Problem von Anonym - 21 Jahre

Nicht gemacht für diesen Beruf

Hallo liebes kummerkasten Team!

Vielen Dank dass ihr euch die Zeit nehmt mein Problem zu lesen.

Ich bin seit 2 Jahren in der Pflegeausbildung und an einem Punkt angekommen wo ich wirklich sage ich schaffe es nicht mehr sowohl körperlich als auch seelisch. Ich schlafe nächtelang überhaupt nicht und schleppe mich Tag für Tag zur Arbeit. Man funktioniert nur noch wie ein Roboter. Ich fühle mich unfähig irgendetwas richtig machen zu können und kann mich mit dem Beruf überhaupt nicht mehr identifizieren.

Egal wo: auf Station, im Altenheim, ambulante Pflege, niemand nimmt mich durch mein junges Aussehen Ernst, überall ist man nur das Mädchen für alles. Der Schichtdienst macht meine Schlaflosigkeit nicht gerade besser. An Hobbys habe ich schon lange keinen Spaß mehr, wenn ich von der Arbeit komme bin ich natürlich müde und möchte einfach nur schlafen. Das geht seit Anfang der Ausbildung so, aber wenn ich abbreche stehe ich ohne etwas da.

Dadurch dass ich so introvertiert bin habe ich das Gefühl für andere Berufe (einschließlich der Pflege) sowieso nicht geeignet zu sein, da man überall redegewandt und durchsetzungsfähig sein muss. Ich befinde mich schon aus verschiedenen Gründen in psychotherapeutischer Behandlung, habe aber nicht das Gefühl, dass es mir irgendwie hilft...

Ich weiß, dass in einem Jahr alles vorbei ist aber es ist noch so unendlich lange und ich weiß dass ich in dem Beruf niemals arbeiten möchte. Dann stellt sich immer die große Frage: "Und dann?"
Auf der jetzigen Station bin ich schon unten durch, weil ich mich krank gemeldet habe weil ich einfach nicht mehr konnte nach einer weiteren Nacht komplett ohne Schlaf. Meine Krankheitstage häufen sich dadurch an. Ich weiß nicht was ich noch machen soll ich fühle mich total "überreizt" und ausgelaugt und ausgenutzt und ich sehe einfach keinen Sinn mehr in allem...

Anna Anwort von Anna

Liebe Ratsuchende,

vielen Dank für Dein Vertrauen und auch für Deinen weiteren Versuch, eine Antwort zu bekommen. Ich habe mir auch Deine damalige Zuschrift durchgelesen und bin erschrocken und auch beeindruckt, wie lange Du nun schon in Deinem Beruf ausharrst, obwohl Du das Gefühl hast, Dich gar nicht damit identifizieren zu können.
Die Gefühle, die Du beschreibst, kommen sicher vielen Lesern bekannt vor. Du kannst Dich mit Deinem Beruf nicht anfreunden, fühlst Dich zunehmend entfremdet von Deiner Arbeit und wirst tagtäglich unglücklicher mit ihr, mit Deinem Alltag, mit Deinem Leben, mit Dir selbst. Das ist das Los, das Menschen ziehen, wenn sie (meist gezwungenermaßen) einen Beruf ergreifen, der nicht dem entspricht, was sie sich für sich selbst vorgestellt haben, was sie eigentlich möchten, wozu sie sich eigentlich "berufen" fühlen.
Natürlich: in der Krankenpflege zu arbeiten, ist eine ehrbare Tätigkeit, eine ungemein wichtige Tätigkeit, die leider viel zu schlecht bezahlt ist angesichts der Härte und Belastung des Berufs. Und ich würde behaupten, dass gerade die Krankenpflege ein Berufsfeld ist, mit dem man sich identifizieren muss, denn sonst würde man diesem Druck dort gar nicht standhalten können. Eine Bekannte von mir fühlt sich zur Krankenpflege berufen, es war und ist ihr tiefster Wunsch dort zu arbeiten. Doch in jedem Nachtdienst fällt ihr immer auf, wie hart die Arbeit eigentlich ist. Der fehlende Schlaf, vielmehr noch der fehlende Rhythmus durch den Schichtdienst, die Schicksäle, die sie tagtäglich miterleben muss, die Hektik und der Stress, der Druck vom Chef, die schlimme Angst, einen Fehler zu machen und dazu noch die Schnelligkeit, mit der Patienten behandelt (oder abgefertigt) werden müssen, weil einfach die Zeit und das Personal fehlt. Also in jedem Nachtdienst überlegt sie fieberhaft, ob sie nicht doch umschulen soll und welcher Beruf noch zu ihr passen würde.

Daher behaupte ich einfach mal, dass man diesen Job nicht machen kann, wenn man nicht tatsächlich für ihn "brennt". Und selbst wenn man das tut, weiß ich von meiner Bekannten, dass viele ihrer älteren Kollegen bereits mit 40 Jahren an dem Punkt angekommen sind, an dem Du jetzt stehst. Dass es nicht mehr geht. Und dass es nicht mehr geht, scheinst Du selbst wohl auch ganz genau zu wissen. Wie ich rauslese, hast Du Dich für die Ausbildung damals nicht so wirklich freiwillig entschieden. So manch andere Ausbildung könnte man da vielleicht noch durchziehen, bei dieser Ausbildung bin ich mir da aber nicht so sicher. Ich weiß, dass Du auch in einer Zwickmühle steckst. Sicher würdest Du schnell den Beruf wechseln, wenn Du ein anderes Angebot hättest. In einer früheren Zuschrift hast Du geschrieben, Du wärst immer gerne Grundschullehrerin geworden. Ich glaube fest daran, dass Du Dir diesen Traum erfüllen kannst und auch solltest. Informiere Dich an Universitäten über den Studiengang und auch über die Studienfinanzierung. Vielleicht bist Du BAföG berechtigt. Vielleicht kannst Du einen Studienkredit aufnehmen oder Dich um ein Stipendium bewerben. Studenten werden gerne in Teilzeit- oder Minijobs gesehen. So könntest Du nebenbei als Nachhilfelehrerin arbeiten oder als Schulbegleiterin. Wenn Dich der soziale Zweig per se interessiert - dort gibt es sehr viele Nebenjobmöglichkeiten, fernab von Pflege natürlich und gerade Pädagogikstudenten sind besonders gerne gesehen. Du bist nicht "alt", wenn Du fertig studiert hast, Du bist erfahren, vor allem sogar berufserfahren. Du musst nicht erst etwas leisten, etwas abschließen, um endlich leben zu können. Das Leben findet jetzt statt, das Leben lässt sich am besten leben, wenn man mit dem, was man tut, womit man in der Gesellschaft wirkt, zufrieden und möglichst identisch ist. Wenn man einen Sinn in dem sieht, was man tut. Es ist nie zu spät, das zu tun, was man immer gerne tun wollte, vor allem nicht mit Anfang zwanzig.

Ich bin mir sicher, dass Du in Deinem Leben wieder mehr Glück erfahren kannst, wenn Du etwas tust, was Dir sinnvoll erscheint und wenn Du in so jungen Jahren nicht mehr einem so starken Druck wie in der Krankenpflege ausgesetzt bist.
Hast Du denn jemanden, mit dem Du über Deine Ängste und Ideen sprechen kannst? Jemand, der Dir zuhört und Dich vielleicht sogar versteht? Jemand, der Dich darin unterstützt, das zu machen, was Du machen möchtest? Ich denke, Du hast bereits einen wichtigen Schritt getan, Dir eingestanden, dass Du unglücklich bist und Deine Gefühle in Worte gefasst. Wie Du so schreibst, wirkst Du auf mich sehr selbst-bewusst, im Sinne von, dass Du genau weißt, was in Dir vorgeht und dass da was ganz und gar nicht so läuft wie es sollte. Du wirkst auf mich sehr reflektiert und ich glaube, dass Du ein ganz gutes Gefühl für Dich selbst und auch für andere hast. Du wurdest in eine Situation verfrachtet, in der Du nicht sein willst und das Gefühl der Auswegslosigkeit hast. Ich glaube aber, dass jemand, der so viel Durchhaltevermögen aufbringen kann wie Du in den letzten zwei Jahren, vielleicht gar nicht mehr so viel braucht, die Tätigkeit zu finden, die zu ihm passt und den Mut zu fassen, erst einmal ins kalte Wasser zu springen um zur richtigen Insel zu schwimmen. :-)

Ich hoffe sehr, dass ich Dir ein wenig weiterhelfen oder Dir vielleicht einfach nur ein wenig Mut machen konnte.
Liebe Grüße, Anna