Problem von zu_sensibel - 19 Jahre

Ich fühle mich durch den Rechtsdruck und die Pro-Life-Aktivisten stark in meiner körperlichen Freiheit und Sicherheit eingeschränkt

Ich bin w/19 psychisch aufgrund von Vererbung angeschlagen (ist meine eigene Diagnose und angeschlagen heisst übersetzt soviel wie: zur Melancholie neigend und „emotional instabil“) und lebe aktuell bei meinen Eltern in Deutschland. Wir sind eher in der oberen Unterschicht. Nicht so „reich“ wie der Durchschnitt, aber auch nicht kurz vor dem Verhungern. Ich bin in Deutschland gross geworden und weiss, aber der Rechtsdruck hier macht mir trotzdem richtig zu schaffen, weil ich befürchte in Zukunft auf der Strasse als Obdachlose zu landen (Harz 4 ist mir im Moment undenkbar...), wie dort Opfer von Vergewaltigungen werden zu können und mir dann ein Schwangerschaftsabbruch nicht mehr kostenlos oder wenigsten kostengünstig zur Verfügung gestellt wird, weil gesetzlich verboten. Ich habe Angst davor, dass durch den Rechtsdruck für alle Frauen wieder ein absolutes Abtreibungsverbot oder etwas derartiges eingeführt wird und ich, weil es staatlich schwieriger gestaltet wird, kaum mehr an Verhütungsmittel gelange. Ich muss jetzt schon dauernd daran denken, mir schnell eine Spirale oder ein Stäbchen setzen zu lassen, um gar nicht erst in diese Lage zu geraten. Aber ich habe im Moment kein Geld um das bezahlen zu können, was mir noch mehr innerlichen Druck macht, der mich oft auf Suizidgedanken bringt. Schwangerschaft wäre für mich wirklich die absolute Hölle, weil ich es als unethisch auffasse (bin da sehr eigen und allein mit). Und eigentlich alles was mich dazu drängt finde ich schrecklich. Allgemein die Gesellschaft. Es gab schon Situationen in denen Jungs Geschlechtsverkehr wollten (soweit höflich blieben aber ich fühle mich davon schnell angegriffen) und ich sonst niemanden hatte (höchstens mein primitives Gefühl) der mir „ins Gewissen redet“. Ich hatte niemanden, der ganz real in meinem Sinne handelt, also für diese Personen eine Art Sperre darstellt – mich schützt. Meine Eltern informierte ich zwar über diese Jungs, aber denen war das eher egal. War ja nicht so wild ... Ich musste selbst sehen, wie ich die mir vom Halse halte. Und auch, dass mich in der Schule besonders Lehrer nie über meine Rechte in Hinsicht auf Schwangerschaftsabbruch aufgeklärt haben macht mir heute zu schaffen. Es ist zwar nichts schlimmes passiert, aber es hätte ... usw. Wenn ich jetzt wieder daran denke bekomme ich Magenschmerzen. Ich kam mir und komme mir sehr ausgeliefert vor. Als wenn man mich ins offene Messer laufen lassen wolle. Meine Meinung nach sieht es auch nicht nur danach aus, es ist so. Es ist ja jetzt schon schwierig in Deutschland abzutreiben und zu verhüten (und für mich immer ein ticken mehr), aber wenn die Mehrheit wieder konservativer fährt, dann wird es ganz unmöglich.
Ich möchte dann auf keinen Fall mehr leben, wenn man mir das Leben derart vermiesen will und ich mMn. allein nur den Wirtschaftsgewinn durch medikamentösen/pflegebedürftigen Erhalt meines Lebens und dessen Erweiterung durch meine wie auch immer verursachte Vermehrung steigern soll.
Meine Kinder würden sicher auch in irgend einer Form pflegebedürftig sein. Und mir macht es einfach Kummer, wenn ich daran denke, dass sie so leben müssen, vielleicht vor mir sterben, nach mir und mein Sterben mit ansehen müssen, dass sie altern und sterben werden. Ich komme mit dem Leben selbst nicht zurecht und soll gesetzlich noch Dritte dazu bringen – vielleicht kann einer nachvollziehen wie schmerzlich und ekelhaft ich das finde, vielleicht auch nicht?

Vielleicht ist das hier nicht die richtige Stelle dafür, aber ich wusste nicht wohin ich mich sonst damit wenden sollte. Ich bin bloss umgeben von Menschen die mir im Grunde nichts Gutes wollen und versuche mich so gut es geht mit diesen Zustand zu erhalten. Manchmal, so wie jetzt, ist das unerträglich. Um diese Unerträglichkeit zu lindern viel mir nichts besser ein als mich hier zu äussern.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

ich habe eine Weile gebraucht, um mir über deine Zuschrift Gedanken zu machen und zu überlegen, wie man die Sache am besten anfasst.

Zunächst einmal: Es ist zwar nicht zu leugnen - in unserem Nachbarland Polen wurde in der jüngsten Vergangenheit der Versuch unternommen, Abtreibungen ganz zu kriminalisieren. Und auch in Deutschland erwägt eine bestimmte Partei in ihrem Programm "gegebenenfalls (...) gesetzliche Korrekturen vorzunehmen, um einen effektiven Lebensschutz zu gewährleisten." Man kann also durchaus sagen, dass das Thema im Moment stärker besprochen wird, und dass Kräfte, die Abtreibungen ganz oder überwiegend ablehnen, sehr präsent sind. Dabei sollte man aber - wie ich finde - nicht versäumen, diese Dinge etwas im Zusammenhang zu sehen.

Die politische Rechte ist - wie jedes große Lager - in sich gespalten und tritt zum Teil auch mit widersprüchlichen Argumenten auf. Ein großer Streitpunkt auch für das rechte / konservative Feld sind Frauenrechte: Niemand würde von sich selbst sagen, er sei gegen die Gleichberechtigung von Frauen. Es ist unerheblich, wen du fragst - Nazis, christliche Fundamentalisten oder Islamisten. Alle sind nach ihrem eigenen Verständnis die größten Frauenrechtler, die jeweils anderen dagegen nicht. Religiöse Konservative sprechen gern davon, dass sie ja "nichts gegen Gleichberechtigung, aber gegen Gleichmacherei" hätten - oder ähnliche Formulierungen. Das bedeutet dann ungefähr so viel wie: Alle sollen prinzipiell alles dürfen, aber sie sollen nicht unbedingt lernen, dass auch alles gut für sie ist. Ob man etwas darf, und ob es einem tatsächlich möglich gemacht wird, ist natürlich auch nochmal eine andere Frage - aber darauf werden die Leute nicht von sich aus eingehen, denn das ist ihnen unangenehm. Gegen Frauenrechte, das sind immer nur die anderen: Die politische Rechte in Deutschland und anderen Ländern behauptet gerne, mehr für die Rechte muslimischer Frauen tun zu wollen. Es muss gefragt werden, ob ihre Ideen zur Familienpolitik, zur Kindererziehung und auch zu Flüchtlingen in diesem Sinne sind - aber das wird natürlich, wie alles Unangenehme und Widersprüchliche, unter den Tisch gekehrt. Dieselbe Rolle, die die Rechten im Westen spielen, spielen christliche Fundamentalisten in Afrika und die Islamisten in den muslimischen Ländern: Alle sind der Ansicht, "für die Rechte und die Würde der Frau" einzutreten, worunter sie verstehen, dass Frauen zwar vor direkter Gewalt geschützt sein, aber eben auch die Rolle leben sollen, die ihnen entweder durch Gott oder die Natur angeblich zugedacht ist. Und alle behaupten sie von sich, wesentlich fortschrittlicher und frauenfreundlicher zu sein, als die jeweils anderen. Die Christen sagen es von den Muslimen, die Muslime von den Christen, die Rechten sagen es wiederum über Muslime, und über die bösen Liberalen (wie mich oder dich) sagen es alle.

Du siehst also: Wir reden hier von einem Konflikt, der die ganze Welt betrifft. Und nichts, was irgendwo passiert, bleibt vom Rest der Welt unbeobachtet. Sich an den Entwicklungen anderswo zu messen, ist eine große Veränderung, verglichen mit der Zeit vor fünfzig oder hundert Jahren, als diese Themen zuletzt so massiv umkämpft waren wie heute: Ich denke nicht, dass die politische Rechte in Deutschland - sollte sie die Regierung übernehmen - sich beeilen würde, ihre Forderung nach Erschwerung von Abtreibungen umzusetzen. Das würde wahrscheinlich erst dann geschehen, wenn eine ganze Reihe von anderen Punkten abgearbeitet wäre. Ein wesentlicher Grund für den Aufstieg der Rechten ist das Thema der Flüchtlinge; du kannst davon ausgehen, dass sie sich nicht gerade beeilen würden, Forderungen umzusetzen, die damit gar nicht unmittelbar zu tun haben und die wesentlich unpopulärer sind. Wann das geschehen würde und wie alt du bis dahin bist und wie deine Einstellung zu dem Thema bis dahin aussieht, kann niemand sagen.

Insofern halte ich es für sinnvoll, dass du dir in Erinnerung rufst: Der Wunsch vieler Menschen nach einer anderen Familien- und Geburtenpolitik ist in der Tat EIN Grund für den Aufstieg der rechten Kräfte. Aber es ist - ich wage die Behauptung - nicht der ZENTRALE und erste Grund. Auch wenn es viele Leute gibt, die Abtreibungen kritisch sehen - und ich denke schon, dass es inzwischen wieder mehr sind -, würde sich die Rechte sehr angreifbar machen, wenn sie das Thema bald und offen ganz oben auf die Agenda setzen würde. Zu sehr steht vielen Menschen noch das Titelbild "Wir haben abgetrieben!" vor Augen - es ist allgemein anerkannt, dass wir hier von einem zentralen Thema der Frauenrechtsbewegung reden. Das in Frage zu stellen, dafür ist das rechte und konservative Lager derzeit nicht stark genug, und vor allem, auch in sich selbst zu uneinig. Denn - so wie es in Irland war, wie es in Osteuropa kommt, wie es in islamischen Ländern ist, so will man ja nicht sein. Dass rechte und konservative Politiker und Bewegungen sich selbst die Pflicht auferlegt haben, sich an Anderen messen zu müssen, ist eine große Schwäche. Denn sie bewegen sich immer zwischen ihrem Anspruch, die Frauenrechte sicherzustellen, dem Anspruch, nicht SO zu sein wie die, von denen sie so unterschiedlich wie nur möglich sein möchten - und dem anderen Anspruch, die Liberalisierung rückgängig zu machen.

Ich sehe das als ein wichtiges Kennzeichen unserer Zeit: Es gibt überall auf der Welt ähnliche Entwicklungen, was die politischen Inhalte betrifft, die sich aber gleichzeitig untereinander misstrauen und voneinander abgrenzen wollen. Wir haben nicht die geringste Ahnung, ob es einer rechten Regierung gelingen würde, ein entsprechendes Gesetz durchzubringen. Wir haben keine Ahnung, ob sie überhaupt jemals dahin kommen, es in den Raum zu stellen. Und schließlich - und das ist am wichtigsten - bedeutet die Einführung eines solchen Gesetzes ja nicht, dass es lange bestehen bleiben muss und nicht wieder kippen kann. Das würde voraussetzen, dass eine rechte Regierung auch die Abschaffung der Demokratie mit sich brächte. Bei allem Bauchweh, das auch ich über die derzeitige politische Lage habe, muss ich doch sagen: Wir sollten, finde ich, grundsätzlich davon ausgehen, dass das politische System bestehen bleibt. Ansonsten schließen wir uns nur dem Alarmismus der Rechten an. Damit wäre nichts gewonnen, denn die Ausbreitung konservativer Wertvorstellungen kann man dadurch nicht verhindern. Es hilft nur zu argumentieren und zu versuchen, eine vernünftige Politik anzuregen, die allen gerecht wird. Ob das gelingt, wissen wir nicht. Aber es ist den Versuch wert.

Und schließlich darfst du auch nicht vergessen: Sowohl in Polen, als auch sogar in der Türkei, ist es zuletzt gelungen, die entsprechenden Pläne vorläufig zu stoppen. Wir wissen nicht, wie das weitergeht, aber es zeigt, dass die Zivilgesellschaft in diesen Ländern noch immer stark ist. Daneben darf auch nicht übersehen werden, dass viele Forderungen der Rechten sich auch zu ihrem Nachteil auswirken könnten. Zum Beispiel wird mehr direkte Demokratie gewünscht - das ließe sich durchaus auch einsetzen, um Gesetze zu verhindern, die im Sinne einer (rechten) Regierung sind. Ich selbst bin kein unbedingter Freund von Kampfabstimmungen, aber vielleicht könnte eine radikale Regierung sogar den positiven Effekt haben, dass sie die Menschen zusammenbringt, denen der Erhalt der liberalen Gesellschaft ein Anliegen ist.

All das steht natürlich im Großen und Ganzen in den Sternen, liebe Anonyme. Es kann - das ist nicht zu leugnen - in diesem Moment oder im nächsten etwas passieren, dass die politische Situation von Grund auf ändert. Aber seien wir ehrlich - was können wir dagegen machen? Es bleibt uns in erster Linie, zu hoffen und uns fest vorzunehmen, nicht zu schweigen, wenn etwas geschieht, worüber wir nicht schweigen wollen. Abtreibungen sind ein sehr sensibles Thema, und ich denke, gerade deshalb haben viele Menschen eine Meinung dazu. Du kannst davon ausgehen, dass solche Veränderungen weder von jetzt auf gleich, noch einfach vonstatten gingen. Dafür müssten sich nicht nur die Zustimmungswerte der Rechten noch deutlich erhöhen, dafür muss sich vor allem das Denken in der Gesellschaft insgesamt verändern. Diese beiden Prozesse sind nicht gleichzusetzen: Vieles von dem, was man heute so zu hören kriegt, war vermutlich seit langem da, und hat jetzt eine Gelegenheit gefunden, sich ans Licht zu drängen. Dann soll und muss es so sein; das ist Demokratie. Aber was davon ein bloßes Aufplustern ist und was wirklich Substanz hat, kann man nicht immer sagen. Man kann auch nicht wissen, wie repräsentativ die Forderungen radikaler Lebensschützer wirklich für das Gesamte sind. (Am Rande bemerkt: An der internen Abstimmung über das Parteiprogramm, das ich erwähnte, hat sich nicht einmal ein Drittel der Mitglieder beteiligt. Das kann nicht unbedingt beruhigen, aber es spricht auch durchaus für sich. Ich deute das so, dass viele Menschen in erster Linie "dagegen" sein wollen; was genau sie sich eigentlich wünschen, darüber machen sich viele offenbar kaum Gedanken.)

Ich selbst habe in meiner Heimatstadt letztes Jahr mit einer an sich sehr netten Frau gesprochen, mit dem kleinen Randproblem, das sie... nun ja, eine Rechte ist. Ich gebe offen zu, dass ich sie aus dem Stand sofort auf das Thema Abtreibung angesprochen habe. Sie erzählte mir daraufhin, sie kenne eine Person, die bereits vier Abtreibungen hinter sich habe und die das - so behauptete sie jedenfalls - nicht weiter beschäftige. Offenbar hat sie das verstört, und in jedem Fall siehst du, dass viele Leute ihre politische Meinung in erster Linie aus ihrer eigenen, erlebten Wirklichkeit heraus basteln. Dass es auch andere Wirklichkeiten gibt, ist für viele schwer einzusehen - im Falle der Frau, von der ich gesprochen habe, wäre deine Wirklichkeit eine von denen, die sie nicht zur Kenntnis nimmt. Immerhin glaube ich, wenn du sie ihr schildern würdest, würde sie es verstehen. Ob sie sich dadurch würde umstimmen lassen, weiß ich nicht (und glaube es ehrlich gesagt, leider auch nicht). Aber nach meiner Erfahrung ist es immerhin so, dass die Fronten noch nicht so verhärtet sind, dass man nicht miteinander reden könnte, wenn man es versucht. Nicht immer - aber häufig. Ich versuche optimistisch zu sein, und den Menschen hinter einem politischen Bekenntnis zu sehen. Wie lange mir das noch gelingt, weiß ich nicht. Doch solange es geht, bin ich einigermaßen beruhigt. Und ich denke, auch du solltest nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern dir vor Augen führen, dass deine Angst zwar begründet ist, aber auf Voraussetzungen aufbaut, die derzeit noch nicht gegeben sind. Bei aller Sorge, die auch ich habe, finde ich es immer wichtig, nicht zu spekulieren. Denn: Es könnte ja auch jeden Augenblick etwas geschehen, das die Rechten so in Bedrängnis bringt, dass ihr Aufstieg in Frage steht. Wir wissen es ganz einfach nicht.

Was dein persönliches Handeln betrifft, vor allem die Frage, ob du Sex "riskieren" kannst: Ich habe keine wirkliche Vorstellung von den Kosten hormoneller Verhütung, und ich will mich hier deshalb nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Eine Folgefrage, die entsteht, ist natürlich, ob du vorhast, eine Beziehung einzugehen, oder ob du eher aus der Gelegenheit heraus Erfahrungen machen willst. Wenn du mit jemandem deine Sexualität auslebst, den du schon länger kennst und dem du vertraust, kannst du ihm deine Sorgen schildern und ihr könnt gemeinsam versuchen, eine Lösung zu finden - wenn hormonelle Verhütungsmittel wirklich über deinen Möglichkeiten liegen. Das löst aber das grundsätzliche Problem nicht, dass eine Schwangerschaft nie ganz unmöglich ist, nur mehr oder weniger wahrscheinlich.

An dieser Stelle frage ich persönlich mich allerdings, ob du wirklich ausschließlich davor Angst hast, schwanger zu werden - oder ob deine Angst nicht auch dem Gedanken gilt, eine Abtreibung vornehmen lassen zu müssen? Denn selbst wenn du sie legal durchführen kannst, wäre es doch mit Sicherheit ein traumatisches Erlebnis, daran ist nicht zu rütteln. Du entwickelst dabei aber deine Gedanken immer vom absolut schlimmsten Fall aus, denn vor der Abtreibung steht als Option immer noch die Pille danach. Für das, was du befürchtest, müssten nicht nur die Illegalität von Abtreibung, sondern auch die der Pille danach eintreten, zusätzlich der Fall, dass du eine Schwangerschaft erst entdeckst, wenn nur noch ein Abbruch helfen würde. Das ist alles im Moment noch überhaupt nicht abzusehen. Einstweilen empfiehlt es sich, auf jeden Fall ein Kondom zu verwenden - und auch die natürliche Verhütungsmethode, wenn sie auch umstritten ist, kann für dich eine gewisse zusätzliche Sicherheit schaffen. Ich habe bei deinem Text den Eindruck, dass dich unheimlich viele Dinge beschäftigen; aber am Ende geht es um das Thema Schwangerschaft, dass dir als großer, bedrohlicher Schrecken vor Augen steht. Ich glaube allerdings nicht, dass man einen Schwangerschaftsabbruch unterschätzen darf - in seinen physischen wie psychischen Auswirkungen.

Die Angst, die andere Frauen als Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft erleben, erlebst du als Angst, diese nicht abbrechen zu dürfen - beide Szenarien sind sehr drastisch und mit Verhütung ganz gut auszuschließen. Wichtig ist, dass du darin konsequent bist - und das auch konsequent von dem Mann oder Männern einforderst, mit dem du zusammenkommst. Verhütung ist nicht allein deine Aufgabe als Frau, auch wir Männer sollten ständig mitdenken und mitempfinden, denn eine Schwangerschaft geht uns genauso an, setzt uns genauso in die Verantwortung. Mach dich daher frei von dem Gedanken, dass du allein verantwortlich wärst - es ist eine gemeinsame Aufgabe, eine Lösung zu finden. Und - auch wenn es schwer fällt - hundertprozentige Lösungen gibt es leider nicht, nur kleinere und größere Risiken.

Im Augenblick vermeidest du noch, die Sexualität zu entdecken, aus Angst vor den Folgen. Wenn du dich aber erst einmal darauf einlässt, wirst du auch klarer sehen, weil dann da ein Gesicht ist, ein Mensch, mit dem du Erfahrungen machen möchtest, und dem du zeigen kannst, was in dir vorgeht. Wenn du es nicht kannst oder dich nicht traust, dann weißt du dadurch auch, dass ER nicht der Richtige für dich ist. Deine Bedenken sind nachvollziehbar, sie werden leider auch nicht von heute auf morgen verschwinden, und es wäre deshalb in deinem Sinne, wenn du erst abwartest, bis eine Kommunikationsbasis besteht. Bis du mitteilen kannst, was du fühlst und was dich ängstigt, und jemand dir selbst versichern kann, dass er im Fall eines Falles für dich da wäre. Diese Vertrautheit kann dir schon viel von deiner Angst nehmen - um sie zu erreichen, musst du dir aber erlauben, nicht alles zu überstürzen, sondern erst behutsam die Liebe und Begierde wachsen zu lassen, und dein Gegenüber zu prüfen. Wenn du weißt, mit wem du dieses Risiko eingehst, kann es dir schon leichter fallen - denn, wenn wir ehrlich sind, würden deine Ängste wahrscheinlich auch bei der stärkstmöglichen Verhütung nicht völlig verschwinden. Zumindest zurzeit nicht. Doch du kannst daran arbeiten.

Dazu gehört auch, dass du versuchst, nicht allzu weit in die Zukunft zu denken. Du überlegst sehr verantwortungsvoll und willst um jeden Preis verhindern, ein Kind zu bekommen, das vielleicht ein unglückliches Leben führen könnte. Aber auch das ist ein Risiko, das immer besteht. Und solltest du je einen Kinderwunsch verspüren, sehe ich keinen Grund, warum du ihn nicht erfüllen solltest. Du wärst als die sensible, einfühlsame und nachdenkliche Frau, die du bist, mit Sicherheit eine Mutter, die viele Gefahren unschädlich machen könnte. Jedenfalls mehr, als einem jeden Kind allein dadurch entstehen, dass es zur Welt kommt. Doch das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, dass du die Zukunft auf dich zukommen lässt, und mit Freude und Interesse an das Thema Sexualität herangehst.

Ich gebe dir daher in erster Linie den Rat: Rechne nicht mit dem Schlimmsten - sondern rechne damit, dass die Liebe und die Sexualität für dich ein Glück sind. Nur wenn du grundsätzlich deiner Lust nachgehst, kannst du sie genießen, und nur wenn du sie genießt, kannst du sie selbstbewusst leben. Nur wenn du sie selbstbewusst leben, kannst du auch zuversichtlich und selbstbewusst über das Thema Familie, Schwangerschaft und - womit wir nicht rechnen wollen - Abtreibung. Die Zukunft kannst du nicht ändern, wenn sie eintritt; aber du kannst selbstbewusst mir ihr umgehen. Und das ist deine Aufgabe, und sie kann dir gelingen. Ich vertraue fest auf dich.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul