Anwort von Nuala

Hey du,

die Beschreibung deiner Jugend klingt so, als ob du damit noch zu kämpfen hättest. Ich kann dich verstehen, dass es ein blödes Gefühl ist, nicht mehr eingeladen zu werden. Auch die Sache mit deinem Hund ist ein Element, das alles noch verschlimmert hat. Aber: Ich bin der Auffassung, wenn Menschen wirklich mit einem befreundet sein wollen, dann engagieren sie sich entsprechend und vergessen einen nicht einfach. Dann wird zur Not halt geschaut, wie das mit dem Hund und dem Erreichen besser klappt bzw. welche Kompromisse möglich sind.
Du kannst mehrere Sachen daraus ziehen: Erstens gehört für Freundschaft Engagement auf beiden Seiten dazu, was bedeutet, dass auch du dich ggf. mehr reinhängen musst, wenn du merkst, dass du sonst einen Nachteil hast. Die Anderen müssen sich aber genauso bemühen. Zweitens kannst du bei deinen neuen Kontakten in Zukunft von Vornherein abchecken, wie zuverlässig diese sind und wie ehrlich sie es mit dir meinen. Denn gerade wenn man neu an der Uni ist, hat man viele Möglichkeiten, mit vielen unbekannten Personen zusammen zu kommen. Doch die Spreu vom Weizen trennt sich eben. Um deine Zeit nicht zu verschwenden, lohnt es sich, ganz bewusst auf ähnliche Interessen und Einstellungen zu achten und auf dein Gefühl zu hören. Nicht dass du wieder in so eine Spirale gerätst, in der du am Ende gefühlt allein da stehst.
Sehr schön ist, dass du an sich zufrieden bist. Du hast Freundinnen, auf die du sicherlich auch im neuen Lebensabschnitt, dem Studium, zählen kannst. Das ist Gold wert! Und bestimmt fallen dir noch einige weitere Dinge ein, auf die stolz sein kannst und die dich erfüllen.

Zu deiner letzten Passage zu Schminke & Co möchte ich etwas weiter ausholen.
Keine Sorge, du bist genau richtig so, wie du bist! Ich finde, es sollte dir vielmehr um die Akzeptanz und Wertschätzung deiner Persönlichkeit gehen, als dich der Masse anzupassen. Denn: Manches, was du schreibst, klingt eher nach Gruppenzwang und nicht sonderlich erstrebenswert. Ja, der Mainstream trinkt Alkohol, der Mainstream der Mädchen und Frauen schminkt sich. Das ist (leider) in unserer Kultur stark verankert. Doch wenn wir mal anfangen, das zu hinterfragen, kommen meiner Ansicht nach ganz andere Dinge ans Licht. Warum zum Beispiel solltest du dich schminken, auch wenn du eigentlich keine Lust hast? Warum schminken sich fast nur Frauen, aber kaum Männer? Warum werden ungeschminkte Frauen als langweiliger abgestempelt? Warum soll eine Frau durch Schminke attraktiver sein? Es gibt viele weitere Bereiche, in denen gerade Frauen ziemlich klar vorgeschrieben wird, was sie zu tun und zu lassen haben: Rasiere dich! Sei sexuell enthaltsam, aber gleichzeitig möglichst sexuell verfügbar! Sei nicht klug und erfolgreich! Sei lieb und fürsorglich! All das schränkt letztlich die Freiheit aller ein, wenn wir uns sklavisch daran halten.
Von daher: Tu doch einfach das, was dir selbst entspricht und suche dir Menschen, die ähnlich ticken wie du. Es gibt einige Jungs, die Schminke eher abstoßend finden bzw. natürliche Mädels attraktiver finden. Genauso mit dem Alkohol: Trink dann welchen, wenn du wirklich Lust auf den Geschmack und einen (kleinen) Effekt hast, aber nicht, um mit anderen mithalten zu können. Das ist nämlich eine Rechnung, die nicht aufgeht: Selbst wenn du anfangen würdest, dich dem Mainstream mehr anzupassen, würde es dir nicht helfen, mit einem zu dir passenden Jungen zusammen zu kommen. Im Gegenteil: Es kann eher hinderlich sein, weil zu dir passende Jungs von deinem Aussehen und Auftreten mitunter sogar abgeschreckt sein könnten und den Schluss ziehen könnten, dass du für sie nicht interessant bist. Auch einige Jungs in deinem Alter machen sich nicht sonderlich viel aus Alkohol. Ich kenne persönlich einen 19-Jährigen, der das für sich strikt ablehnt. Er braucht und vermisst es ihn nicht.
Nüchtern sein hat enorme Vorteile: Du kannst Situationen mit allen Sinnen wahrnehmen, benimmst dich nicht unnötig peinlich und kannst viel besser einschätzen, wer zu dir passt und wen du lieber meiden solltest. Auch Sex ist im betrunkenen Zustand bestenfalls ok, kann aber auch richtig enttäuschend oder gar gefährlich werden. Und: Nutze Alkohol bitte nicht chronisch, um Schüchternheit zu überwinden! Die Verführung ist groß, aber letztlich bringt es dir nichts. Es ist eine Krücke, die dir auf Dauer nicht weiterhilft.
Natürlich sind Schminke und Alkohol an sich nichts Böses und haben auch ihre Vorzüge. Bei der Schminke kann z.B. positiv sein, dass man sich kreativ austoben und Neues ausprobieren kann. Außerdem können bestimmte Gesichtspartien hervorgehoben oder andere kaschiert werden. Das kann aber auch wieder als negativer Aspekt gesehen werden, je nach Betrachtungsweise. Ich finde es bedeutsam, dass du selbst für dich reflektierst, was dir Schminke und Geschminktsein bedeuten kann, ob du du selbst wirklich leiden kannst, wenn du geschminkt bist. Analog mit Alkohol. Wenn du eigentlich schon weißt, dass du dich nur der Mehrheit zuliebe anpassen würdest, solltest du es lassen. Bist du aber unschlüssig, spricht nichts gegen Experimentieren.
In Clubs gehen: Da frage ich mich, ob es bei dir an der fehlenden Möglichkeit liegt, oder ob du auch daran nicht interessiert bist. Wenn Ersteres zutrifft, kannst du mal gucken, dich in den kommenden Monaten auf die Knüpfung neuer Kontakte zu konzentrieren - um dann mit diesen Personen auszugehen. Und natürlich kannst du auch ohne Begleitung in Clubs gehen. Das kann die Chancen auf Leute kennenlernen sogar verbessern!

Was Schüchternheit anbelangt, findest du in unserer Soforthilfe Tipps: https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/12/Verliebt-aber-sooo-schuechtern.html
Generell kann ich dir sagen, dass Schüchternheit kein unumgängliches Schicksal ist. Es ist zwar nicht so, dass du sie einfach "ausknipsen" kannst, doch das Verhalten, der Umgang mit Schüchternheit kann durchaus verändert werden! Ich persönlich finde es dabei wichtig, sich vor Augen zu führen, dass du sehr vieles lenken kannst und nicht ohnmächtig äußeren und inneren Umständen/Zuständen ausgeliefert bist. Das kann z.B. bedeuten, dass du dir vornimmst, selbst mehr Initiative zu ergreifen, wenn du einen Jungen spannend findest. Das wirkt auch dem blöden Gefühl entgegen, dass sich niemand für dich interessiert (das stimmt auch unter Garantie nicht!). Häufig sind um einen herum viele andere schüchterne Menschen, denen man es aber nicht so anmerkt. Daher lohnt es sich, selbst mutig zu sein und kleine erste Schritte zu wagen.
Gerade an der Uni geht das gut, indem du dich einfach neben die interessante Person setzt oder nach dem Stoff fragst, etwas kommentierst etc. Bei gegenseitiger Sympathie (auf die Augen, die Mimik und Gestik achten...) kannst du dich langsam weiter vorwagen. Du kannst unter anderem sagen: "Ich gehe nach der Vorlesung noch in das Café X zum Entspannen. Willst du mitkommen?"
Auch dass du noch keinen Freund hattest, sollte dich nicht bekümmern! Du bist damit nicht allein - und es ist - rein sachlich betrachtet - völlig schnurz, wann und ob du bisher eine Beziehung hattest. Da geht es, wie oben schon beschrieben, besonders darum, was du tief in deinem Inneren brauchst und herbeisehnst. Hier ein sehr hörenswerter Beitrag dazu: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-03/spaeter-sex-erstes-mal-sexpodcast

Übrigens noch ein Tipp: Gerade am Semesterbeginn gibt es unzählige Ersti-Veranstaltungen und Parties, da sind alle neu und haben die gleichen Voraussetzungen. Da kannst du hingehen und hast gleich Anknüpfungspunkte: "Aus welcher Stadt bist du hergezogen - oder kommst du von hier?" "Dich habe ich heute schon in der Einführungsveranstaltung gesehen!", "Wie fandest du die Kneipe, in der wir vorhin waren,...?" etc. Es muss auch nicht DER grandiose Einstieg sein, wichtiger ist ein allererster Kontakt, ein gegenseitiges Wahrnehmen. Wenn es dir mit Jungs am Anfang zu schwer erscheint, übe mit Mädchen.
Bereitet dir jedoch das Aktive anfangs noch sehr viel Unbehagen, dann lohnt es sich, eine möglichst offene Einstellung aufzubauen. Weil wenn du selbst angesprochen wirst, hilft diese, nicht aus Schreck abzublocken. Dies natürlich auch unabhängig davon - versuche, möglichst unvoreingenommen in Situationen zu gehen und alles auf dich zukommen zu lassen. Und wenn eine Party dann doch mal total unangenehm ist, hast du vielleicht vorgesorgt, indem zuhause ein ein gutes Buch oder guter Film auf dich warten. So ist der Abend gerettet und du hast nicht das Gefühl einer "Niederlage", weil du dich auch allein gut beschäftigen kannst.

Ich wünsche dir einen guten Start ins Studium und viele tolle Einblicke - sei es in deine eigene Person als auch in das Leben der neuen Menschen um dich herum!

Alles Liebe!
Nuala