Problem von Katrin - 18 Jahre

Selbstmordgedanken

Hallo,

dieses Thema belastet mich schon seit längerem. Dieses Jahr ist es besonders schlimm. Ich bin einfach am Ende. Sogar einige Abschiedsbriefe habe ich schon geschrieben. Ganz oft weine ich auch, wenn ich alleine bin. Am liebsten würde ich heute schon alles beenden. Ich weiß einfach nicht was ich machen soll. Warum ich die Gedanken habe sind so: Niemand möchte mit mir so richtig was zu tun haben. Ich habe wenige Freunde, aber auch die haben keine Zeit so richtig für mich. Ich werde auch von Leuten gemobbt wegen mein Aussehen und wie ich mich verhalte. Das macht mich sehr fertig. Auch mit meinem Berufsleben komme ich nicht klar. Ich muss eine Ausbildung machen, die ich eigentlich gar nicht möchte. Den Beruf den ich eigentlich machen möchte geht nicht. Meine Lehrer meinten, dass ich das nicht schaffen werde. Am 01.09 geht es für mich in die Ausbildung. Freuen tue ich mich nicht. Wenn ich in diesem Bereich Praktika mache, gehe ich da schon mit Bauchschmerzen hin. Zurzeit bin ich im Praktikum. Die Ausbildung dauert 3 Jahre. Keine Ahnung, ob ich das schaffen werde. Dann komme ich mit meiner Schüchternheit nicht klar. Ich wurde bis zu meinen 15. Lebensjahr von meiner Mutter schwer misshandelt. Sie schlug, verprügelte mich und beleidigte mich. 1 Jahr war ich in eine Pflegefamilie. Vielleicht bin ich deswegen auch sehr ruhig. Ich würde gerne selbstbewusster werden, aber es klappt nicht so gut. Und meine Zukunft macht mir Sorgen. Was soll ich denn jetzt machen. Ich denke, dass ich da alleine nicht mehr rauskomme.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Katrin,

ich weiß, dass du uns schon oft geschrieben hast, ohne eine Antwort zu erhalten. Auch diesmal habe ich dich so lange warten lassen, dass du wohl nicht mehr mit einer gerechnet haben wirst. Mir tut das sehr leid - es ist ausschließlich meine Schuld, da ich mir deine Zuschrift herausgezogen habe, ohne Zeit zu haben. Vielleicht kann ich dir jetzt noch etwas hilfreich sein - auch wenn ich natürlich nicht erwarte, dass du dich noch darum kümmerst.

Wenn deine Ausbildung im September beginnt, ist dein Blick derzeit drauf gerichtet, dass sie dir eigentlich gar nicht zusagt. Dein Frust darüber ist verständlich. Doch gilt - es ist besser, die Ausbildung zu machen, als das kommende Jahr untätig zu verbringen. Denn deine Schüchternheit wirst du versuchen müssen zu bewältigen, gleich, ob das, was du machst, deinem Interesse entspricht oder nicht. Du würdest dem Problem nicht entkommen, wenn du dich zurückzögest und in den Gedanken flüchten würdest, dass das Richtige schon noch kommt. Das kann auch kommen - es kann sich anschließen; aber für deine Existenzsicherung ist es wichtiger, dass du auf dem Boden stehst, und das kannst du nur mit einem erlernten Beruf.

Deine Angst, es nicht zu schaffen, wächst von Tag zu Tag, und deine Verzweiflung wird so groß, dass der Tod als Ausweg verlockernd erscheint. Aber sei ehrlich: Wäre das dir gegenüber gerecht - jetzt, wo du, nach langen Jahren des Leidens, die Chance hast, dein Leben in die eigenen Hände zu nehmen? Schüchternheit ist ein Problem, aber kein unlösbares. Ich bin sicher, Katrin, dass auch du eine lebenslustige junge Frau sein kannst, die Anerkennung findet und die Leute attraktiv finden. Denn wahre Schönheit hat gewiss etwas mit Ausstrahlung zu tun - und du bist niemand, die sich etwas vorzuwerfen hätte. Bisher wurdest du unterdrückt - ist es da eine Gerechtigkeit, dass du dich jetzt von deinen eigenen Ängsten unterdrücken lässt, statt etwas zu wagen, aus dir herauszukommen? Drei Jahre erscheinen eine lange Zeit, und das sind sie auch. Doch im Laufe deiner Ausbildung ist vieles möglich: Du wirst vielleicht den Standort oder Betrieb wechseln, du wirst deine eigene Wohnung beziehen, du wirst Leute kennen lernen. Dich an etwas Neues zu wagen, birgt immer viele Risiken. Aber es birgt auch Chancen. Stell dir vor, du könntest demnächst deine Wunschausbildung beginnen - aber müsstest feststellen, dass deine Kollegen derart unausstehlich sind, dass du am liebsten gleich aufgeben wolltest: Könnte es nicht sein, dass da dein Frust noch größer, der Wunsch, zu entfliehen, noch mächtiger würde? Aber du hast noch so viel vor dir, Katrin. Ich würde dir wünschen, dass du entwickelst, was in dir steckt - das, was Andere so lange unterdrückt haben. Das kann geschehen, aber dafür ist deine eigene Zustimmung nötig.

