Problem von Anonym - 21 Jahre

Was jetzt?

Ich dachte mein ganzes Leben, ich wäre unfähig zu lieben, ich habe sehr lange Zeit einfach nicht verstanden wie oder warum das gehen sollte. Nun bin ich vor kurzem in eine neue Stadt gezogen und habe ein Mädchen kennen gelernt, von dem ich am Anfang schon dachte, ganz nett. An irgendeinem Punkt habe ich dann gemerkt, dass ich sie nicht mehr aus meinem Kopf bekomme und sie wahnsinnig viel bedeutet. Überfordert von den neuen gefühlen habe ich einfach nichts auf die Reihe bekommen, obwohl sie immer wieder auf mich zugegangen ist, mit mir geflirtet hat und alles. Irgendwann hat sie dann gemeint dass sie jemand selbstsicheres sucht und das bei mir nicht findet, aber dass wir gerne uns weiterhin sehen können usw. Das ging dann auch ganz gut bis ich betrunken einem vermeintlich guten Freund erzählt habe, dass zwischen mir und ihr was sei. Er hat rausgefunden dass das nicht stimmt und hat es ihr erzählt. Nun ist das Vertrauen, die Freundschaft und alles dahin, ich bin mir meines Fehlers bewusst und habe auch schon sehr lange und ausführlich mit ihr darüber geredet und ich bereue es zutiefst. Leider lässt sie das kalt und sie meidet mich, ich bin aber immer noch total verliebt in sie und mein Leben entgleist mir mehr und mehr

PaulG Anwort von PaulG

Lieber Anonymer,

ich weiß nicht, wie es bei dir inzwischen aussieht. Fest steht nur eines: Du bist dir deines Fehlers bewusst. Und darauf kannst du aufbauen.

Zwar warst du betrunken, als du behauptet hast, zwischen euch sei etwas vorgefallen oder ihr hättet sogar eine Beziehung. Das hast du ja nicht ohne Grund getan: Es entspricht deinem Wunschdenken, dass du eine Freundin hast, die deine Gefühle erwidert und die dich so glücklich macht, dass du allen Leuten davon erzählen willst. In nüchternem Zustand würdest du das jetzt - wo es nicht der Fall ist - vermutlich nicht getan haben, der Alkohol hat deine Zunge gelöst. Das ist keine Entschuldigung, keine Rechtfertigung. Aber da der Alkohol einen üblicherweise auf dem Fuß erwischt, auf dem man gerade steht (wenn du traurig bist, wirst du durch Alkohol nicht fröhlicher, sondern trauriger), sagt diese Erfahrung auch etwas darüber aus, wie es dir allgemein geht. Du hast jetzt genau zwei Möglichkeiten: Du kannst annehmen, dass nicht alles deinen Wünschen gemäß läuft, und kannst versuchen, etwas dafür zu tun, dass sich das ändert. Oder du kannst weiterhin das tun, was du bis jetzt getan hast - nämlich deinen Schmerz ertränken und eine Scheinwelt um dich aufbauen, in der du der bist, der du sein willst.

Du hast formuliert: "Mein Leben entgleitet mir mehr und mehr." Das stimmt so nicht ganz. Am Anfang stand immer noch eine bewusste Entscheidung von dir, nämlich auf die Zurückweisung der Frau, die du liebst, nicht mit Kampfgeist, sondern mit Rückzug zu antworten. Keine Macht der Welt kann dir helfen, eine Frau für dich zu erobern, die etwas sucht, was sie bei dir nicht findet. Es wäre auch nicht in ihrem Sinne, dass du dich nur auf sie, auf sie, auf sie fokussierst, wenn du sie wirklich liebst: Denn zwischen der Liebe, die bereit ist, loszulassen, damit der geliebte Mensch glücklich werden kann, und der, die nicht loslassen will und dadurch früher oder später zwanghaft wird, liegen erhebliche Unterschiede. Du selbst hast dich zurückgezogen und dem Selbstmitleid und dem Alkohol ergeben, weil dir Schmerz zugefügt wurde - das ist menschlich und nachvollziehbar, und für eine gewisse Zeit ist es auch in Ordnung, die absolute Verzweiflung zuzulassen. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem du nach vorne schauen musst. Mit Sicherheit ist es weder ihr Wille, dass du leidest, nur weil sie dir ihre ehrliche Meinung gesagt hat (die übrigens Tatsachen beschreibt), noch kann es ihr gefallen, wenn du ihr immer weiter nachläufst, weil du nicht sehen kannst oder willst, dass es außer ihr auch noch andere Chancen gibt.

Um dein Leben nicht aus der Hand zu verlieren, müssen zwei Dinge passieren: Zum Einen solltest du dir dringend einen Überblick über die Termine, Verpflichtungen und Pläne schaffen, die du vor oder seit dem Erlebnis mit deinem Schwarm gefasst hast - jede verpasste Frist, jede offene Rechnung, jede Enttäuschung, die du jemandem bereitest, werden dich nur noch tiefer in deine Trübsal hineinreiten. Versuche daher zuerst, die äußere Ordnung zu wahren oder wieder herzustellen - lass zu deinem Frust also nicht noch ungesunde Ernährung, getragene Wäsche, schmutzige Teller, dreckige Fenster und nicht abgeheftete Papiere kommen. So elend du dir selbst im Moment vorkommen magst, Ordnung und Sauberkeit haben doch den Vorzug, dass sie dich erstens beschäftigen und dir zweitens das Gefühl geben, dein Leben im Großen und Ganzen im Griff zu haben. Wenn dir aber bei jedem Blick der Beweis des emotionalen Chaos entgegen springt, das gerade bei dir herrscht, erhält dieses dadurch nur noch weitere Nahrung. Das darfst du nicht zulassen. Darüber hinaus - und das ist der zweite wichtige Punkt - kannst du nur dann dein Selbstvertrauen aufbauen und deine Hemmungen verlieren, wenn du den Situationen, in denen du diese deine Probleme spürst, nicht ausweichst. Versuche, Kontakte zu knüpfen - und noch davor: Versuche, dich mit Menschen zu konfrontieren. Egal, ob nur beim Einkaufen, beim Sport oder auf Partys. Letzten Endes zählt einzig und allein, in Berührung mit der Welt zu bleiben, zu reden, Blicke zu tauschen, auf Ansprache reagieren zu müssen, kurz: Es muss verhindert werden, dass dein Denken sich nur auf die Vergangenheit und nur auf eine Person heftet, deine verlorene Liebe. Auch wenn du sie gerade nicht vergessen kannst - den Schmerz überwinden kannst du nur, wenn du etwas Anderes in dein Leben lässt. Und das ist zunächst einmal einfach nur Beschäftigung. Dazu gehört auch, dass du die Freundschaften, die du bisher gewonnen hast, nicht aufgibst oder sich leichtfertig verlieren lässt, sondern sie pflegst. Gut möglich, dass du in letzter Zeit einige alte Bekannte und Freunde nicht mehr gesehen hast, vielleicht auf Anrufe nicht reagiert oder auf Nachrichten nur knapp geantwortet hast. Melde dich bei ihnen, bitte sie um Entschuldigung, benenne deine Situation - und sei nicht unentschlossen, sondern greif zu, wenn jemand dir anbietet, mit ihm oder ihr Zeit zu verbringen. Nichts hilft dir mehr, auch wenn anfangs jede Faser dabei schmerzt. Angst, Unsicherheit und Schmerz lassen sich nur besiegen, wenn man den Anschluss nicht verliert. Ansonsten nehmen sie sich ohne Gnade den Raum, den du ihnen überlässt. Und das droht in deinem Fall, aller zu sein. Lass das nicht zu - so hast du die erste Schlacht bereits gewonnen.

Nun ganz allgemein, was die Liebe betrifft: Du hast eine sehr schmerzvolle Erfahrung gemacht, und sie ist umso unangenehmer und verunsichernder, als du sie relativ spät machst. Du schreibst, dass du dich lange für unfähig zur Liebe gehalten hast - jetzt zu spüren, dass es nicht so ist, stellt nicht nur dein Selbstbild auf den Kopf, sondern du siehst dich auch einem Gefühl gegenüber, dass viele Menschen zu einem früheren Zeitpunkt in ihrem Leben machen. Doch das ist kein Nachteil, denn die Frage, die dich beschäftigt, beschäftigt alle Menschen immer wieder - oft taucht sie überraschend wieder auf, nach Jahren und Jahrzehnten. Sie ist ganz simpel: Wird es jemals wieder jemanden geben, den ich so lieben kann? Oder ist mein Leben hier zuende? Die Antwort, auch wenn sie noch so wenig glaubhaft erscheint, lautet: Ja, aber es wird nicht einfach. Denn die Liebe kommt nicht von allein, sie muss entdeckt werden. Und das geht nur, wenn man nicht in der Vergangenheit abtaucht und sich der gnädigen, süß-schmerzhaften Erinnerung ergibt, sondern konsequent nach vorne schaut. Es ist nie zu spät, noch einmal anzufangen. Und du bist noch ein junger Mann - du wirst deinen Weg machen und die Liebe erfahren. Wichtig ist, dass du diese Herausforderung annimmst. Denn wenn all der Schmerz und der Ballast nicht mutig angepackt werden, vermehren sie sich und erdrücken dich, da dann zu dem Liebesschmerz auch noch die Scham über verlorene Zeit und die eigene Untätigkeit kommen, die Trauer über zerbrochene Freundschaften, der Ärger wegen Vorwürfen... es wird nicht besser, wenn man es auf sich beruhen lässt. Es bleibt nicht ruhig. Es wühlt dich auf und zerfrisst dich, das spürst du gerade sehr deutlich. Deshalb: Trau dich etwas und schau nach vorne, belebe dein Leben! Nur du hast es in der Hand, dass es dir nicht entgleitet. Und das ist mein Wunsch für dich im neuen Jahr.

Komm gut hinüber nach 2019 - und habe eine wundervolle Zeit!

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul