Problem von Jacqueline - 18 Jahre

Meine Eltern sagen zu mir ich wäre eine Schlampe

Hey,

Also, mein Problem ist, dass ich zu Hause garnicht mehr klarkomme. Fast jeden Tag ist zu Hause Streit, angeblich wegen mir. Zudem habe ich fast gar keine Freunde, weil ich eher schüchtern bin und es mir schwer fällt auf andere zuzugehen. Fast alle Mädchen in meiner Stufe haben einen Freund. Mir ist klar, dass man dann nicht auch unbedingt ein Freund haben muss, aber ich fühle mich auch irgendwie einsam und habe manchmal das Gefühl dass ich immer allein bleiben werde.

Ich hatte mich deswegen also auf Tinder angemeldet um Leute kennenzulernen. Bisher hab ich mich auch mit 2 getroffen. Nur ist es so, dass wenn ich mich mit jemanden treffen möchte und es meiner Mutter erzähle, dass sie dann ein riesen Theater macht. Sie verbietet es mir nicht, weil ich ja 18 bin, aber ich muss mir anhören was für eine Schlampe ich wäre und wie billig ich mich hergebe, weil ich mich mit Männern treffe. Auch mein Vater nennt mich so. Er hat es mir zwar nicht ins Gesicht gesagt, aber ich habe es öfter gehört wenn er mit meiner Mutter alleine ist. Da ich kurz vor dem Abitur stehe hab ich auch viel Stress in der Schule mit lernen und Klausuren. Ich war deswegen auch oft gereizt weil mir das alles zu viel wird (sitze an den Hausaufgaben immer bis 10/11 Uhr) Mein Vater hat das nicht verstanden und meinte zu meiner Mutter "ich hätte schlechte Laune weil ich gerade keinen Typen zum vög... hätte. "

Ich weiß nicht warum meine Eltern so schlecht von mit denken. Ich gehe nicht jedes Wochenende feiern, rauche und trinke nicht und bin auch noch Jungfrau. Ich treffe mich ja nur mit denen um mal was anderes zu sehen. Ich sitze jedes Wochenende nur zu Hause rum (auch wenn ich nicht lernen muss).

Zudem fühle ich mich auch sehr einsam weil ich nicht viele Freunde hab da es mit schwer fällt aus andere zu zogen wobei sich das in den letzten Monaten schon etwas verbessert hat. Zudem hab ich ein sehr schlechtes Selbstbewusstsein weil ich mich nicht besonders attraktiv finde (wobei sich das in den letzten Monaten auch etwas verbessert hat) und meine Eltern mich immer fertig machen, weil ich ja so billig wäre und nichts im leben schaffe.

Ich möchte studieren aber meine Mutter traut mir das nicht zu, weil ich so dumm wäre. Weil ich wie gesagt ein sehr geringes Selbstbewusstsein habe, glaube ich das dann auch. Ich denke auch immer, dass ich selber Schuld bin, dass meine Eltern so zu mir sind. Es ist auch fast jeden Tag Streit zu Hause, angeblich wegen mir. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Ich möchte auch gerne ausziehen nach meinem Abitur, aber ich weiß nicht wie ich das alleine einfach schaffen soll.

Ich glaube auch dass ich Borderline habe, bin mir jetzt nicht sicher aber viele Symptome treffen auf mich zu wie z.b dass ich Problem mit dem verlassen werden habe, starke Stimmungsschwankungen und ein gestörtes Selbstbild.

Ich habe auch schon dreimal versucht mich umzubringen. Ich sage das meinen Eltern dass Ich Probleme hab und es erklär es ihnen auch warum aber die sagen mir nur die Selbstmordversuche würde ich nur machen wegen Aufmerksamkeit und ich wäre an allen meinen Problemen selber schuld.

Was soll ich in meiner Situation jetzt machen? Nach meinen Abitur ausziehen? und bis dahin die Beleidigungen versuchen zu ignorieren? ich bin verzweifelt

LG Jacqueline

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Jaqueline!

Das hört sich ganz mies an, was du täglich durchstehen musst. Ich finde es sehr traurig, dass dich deine Eltern dermaßen runtermachen, anstatt dich wertzuschätzen und zu unterstützen.

Ich sehe das Grundproblem vor allem darin, dass gerade drei zentrale Punkte zusammenkommen:
1. Deine schlechte Eltern - und Wohnsituation
2. Der akute Lernstress fürs Abi
3. Deine soziale Isolation

Zu deiner Frage wegen des Ausziehens kann ich dich bestärken: Ich denke, das solltest du rasch nach deinem Abitur anstreben. Und auch, wenn es dir momentan unvorstellbar scheint, kannst du den Auszug und das Alleinewohnen realisieren! Dafür gibt es nicht nur finanzielle Unterstützung wie BaföG, Wohngeld, dein Kindergeld, Studienkredit etc., sondern auch soziale Hilfen. Ich würde dann in einer Familienberatungsstelle konkret besprechen, wie und wann es am günstigsten wäre. Da bekommst du dann alle Informationen, die den Anfang möglich machen und dir Motivation geben, die weiteren Schritte anzugehen.
In einer Beratungsstelle könntest du außerdem deine Vermutung bezüglich Borderline thematisieren. Das wäre auch wichtig, mit deinem Hausarzt/deiner Hausärztin zu sprechen. Je eher du in dieser Hinsicht Gewissheit bekommst, desto besser. Das kannst du ruhig jetzt schon tun, denn gerade Termine bei Fachpersonen im therapeutisch -psychiatrischen Bereich sind teilweise rar oder spät zu bekommen. Also kann es sein, dass du dann direkt nach dem Abitur eine ggf. nötige Therapie beginnen könntest. Falls du dich jetzt aber wirklich ausschließlich auf das Lernen konzentrieren möchtest (und dein Leidensdruck nicht so hoch ist), kannst du das Ganze auch erst nach dem Abi anpacken.

Du scheinst durch deine Eltern über Jahre systematisch gedemütigt worden zu sein. Das hinterlässt tiefe Spuren. Eigentlich sollte es so sein, dass Eltern einen aufbauen und zu einem starken Menschen heranwachsen lassen, indem sie Liebe, Geborgenheit, Förderung und Vertrauen in die Fähigkeiten ihres Kindes geben.
Doch auch wenn du gerade an einem Punkt bist, an dem du dich zerschlagen, klein und wertlos fühlst, gibt es immer die Chance, das Leben zu verändern, um sich langfristig besser und besser zu fühlen! Das kannst auch du schaffen! Richte dich innerlich und äußerlich auf! Die gestreckte Körperhaltung ist das erste Wichtige, das du tun kannst. Wer sich körperlich duckt, fühlst sich auch so - und umgekehrt. Diesen Teufelskreislauf kannst du gezielt durchbrechen. Mach das mehrmals am Tag, immer dann, wenn du dich wieder niedergeschlagen fühlst. Recke dein Kinn, mache dich lang, Schultern gerade, Blick nach vorne. Du wirst merken: Es hilft!

Deine Eltern reden dir ganz viel Schwachsinn ein. Ich weiß nicht, wie sie darauf kommen, du seist eine Schlampe. Das Wort ist derart frauenverachtend, da wird mir richtig übel :( Du kannst 1. mit so vielen Menschen Sex haben, wie du willst. Und 2. geht das deine Eltern einen feuchten Dreck an, mit wem du dich triffst und ob du mit den Leuten dann Kaffee trinkst oder dich vergnügst. Sex und Intimität allgemein sind tolle Sachen, die glücklich machen können! Es ist doch toll, wenn du Glücksgefühle durch Sex bekommst. Oder durch Gespräche. Oder einfach durch das Rauskommen aus der häuslichen Enge. Das haben deine Eltern offenbar noch nicht begriffen - oder sie gönnen es dir schlichtweg nicht. Das ist sehr schade und lässt tief blicken, dass sie selbst wahrscheinlich nicht gerade sonderlich zufrieden mit ihrem Leben sind. Vielleicht haben sie selbst auch zu wenig Positives von ihren Eltern mit auf den Weg bekommen.
Also: Du bist gut als Jaqueline, egal was du tust. Du bist als Mensch wichtig und richtig, daran gibt es nichts zu rütteln.
Deswegen solltest du dich weiter mit Leuten treffen und diese Treffen genießen! Hier ist es sehr wichtig, dass du auf dein Gefühl achtest und dich nicht "wahllos" mit jemandem triffst. Und natürlich kannst du jederzeit wieder gehen, wenn dir etwas zu weit geht oder du dich anderweitig unwohl fühlst. Oder einfach keine Lust mehr hast. Das musst du im Zweifelsfall auch nicht großartig begründen. Ich schreibe das deswegen, weil du noch unerfahren bist und ich es schlimm fände, wenn du deine ersten (sexuellen) Erfahrungen auf sehr unschöne Weise machen würdest.

Zum Thema Lernen und Abistress ist zu sagen, dass es sehr vielen Schüler:innen momentan so geht. Der Druck scheint teilweise enorm zu sein. In deiner Situation ist es wahrscheinlich am geschicktesten, wenn du möglich oft woanders lernst - also entweder in der Schule, in der Uni, in der Bücherei etc. Vielleicht kannst du auch eine Lerngruppe mit ein paar Anderen bilden! Daraus kann sich bestenfalls dann sogar ein engerer Kontakt entwickeln.
Hier geht es unter anderem auch um das nahende Abitur - und via Suchfunktion findest du noch mehr:
https://mein-kummerkasten.de/331070/Ich-habe-keine-Kraft-mehr.html
https://mein-kummerkasten.de/331103/Ich-fuehle-mich-ueberfordert-und-ausgelaugt.html
Noch ein kleiner Tipp: Erlaube dir, immer wieder auf "Traumreise" zu gehen, wenn du gerade eine Lernpause benötigst. Male dir aus, wie deine Zukunft rosig aussehen kann! Was würdest du dir erträumen? Was würde dir besonders gefallen? Das kann dir Mut und Motivation geben, jetzt durchzuhalten - und würde dir helfen, nach dem Abi nicht in ein Loch zu fallen und antriebslos zu sein. Denn dann hast du schon Ideen, wie es weitergehen kann, z.B. wohin du ziehen möchtest, was du als Ausbildung oder Studium anstreben willst oder ob du erstmal reisen und im Ausland arbeiten willst. Oder nichts davon, einfach entspannen! :)

Es steht bei dir bald ein neuer Lebensabschnitt an. Nach deinem Schulabschluss hast du so viele Optionen - die Welt steht dir offen! Das kann zunächst überfordernd wirken. Doch wie schon geschrieben: Wenn du jetzt schon davon fantasierst, wie es für dich weitergehen kann, hast du etwas in der Hand und kannst souverän dem Neuen begegnen.
Dieser neue Lebensabschnitt eröffnet auch immer verstärkt das Kennenlernen anderer Menschen. Sei es im Studium, da gibt es gerade am Anfang viele Veranstaltungen, damit sich die "Erstis" beschnuppern und finden können. Und so eine Stadt bietet dann auch außerhalb der Uni viele Orte und Einrichtungen, um mit jemandem in Kontakt zu kommen. Ich glaube, das kann dir sehr gut tun, weil es dann nicht mehr so wichtig ist, was in der Vergangenheit war. Natürlich kannst du bestimmte Erinnerungen, Hemmungen und Erfahrungen nicht einfach abschütteln. Doch du hast eben neue Möglichkeiten, aus denen du passende auswählen kannst. Das ist schon mal was!
Sei es in den neuen Freizeitmöglichkeiten, die ein (weiterer) Wegzug bieten kann. Durch das Teilen von Interessen kann man neue Freund:innen finden, auch wenn es durchaus eine Weile dauern kann. Da ist Durchhaltevermögen und Zuversicht gefragt. Echte Freund:innenschaften müssen wachsen wie kleine Pflänzchen und benötigen entsprechende Zuwendung und Pflege.

Bezüglich deiner Eltern kannst du die verlockenden Vorstellungen nutzen, um dir eine Art Schutzschild oder Blase aufzubauen, an denen die blöden Sprüche abprallen. Du kannst dir Sätze sagen wie "Ich weiß, dass ich toll bin.", "Bald bin ich hier weg und muss mir das nicht mehr antun!", "Mein Abi schaffe ich, denn ich bin kompetent!", "Ich bleibe gelassen." , "Ich atme tief durch und schütze mich." etc. Da kannst du für dich stimmige Sätze entwickeln, die dich sozusagen schützen.
Es wird also viel auf Ignorieren und Weggehen hinauslaufen. Denn deine Lage ist so verfahren und das Verhalten deiner Eltern lässt sich nicht mal eben umkrempeln. Doch du hast es in der Hand, dein Verhalten zu ändern. Indem du dich schützt, abgrenzt und dich selbst nicht zusätzlich niedermachst.
Es geht jetzt darum, dass du durch die Abizeit kommst. Was danach kommt, wird sich zeigen. Dann wäre es auch erwägenswert, deinen Eltern eine "Abrechnung" zu präsentieren und ihnen klare Regeln aufzuzeigen, wie es in Zukunft laufen soll: Respektvoll, tolerant und wertschätzend. Wenn ihnen das nicht gelingen will, haben sie eben die Konsequenzen zu tragen, dass du dich immer weniger blicken lässt. Denn niemand muss sich weiter fertigmachen lassen! Dazu haben deine Eltern kein Recht. Aber wer weiß - Menschen können sich ändern. Fang bei dir selbst an und ernte die Früchte deiner veränderten Haltung, im wahrsten Sinne des Wortes!

Ich wünsche dir alles Gute und drücke dir fest die Daumen für dein Abitur.
Nuala