Problem von Anonym - 15 Jahre

Meine Familie gerät aus den Fugen..

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

ich bin derzeit 15 Jahre alt und lebe mit meinen Eltern und meiner kleinen Schwester zusammen. Es ist manchmal etwas schwierig und da ich mich als Teenanger mit so etwas nicht wirklich auseinandersetzen kann, probier ich es mal hier... in der Hoffnung, dass es was bringt.

Meine Eltern sind schon lange verheiratet und haben zehn Jahre Altersunterschied. Schon bei der Geburt von mir, hat mein Vater meiner Mutter versprochen mit dem Rauchen aufzuhören. Das war 2003. Bis jetzt hat sich nichts geändert.

Es gibt immer wieder Streitigkeiten zuhause und ich bin ehrlich - man kann beide Parteien verstehen und egal wie lange dieses gegenseitige Anschreien geht - es ändert nichts. Meist werden nur Versprechen gemacht, die nicht eingehalten werden. Sie können sich einfach nie einigen.

Es gibt zwei Sachen die dem entgegenstehen. Die Zeit und die Art meiner Mutter - und das Rauch & Alkoholproblem meines Vaters.

Meine Mutter arbeitet meist lange und ist danach in Geschäften unterwegs, da sie nebenbei auch Sachen verkauft, womit sie gut Geld macht. Aber was ist all das Geld wert, wenn keine Zeit mehr vorhanden ist? Ist Zeit nicht das kostbarste Gut dieser Welt? Besonders mit der Familie? Ist es nicht traurig, dass man nur an Weihnachten so wirklich zusammen ist? Einmal im Jahr?
Sie ist wie gesagt meist erst abends da - die meisten Kinder können in meinem Alter kochen oder Sachen bügeln.
Mir wurde sowas nie beigebracht.. ich vermisse meine Mutter.
Es ist so, als wäre sie für zehn Minuten, sagt hallo und das wars. Danach ist sie natürlich müde oder packt ihre neuen Pakete ein.
Mein Vater ist derjenige, der die Sachen, die sie verkauft hat, verschicken muss. Er läuft wie ein Bekloppter jeden Wochentag mit mehreren Päckchen von einer Filiale zur nächsten.
Er bemüht sich das aufrechtzuerhalten und für seine Kinder da zu sein. Aber ich will ihn dadurch nicht super gut reden.

Er raucht wie gesagt schon etliche Jahre und meint, er wäre dafür verantwortlich und er würde eh irgendwann sterben. Ich meine, klar Papa - das stimmt, aber ist dir nicht bewusst wieviel Nikotin rumfliegt wenn du vom Balkon kommst? Wieviel schadest du dabei deiner Familie?
Immer wenn man ihn darauf anspricht kommt nur „Das ist mein Leben, bring mir nicht bei es zu leben. Wenn ich aufhören will, hör ich auf.“ Ich glaube nach all den Jahren, wo sich der Körper dran gewöhnt hat, wird es schwer..
Dazu kommt noch sein Alkoholkonsum. Er trinkt meist abends in der Küche, wenn es keiner sieht und tut so, als hätte er es nicht. Manchmal fährt er sogar betrunken sein Auto.. dementsprechend ist meine Mutter wütend, weint fast und schreit ihn an. Sie meint, dass er es nicht einsehen würde, dass sie denkt, er sei ein Alkoholiker und dass es nicht richtlg ist, betrunken zu fahren. Sie meint, dass sie es auch ohne ihn Nachhause mit dem Bus geschafft hätten.

Mein Vater geht darauf weniger ein; er verspricht zwar er trinkt nicht mehr wenn er fährt - aber - wird er morgens überhaupt noch von diesem Versprechen etwas wissen?
Er meint, dass seine Frau ihn belastet und dass er es traurig findet, dass seine Kinder keine Mutter haben.
Ich vermute mal, dass das ein Grund ist für seinen Konsum, aber auch, dass er einfach ohne nicht mehr kann... was ich schrecklich finde.

In einer Familie sollte es keine Geheimnisse geben, es sollten Unklarheiten geklärt werden, es sollte Regeln geben und es sollten gemeinsame Lösungen gefunden werden. Doch bei uns ist es nicht so und das ist die Sache, die mich bedrückt. Wie man vielleicht entnehmen kann - ich lerne aus den Fehlern meiner Eltern, ich versuche „normal“ zu sein wie die anderen Kinder; dabei hatte ich nie irgendwelche Regeln in meiner Kindheit. Ich meine - Freiheit ist gut, ja, aber Disziplin ist auch wichtig. Es ist nicht normal, dass meine Schwester erst gegen 23 Uhr ins Bett geht. Und es ist auch nicht gut, dass ich hier um 00:40 diesen Text unter Tränen schreibe.

Meine beschriebene Situation ist nicht so schlimm wie sie vielleicht klingen mag - die Streitigkeiten sind manchmal, vielleicht einmal in der Woche und das am Wochenende, da meine Mama da den ganzen Tag Zuhause ist.
Aber das Problem ist - sie hören nicht auf. Sie werden nicht geklärt. Ich wünschte mir so sehr, es wäre anders.

Ich verstehe beide meiner Elternteile und klar liebe ich sie vom ganzen Herzen - doch sie sollten irgendwie beide ihre Fehler endlich einsehen und aufhören. Es ist nicht ok, dass ein Kind sowas mitbekommt und dadrunter leidet.

Ich habe auch schon überlegt zu der Schulpsychologin zu gehen, aber ich bin mir zu unsicher. Ich will meine Eltern nicht ins schlechte Licht rücken oder dass sie irgendwelche Probleme bekommen. Vielleicht einfach, dass es auf der Stelle aufhört und man nichts machen muss, doch ich glaube so einfach ist das Ganze nicht.

Nach den ganzen „aber“ in diesem Roman wollte ich mich bedanken, dass DU dir diesen Text zu Herzen genommen hast.
Außerdem wünsche ich allen ein frohes Fest, möge 2019 für euch ein gutes Jahr werden und all eure Wünsche erfüllen <3

Mit freundlichen Grüßen

Anonym, W/15

Janine Wochnik Anwort von Janine Wochnik

Liebe Ratsuchende,

vielen Dank für deine ausführliche Zuschrift.
Auch wenn die Umstände sehr traurig sind, muss ich sagen:
Ich bin begeistert. Du wirkst sehr reif und hast alles super im Blick.
Das kann nicht jeder in deinem Alter!

Deine Eltern scheinen sehr bemüht zu sein euch ein gutes Leben zu ermöglichen.
Auch wenn es ihnen in manchen Bereichen nicht gelingt.
Eltern sind Menschen und machen Fehler.
Leider.
Du und deine Schwester müsst es ausbaden.
Ich hätte deinen Eltern eine Menge zu sagen, doch wahrscheinlich würde auch das nicht viel ändern.
Eine andere Sache ist es, wenn du mit deinen Eltern redest.
Jedoch nicht als "Moralapostel". Sondern als Tochter, der es schlecht geht.
Menschen reagieren meist ziemlich gereizt, wenn man sie belehren möchte.
Selbst bei den eigenen Kindern. Denn im Grunde kennen sie ihre Fehler. Können sie aber nicht so einfach abstellen.
Es gehörte eine Menge Mut und Energie dazu um sich selbst zu verändern.
Dennoch sind die Kinder am wichtigsten. Und wenn man vor der Wahl steht, den Kindern weiter zu schaden, oder etwas zu verändern, stehen die Chancen deutlich besser.
Deshalb würde ich an deiner Stelle genau das nutzen.
Du bist wirklich pfiffig und kennst die Probleme. Du weißt was schief läuft, was dir und deiner Schwester nicht gut tut.
Zudem kannst du wirklich gut formulieren. Nutze das.

Ich würde mir die beiden zusammen schnappen. Vielleicht möchte deine Schwester sich auch daran beteiligen?
Allerdings würde ich nicht aus dem Nichts heraus ein Gespräch einfordern.
Sondern ich würde es vorbereiten.
Du könntest zum Beispiel einen kleinen Brief an deine Eltern schreiben. Wie eine Einladung, für jeden einzeln.
Am besten mit ein paar Tagen Vorlaufzeit.
Du suchst dir einen Tag heraus, an dem ihr alle Zeit habt. Dann noch eine Uhrzeit dazu und fertig.
Damit deine Eltern verstehen, wie ernst das Ganze ist.
Am besten bereitest du den Tisch vor, an den ihr euch setzt.
Für jeden etwas zu trinken und ein bisschen Nervennahrung.
Vor dem Gespräch solltest du dir ein paar Regeln überlegen, die ich gleich mit in die Einladung schreiben würde.
1. Den anderen ausreden lassen.
2. Nicht einfach den Tisch verlassen.
3. Nicht schreien.
4. Keine Vorwürfe machen.
5. Zuhören, wenn ein anderer redet.
Und dann schreibst du noch dazu, dass dieses Gespräch dringend erforderlich ist, weil du es nicht mehr aushältst.
Jeder soll sich Gedanken machen und ein wenig darauf vorbereiten.

Bei dem Gespräch selbst beginnst du.
Du erzählst einfach mal, wie es dir in den letzten Wochen/ Monaten geht. Was es mit dir macht.
Sei absolut ehrlich. Sage ruhig, dass du deine Eltern verstehen kannst. Jeden für sich.
Aber das sich trotzdem etwas ändern muss. Sieh zu, dass du alles sagen kannst was du möchtest.
Bleibe bei dir.
Schreibe deinen Eltern nicht vor, was zu tun ist.
Sondern sage nur, was dich stört, warum und frag was sie dazu sagen.
Wenn du weinen musst, ist das vollkommen okay. Deine Eltern sollen ruhig sehen, wie es dir geht.
Und dann ist deine Schwester dran. Wenn sie nicht möchte dürfen dann deine Eltern was sagen.
Aber erst dann.
Lasse ihnen ruhig einen Moment Zeit, wenn sie welche brauchen.

Versuche deine Eltern in die Position zu bringen, dass sie ehrlich sein müssen.
Zu sich und dem anderen.
Wenn einer versucht sich rauszureden, dann versuche denjenigen darauf hinzuweisen, dass Ehrlichkeit sehr wichtig ist.
Bitte denjenigen darum, zu sagen was wirklich los ist.
Und dann könnt ihr versuchen eine Lösung zu finden.
Schön wäre es natürlich, wenn du auch nette Dinge sagen könntest.
Eine kleine Liste mit positiven und negativen Dingen kann da hilfreich sein.

Über Nacht wird sich aber nichts einfach ändern.
Dazu dauert die Situation zu lange und ist zu eingefahren.
Mit dem Rauchen aufhören ist machbar, aber es ist die Entscheidung deines Vaters. Wenn er nicht will, wirst du nichts dagegen machen können. Ebenso sieht es mit dem Alkohol aus.
Aber du kannst deinem Vater ruhig mitteilen, dass du nicht mehr ins Auto steigen wirst, sollte er weiter trinken.
Für mich hört es sich auch danach an, als hätte dein Vater bereits ein Alkoholproblem.
Das ist eine ernst zunehmende Sucht, die nicht umsonst auch als Krankheit eingestuft ist.
Leider merken Alkoholiker oft erst sehr spät, dass sie ein Problem haben.
Denn Alkohol ist in unserer Gesellschaft ganz normal. Selbstverständlich. Es wird lange toleriert.
Du kannst nichts tun, wenn ein Alkoholkranker es nicht selbst erkennt.
Versuchen solltest du es dennoch. Frag ihn ganz ehrlich was los ist.
Ob er sich nicht Hilfe suchen möchte.
Ob er keine andere Lösung findet.

Deine Mama wird wahrscheinlich so viel arbeiten, weil sie es zu Hause nicht aushält.
Geld ist ein extrem wichtiger Faktor, aber nicht allein ausschlaggebend.
Frag sie doch mal, ob sie dich nicht auch vermisst. Teile ihr ruhig mit, dass es dir so geht.
Zeige ihr aus deiner Sicht wie es ist.
Schreibe mal eine Woche lang auf, wie viel Zeit ihr gemeinsam hattet.
Was ihr gemacht habt.

Sage deinen Eltern auch, was du dir wünscht.
Mehr Regeln. Mehr lernen.
Du kannst ihnen ja sagen, dass du auch bereit bist mehr zu helfen.
Im Haushalt zum Beispiel. Und wenn sie es dir zeigen, ihr alles was davon habt.
Sie bringen dir Dinge wie kochen, bügeln, Haushaltsplanung, etc. bei und du übernimmst diese Aufgaben hin und wieder.

Leider kann es gut sein, dass all das nichts bringt.
Sollte es so kommen, musst du selber für dich sorgen.
Wenn es darum geht, gewisse Dinge zu lernen, dann hast du viele Möglichkeiten.
Heutzutage gibt es für alles Videos, Anleitungen und bebilderte Beschreibungen.
Lerne es autark/selbstständig. Das ist zum einen eine gute Übung für später.
Zum anderen lernt man so sehr effizient!
Es hat den Vorteil, dass du lernst selbstständig neues zu erarbeiten.
Du bist außerdem beschäftigt und die Sehnsucht lässt etwas nach.

Mit 15 tust du sehr vieles alleine. Deine Eltern sind sich dessen bewusst.
Und vielleicht nutzen sie es auch für sich aus.
Wir Erwachsenen haben viele Dinge im Kopf. Viele Sorgen und auch Ängste.
Viele Träume sind schon geträumt. Viele werden unerreichbar.
Manchmal kann man an so etwas verzweifeln.
Vielleicht zeigst du deinen Eltern, was du uns geschrieben hast! Das erfordert Mut, aber es zeigt ihnen, wie ernst es dir ist.
Eltern haben es nicht immer leicht.

Mache dir bewusst, dass du deine Eltern nicht zwingen kannst sich zu verändern.
Das die beiden ihre Probleme haben. Du aber nichts dagegen tun kannst!
Ihre Entscheidungen, sollten auch ihre bleiben. Du darfst dich nicht in ihre Dinge einmischen.
Du darfst sehr wohl etwas sagen, wenn du selbst betroffen bist.
Genau das solltest du auch tun.

Du wirst deinen Weg auf jeden Fall gehen.
Das weiß ich. Und mit ein bisschen Glück wirst du sogar deine Eltern überzeugen können!
Nutze dein Reife. Deine Gefühle!
Du schaffst das!
Ich wünsche dir alles Gute. Gib nicht auf.
Liebe Grüße,
Janine