Nur du kannst darüber entscheiden, was aus dir werden soll. Wenn du dein Licht unter den Scheffel stellst - es dir also gar nicht wirklich zutraust - dann ist die Wahrscheinlichkeit umso höher, dass du scheiterst: Weil dein eigenes Urteil über dich dich so verunsichert, dass du vielleicht gar nicht dazu kommst, herauszufinden und zu zeigen, was in dir steckt. Und ich bin sicher, dass da eine Menge verborgen liegt. Denn was hast du bisher von deiner wirklichen Persönlichkeit zeigen können? Es waren immer die äußeren Umstände, die dich beschränkt, eingeengt, in dir ein Gefühl der Angst und Minderwertigkeit hervorgerufen haben. Aber das, was deine Jugend dir eingeredet hat, weil sie voller Zwang und Schmerzen war, das bist du nicht wirklich. Lass dich nicht weiter versklaven von dem Trugbild der minderwertigen, unnützen Katrin, das deine Mutter mit ihren Methoden, und all die Anderen mit ihrer Behandlung, in dir erzeugt haben. Mach dir klar, dass du als Mensch mehr bist als das, worauf du keinen Einfluss hattest. Es sind deine Entscheidungen, nicht die äußeren Umstände, nicht die Personen, mit denen du unglücklicherweise verwandt bist, die aus dir Katrin machen. Und um dich selbst zu entdecken, ist es trotzdem nötig, dass du den Sprung ins kalte Wasser wagst. Wenn du es nicht wenigstens versuchst, wirst du nie wissen, was hätte sein können. Und wäre das nicht umso furchtbarer, weil alle, die dich für minderwertig angesehen haben, damit ihren Willen bekommen hätten? Kann das eine Gerechtigkeit sein? Gewiss nicht. Du bist es wert, Katrin, aber du musst es wagen, es versuchen. Sonst wird die Angst dich immer weiter im Klammergriff halten, bis du zu ersticken drohst.

Was sind deine Ziele? Was erträumst du dir vom Leben - oder, was hast du dir jemals erträumt? Möchtest du eine Wohnung haben, ein Auto, Familie, Haustiere? Welche Orte dieser Welt möchtest du sehen? Welche Farbe sollen die Wände haben, wenn du darüber entscheiden kannst? Was möchtest du gerne noch lernen, welche Menschen kennen lernen? Was wolltest du dir schon immer einmal gönnen? Es ist wichtig, dass du nicht nur über die großen, sondern auch die kleinen Dinge nachdenkst. Was in deinem Zimmer stört dich seit langem, welche Gegenstände sollten schon längst entsorgt werden? Hast du je darüber nachgedacht, eine neue Sportart auszuprobieren, eine Sprache zu erlernen? Irgendwo hinzufahren, wo dich keiner kennt? In welchen Kleidern fühlst du dich wohl - und sind das die, die du gerade hast? Versuche, durch dein ganzes bisheriges und zukünftiges Leben einen Teppich an Fragen zu weben - alle großen und kleinen Entscheidungen, die es zu treffen gilt, und wie es nach deinem Wunsch sein sollte. Du wirst sehen: Es gibt vieles, was du noch erleben magst. Aber natürlich ist es dafür unerlässlich, dass du auch den Weg einschlägst, der dahin führt. Das bedeutet, Herausforderungen anzunehmen und nicht den Einflüsterungen missgünstiger Menschen zu glauben, die dein unverdorbenes Herz ängstigen wollen. Es ist dein Leben, und nur du kannst dich entscheiden, es zu leben. Der erste Schritt ist, deine Zeit zu planen: Verbringe die dir verbleibende Zeit bis zum Beginn der Ausbildung nicht untätig, sondern setze dir Ziele. Genieße das Wetter, erlaube dir kleine Rituale - deine Lieblingsserie, ein Buch, ein Eis, einen Abendspaziergang - die dich in Kontakt mit der Welt und dem Leben bringen. Suche dir Zeit, um über das Größere nachzudenken: Wie wäre die Freundin, die du gewinnen willst, wie der Partner oder die Partnerin, von dem / der du träumst? Was wolltest du schon immer an deinem Stil verändern? Um das Leben anzunehmen, musst du erst wissen, was du dir von ihm erhoffst. Und das kannst du nicht, wenn du dir nicht sicher bist, ob da überhaupt etwas ist. Aber wenn du dich traust, nachzuspüren, wirst du vieles entdecken, wovon du träumst - und gerade die Angst, dass diese Träume sich nicht erfüllen könnten, ist es, die dich an den Tod denken lässt.

Wenn du das Gefühl hast, allein keinen Ausweg zu finden, kann es durchaus sein, dass eine professionelle Unterstützung für dich sinnvoll wäre. Grundsätzlich solltest du dir aber bewusst sein: Auch eine Therapie kann einen Heilungsprozess nicht vollenden, sondern nur begleiten und unterstützen. Mit einer Therapie gewinnst du Möglichkeiten, dich selbst zu spiegeln und erhältst weitere Impulse. Letztlich geht es aber darum, dein eigenes Potenzial zu wecken, dich zu erkennen und aus deinem Leben etwas zu machen. Es ist ähnlich wie in der Schule: Man kann Nachhilfe und Unterstützung erhalten, aber die Arbeiten schreibst du selbst. Leicht kann eine Therapie zu der Überlegung verlocken, dass sich nun schon alles richten wird. Doch das ist nicht so - man ist immer noch vor allem selbst gefordert. Deshalb ist es mir wichtig, dass du weißt, du kannst es selbst schaffen. Alles Andere kann eine Unterstützung sein, die Lösung selbst ist es nicht. Ich finde es wirklich gut, dass du in dich hineinhörst und dich fragst, ob du Unterstützung brauchst. Vergiss aber nie: Auf dich kommt es an. Und du kannst es auch erreichen, auch wenn es dir jetzt in endloser Ferne zu liegen scheint.

Ich wünsche dir viel Kraft und eine möglichst entspannte Zeit bis zum Beginn deiner Ausbildung! Wenn du möchtest, kannst du dich gerne wieder bei uns melden - ich verspreche dir, dass ich dann zeitnah antworten werde.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul