Problem von Kim - 18 Jahre

Zerrissenheit

Ich habe mich vor ca 3 Monaten von meinem ersten Freund (O) getrennt, der Prozess dahin hat aber wesentlich früher schon angefangen.
Ich habe mich vor ca 1 Jahr mit einem Jungen (L) in meinem Jahrgang angefreundet und er wurde schnell in unsere Freundesgruppe integriert. Ich fand ihn unglaublich interessant und hab mich nach einigen langen Konversationen sehr in ihn verliebt.
Da brach für mich eine Welt zusammen weil mein Freund alles für mich war, da ich keine richtige Familie habe, hat er diese ersetzt und war sowohl mein bester Freund als auch mein engster Vertrauter, keiner hat mich besser gekannt und verstanden. Seine Familie ist zu meiner geworden, da ich auch einige Zeit bei ihm wohnte. Ich war nie zuvor so glücklich und ich habe ihn über alles geliebt.
Deshalb war es für mich absolut unverständlich warum ich mich einfach in einen anderen verlieben konnte, ich habe mich wie der letzte Dreck gefühlt und die folgenden Monate wurden zu den Schlimmsten meines bisherigen Lebens.
Es kam dann dazu, dass ich und mein neu gewonnener Freund viel Zeit verbrachten und eines Abends gestanden wir uns gegenseitig unsere Liebe. An diesem Abend war ich einerseits sehr glücklich und hab mich befreit gefühlt, andererseits hätte es nicht schmerzhafter sein können, denn ich wurde nun direkt damit konfrontiert, dass ich meinen Freund verletzen muss.
Ich sagte ihm direkt am nächsten Tag bescheid, denn ich wollte nichts hinter seinem Rücken tun. Er meinte er habe sich das schon gedacht, wie gesagt kennt er mich unheimlich gut. Er nahm es mir nicht übel, denn für Gefühle kann man ja bekanntlich nichts und er weiß ja wie sehr ich ihn dennoch liebe.
Seitdem sind 10 schmerzhafte und tränenreiche Monate vergangen in denen ich tiefer denn je in meiner Depression versank, ich lief mehrfach einfach davon, fing wieder an mich ab und zu zu ritzen und führte mit allen möglichen Personen sehr sehr lange Gespräche zu meiner Situation. Ich bin nun mit L zusammen und auch sehr glücklich mit ihm, er ist sehr fürsorglich und überschüttet mich immer wieder mit Liebe, auch für ihn waren die Monate hart und er freut sich, mich nun für sich zu haben.
Jetzt kommen wir zu meinem aktuellen Problem:
Ich kann und will O nicht vergessen. Ich vermisse ihn unglaublich und weine deshalb noch fast jeden Abend. Er hat nichts falsch gemacht und war immer liebevoll zu mir, jetzt ist er mit meiner neuen Beziehung konfrontiert, und ich merke ihm an dass ihn das doch sehr verletzt.
Ich liebe ihn immernoch unglaublich, damit habe ich nie aufgehört. Aber ist das nicht falsch? Ich will nicht schon wieder jemanden verletzen, das alles zerstört mich immer weiter. Ich kann mir O mit keinen anderen Mädchen vorstellen und er meint das sieht er genauso, wir sind einfach zu einer Person geworden und lachen so viel zusammen. Momentan wohne ich wieder bei ihm, da bei L kein Platz ist und es fühlt sich manchmal wieder so normal an zwischen uns, so vertraut. L hat mittlerweile angefangen mit anderen Mädchen zu schreiben und ist schon an einem interessiert, mit dem er sich auch schon getroffen hat. Das tut so so sehr weh und ich will das einfach nicht. Ich weiß dass das grausam von mir ist und ich ihm das gönnen sollte bzw mich für ihn freuen sollte, aber er fühlt sich immernoch so sehr nach "meins" an. Ich weiß nicht ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe als ich mich gegen ihn entschied, es hat soviel Schmerz verursacht und seitdem fühle ich mich so verloren, denn gewisser Maßen gab ich damals meine Familie und meinen größten Schatz weg. Ich bin echt verzweifelt :(

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Kim,

ich halte fest: Du liebst beide und hast zu beiden ein entspanntes Verhältnis. Dennoch machst du dir gerade das Leben schwer. Und ich behaupte: Du machst dir selbst das Problem! Wenn weder O. noch L. von dir verlangen, dich zu entscheiden, gibt es objektiv gesehen keinen Konflikt - denn du kannst theoretisch viele Liebesbeziehungen gleichzeitig führen, ohne dass irgend jemand Schaden nimmt. Das Wunderbare daran ist, dass dir unterschiedliche Menschen unterschiedliche Dinge geben können - und umgekehrt. Eine einzige Person kann niemals alles erfüllen, was du dir wünschst. Das können mehrere Menschen zwar auch nicht zwingend, doch ist es ein bisschen wie mit Freund:innenschaften: Verschiedene Leute sind für diverse Interessen, Gespräche, Aktivitäten gut, für Anderes dann eher nicht so. Vielleicht hast du jetzt so eine Erfahrung gemacht - du liebst O. und vermisst die Beziehung mit ihm, hast aber eben auch eine tolle Zeit mit L., die du ebenfalls nicht missen möchtest.

Wie wäre es, wenn du dich nicht zerreißen lässt, sondern beide Menschen als von dir gleichermaßen geliebt in dein Leben integrierst? Es ist völlig legitim, mehrere Personen zu lieben und mit diesen Beziehungen zu führen. Du kannst dich gerne mit dem Konzept der Polyamorie befassen, denn mitunter findest du dich genau darin wieder. Vielleicht ist Monogamie nicht das Richtige für dich, zumindest momentan nicht. Dann wäre es unsinnig, sich weiter damit zu quälen, sich auf einen einzigen Menschen festlegen zu müssen. Dann wäre es wichtig, mit O. und L. zu sprechen und mit ihnen zu beratschlagen, ob und inwieweit diese Mehrfachbeziehung gestaltet werden könnte. Und definitiv müsstest du dich dann mit deiner Eifersucht auseinandersetzen. Ich denke, das kann dir gelingen. Eifersucht erscheint oft unüberwindbar und furchtbar, doch wenn man sich ihr stellt und sie annimmt, schrumpft sie teilweise beträchtlich. Es ist auch ein Lern - und Erfahrungsprozess, indem an allmählich begreift: Mir wird nichts weggenommen. Denn Liebe ist unendlich da und kein knappes Gut. Und nur, weil mein einer Partner gerade andere Bedürfnisse hat als ich und/oder manchmal auch andere Menschen trifft und liebt, wird seine Liebe zu mir nicht weniger. Im Gegenteil: Bei ehrlicher Kommunikation und fairer Aushandlung von Regeln und Grenzen können alle Beteiligten enorm daran wachsen und an persönlicher Freiheit gewinnen, weil sie spüren: Ich kann meine elementaren Bedürfnisse leben und muss mich nicht künstlich einschränken!

Es kann natürlich sein, dass Polyamorie nicht das ist, was dich ein Leben lang erfüllt bzw. auch jetzt nicht zu dir/euch passt. Dennoch halte ich es für wichtig, da genau hinzuhorchen und auch das Thema offene Beziehung anzugehen. Wer weiß, vielleicht willst du wirklich nur mit einem der beiden eine Liebesbeziehung und mit dem Anderen gelegentlich Sex haben oder einfach Nähe in jeglicher Hinsicht. Was auch immer. Jedenfalls klingt deine Darstellung für mich nicht nach einer klassischen monogamen Konstellation.

Hier kannst du z.B. weiterlesen:
Was ist Polyamorie? http://www.polyamorie.de/definition-silvios-poly-buch-online-50.html
Umgang mit Eifersucht: http://www.polyamorie.de/strategien-silvios-poly-buch-online-57.html

Ich wünsche dir, dass du bald für dich herausfindest, was du möchtest und dies dann ohne Gewissensbisse umsetzen kannst.

Alles Liebe!
Nuala