Problem von Anonym - 24 Jahre

Lesbisch, kann und will es aber eigentlich nicht sein

Hallo,

Ich han zurzeit echt ein Problem.. ich habe seit kurzem einen Freund und eigentlich ist er genau dad was ich immer gesucht habe. Nur habe ich überhaupt keine Lust ihn zu küssen oder sonst auf was.

Zuerst einmal, warum habe ich einen Freund? Naja weil ich einmal meine eigenen Kinder haben möchte, ein Haus bauen möchte und des ganzwn typen Kram ... aber genau das will ich eigentlich.

Was aber das Problem ist, ich hab mich schon als Kind eher zu Frauen hingezogen gefühlt. Und jedes Mal wo ich mit einem Mann zusammen bin habe ich das große Bedürfnis eine Frau kennenzulernen und mit ihr das alles zu machen. Ich hatte schon einmal etwas mit einer Frau, das habe ich aber geheim gehalten und selbst beendet, weils ja in meinem Kopf nicht sein soll... auch wenn die Zeit noch so. schön war..

Aber ich möchte mich weder outen noch möchte ich irgendwann mal Kinder adoptieren weils ja anders nicht geht.

Jetzt weiß ich absolut nicht was ich tun sollte... Einerseits wär da der Mann der genau das beschreibt was ich immer gewollt habe... andereseits bin ich nicht wirklich glücklich, hab keine Schmetterlinge im Bauch oder auch nur annährend verliebt...

Danke schon einmal im Voraus für die Hilfe!! Liebe Grüße

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

seien wir mal ehrlich: Willst du das wirklich? Dich dein Leben lang dazu zwingen, gegen deine sexuelle Orientierung zu leben, mit einem Mann, den du nicht lieben und nicht begehren kannst? Wie willst du, wenn du - was die einzig logische Folge sein wird - stets belastet, voller Zweifel und unerfüllter Sehnsucht sein wirst, eine fürsorgliche Mutter für eure gemeinsamen Kinder sein können? Ist es nicht wahrscheinlich, dass du dieselbe Zerrissenheit und Unzufriedenheit, die du jetzt in deiner Beziehung fühlst, auch an sie weitergeben wirst? Ich glaube nicht, dass du dich an uns gewendet hättest, wenn du das wirklich für eine realistische Option halten würdest. Das ist es nicht.

Du hast das Glück, in einer (weitgehend) liberalen Gesellschaft und Zeit zu leben. Um Himmels Willen, nutze das aus, bevor es sich womöglich in der Zukunft ändert! Du kannst als lesbische Frau nicht nur künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen (könntest du zur Not auch als Alleinstehende), sondern du weißt ja auch nicht, ob deine zukünftige Partnerin nicht Kinder mit in eure Beziehung bringen wird. Noch hast du Gelegenheit, dich für ein Leben ohne Kompromisse zu entscheiden. Wenn du einmal mit einem Mann eine Familie gegründet hast, wird das nicht mehr der Fall sein.

Möglicherweise ist es für dich wichtig, dass das Kind, dem du deine Liebe geben willst, tatsächlich gezeugt wird - nicht nur in einem sterilen Umfeld die Schwangerschaft herbeigeführt. Und es stimmt ja: Eine Adoption oder künstliche Befruchtung sind beides wenig romantische Dinge, und das Kind oder die Kinder sind zwar aus einer liebevollen Entscheidung zu dir gekommen, aber nicht aus gemeinsamer Liebe entstanden. Dass diese Aussicht dich erschreckt und du sie zurückweist, kann ich nachvollziehen. Letztendlich kannst du aber nur von den Fakten ausgehen, die du nicht änderst: Und das ist nun einmal, dass du lesbisch bist und immer nur Frauen wirst lieben können. Daran ist nichts Schlechtes, nicht das Geringste. Der eigentliche Leidensdruck, den du hast, entsteht dadurch, dass du deine sexuelle Orientierung zurückweist. Wenn du erst einmal mit einer Person zusammen bist, die du wirklich von Herzen liebst, wirst du auch mehr Freude an und mehr Bereitschaft zu einer genauen Zukunftsplanung haben; und dann stellen diese (jetzt so beängstigenden) Dinge sich vielleicht schon ganz anders dar. Wichtig ist, du musst es dich trauen. Ob du den Menschen triffst, mit dem du eine Familie gründen willst, kannst du heute noch nicht wissen; du weißt nicht, wann, du weißt nicht, wer diejenige sein wird und was dann für Herausforderungen auf euch zukommen. Entscheidend ist aber doch: Dein jetziger Freund ist es nicht. Und da du das genau weißt (er ist nicht der Mann, mit dem du dein Leben verbringen willst), ist es auch nicht sinnvoll, diese Beziehung zu erhalten.

Um es genau zu sagen, ist es sogar unmoralisch, das zu tun: Möchtest du dir wirklich aufs Gewissen laden, Jahrzehnte lang - vielleicht dein ganzes Leben! - mit einem Mann zu verbringen, den du nicht liebst? Glaubst du wirklich, das vor ihm verbergen zu können? Und wenn er es herausfindet, welche Auswirkungen wird das auf euch haben - und erst recht auf eure Kinder, wenn ihr sie zu diesem Zeitpunkt haben solltet? Ganz davon abgesehen, dass es nicht richtig ist, einem Menschen vorzuspielen, dass man ihn liebt, wird dein Freund dich auch niemals richtig befriedigen können, und wenn er es noch so sehr versucht. Beides - deine Liebe zu erhalten und deine sexuelle Zufriedenheit - wird er aber versuchen, wenn er dich wirklich liebt. Es ist niemals leicht und niemals angenehm, sich zu trennen. Es kann sogar sein, dass es den Teil, der sich trennt (in diesem Falle du) ebenso sehr belastet, ja sogar mehr, als den Teil, der verlassen wird. Damit du Klarheit gewinnst, was du mit deinem Leben beginnen möchtest, musst du aber diesen Schritt tun. Warte lieber nicht ab, bis dein Freund es irgendwann von sich aus merkt, und dich verlässt. Das wird zwar früher oder später wahrscheinlich passieren, aber es wird euch beide mehr belasten und verunsichern, als wenn du dich jetzt traust.

Das Outing ist ein Schritt, über den du zu einem späteren Zeitpunkt noch entscheiden kannst. Vielleicht willst du ihn auch erst dann tun, wenn du die Frau gefunden hast, die du so sehr liebst, dass du unbedingt zu ihr stehen möchtest. Unter den jetzigen Umständen - wo du noch in einer Beziehung gebunden bist, die dich nicht erfüllt, und dich selbst noch nicht richtig zu deinen Gefühlen bekennen kannst - wäre ein Outing vielleicht übereilt. Tatsache bleibt aber, wenn du es nicht irgendwann wagst, wirst du daran zerbrechen - oder zumindest ein sehr unzufriedenes Leben führen. Aus diesem Grund gehst du letztlich den sichereren Weg, wenn du das tust, was deine Gefühle dir tatsächlich vorgeben; auch, wenn du im Moment noch damit hadern magst.

So schwer es auch ist: Du änderst die Dinge nicht. Du fühlst dich zu Frauen hingezogen, dann soll es so sein. Viele Menschen auf der ganzen Welt würden ohne Zweifel ihr rechtes Ohr geben wollen, wenn sie dazu stehen dürften, so wie du es darfst. Natürlich ist es trotzdem verständlich, wenn du dich im Augenblick nicht so recht damit abfinden kannst. Dann solltest du dir die Zeit geben, die du dafür brauchst. Doch solltest du sie nutzen, um dich mit dem, wonach du innerlich verlangst, auseinanderzusetzen, und es nicht immer weiter von dir zu schieben - so wie du es jetzt gerade tust. Viele Frauen entdecken ihre sexuelle Orientierung zu Frauen erst sehr spät im Leben, da man sie zu sehr mit einem Familienideal eingeengt hat, das sie erfüllen zu müssen glaubten; dir ist das Geschenk gegeben, schon jetzt im Grunde zu wissen, was dich glücklich macht. Weise dieses Geschenk nicht zurück, sondern lerne es auszukosten - so wirst du irgendwann auch dazu stehen können.

Ich wünsche dir, dass du einen Weg findest, dich mit deinem Herzen zu einigen, und deine Pläne verfolgen kannst, ohne Kompromisse zu machen. Denn an einer Person darfst du ganz einfach keine Kompromisse machen - bei dir selbst. Dadurch würde alles, was du sonst unternimmst, nur ohne Ende erschwert und vielleicht sogar unmöglich. Und das wäre das Gegenteil von dem, was du anstrebst.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul