falls das mit dem Ausziehen nicht so ohne Weiteres funktionieren sollte, wirst du um Konfrontationen in Form von Gesprächen nicht herum kommen. Denn still in deinem Zimmer zu leiden und alles auszuhalten ist die schlechteste Variante!
Hast du mal mit der Tochter deines "Stiefvaters" gesprochen? Interessant wäre ja, wie sie darüber denkt. Vielleicht könntet ihr euch zusammentun, euch gegenseitig unterstützen und vielleicht sogar gemeinsam das Gespräch mit euren Elternteilen suchen! Ansonsten scheue dich bitte nicht, dir anderweitig Hilfe für diese Gespräche zu suchen. Es ist dein gutes Recht, anständig behandelt zu werden - und dich in deiner Wohnung wohl zu fühlen! Außerdem kann es nicht angehen, dass du medizinisch vernachlässigt wirst, nur weil deine Mutter gerade anderes im Sinn hat. Daher denke im Zweifelsfall bitte über den Besuch einer Familienberatungsstelle nach, z.B. gemeinsam mit deiner Oma und/oder deinem Freund.

Wenn du es verwirklichen könntest, räumlichen und gefühlsmäßigen Abstand zwischen euch zu kriegen, hättest du die Chance, eines Tages in Ruhe mit ihr zu sprechen. Wer weiß - vielleicht fragt sie sich selbst in einem Jahr, was sie damals geritten hat, dich derart zu vernachlässigen?

An dieser Stelle würde ich dir nahe legen, zumindest zu versuchen, etwas Nachsicht mit ihr zu haben. Sie hat - auch wenn es von außen und vielleicht für sie selbst - nicht richtig erkennbar ist, ihre Gründe, sich gerade genau so zu verhalten. Du musst ihre Verhaltensweisen nicht herunterspielen, doch sie nicht als für immer bestehend und böse bewerten: Schau auf dich und auf das, was DU brauchst und was DIR gut tut! Also dass du anerkennst, was bei ihr los ist und dich gleichzeitig nicht negativ davon vereinnahmen lässt. "Mama ist jetzt wütend geworden und ich verlasse lieber die Wohnung, um mich beruhigen zu können." Das würde zumindest dir selbst helfen, weil du dich dann nicht so ausgeliefert fühlen müsstest. Außerdem könnte es sich indirekt auch auf sie übertragen, wenn sie merken würde, dass du gelassener reagierst. Doch natürlich ist das recht schwer und es wäre absolut verständlich, wenn du das nicht (gleich) schaffst. Du bist ihre Tochter und entsprechend trägt sie immer die Hauptverantwortung!

Ich wünsche dir viel Kraft für die kommenden Wochen und hoffe sehr, dass sich deine Situation bald zum Positiven verändert.

Alles Liebe!
Nuala