Problem von Lena - 15 Jahre

Psychisch kranke Freundin

Hey. Meine beste Freundin ist psychisch krank. Sie ritzt sich schon seit längerer Zeit, ihre Arme und Beine sind fast voll von Narben. Sie ist ebenfalls 15, ihre Mutter hat auch eine psychische Krankheit.
Sie weiß, wie sehr mich das Thema bedrückt, da sich in meiner Familie bereits 2 Menschen das Leben genommen haben, deshalb will sie mit mir nicht über ihre Probleme reden. Sie redet aber auch mit niemand anderem, ihre Therapie hat sie wieder abgebrochen...
Ich weiß nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten soll. Ich weiß, dass ich sie nicht heilen kann, weil das etwas ist was sie mit sich selbst vor allem klären muss, denke ich, aber ich will auch nicht einfach schweigend neben ihr sitzen...
Auf keinen Fall will ich die Freundschaft beenden, weil ich wirklich sehr gerne mit ihr befreundet bin und nicht alle Tage für sie total traurig sind. Unsere Lehrerin denkt, sie wäre unsensibel und hat sie letztens direkt darauf angesprochen, wie es mit dem Ritzen denn ist, wie es sich anfühlt und wie tief man denn da so schneidet.
Sie behauptet selbst, dass sie unsensibel ist, aber ich glaube, dass es sie im inneren schon stört, wenn Leute da so darüber reden. Aber dadurch hab ich erst erfahren, dass sie nicht mehr "Clean" ist, also sich in der letzten Zeit wieder geritzt hat, obwohl sie eigentlich so weit wieder fröhlicher und selbstbewusster wirkte...
Ich weiß nicht wirklich weiter, weil sie meine einzige Freundin ist und ich eigentlich selber Probleme habe, zwar nicht so, dass ich mich ritzen würde, aber habe ich habe niemanden, mit dem ich über meine eigenen Probleme reden könnte...
Ich wäre sehr sehr sehr froh, wenn sie mir einen Tipp geben könnten oder etwas ähnliches!
Lena

Nuala Anwort von Nuala

Hallo Lena!

Ich verstehe dein Dilemma: Einerseits willst du für sie da sein, hast aber noch nicht den Weg gefunden, das schonend im Rahmen eurer Freundinnenschaft zu tun - und kommst selbst momentan zu kurz.

Du hast treffend beschrieben, dass du sie weder heilen oder ihr etwas abnehmen kannst. Dafür ist allein sie verantwortlich bzw. ihre engsten Familienmitglieder.
Als Erstes solltest du sie dazu ermuntern, ihren Schweigepanzer abzulegen! Wahrscheinlich hat sie das so stark verinnerlicht, dass man andere nicht belasten darf, dass es ihr erstmal sehr schwer fällt. Es ist Gift für die Seele, alles für sich zu behalten!
Ich denke, ihr solltet gemeinsam versuchen, einen Mittelweg zu finden, der für euch stimmig und angenehm ist. Schweigen über die drängenden Themen ist schlecht, das andere Extrem aber auch nicht sinnvoll, weil ihr beide damit unnötig belastet würdet.
Biete deiner Freundin doch an, dass ihr regelmäßig über ihre Krankheit und allgemein ihre schwere Lebenssituation sprecht. Du kannst ihr Fragen stellen, falls es ihr dadurch leichter fällt. Doch gleichzeitig solltet ihr beide rechtzeitig die Grenzen ziehen, die ihr braucht, um nicht getriggert oder anderweitig beeinträchtigt zu werden.
Da kannst du ihr immer wieder signalisieren: Ich bin für dich da, höre dir zu und sage dir, wenn es erst mal genug ist. Da ist bei dir Geduld gefragt. Es kann lange dauern, bis sie sich dir öffnet. Gib ihr Zeit, hake mal nach, aber bitte ohne Druck. Erzähl dann lieber von dir, wenn es von ihrer Seite aus nicht klappt.

Es kann sein, dass Reden nicht geht. Gerade dann, wenn sie fest davon überzeugt ist, dass sie nichts sagen "darf". Dann könntet ihr, wenn ihr Malen und Zeichnen etwas abgewinnen könnt, gemeinsam an einem Bild malen und euch über Farben und Formen verständigen. Da wäre die Devise: Machen, ohne Reden. Du setzt dich z..B. neben sie mit einem großen Blatt Papier und vielen einladenden Stiften (Pastellkreide etc.) und fängst an, etwas zu gestalten. Das muss keine große Kunst sein, sondern einfach Linien, Muster, ausgedrückte Gedanken in einfachen Bildern. Vielleicht wird ihr Interesse geweckt und sie schaut dir zu und kommentiert sogar. Dann kannst du ihr einen Stift anbieten, dass sie mitmalen kann. Ein Versuch ist es wert!

Freundinnenschaft heißt eben auch, dass man sich gegenseitig vertrauen, zuhören und sich in gewissem Umfang etwas zumuten kann. Psychisch krank zu sein bedeutet auch nicht automatisch, dass man zusammenbricht wie ein Kartenhaus beim leichtesten Lufthauch. Es kommt sehr stark auf das Was und Wie an - und die Häufigkeit/das Ausmaß. Also scheue dich bitte nicht, auch über dich und deine Belange zu sprechen, sofern sie dir signalisiert hat, dass sie dafür bereit ist. Das also als ersten Schritt: Sprich sie darauf an und lote aus, inwieweit das möglich ist. Ihr könnt auch klare Themen vereinbaren, die nicht angesprochen werden sollen bzw. nur am Rande/nur kurz. Dafür Themen, die euch gut tun, wärmen, zusammenschweißen. Trotzdem solltet ihr Probleme nicht ausklammern. Denn gerade im freundschaftlichen Gespräch können neue Einsichten aufkommen, Lösungen gefunden werden und das Gefühl entstehen, verstanden zu werden und nicht allein damit zu sein.
Wenn ihr eine bunte Mischung aus allen möglichen Themen findet, macht euch das höchstwahrscheinlich am zufriedensten in eurer Beziehung. Sucht euch am besten viele gemeinsame Aktivitäten, sofern sich deine Freundin darauf einlassen kann. Um besser eingebunden zu sein und etwas Sinnvolles zu tun, könntet ihr euch beispielsweise zusammen eine Sportart heraussuchen, die euch spannend erscheint und dann gemeinsam zum Training gehen. Sport hat in der Regel sehr gute Effekte auf die Psyche.
Ihr könnt euch auch Fahrräder schnappen und zu zweit eine längere Tour fahren, dann an einem ausgewählten schönen Ort pausieren, dort picknicken und euch etwas erzählen.
Bitte achte auf dich, falls sich deine Freundin distanziert und sich nicht auf deine Gesprächs - und Aktivitätenangebote einlassen möchte. Schau auf dich und beachte deine persönlichen Bedürfnisse. Wenn sie sich nicht mit dir unterhalten möchte, dann musst du es respektieren. Aber du musst nicht alles mitmachen, nur um sie zu schonen oder ihr etwas recht zu machen. Geh dann lieber deinen eigenen Weg, auch wenn es nur kurzzeitig oder bei bestimmten Sachen ist.

Außerdem wäre es toll, wenn sich deine Freundin gemeinsam mit ihrer Mutter in einer Familienberatungsstelle über Hilfsangebote informieren würde. Denn gerade bei derart belasteten Familien ist es besonders wesentlich, nicht allein zu bleiben. Die Menschen, die in diesen Beratungsstellen arbeiten, haben oft mit solchen Fällen zu tun und wissen, wie betroffene Familien aufgefangen werden können, Vielleicht ist es dann dauerhaft realistisch, dass sowohl ihre Mutter, als auch deine Freundin therapeutisch die Hilfe erhalten, die passend für sie sind.
Also wenn ihr es als Freundinnen schafft, dauerhaft eine gute Gesprächskultur zu entwickeln, in der ihr beide zu Wort kommt, kannst du diesen Hinweis streuen.

Falls euch das wichtig erscheint (sprich einfach vorher mit deiner Freundin), solltet ihr eure Lehrerin unter vier Augen darauf hinweisen, dass sie anders mit dem Thema selbstverletzendes Verhalten umgehen soll. So, wie du es beschreibst, klingt es in der Tat nicht gerade feinfühlig und auch eher verharmlosend.

Du solltest neben der Konzentration auf deine Freundin auf andere Kontakte achten. Es gibt immer Möglichkeiten, sich mit anderen Leuten zusammenzuschließen - auch wenn es nicht immer unbedingt die besten Freund:innen werden, so gibt es über Vereine, Schulgruppen und die Nachbarschaft doch noch andere Mädels und Jungs in deinem Alter. Auch Brief - oder Mailfreundschaften sind nett, da ist ein Austausch über Nöte und Kummer oft sogar einfacher möglich als bei den alltäglichen Kontakten.
Um die seelisch zu erleichtern, empfehle ich dir außerdem das Schreiben eines Tagebuchs.

Und zum Schluss möchte ich dir sagen, dass du eine tolle Freundin bist, die sich Gedanken macht. Bleib so kritisch, denn wenn du mit wachen Augen durch die Welt gehst, kannst du neben den Schattenseiten auch die vielen Lichtpunkte entdecken.

Ich wünsche dir alles Liebe!
Nuala