Problem von Lea - 18 Jahre

Wieso kann ich ihn nicht vergessen?

Es hat alles angefangen als ich mit 11 Jahren das erste mal in meiner Heimat Schweden über die Sommerferien war. Wir wohnen dort in einem kleinen Dorf und ich habe damals mit 11 Jahren einen Jungen kennenlernt. Ich war ein Kind , jung und naiv. Ich habe mich ihn in verliebt und wir waren unzertrennlich. Wir beide kamen sogar zusammen da er das gleiche für mich empfunden hat. Naja die Sommerferien waren vorbei. Ich war wieder in Deutschland und er in Schweden. Wir haben uns getrennt. Das ganze ging 7 Jahre lang. Immer wenn ich im Urlaub war und in dem Dorf war habe ich mich wieder in ihn verliebt und war zu ihm hingezogen. Und genau so war es bei ihm auch. Als ich immer wieder in Deutschland war hatte ich auch immer Gefühle zu ihm nur die würden immer weniger nach dem Urlaub aber wenn es Richtung Urlaub ging wieder mehr. Ich verstehe das alles einfach nicht. Wie kann das möglich sein? Seit mehr als 2 Jahren nun habe ich einen Freund mit dem ich auch schon 3 mal in Schweden in dem Dorf war. Und trotz das ich in einer mehr als glücklichen Beziehung bin passiert es immer noch!!! Jedes mal verliebe ich mich wieder in ihn, kann nur noch an ihn denken, mein Freund nervt mich, ich will am liebsten über all hin gehen wo ich ihn treffen könnte, habe Fantasien mit ihm.. wie kann das sein? Ist er meine große Liebe? Wieso kann ich ihn nicht vergessen? Und wieso kommen die Gefühle immer wieder hoch wenn ich in seiner Nähe Bin? Ich bin verzweifelt ... es wird jedes Jahr schlimmer

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Lea,

der entscheidende Punkt scheint mir in deiner Bewertung zu liegen.

Dieser Junge ist sicherlich nicht deine große Liebe - sonst würdest du nicht schreiben, dass du in einer mehr als glücklichen Beziehung wärst. Du würdest gar nicht in der Lage sein, dieses "mehr als glücklich" vor dir selbst zu rechtfertigen. Du willst ja IHN aus deinem Kopf haben, nicht etwa deinen Freund. Es ist keine glückliche Verliebtheit, die du fühlst. Es ist eine, die dich quält. Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass sie deswegen so groß wird, WEIL du dieses Kapitel unbedingt gedanklich abschließen willst?

ER ist nicht deine große Liebe. Aber er ist deine Jugendliebe, deine erste richtige Liebe - und auch das ist eine Bindung, die ewig hält. Sie gehört zu dir, zu deiner Person. Mit dem Ort in Schweden sind viele Erinnerungen verbunden, ein ganz großer Teil deiner Persönlichkeit ist auf dieser Grundlage gebaut. Wie kannst du von dir verlangen, das von dir wegzunehmen? Du kannst ihn nicht vergessen, weil du dich dann gleichzeitig selbst vergessen müsstest. Aber du bist Lea, die vor Jahren in Schweden ihre erste große Liebe fand, und die dort glückliche Wochen und Monate verlebt hat. Es ist nun mal so. Er wird immer einen besonderen Platz in deinem Herzen haben. Und manchmal wird es dich vielleicht überwältigen, das große Fragezeichen: Was wäre gewesen, wenn...?

Dieses Fragezeichen ist es, dass dir Angst macht. Warum? Glaubst du, dass du irgendwann den Kopf verlieren, dich in seine Arme werfen und ihn anflehen wirst, nur mit dir zusammen zu sein? Glaubst du, dass er darauf eingehen würde, wenn du mit ihm eine Wohnung suchen willst, eine Familie gründen, und was nicht alles? Ohne Beachtung davon, was seine bisherigen Pläne waren, und welche Menschen es sonst in seinem Leben gibt? Hältst du das für realistisch? Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass dieser junge Mann das große Andere in deinem Leben verkörpert: Die Freiheit, die Jugend, die Unbeschwertheit... er ist das, was die Beziehung zu deinem Freund nicht ist: Denn letztere ist glücklich, du liebst ihn, willst mit ihm zusammen sein. Aber du weißt auch um die kleinen und großen Schwierigkeiten, um Diskussionen, um Zukunftsängste, um sich widersprechende Ideen und Pläne. All das gibt es in deinem (gedanklichen) Verhältnis zu dem anderen Jungen nicht. Er ist die große Verheißung, die gerade unterstreicht, wie unheimlich wichtig dir dein Freund ist: Er verkörpert die Angst vor dir selbst, die Angst, du könntest etwas Unüberlegtes tun, ihn verlieren, kopflos handeln. Doch tief in deinem Inneren weißt du, dass du das nicht tun wirst.

