Problem von Jan - 16 Jahre

Undurchsichtiger Streit der Eltern

Hallo Kummerkasten-Team!
Kurz zu mir, ich bin 16 Jahre alt, gehe aufs Gymnasium und mir geht es nach einer "Emo-Phase" vor drei Jahren, wenn man es denn so nennen mag, wieder recht gut. Ich würde in sofern sogar sagen, dass ich im letzten Jahr aus verschiedensten Gründen (Freunden, Musik Hobbys, "Erwachsen werden") trotz starkem schulischen Stress am zufriedensten überhaupt war.
Meine Familie ist eine recht durchschnittlicher 4 Personen Haushalt, am Anfang des Jahres haben meine Eltern sich ein Haus gekauft und angefangen sich längerfristig einzurichten. Streit unter meinen Eltern kannte ich eigentlich nie. Wenn es mal Probleme gab, waren sie oft trivialer Natur und wurden ohne größere Konflikte schnell beigelegt.

Nun ist es so, dass meine Eltern sich seit einem guten Dreivierteljahr zunehmend mehr streiten. Ursprünglich hatte ich das in erster Linie darauf geschoben, dass mein Vater durch seine Pendlertätigkeit gestresst ist und einfach überreagiert.
Seit Mitte November ist es nun so, dass meine Eltern fast täglich aneinandergeraten. Als meine Schwester und ich mit unserer Mutter nach Weihnachten (Heiligabend war wunderschön und harmonisch) für drei Tage zu unseren entfernt lebenden Verwandten (auch denen meines Vaters) gefahren sind, spitzte es sich zu, weil mein Vater sowohl keine Lust hatte mitzukommen, es uns allerdings verständlicherweise auch übel nahm, dass wir ihn die Zeit über alleine gelassen haben.
Über die Autofahrten hinweg hatte ich viel Zeit mich mit meiner Mutter zu unterhalten. Irgendwann waren wir dann so weit, dass ich sie (durch die Blume) gefragt habe, ob denn eine Trennung im Bereich des Möglichen liegen würde. Nachdem sie dies mehr oder weniger bejaht hatte, war ich erst einmal ziemlich fertig.
Seit wir nun wieder zuhause sind, reden meine Eltern außerhalb der Streits hinter geschlossenen Türen kein Wort mehr miteinander und ignorieren sich eher noch.
Mein Vater wirft ihr generell vor nicht nachsichtig gewesen zu sein, akzeptiert allerdings auch scheinbar keine Entschuldigungen. Weiterhin hat er mir heute gegenüber ebenfalls eine Trennung nicht ausgeschlossen. (Beide haben es allerdings auch noch nicht explizit in Aussicht gestellt!)
Ich stehe da nun dazwischen, ohne dass ich mir eine Meinung bilden könnte oder möchte.
Generell habe ich das Problem, dass mir dieser Konflikt so unnötig vorkommt. Nach dem, was ich von außen mitbekomme wirkt es so, als wenn es für meinen Vater keine Möglichkeit gibt den Streit beizulegen und meine Mutter regelmäßig Fehler bzw. Fehleinschätzungen tätigt.
Ich kriege nicht genug mit, um eine Seite vollends zu verstehen, allerdings zu viel um dies auszublenden.
Ich weiß nicht, was diese Situation noch auflösen könnte, bevor es dann zum letzten Mal kracht. Keiner von beiden scheint meine Situation (bzw. die meiner Schwester) auch nur ansatzweise nachzuvollziehen können. Ich erwarte nicht, dass sie nur wegen uns eine Scheinbeziehung aufrechterhalten. Allerdings denken beide in diesem Streit nur noch an sich und nicht mehr an die Familie. Sie zeigen keinerlei Transparenz, obwohl es sich um ein so grundsätzliches Problem handelt. Ich möchte einfach nicht eines Tages von der Schule kommen und nur noch ein Elternteil im Haus vorfinden.

Ich muss gestehen, dass ich gar keine abschließende Frage stellen kann. Ich hoffe und wünsche mir aber, dass mir jemand vielleicht tröstende Worte geben kann, weil ich im Moment einfach keinen Ausweg aus dieser Situation mehr sehe. Vielleicht würde ich das ganze etwas ruhiger sehen, wenn mein Abi in näherer Aussicht wäre, aber egal wie es nun weitergeht, in dieser Situation muss ich wohl noch die nächsten Jahre verweilen.

Das Schreiben dieses Textes hat mir sehr dabei geholfen, meine Gedanken wenigstens ansatzweise zu ordnen und ich habe die (wenn auch unwahrscheinliche, weil das grundsätzliche Problem ja bleibt) Hoffnung entwickelt, dass sich diese Zuspitzung nur aufgrund des Weihnachtsstresses entwickelt hat.

Ich hoffe, dass jemand sich diesen Roman durchliest.
Grüße,
Jan

Nuala Anwort von Nuala

Lieber Jan!

Ich habe deine Zuschrift gelesen und möchte dir gerne meine Einschätzung mitteilen. Zuvor möchte ich mich dafür bedanken, dass du uns dein Vertrauen geschenkt hast.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass du deine Familie an sich sehr wertschätzt und bereit bist, dich für sie zu engagieren. Das ist sehr wärmend und schön - denn nichts ist schlimmer als Ignoranz, Gleichgültigkeit und Egoismus, die machen vor Familien leider nicht unbedingt Halt...

Du hast um Trost gebeten. Den kann ich dir leider nur bedingt geben, da ich dazu bei dir sein und mehr über deine Familie und dich wissen müsste. Was ich aber machen kann, sind Strategien aufzeigen, die dir helfen können, selbst mit der aktuellen Situation bestmöglich umzugehen und vielleicht sogar an einer kleinen Veränderung beteiligt zu sein.

Zunächst ein paar allgemeine Gedanken:

Du hast mit deiner Aussage zum Abi vermutlich darauf angespielt, dass du dann bald ausziehen könntest, um dem Schlamassel zu entfliehen. Doch das ist eine Rechnung, die nicht aufgehen würde. Denn selbst wenn du nicht mehr bei deinen Eltern wohnen würdest und sie streitend weiter zusammenleben würden, würdest du sie ja sicherlich hin - und wieder besuchen und dadurch potenziell die alten Streitmuster miterleben. Was dann nach wie vor sehr unangenehm für dich wäre.
Und angenommen, deine Eltern würden sich in absehbarer Zeit trennen, wärst du ja gar nicht mehr gezwungen, den aktuellen Zustand länger zu ertragen. Außer, sie würden sich dann weiter streiten - doch das ist mir zu eventuell und zu weit in die Zukunft gedacht.

Was ich sehr auffällig finde: Du kannst keine erkennbare "Streitquelle" erkennen. Deine Eltern machen sich mit dem Haus sesshaft, Streit schien nicht zum täglichen Repertoire zu gehören - und nun hat sich euer familiäres System verändert. Das ist merkwürdig. Es kann also viele Ursachen, Verkettungen, (vorgeschobene) Gründe geben, über die ich auch nur spekulieren kann. Interessant in dem Ganzen sind aber drei Punkte, die mir auffällig erscheinen:
1. Es scheint zeitlich recht klar einzugrenzen zu sein, wann die starken Streitereien begonnen haben.
2. Du siehst deinen Vater als Dreh - und Angelpunkt der Auseinandersetzungen.
3. Es ist relativ schnell von Trennung die Rede.

Jetzt fände ich es spannend, deine Mutter in einem erneuten Zwiegespräch mit diesen Beobachtungen zu konfrontieren: Sieht sie es auch so, dass der Stress ungefähr vor einem Dreivierteljahr anfing - oder gab es eher einen schleichenden Beginn schon viel früher? Dieser kann euch Kindern verborgen geblieben sein.
Und: Was sagt deine Mutter, warum sie so viel streiten? Nennt sie konkrete Themen, z.B. Haus, Geld, Job, Zeit etc.? Oder bezieht sie sich auf den Charakter oder das Verhalten deines Vaters? Oder eine Kombination aus beiden Faktoren? Außerdem: Was genau sorgt dafür, dass sie sich eine Trennung oder Scheidung vorstellen können? Oder anders: Was verhindert, an den Problemen gemeinsam als Paar zu arbeiten? Wäre eine Paarberatung oder sogar eine Paartherapie beispielsweise eine Option - gerade WEIL sie sich doch jahrelang verstanden haben und ein Haus zusammen haben? Oder hat das alles an persönlichen Wert eingebüßt?
Noch eine Frage: Könnte das Streiten an sich eine bestimmte Funktion haben, z.B. Abstand zu gewinnen, Frust rauszulassen...? Hat sich vielleicht wirklich etwas dramatisch im Arbeitsleben deines Vaters verändert, was ihn unter Strom stehen lässt? Hier beispielhaft krasser gewordene Arbeitsbedingungen, strenge Chef:innen und dergleichen mehr. Deine Vermutung mit dem Pendeln kannst du übrigens gerne aussprechen, vielleicht ist das gar nicht so profan. Möglicherweise reagiert dein Vater tatsächlich sehr sensibel auf bestimmte Dinge, kann aber (noch) nicht angemessen damit umgehen.

Mir ist es allerdings sehr wichtig, dass du dich nicht zwischen die Fronten schmeißt und daran zerbrichst. Du scheinst mir sehr reflektiert und klug zu sein. Doch du bist selbst in einer Phase, in der du Rückhalt und Schutz benötigst, um dich weiter entfalten zu können. Auch bezüglich der Schule ist es wichtig, dass der Konflikt bereinigt würde, damit du keine schlechten Noten riskierst.
Deine Eltern sind in erster Linie dafür verantwortlich, ihre Belange selbst zu klären. Sie sind aber auch für euer Wohlergehen zuständig - und das kannst du ihnen sehr direkt vermitteln! Du kannst ihnen sagen, wie fertig es dich macht, ständig die Disharmonien und Eskalationen miterleben zu müssen. Du kannst ihnen sagen, wie du dich dabei fühlst. Dass du traurig und ratlos bist. Dass dich das alles überfordert. Dass du nicht verstehst, warum es früher harmonisch war - und plötzlich ist alles anders. Dass du dir viele Fragen stellst, weil sie diese durch ihr seltsames Verhalten provozieren (wobei es vielleicht gar nicht so seltsam ist, wie sie interagieren, doch das kann ich anhand deiner Beschreibung nicht erfahren - und du sicherlich auch nicht). Du musst all das auch nicht von Angesicht zu Angesicht ansprechen. Du kannst ihnen auch einen Brief hinlegen (entweder explizit an Mama und Papa gerichtet oder nur für einen von beiden) oder ihnen eine Mail schreiben. Andere Wege wie Tonbandaufnahme, Sprachnachricht etc. gehen natürlich auch.
Du hast auf jeden Fall ein Anrecht darauf, zumindest ansatzweise ehrliche Antworten zu erhalten. Und sei es: "Wir wollen nicht mit euch darüber sprechen, das ist uns zu intim." Das ist legitim, doch dann sollen sie bitte dafür sorgen, euch nicht permanent mit ihren Streits und Schweigephasen zu stressen und am besten alles am Schopf packen. Und sei es, dass jemand auszieht. Besser das, als ein immerwährender Zustand der Aggression!

Allgemein ist es gut, wenn du deine Gedanken und Gefühle mit anderen Personen teilst, entweder mit (engen) Freund:innen, Vertrauenslehrer:in, Verwandte etc. Sie haben dann noch andere Blickwinkel und Ideen, gerade dann, wenn sie eure Eltern einigermaßen gut kennen. Und sie können einfach zuhören. Das gibt dir dann den Trost, den ich dir via Internet schlecht übermitteln kann. Wenn deine Schwester schon 14 oder älter ist, kannst du auch mit ihr darüber sprechen und nach ihrer Einschätzung und Beobachtung fragen. Falls sie älter als du ist, umso mehr meine Empfehlung!

Ich kann mir zudem vorstellen, dass Schreiben für dich die geeignete Form der Bewältigung sein kann. Wie wäre es, wenn du dir ein Tagebuch dafür zulegst. Das musst du nicht regelmäßig "beschreiben", sondern nur dann, wenn du mal wieder aufgewühlt und ratlos bist. Du hast ja selbst schon bemerkt, dass das Schreiben dir beim Strukturieren deines Innenlebens hilft. Nach dem Schreiben fühlt man sich in der Regel gelöster, erleichterter. Ein toller Effekt! Das Problem ist dann zwar nicht aus der Welt geschafft, doch der Umgang damit wird einfacher.

Zusammengefasst möchte ich dich ermutigen, zumindest noch einmal mit deiner Mutter zu sprechen oder einen Brief zu verfassen. Deine Eltern sollen wissen, was mit dir los ist. Und möglicherweise kannst du mit den vorgeschlagenen Fragen von oben noch etwas bei ihnen bewirken, Hilfeholen von außen zum Beispiel.
Doch wie schon erwähnt darf es nicht sein, dass du der "Familientherapeut" wirst oder sich jemand bei dir ausheulen kann. Dafür gibt es andere Erwachsene. Aber im Rahmen deiner Kräfte und Kapazitäten kannst du ruhig mit ihnen sprechen. Du kannst selbst am besten einschätzen, ob sich ggf. auch ein einzelnes Gespräch mit deinem Vater lohnen könnte und welche Rahmenbedingungen dafür günstig wären (er hat frei, keine Termine an dem Tag, ist halbwegs ausgeglichen etc.). Es reicht vollkommen, wenn du dein Befinden kundtust und anfänglich mit ihnen redest. Danach sollen sie selbst weitermachen.


Ich wünsche dir, dass sich eure familiäre Lage allmählich entspannt, weil sich deine Eltern hoffentlich einen geeigneten Weg erarbeiten, miteinander friedlich umzugehen.

Alles Liebe!
Nuala