Problem von Anonym - 17 Jahre

Ein Problem über das niemand redet

Hallo,
ich lebe mit meinen Eltern zusammen und bis vor ein paar Jahren lief alles halbwegs gut, bis dieses Problem auftrat. Es ist ein richtiges Tabu-Thema vorallem für meine Mutter und wenn es doch mal jemand anspricht gibt es Streit und viele Tränen. Es ist so: mein Vater hat vor einigen Jahren festgestellt, dass er lieber eine Frau wäre. Bzw. er sagt er wäre beides. Am Anfang haben wir es gar nicht gewusst bis ich es durch Zufall entdeckt habe. Er macht das alles heimlich so dass wir es möglichst nicht mitkriegen. Er schminkt sich, besitz massig Frauenkleidung, Perücken, BH's, teilweise sogar Tabletten mit Isoflavonen.
Meine Eltern sind seit 25 Jahre verheiratet und meine Mutter und ich zum Teil auch können es einfach nicht so aktzeptieren. Es ist wirklich schlimm, denn sie ekelt es teilweise so dass sie ihn nicht mal mehr berühren will. Und ganz erhlich ? Ich verstehe das. Aber sie liebt ihn gleichzeitig auch noch genug um nicht loslassen zu können. Es zerfrisst sie und ich habe das gefühl ich könnte rein garnichts tun. Hinzu kommt noch das wir alle sehr an unserem Haus hängen dass meine Eltern zusammen aufgebaut haben, was im Falle einer Trennung einfach nicht mehr zu halten wäre.
Es ist also alles ziemlich emotional und ich fühle mich so machtlos, es vergeht kein Tag an dem ich mir nicht den Kopf darüber zerbreche. Es scheint einfach keine gute Lösung zu geben...

Janine Wochnik Anwort von Janine Wochnik

Liebe Ratsuchende,

ich musste eine Weile über eine halbwegs gute Antwort nachdenken.
Dein Problem ist nicht gerade alltäglich. Noch dazu ist es schwierig einen Rat zu geben.
Eure Situation ist unheimlich schwierig und sehr explosiv, wenn ich das mal so sagen darf.

Jeder von euch hat dadurch sein ganz eigenes Paket zu tragen, Jeder von euch ist ganz anders dadurch belastet,
Das ist wirklich schwer unter einen Hut zu bringen.
Da du dich an uns gewendet hast, würde ich am liebsten nur deine Situation bearbeiten,
Das geht aber nicht. Denn es wäre einfach falsch.
Ihr alle seid dadurch betroffen, ihr lebt zusammen, seid eine Einheit.
Auch wenn es zur Zeit nicht der Fall ist.

Es tut mir für euch alle sehr leid.
Denn für euch stehen nun Entscheidungen an, die euer aller Leben verändern werden.
Und egal was ihr auch macht, es wird nicht mehr wie vorher werden.
Deshalb ist es noch schwieriger Entscheidungen zu treffen.

Für dich und deine Mutter muss es ein absoluter Schock gewesen sein.
Der Mensch, den man sein Leben lang zu kennen geglaubt hat, ist nun mit einem Mal wer anderes.
Zumindest erscheint es euch so.
Ihr seid gezwungen die Tatsachen zu akzeptieren und irgendwie damit zu leben. Das ist nämlich keine Sache, die ihr mitbestimmen könnt. Selbst wenn ihr es noch so gern hättet.
Dein Vater hat sich das nicht ausgesucht. Niemand sucht sich aus wie er geboren wird. Und wenn es das verkehrte gewesen ist, dann lebt man ein Leben, welches man nicht leben will.
Es ist wie ein Kostüm welches man trägt um seine Rolle zu spielen. Bis man irgendwann nicht mehr kann.
Das ist ein sehr schlimmes Gefühl.
Für deinen Vater wird es extrem gewesen sein. Sich vor seinen lieben zu verstellen. Nicht der sein zu können, der er wirklich ist. Er wusste, dass er euch damit verletzt. Das wollte er aber sicherlich nicht.
Ich weiß ja nicht wie lange er das schon geheim hält, aber ich könnte mir denken das die Qual jeden Tag da ist.
Jeden Tag Folter....

Es mag ein wenig viel verlangt sein dich zu bitten auch daran zu denken. Deshalb entscheide das selbst.
Du bist nämlich ebenso wichtig und deine Mutter auch.
Ihr habt ein Recht auf eure Wut. Auf eure Trauer. Auf euer entsetzten.
Für euch ist mit einem Schlag eine ganze Welt zusammen gebrochen. Das was ihr für sicher gehalten habt, ist es nie gewesen. Das kann einen schon mal aus der Bahn werfen.
Auf der anderen Seite ist es aber kein Weltuntergang.
Dein Vater ist noch immer da. Er ist nicht sterbenskrank. Er ist auch nicht tot.
Er lebt, er liebt dich und er will für dich da sein.
Sonst wäre er schon längst abgehauen und hätte das von ihm gewünschte Leben geführt,
Dennoch verstehe ich, dass es schwer ist.
Du machst dir wahrscheinlich über tausend Dinge Gedanken. Vor allem über die Zukunft.
Ich rate dir das nicht zu tun.
Zum einen geht es immer weiter! Immer! Egal wie.
Zum anderen gibt es Dinge die viel schlimmer wären.
Und zum letzten habt ihr euch trotzdem. Auch wenn ihr euch neu kennen lernen müsst.
Aber halte dich nicht mit den ganzen negativen Gedanken auf.
Sie kosten Energie. Sie werden dich verrückt machen.
Und noch bis du minderjährig und deine Eltern entscheiden so oder so.
Du solltest versuchen Verständnis zu bekommen.
Deinem Vater wieder zu vertrauen. Mit ihm zu reden.
Wie kam es dazu?
Warum möchtest du das?
Geht es über Klamotten hinaus?
Was möchte er wie es weiter geht?
Wie hat er es ausgehalten?
Wie geht es ihm?
Und so weiter.
Du kannst und sollst auch mit deinem Vater über deine Sorgen sprechen. Deine Ängste.
Sag ihm wie du darüber denkst. Aber hör dir seinen Standpunkt an.
Versuche dabei so neutral wie möglich sein.
Und ein ganz wichtiges noch! Vermische nicht deine Angelegenheiten mit den Angelegenheiten deiner Eltern.
Manche Dinge sind nicht für die Kinder bestimmt.
Respektiere das!
Im übrigen hat das rein gar nichts mit dem Alter zu tun. Sondern nur mit der Sache, dass du die Tochter bist. Und das wirst du einfach immer sein.

Sollten deine Eltern irgendwann auf die dumme Idee kommen dich als Puffer zu benutzen. Dann weise sie sofort in die Schranken. Halte ihnen eine kleine Predigt darüber was es bedeutet ein Kind zu sein. Was es heißt Eltern zu sein.
Und dann verlasse das Gespräch!
Das darf nicht passieren. Auch wenn der Anfang längst geschehen ist.
Ihr dürft natürlich miteinander reden. Alle gemeinsam oder du alleine mit einem der beiden. Doch nicht als Puffer fungieren!

Was deine Mutter angeht...für sie ist die Welt irgendwie schon untergegangen. Sie liebt einen Mann. Sie hat mit einem Mann ein Kind und ein Haus. So viel erlebt und durchlebt.
Plötzlich ändert sich von einem auf den nächsten Tag alles.
Deine Mutter fühlt sich bestimmt betrogen, einsam, verlassen und absolut ratlos.
Ihr gehen tausend Fragen durch den Kopf. Aber auf die meisten will sie eigentlich keine Antwort haben.
Natürlich hat sie auch Angst, denn sie weiß das es euer ganzes Leben auf den Kopf stellt.
Sie ist hin und hergerissen. Was vollkommen natürlich ist.
Deine Mutter ist auch nicht in der Lage dich zu schützen, dir zu helfen. Denn sie benötigt gerade selber Hilfe.
Und genau das würde ich euch ans Herz legen. Eine Familienberatung/Therapie/Gesprächskreis oder sonstiges.
Einen Raum wo ihr alle reden könnt. Jemanden der vielleicht vermittelt.
Der euch neue Ansätze geben kann!

Die ganze Sache braucht auf jeden Fall Zeit!
Zeit ist wichtig!
Um die aufwühlenden Gefühle etwas sacken zu lassen.
Den Sturm ein wenig herunter zu fahren.
Damit ihr dann ein bisschen neutraler an die Sache herangehen könnt.
Die praktischen Dinge zu regeln braucht einen kühlen Kopf.
Überstürzte Handlungen sind nicht gut und am Ende bereut ihr sie vielleicht.
Eventuell könnt ihr ja alle mal ein paar Tage Auszeit voneinander nehmen.
Das wirkt manchmal wahre Wunder.

Das Wichtigste ist das ihr euch eine Chance gebt die Sache vernünftig zu regeln.
Ihr seid eine Familie! Und wie mir scheint ist bei euch sehr viel Liebe!
Es gibt nichts auf dieser Welt was stärker ist!
Das solltet ihr im Hinterkopf haben!

Ich wünsche euch alles erdenklich Gute.
Ich hoffe sehr ihr findet einen Weg.
Such dir jemanden zum reden, redet gemeinsam und am besten mit einer neutralen Person dabei.
Es wird sich alles finden. Da glaube ich fest dran!
Ich drücke euch von Herzen die Daumen.
Liebe Grüße
Janine