Du wirst dein Leben weiterleben und dir eine Zukunft erschaffen. Deine Vergangenheit, dein gehabtes Glück, wird aber immer in Gedanken da sein. Das ist in Ordnung. Lasse es zu. Es entfernt dich nicht von deinem Freund, auch über einen Anderen nachzudenken, Fantasien zu haben - du wirst, wenn du ihn wirklich liebst, immer wieder auf die Erde zurückkehren. Und falls du dich einmal von deinem Freund trennst, oder er sich von dir, Lea, dann wird es mit Sicherheit NICHT an diesem bestimmten jungen Mann gelegen haben. Stell dir vor, er würde in deiner Nachbarschaft wohnen - was würdest du dann machen? Müsstest du wegziehen, nur damit du den Kopf frei hast für das, was dir wirklich wichtig ist? Ich glaube eher, du bist so voller Liebe für deinen Freund, dass du dir alles Andere verbietest. Und in diesem Anspruch setzt du dich so unter Druck, dass, wenn du in Schweden bist, dich die Vergangenheit mit aller Macht einholt. Du scheinst jemand zu sein, die stark liebt, die Eindrücke intensiv aufnimmt: Das ist in Ordnung so. Erlaube dir das. Lass es zu, dass die Fantasien eine Weile durch dich hindurch strömen, und du wirst am Ende feststellen: Es war schön, träumen zu dürfen, aber deine wirklichen Pläne und Ziele sehen anders aus.

Du kannst ihn nicht vergessen. Er ist ein wichtiger Teil deines Heranwachsens, der jedesmal, wenn du ihn siehst, mit aller Macht berührt wird. Du bist dann wieder jung, bist wieder das kleine Mädchen, die sich zum ersten Mal verliebt. Hast du dir schon einmal überlegt, das diejenige, die in Schweden träumt, vielleicht gar nicht die wirkliche Lea ist - sondern eine jüngere Version von dir, die wieder erwacht und umhergeht an dem Ort, an dem sie so glücklich war? Lea, das ist eine großartige Gabe. Da ist nichts Schlechtes dran. Es ist nur deine Bewertung, deine Angst, es könnte heißen, dass deine Beziehung keine Zukunft hat, die dich verzweifeln lässt.

Nun wirst du vielleicht fragen: Kann es nicht DOCH sein, dass ich ihn liebe, dass ich ihn nie vergessen habe? Um es dir offen zu sagen: Es kann vieles sein. Auch das. Aber was wäre die Konsequenz? Deine Liebe für deinen Freund wäre dadurch nicht geringer. Es wäre eben so, dass ein Teil deines Herzens für ihn reserviert ist und für diesen besonderen Ort auf dieser Welt, und vielleicht wird es noch lange dauern, bis er sich hinausschleicht. Auch das ist nicht schlecht und nicht gefährlich, sondern menschlich. Man kann mehrere Menschen lieben, und zwar nicht unbedingt im Wortsinne, sondern auf eine besondere Weise. Mit jedem Menschen, den du einmal geliebt hast, verbindet sich eine Fülle an Erinnerungen, an Emotionen und Momenten. Es ist möglich, dass du sie nicht loslassen kannst, weil sie zu herrlich sind. Dann erlaube es dir. Schöpfe daraus Kraft, dass du solche Momente auch mit deinem Freund erleben kannst. Was einmal geschah, wird wieder geschehen können - ob mit diesem oder einem anderen Mann. Das bist du.

Und wenn alles nichts hilft, Lea - was würdest du dann tun wollen? Oder richtiger: Was müsstest du dann tun? Siehst du eine Chance, ihn für dich zu gewinnen? Willst du mit ihm leben? Dann frage ihn. Erbitte dir von deinem Freund eine Auszeit. Versuche, ihn für dich zu gewinnen. Und allein, wenn du dies in Gedanken einmal durchspielst, wirst du merken, dass es letztendlich absurd ist. Du magst ihn immer noch lieben, auf eine bestimmte Weise, aber er gehört am Ende in die Vergangenheit. In dem Teil deines Herzens, in dem er verwahrt ist, kannst du ihn lieben. Aber du weißt auch, dass es nicht wirklich realistisch ist, dein Leben "zurückspulen" und nochmal anfangen zu wollen. Das geschieht in Filmen doch auch, wird man sagen. Ja - und Filme bilden zwar nicht immer die Realität ab, manchmal aber schon. Trotzdem gibt es zwischen Film und Wirklichkeit einen großen Unterschied: Im Film hat niemand die Option, die du hast - das Leben, das du dir aufgebaut hast, wegzustoßen und von vorne zu beginnen. Es sind immer äußere Zwänge, die die Menschen im Film in ein Leben führen, das sie eigentlich nicht wollen. Sie wollen die Vergangenheit gar nicht abstreifen, sie trauern ihr nach. Du aber trauerst nicht. Du merkst nur, dass die Vergangenheit, aus der du freiwillig in die Gegenwart gegangen bist, zu dir gehört, und das macht dir Angst. Aber diese Angst ist unbegründet.

Ich wünsche dir die nötige innere Ruhe, um deine Gefühle annehmen zu können - in ihrer ganzen Vollständigkeit.

Alles Gute und liebe Grüße,

Paul