Problem von Anonym - 17 Jahre

Angekündigter Selbstmord meiner Mutter

Hallo, ich habe hier vor Wochen schon einmal meine Sorgen aufgeschrieben und wirklich gute Antworten bekommen, für die ich mich noch einmal herzlich bedanken möchte.

Meine Mutter hat mir vor Kurzem gesagt, dass sie es in Erwägung zieht, Selbstmord zu begehen, sobald ich achtzehn bin, weil sie dann keine Verantwortung mehr für mich hat, sie müsste nur noch ein Jahr durchhalten. Sie hat es ernst gemeint und es nicht nur so dahergesagt, die Gründe sind ihre gesundheitlichen Probleme. Ich kann es nicht fassen und bin so traurig, geschockt und wütend und frage mich, ob sie mich überhaupt jemals geliebt hat oder ich nur eine Last bin, nur eine Aufgabe, für die sie verantwortlich ist. Diese ganzen Erinnerungen sind plötzlich nicht mehr schön, weil ich nun weiß, dass ich ihr nichts bedeute. Es klingt egoistisch, aber ich frage mich, wie sie mir nur so etwas antun kann. Manchmal möchte ich morgens schon nicht mehr aufwachen, weil ich immer allein gelassen werde. Ich verstehe es einfach nicht, ich dachte immer, dass sie auch noch da sein wird, wenn ich erwachsen bin, dass sie auf meiner Hochzeit ist, falls ich heiraten werde. Aber nun weiß ich, dass sie nicht da sein wird. Natürlich könnte ich mich jetzt an der Hoffnung festhalten, dass sie ihre Meinung noch einmal ändern wird, aber ich weiß, dass sie ihre Entscheidung getroffen hat. Ich weine jeden Tag und ich rede seitdem auch gar nicht mehr mit ihr. Ich weiß, dass ich mehr Verständnis aufbringen und nicht so egoistisch denken sollte, aber das kann ich einfach nicht.

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Ich freue mich, dass du dich wieder vertrauensvoll an uns wendest. Nun habe ich auch eine Weile über dein Problem nachgedacht und bin zu mehreren Schlüssen gekommen. Mir ist allerdings nicht klar, ob sie wirklich schon einen festen Entschluss gefasst hat oder es bisher nur eine Idee war (du schreibst einmal von Erwägung und einmal fester Entschluss). Egal was davon zutrifft, darfst du dich nicht in deinen Schmerz zurückziehen! Deine Mutter hat eine große Verantwortung, der sie nun in besonderem Maße gerecht werden muss. Denn erstens bist du ihre Tochter und zweitens ist es für keinen Menschen, egal wie alt er ist, leicht, den angekündigten Selbstmord oder auch nur die Option des Suizids zu ertragen.
Zudem ist es auch wichtig, dass du dich nicht innerlich vor Enttäuschung und Zweifel überschlägst und dadurch zulässt, dass all das Kraftvolle, Schöne und von Liebe geprägte in dir angetastet wird. Egal was deine Mutter auch tun mag - sie tut es nicht, um dich zu verletzen. Davon bin ich fest überzeugt. Sie liebt dich, auch wenn du denkst, sie tut es nicht. Sie hat durch ihre Erkrankung Gefühle und Gedanken, die du vielleicht niemals erfahren oder verstehen können wirst. Doch das ändert nichts daran, dass du für immer in ihr sein wirst und sie in dir. Im Guten.

Suizid ist ein sehr schweres Thema. Und auch ein sehr persönliches. Ich möchte ihre Erwägungen nicht pauschal verurteilen, weil sie ihre Gründe haben mag, auf diese Idee zu kommen. Doch geht es vor allem darum, was das mit dir macht.

Vielleicht hat deine Mutter es gut gemeint, dass sie es jetzt ankündigt. Vielleicht dachte sie sich, dass du dann ein Jahr Zeit hast, um dich darauf vorzubereiten, dass sie dann nicht mehr lebt. Allerdings ist ihr die Tragweite vermutlich nicht bewusst, wieviel Schmerz sie dadurch in dir hervorruft. Hast du ihr schon mal gesagt, dass dich das extrem aus der Bahn wirft und alles bisher Gewesene in Frage stellt - auch sie als Person?
Ich würde an deiner Stelle rasch mit ihr das Gespräch suchen und den Kummer nicht verstecken. Sie muss damit konfrontiert werden, was sie in dir auslöst. Dabei kannst du folgende Fragen stellen:
- Will sie wirklich diese letzte - für dich negative - Erinnerung in dir wecken? Oder will sie von dir liebevoll erinnert werden (dann sollte sie versuchen, einen weniger harten Weg bzw. Umgang mit dir zu finden)
- Was bedeutet Muttersein generell für sie? Man ist nicht nur bis zum 18. Lebensjahr des Kindes Mutter oder Vater. Es ist eine lebenslange Verbindung und Verantwortung. Wenn sie sich für den Suizid entscheidet, muss ihr klar sein, dass sie eure Bindung gewaltsam trennt und dir das Leben dadurch erschwert. Zeige ihr auf, dass du gerne um sie trauern möchtest, ohne dabei Wut, Angst und Unverständnis zu fühlen.
- Was genau ist ihr Motiv, Selbstmord zu begehen? (an dieser Stelle kann es sein, dass sie dir nicht antworten kann oder will. Es gibt immer Dinge, die sehr persönlich sind, auch zu persönlich für die eigenen Kinder. Doch sollte sie diese Frage hören und sich damit für sich auseinandersetzen).

Ich rate dir außerdem, neben einem ersten konfrontativen Gespräch - das wahrscheinlich nicht sofort zu einer befriedigenden Lösung für euch beide führen kann - weiter mit ihr im Gespräch zu bleiben und nicht lockerlassen mit der Frage nach dem Warum. Scheue dich nicht davor, andere Menschen mit einzubeziehen, wenn du allein überfordert und von Trauer überflutet bist.

Einen sehr wichtigen Punkt in dem Ganzen finde ich außerdem, wie es ihr grundsätzlich geht, abgesehen von ihrer Erkrankung? Hat sich wirklich alles durch die Krankheit zum Negativen verändert - oder war sie psychisch vorher auch schon angeschlagen? Dann wäre eine Psychotherapie hilfreich. Denn im extremen Fall nimmt sie ihren gesundheitlichen Zustand verzerrt wahr oder verwechselt ihre seelischen Nöte mit dem körperlichen: Dass sie eigentlich in erster Linie psychisch krank ist und der Selbstmordwunsch daher rührt.

Ich weiß nicht, in welchem Gesundheitszustand sie sich konkret befindet. Es gibt sehr viele Möglichkeiten. Ich frage mich, ob sich nicht andere Auswege finden lassen:
- andere Ärzt:innen konsultieren; Spezialbehandlung, Spezialklinik (ggf. Kosten für teurere Behandlung zusammenbringen)
- alternative Heilmethoden ausprobieren
- Kur und Reha

Für den Fall, dass sie tatsächlich unheilbar krank ist, dieses Schicksal besiegelt ist und sie nur noch eine überschaubare Zeit zu leben hat, wäre eine Sterbebegleitung in einem Hospiz eine gute Variante, um euch den Selbstmord zu ersparen. Hospiz als würdige Begleitung in den Tod, um in Ruhe vom Leben und von ihren Lieben Abschied nehmen zu können. In Hospizen arbeiten speziell ausgebildete Personen, die auf sanfte und verständnisvolle Weise für die Sterbenden da sind. Auch für dich wäre das eine Entlastung und Erleichterung. Gespräche mit den Angehörigen, also auch mit dir, würden dazugehören und helfen, den Schock zu verarbeiten und sich innerlich langsam auf den Tod des geliebten Menschen vorzubereiten.

Wie es auch geartet ist: Ich appelliere an dich, dir Hilfe von außen zu holen. Entweder Familienangehörige, Freund:innen, Sozialarbeiter:innen, Menschen in einer Beratungsstelle. Du wirst gerade unfreiwillig in eine Krise gestürzt, die dich nur überfordern kann. Dieser Zustand ist absolut ungesund und inakzeptabel. Wenn du dich wieder sehr allein gelassen und hilflos fühlst, empfehle ich dir Tagebuchschreiben.

Ich wünsche dir, dass du aus dir selbst viel Kraft entwickelst, um diese schwere Zeit zu meistern. Ich glaube, du schaffst das. Gib dich bitte nicht auf - und gib deine Mutter nicht auf.

Alles Liebe!
Nuala