Problem von Sandra - 23 Jahre

Mutprobe bzw. Veranstaltung

Ich fang einfach mal an. Ich heiße Sandra und bin 23 Jahre alt. Ich arbeite in einer kleinen firma. Da sind zwei azubis, thomas und alex mit denen ich mich sehr verstehe. Thomas ist sogar einer meiner besten freunde.
Wir sind vor ca. 2-3 monaten in eine disco/club gegangen die alle 2 monate eine veranstaltung machen. Hab dabon gehört aber habs noch nie gesehen. Da können frauen im vorfeld sich anmelden für einen catfight nennen die das. Das sind im prinzip zwei frauen die sich prügeln unter bestimmten regeln.
Sind da hin und an dem abend waren 4 kämpfe. Ich hab am anfang gedacht das ist mehr show aber da gehts richtig zur sachen. Die frauen treten da in unterwäsche an und sie kämpfen wirklich. Haareziehen, kratzen, sogar intimzone angreifen und man darf auch die unterwäsche wegreißen, nur keine schläge und tritte das man keine verletzungen kriegt. Als ich das gesehen hab umd die ganzen leute feuerten die an. War richtig angespannte stimmung aner sowas hab ich auch noch nie gesehen.
Thomas und alex waren total begeistert und sagten auch das ne menge mit gehört da mit zumachen und für die meisten ist es wie eine mutprobe vorallem vor den freunden.
Die fragten auch ob ich dazu fähig sei. Ich hab halt gesagt ja und das ich mich davor nicht scheue und hab eben bisschen auf cool gemahcht.
Naja sind dann heim und ging am kommenden montag in die arbeit.
Die kamen auch gleich in der früh auf mich zu und legten die anmeldung auf den tisch und grinsten. Die meinten nur hier kannst dich ja anmelden wenn du magst. Ich war erstmal baff.
Haben dann die nächsten tage darüber geredet und allgemein darüber wenn zwei frauen kämpfen.
Die haben auch immer wieder gestichelt und bin auch keine die gern nachgibt.
Irgendwann sagte ich ja, ich mach mit.
Ich wollts mir auch irgendwie selber beweisen aber doch einfacj zeigen das icj mich nicht scheue. Ich war schonmal bunjeejumping oder fallschirmspringen für den adrenalinkick aber das kann man nicht vergleichen.

Ich weiß nicht ob ich dann von dem abend erzählen soll? Im prinzip bin ich da aufgetreten umd hab gegen eine 19 jährige gekämpft.
Es war der bitterste abend in meinem leben. Hab verloren und bis zu den tränen gekämpft.

Ichwollte jetzt einfach dampf ablassen und brauche jemanden zum reden.

Lieben gruß und danke fürs zuhören
Sandra

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Sandra,

ich musste leider etwas Zeit vergehen lassen, um über deinen Text nachzudenken. Was du erlebt hast, wünscht man niemandem.

Dein Schmerz und deine Scham sind absolut verständlich. Mach dir aber klar: Wenn es überhaupt jemanden gibt, dem man hier etwas vorwerfen muss, dann sind es ja wohl deine beiden Kollegen. Sie haben dich überredet, dich in eine würdelose Situation zu begeben. Schlimmer noch: Sie wollten sehen, wie du dich entwürdigst. Das hat mit Freundschaft nichts zu tun, das dient auch nicht dazu, irgendwelche Bande zu festigen; das Einzige, was sie damit gezeigt haben, ist ihre eigene Feigheit und ihr offensichtlicher Wunsch, Macht über dich auszuüben. Es ist ekelhaft, dass es Menschen gibt, die jemanden, die sie als "Freundin" bezeichnen, zu so etwas drängen.

Du hast dir nichts vorzuwerfen, Sandra. Du hast eine Erfahrung gemacht, die so entsetzlich war - du wolltest dadurch eine positive Bestätigung erhalten, bekommen hast du aber das Gegenteil. Doch immerhin, man muss es sagen: Du warst mutig. Du warst so mutig, etwas zu tun, was du eigentlich nicht wolltest. Du warst so mutig, dich ihrem Spott auszusetzen. Natürlich, du hattest keine Wahl. Aber im Endeffekt hast du damit nur die Bestätigung erhalten, was wirklich los ist. Sie wollen dich nicht zur Freundin - das einzig Schlimme ist, dass du das nicht gesehen hast. Was danach passiert ist: Nun, es ist geschehen, keine Macht der Welt macht es rückgängig. Welchen Sinn hat es, noch davon zu reden? Viel wichtiger ist doch, was du jetzt daraus machst.

Reden wir nicht über das, was du besser vermieden hättest. Reden wir doch über die, dein Vertrauen ausgenutzt haben. Reden wir über die, die dir eingeredet haben, dich zu entwürdigen, zu entmenschlichen, wäre etwas, das man getan haben müsse, das man sich trauen müsse. Sie haben sich widerwärtig verhalten - sie wollten nichts weiter sehen, als das du tust, was sie von dir wollen. Bis zum Äußersten. Das ist keine Freundschaft, kein jugendliches Austesten - das ist pure Machtgier und Freude über das Leid und den Schmerz anderer Menschen. Scheue dich nicht, ihnen zu sagen: "Ich habe euch vertraut. Das ist der einzige Fehler, den ich gemacht habe, dass ich zweien vertraut habe, die es nicht ein bisschen verdienen." Du kannst es nicht rückgängig machen, aber du hast es in der Hand, nicht von jetzt an dein Gesicht zu senken - also nicht das zu tun, was sie von dir wollen.

Denn ganz genau das wollen sie ja: Dass du beschämt bist. Dass du dir selbst die Schuld gibst. Dass dieses Erlebnis in dir rumort, immer und immer weiter, bis deine Scham und dein Schuldgefühl so groß werden, dass du es nicht mehr aushältst und dich zur nächsten Aktion, die sie für dich aussuchen, überreden lässt - nur um dich selbst von diesem Gefühl der Machtlosigkeit zu erlösen. Oder du dir selbst etwas ausdenkst, dich entwürdigst, in der verzweifelten Hoffnung, dass alles wieder wird wie vorher. Das wird es nicht werden, Sandra - es kann nur besser werden. Wenn du dich nicht vergräbst, sondern dazu stehst, dass du zwei Leuten vertraut hast, die es nicht wert waren. Wenn du tust, was wirklichen Mut unter Beweis stellt: Nämlich jedem zu sagen: "Ja, es war so. Und mehr gibt es nicht zu sagen. Denkt, was ihr wollt. Ich bin immer noch ein Mensch, und ein vielfach besserer als DIE."

Stehe zu dir, Sandra - die Welt dreht sich weiter. Es tut mir wirklich sehr leid, was du durchmachen musst, doch du kannst nur deinen Frieden machen, wenn du dich von jetzt an nie mehr einschüchtern lässt. Dazu gehört, dass du niemals den Blick senkst, niemals Ausreden benutzt oder versuchst, alles wieder einzurenken: Es braucht nichts eingerenkt zu werden, weil du mit Idioten nicht befreundet zu sein brauchst. Ganz egal, wie nett sie vorher waren. Was zur Jugend dazu gehört, ist, Fehler zu machen. Du hast einen Fehler gemacht - den Falschen zu vertrauen -, doch was daraus entstanden ist, ist jetzt egal. Du bist immer noch du, mit all deinen Zügen, deiner Persönlichkeit, deinen Vorlieben und Ablieben, deinen Stärken und Schwächen, deinen Wünschen und Zielen und Plänen und Träumen. Fordere von jedem ein, dass er dich als Person sieht, als jemanden, der ein Streicheln braucht und echte Kameradschaft, keine billige und eklige Unterhaltung auf deine Kosten. Wer so etwas will, dessen Meinung ist nicht interessant. Genauso wenig wie die derjenigen, die sich im Nachhinein darüber lustig machen. Kümmere dich nicht um sie, sie sind zu bemitleiden, die armen Schweine.

Lass nicht zu, dass sie aus dir ein ES machen. Lass nicht zu, dass du dich selbst so siehst wie das, was du im Ring für sie sein solltest: Ein entwürdigtes Etwas, dem man etwas eingeredet hat, und dessen Tränen nicht mehr wichtig sind. Sie sind wichtig. Du brauchst Verständnis, keinen Spott, und das darfst du rücksichtslos einfordern. Erwarte von jedem, dass er dich als Person sieht, als nichts Anderes. Erwarte von jedem, dass er ausblendet, was war - niemand hat das Recht, dich darauf festzulegen. Genau das wollten die zwei: Dass du die Macht über deine Persönlichkeit aufgibst, dass du dich zu einem Objekt degradierst, das steuerbar ist. Und dem gelten ihre billigen Witze. Lass dich nicht durch sie beugen. Du bist dieselbe wie zuvor, und du hast jetzt etwas gelernt. Sie nicht.

Nimm dir fest vor, ihrem Blick zu begegnen. Nimm dir fest vor, jede sarkastische Anspielung mit einem "Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid?" zu beantworten. Nimm dir fest vor, auf jedes "Du wolltest es doch selbst!" nur mit einem "Ich habe euch vertraut!" zu antworten - nicht mehr und nicht weniger. Du musst dich NICHT erklären. Du musst dich NICHT rechtfertigen. Jeder denkende Mensch weiß, wie so etwas kommen kann, und wie entwürdigend es ist. Jeder, der seine Stärke aus der Schwäche anderer bezieht, und das in Frage stellen will, zählt gar nicht. Lass dir nichts gefallen - nur so entkommst du der drohenden Spirale aus Provokation und unüberlegtem Handeln, in die sie dich drängen wollen. Lass die Scham nicht weiter anwachsen, ehe du irgendwann wieder etwas Unbedachtes tust. Dann gibst du ihnen Macht, und die wollen sie. Behalte die Macht über dich in der Hand, stehe zu dir - du bist es wert. Du bist kein ES, du bist eine Persönlichkeit. Es ist egal, dass sie dich nicht als solche sehen - du hast verdient, dass niemand aus dir ein ES macht. Und du wirst gewiss nie wieder etwas tun, das dazu führt. Das ist dein Gewinn, und das sollte dich von jetzt an begleiten. Dann kannst du alles erreichen. Wenn du zu dir stehst und deinen Stolz wahrst, wird niemand dich je wieder ernsthaft verletzen können. Und das wünsche ich dir von Herzen.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul