Problem von Anonym - 34 Jahre

Wer kann hier helfen?

Meine Freundin und ich sind mittlerweile seit über 8 Jahren zusammen, leider weiß ich derzeit echt nicht wie es weitergehen soll oder ob wir überhaupt noch eine Zukunft haben sollten.
Sehr lange Zeit war alles gut und sehr schön, doch in letzter Zeit ist meine Freundin nur noch gereizt, kommt total gestresst von der Arbeit heim, ist mir gegenüber immer schlecht gelaunt und rastet wegen jeder Kleinigkeit aus. Tja, es haben in letzter Zeit viele Kollegen gekündigt, die Arbeit wird gleichzeit immer mehr und der Lohn ist auch nicht besonders hoch. Ein falsches Wort bzw. sogar ein normaler Satz, den sie falsch verstehen kann und schon ist wieder die Laune am Boden! Teilweise habe ich schon das Gefühl, sie prüft jeden Satz von mir den ich sage, um dann an mir den Frust abzulassen.
Neuerdings ritzt sie sich auch wieder an den Armen, immer mal wieder ein Schnitt. Das hatte sie früher schon einmal gemacht als wir uns noch nicht kannten. Lange Zeit war alles gut, aber jetzt ist es echt schlimm. Die Narben und Wunden sehen furchtbar aus. Wenn ich sie darauf anspreche bricht sie in Tränen aus. Jede weitere Nachfragen wendet sie mit Kopfschütteln ab, flieht ins Schlafzimmer und lässt mich ohne Antworten sitzen. Aber auch nach jedem Streit, knallt sie die Türen zu, ich bin der Depp und sie lässt mich alleine sitzen.
Am nächsten Tag verhält sie sich so, als wäre nichts gewesen und für sie ist wieder die Welt in Ordnung. Auch wenn wir unterwegs sind oder bei Freunden eingeladen sind ist alles immer bestens, glücklich und heile Welt.

Anfang des Jahres hatten wir noch Pläne irgendwann bald zu heiraten. Sind auch schon seit einiger Zeit auf der Suche nach einem Haus. Auch hier komme ich irgendwie nicht voran. An jedem Haus, Eigentumswohnung oder Grundstück, das wir besichtigt haben hat sie etwas auszusetzen. Mal ist es die Lage, mal sind die 10 Treppenstufen zum Hauseingang das Problem - denn im Alter kann man angeblich nicht mehr so gut laufen. Alle Besichtigungstermin und Organisationen bleiben an mir hängen. Oder aber sie sitzt das Entscheidungsproblem aus und wartet bis das Haus verkauft ist um mir keine Antwort mehr geben zu müssen.
Manchmal kommen auch Aussagen wie "in ein paar Jahren sterbe ich sowieso" "alle setzen mich unter Druck" "ich wünschte ich wäre krank, dann müsste ich nicht arbeiten gehen" "du musst alles ohne mich finanzieren können, wenn du mich verlässt" und so weiter.

Ich weiß auch nicht ob das alles so überhaupt noch einen Sinn macht. Die Suche nach einem gemeinsamen Eigenheim hab ich inzwischen eingestellt. Ich schau nur noch Immobilien an, die ich mir leisten kann. Von ihr mach ich mich sicher nicht abhängig. Hochzeitspläne von meiner Seite her gestrichen. Am Besten wäre es wohl die Koffer zu packen und auszuziehen. Dieser Psychoterror soll doch genau das bewirken??? Manchmal frage ich mich wie es nur so weit kommen konnte. Ich bin so ein gütmütiger Depp! Sicher gibt es da draußen 1000 andere, die meinen Charakter zu schätzen wissen und mich nicht so behandeln!
Meine Angst allerding ist, dass sie sich dann vielleicht was ernsthaftes antut. Das würde ich mir dann wahrscheinlich ein Leben lang nicht verzeihen.
Daher die Frage, wer kann da helfen? Gibt es irgendwelche Ärzte? Soll ich einfach mal bei einer Telefonseelsorge anrufen um Adressen aus der Region zu bekommen? Ich kann sie nicht zwingen dort oder irgendwo hin zu gehen, aber irgendwer muss doch helfen können.

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Das liest sich sehr traurig und erschütternd. Ich merke, wie ratlos und erschöpft du bist. Ich sehe es auch so wie du: Da muss bei dir nun eine gravierende Veränderung her, damit es dir nicht auch noch so miserabel geht wie deiner Freundin.

Ich finde es beachtlich, wie sehr du dich engagiert hast. Das ist an sich schon sehr anerkennenswert. Du hast auch selbst schon reflektiert, dass das tolle Eigenschaften sind. Mir ist es wichtig, dass du dir diese beibehältst. Nur weil sie gerade von einem Menschen nicht so gewürdigt werden, wie es eigentlich wünschenswert wäre, heißt es nicht, dass du in Zukunft anders handeln solltest. Ich fände es nach wie vor wichtig, dass du diese Vorzüge lebst - sei es für dich selbst, sei es bei dir nahestehenden Personen. Denn diese zwischenmenschliche Wärme ist etwas so Kostbares!

Prinzipiell müssen wir in deiner Zwickmühle zwei Dinge unterscheiden: Die Beratungsmöglichkeiten für dich und die Möglichkeiten für deine Freundin. Und da sind wir schon mittendrin: Solange sie nicht mit dir kooperieren möchte und nicht bereit ist, mit dir über ALLES zu sprechen, hat es keinen Sinn. Da musst du weder Beratungsstellen, noch Ärzt:innen für sie ausfindig machen. Denn: Sie wird nicht offener für Hilfe und gesprächiger, nur weil du plötzlich einschlägige Adressen und Telefonnummern für sie parat hast. Vorher muss ein ganz wesentlicher anderer Schritt kommen: Problemeinsicht + die Einsicht, dass sie allein nicht weiterkommt und sich selbst aktiv Hilfe suchen möchte. Solange es das nicht gibt, bleiben alle Hilfeversuche deinerseits unfruchtbar.

Auf der anderen Seite, nämlich bei dir, sieht das schon ganz anders aus: Du kannst theoretisch die unterschiedlichsten Sachen unternehmen. Wirklich sinnvoll ist es, dass du deine persönlichen Ressourcen, deine Kräfte besiehst und ein Fazit ziehst:

* Was möchte ich, ganz tief in mir? Will ich einfach davonlaufen, will ich bleiben?
* Welche Spuren, welche Konsequenzen haben die Auseinandersetzungen mit sich gebracht, was "zeichnet" mich?
* Welche Vision meines Lebens ist in mir - nach wie vor?
* Habe ich überhaupt noch die BEREITSCHAFT, meiner Freundin beizustehen - oder fehlt mir dafür längst die Kraft?

Ich lese einen Aspekt bei dir sehr deutlich: Wie sehr du dich für sie, für euch, ins Zeug gelegt hast. Und wie wenig von ihr zurückkam. Ja, sie ist stark beansprucht und psychisch labil. Aus meiner Sicht hätte sie mehr vorgestern als jetzt therapeutische Hilfe benötigt. Das bedeutet aber nicht, dem Partner keinerlei Wertschätzung mehr zeigen zu können. Ich bin deswegen auch bisschen skeptisch, ob es wirklich "nur" ihre ganz persönlichen seelischen Nöte sind oder ob da nicht noch mehr im Argen liegt. Stichwort Beziehung an sich. Dass sie sich so konsequent entzieht, klingt für mich alarmierend. Ob es "nur" an den schlechten Arbeitsbedingungen liegt, wage ich daher sehr zu bezweifeln. Das klingt mir eher wie ein äußerer Auslöser, der ihre alten Wunden wieder aufgerissen hat. Hier auch das markante Zeichen mit dem Ritzen, das offenbar schon viel früher bei ihr aufgetreten ist.

Du musst also nicht nur mit den aktuellen Härten kämpfen, sondern gleichzeitig auch mit deiner Frustration, Trauer und Enttäuschung umgehen, dass dein Traum von eurer gemeinsamen Zukunft in einem eigenen Haus zunächst geplatzt ist. Das tut sehr weh. Sicher: Für immer musst du ihn nicht begraben. Es kann mit deiner Freundin eines Tages anders sein. Oder eben nicht mit ihr, sondern einer anderen Person. Deine Träume weiter als Leitbild zu sehen, finde ich sehr wesentlich. Der Knackpunkt ist gerade eher: Was geht MOMENTAN? Was kann ich gerade ohne ihn leisten - und wie viel kostet für mich der Verzicht auf meinen Traum?

Ich schlage dir tatsächlich vor, vorerst auszuziehen. Nicht die Beziehung zu beenden! Sondern einen Abstand zwischen euch zu bekommen, der euch beiden helfen kann. Du kannst dich sortieren und wieder mehr bei dir sein. Sie kann ebenfalls mehr zur Ruhe kommen und vielleicht erkennen, was sie die ganze Zeit über so (zusätzlich) gequält hat. Denn es ist ja leider nicht auszuschließen, dass sie auch in eurer Beziehung nicht (mehr) das findet, was sie eigentlich dringend bräuchte. Vielleicht würde ihr der Abstand helfen, wieder den Wald zu sehen - und nicht nur lauter Bäume. Das könnte ihr einen Schritt auf dich zu möglich machen - weil sie dann aus der Distanz heraus mehr in der Lage sein könnte, dich fair zu behandeln, indem sie offen mit dir kommuniziert und ihre persönlichen Gefühle und Motive darlegt.

Wir wissen vermutlich beide, dass es auch das Ende eurer Partnerschaft bedeuten kann. Doch wie du selbst schon bemerkt hast: Dann wärst du wenigstens frei, deine Träume anderweitig zu leben. Und ja, es ist tragisch, einen geliebten Menschen gehen zu lassen. Und auch, ihn leiden zu sehen. Aber wir können nur bei uns selbst ansetzen, um dann auf positive Veränderungen in unserer Umwelt zu hoffen. Mehr steht nicht in unserer Macht. Es ist aber schon sehr viel, wenn wir uns selbst bewegen!

Neben dem Auszug, den du ihr schonend und sehr transparent darlegen solltest, kannst du dich an eine Beratungsstelle wenden, um für dich selbst mehr Klarheit zu erlangen. Beispielhaft habe ich dir eine Internetseite herausgesucht, bei der es um die Angehörigen psychisch Erkrankter geht.
https://www.bapk.de/the-federal-association-of-families-of-people-with-mental-illness-bapk.html
Weitere Angebote in deiner Region findest du sicherlich bei entsprechender Recherche.

Am besten wäre es, vor dem Auszug mehr Klarheit zu erlangen und den Auszug ggf. in Begleitung einer beratenden Person vorzubereiten bzw. zu begleiten. Im Gespräch kann dann auch thematisiert werden, wie realistisch deine Sorge wegen eines Suizids ist.

Ich denke, das "Argument" eines möglichen Suizids ist sehr tückisch. Denn es bindet dich unnötig an eure Wohnung und letztlich an eure verfahrene Situation. Und somit verhindert es eine echte Veränderungsmöglichkeit. Es ist ein (unausgesprochenes) Druckmittel, dem du aber nicht nachgeben solltest! Du hast in erster Linie für dein eigenes Leben Verantwortung und deine Freundin für ihres! Das ändert sich auch nicht, nur weil sie seelisch leidet. Sie hat selbst in der Hand, was sie daraus macht. Du kannst sie begleiten und auffangen, doch MEHR NICHT! Bitte mache dir das immer wieder bewusst! Sollte sie sich umbringen, dann ist nicht der Grund, dass du ausgezogen bist. Sondern dass sie keine anderen Lösungen mehr für sich gesehen hat. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Zumal du ja nicht einfach sang - und klanglos aus eurer Wohnung verschwinden und sie so völlig unvorbereitet zurücklassen würdest. DAS wäre dann verantwortungslos (aber immer noch kein Grund, sich umzubringen!). Man kann höchstens von einem ANLASS sprechen, doch es ist nicht gleichzusetzen mit "Ich bin schuld, dass sich meine Freundin suizidiert hat". An dieser Stelle musst du wirklich ganz bei dir bleiben und darfst deine wohlmeinende und liebevolle Haltung nicht bei dir selbst verlieren und gegen dich richten! Vorwürfe wären das Gift, das du am wenigsten gebrauchen kannst!

Insgesamt gesehen rate ich dir, deiner Freundin alles möglichst sachlich und ruhig zu erklären, gerne auch in einem Brief. Gib ihr Zeit. Es kann sogar sein, dass allein dein Ansprechen eines Auszuges schon etwas bei ihr bewirkt - und dadurch ein konstruktiveres Arbeiten an eurer Beziehung bzw. am Anbahnen von Hilfeholen ermöglicht wird. Gerade ist sie es gewöhnt, dass du immer da bist. Sie steht unter enormem Druck. Vielleicht auch von - in ihren Augen - zuviel Zuwendung. Nimmst du ihr etwas Druck, kann sie eventuell für dich überraschend reagieren.
Sollte das gelingen und sie sich für weiterführende Gespräche öffnen, wäre es sehr wichtig, deine Grenzen umfassend darzustellen. Beispiel: "Ich liebe dich und möchte für dich da sein, dein Verhalten verstehen. Doch ich bin sehr verwirrt, wenn du an einem Tag völlig verzweifelt bist und mich nicht an dich heranlässt - und am nächsten Tag so tust, als sei nie etwas gewesen. Das halte ich ehrlich gesagt nicht mehr länger aus. Ich wünsche mir, dass wir miteinander über deinen Kummer sprechen können. Bitte gib mir ein Zeichen, ob das für dich möglich ist. Du kannst auch mit anderen Menschen sprechen, wenn dir das lieber ist." --> Sollte sie sich hier weiterhin interessiert zeigen, kannst du es mit den Beratungsstellen versuchen oder auch vorsichtig die Option einer klinischen oder ambulanten Therapie anschneiden.

Auch falls du dann tatsächlich ausgezogen sein solltest, müsste ihr immer bewusst sein, dass sie sich jederzeit bei dir melden kann - sofern das deine Kräfte nicht übersteigt. Hier sind wir wieder an den Fragen von oben: Wo stehst du, wie sehr sind deine Grenzen erreicht? In diesem Rahmen muss sich das Ganze bewegen. Du steckst die Grenzen ab und hilfst letztlich nicht nur dir damit, sondern auch ihr.

Ich wünsche dir alles Gute.
Nuala