Problem von Marie - 17 Jahre

Ich weiß nicht was mit mir los ist

Also ich weiß nicht wie ich es erklären soll eigentlich war ich immer mit meinem Leben zufrieden aber seit längerer Zeit schweift das alles ab, also es fängt an das ich manchmal anfangen muss zu weinen und über alles nachdenken muss und alles schrecklich rüber kommt obwohl garnichts ist. Aber ich erwarte von mir selber halt auch einfach viel zu viel, ich stresse mich selbst sozusagen ich sage zu mir selbst du musst unbedingt Sport machen du musst unbedingt Bilder machen du musst unbedingt neue Sachen kaufen um mit den anderen mithalten zu können, obwohl ich das alles garnicht will... Ich hab eine tolle große Familie bin ziemlich sportlich tanze gerne und hab nette Freunde und eine normale Figur. Und ich zweifle jeden Tag an meinem Selbstvertrauen ich schäme mich Bilder von meinem Gesicht zu posten obwohl ich jetzt normal gesagt garnicht Hässlich bin. Ich vergleiche mich oft mit Leuten und sage mir dann warum kann ich nicht so toll sein...

Und dann hab ich noch ein kleines Problem ich schlafe viel zu viel gehe normal/früh ins Bett gehe zur Schule bin da schon müde, komme nach Hause erledige meine Hausaufgaben und schlafe wieder 4h bis Abends, esse dann und gehe eventuell noch zum Sport...ich will am Tag eigentlich mal raus gehen oder mein Zimmer aufräumen oder lernen oder mit meinen Eltern mal etwas reden aber es klappt nie weil ich den Drang habe zu schlafen... und ich sage mir fast jeden Tag hör auf bleib wach aber ich schaffe es nicht...

Und jetzt noch zu den schlimmen Dingen
Meine Familie ist echt toll ich liebe sie überalles aber mein Vater arbeitet viel zu viel und das merkt man, er versucht wirklich jeden Tag mich mit einem Lächeln zu begrüßen was ich so schätze und deswegen will ich ihn nicht mit meinen Problemen zu heulen oder ihm mal fragen ob er mir beim Lernen helfen könnte, ich will ihm nicht noch mehr antun weil meine Schwester wirklich so süß,verrückt und Crazy ist aber manchmal uns alle auch mit unseren Nerven zum kochen bringt klar das ist bei jeder Familie so das man Streitet aber sie hat nur Dummheiten im Kopf und hört so selten auf meine Eltern und meine Schwester hat glaube ich auch Depression deswegen sind meine Eltern auch viel zu nett mit ihr und aus dem Grund will ich meine Eltern schon nicht nerven weil sie ja gleichzeitig genug Stress haben durch meine Schwester.
Und vor kurzem hatte mein Freund einen schweren Motorradunfall...

Ich weiß nicht was mit mir los ist ich sag selber ich hasse mein Leben...
Ich weiß einfach nicht weiter...sorry wenn ich nerve, vielleicht könnt ihr mir etwas weiter helfen.
Ich würde mich wirklich wahnsinnig freuen über eine Antwort.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Marie,

wie soll man es ausdrücken? Die Frage, was genau hier eigentlich abgeht, stellen wir alle uns - unser Leben lang. Die ehrliche Antwort ist: Wir wissen es nicht. Aber ich persönlich denke, dass jeder Mensch seinen eigenen Sinn finden muss. Du stehst in einer schwierigen und spannungsreichen Phase deines Lebens - und niemand kann dir vorwerfen, dass du dich überfordert fühlst.

Der erste wichtige Rat, den ich dir geben kann, ist dieser: Sage dir grundsätzlich, dass du nicht einfach glücklich sein "musst", weil du - objektiv betrachtet - ein sicheres Leben frei von materiellen Sorgen führst. Wenn du dich umsiehst, wirst du immer - egal wie schlecht es dir geht, oder wie arm du bist - jemanden finden, der ein viel schlechteres Los hat. Es ist niemandem geholfen, wenn du dich selbst beschwörst, nach dem Motto "Ich habe keinen Grund, unglücklich zu sein, ich bin undankbar, ich bin verwöhnt, ich sollte demütiger sein..." Das führt zu nichts, denn du kannst deinen Gefühlen nicht befehlen - schon gar nicht kannst du einfach entscheiden, glücklich zu sein, wenn du es nun mal nicht bist. Zum Anderen: Jedes Problem verdient eine Hilfe. Vielleicht ist die, die gerade gebraucht wird, geringer als bei einem anderen Menschen - aber wenn ich immer denjenigen vorziehen wollte, der tatsächlich oder vermeintlich eher Hilfe und Unterstützung braucht, ehe ich mich mir selbst widme, dann bin ich irgendwann ausgelaugt und kann niemandem mehr Unterstützung bieten. Deshalb solltest auch du den Gedanken zulassen, dass es nicht unbedingt einen triftigen Grund für eine Sinnkrise braucht. Manchmal ist sie einfach da. Und dann kann man sie nicht einfach ignorieren, wegblinzeln, sich verbieten, sondern es müssen Strategien dagegen entwickelt werden.

Wenn du dir verbieten willst, den Schmerz, die Unsicherheit und die Erschöpfung, die du fühlst, zu haben, dann liegt es nur auf der Hand, dass dir das nicht gelingt und sie sich gegen dich selbst richten: Du vergleichst dich und suchst verzweifelt nach Gründen, warum es dir gerade schlecht geht, wozu doch angeblich kein Anlass besteht. Die Anderen, die dir glücklich erscheinen, haben dann immer etwas, was in deinen Augen dafür sorgt: Schmalere Hüften, schönere Haare, ein ansteckenderes Lachen, bessere Fitness... irgendetwas lässt sich immer finden. Und je länger das in dir schwelt, desto größer wird es, bis sogar die vorher selbstverständlichsten Alltagshandlungen immer schwieriger und unangenehmer werden. Vergiss dabei vor allem nicht: Auch emotionale Anstrengung ist Anstrengung, und zwar massiv! Die Selbstkritik, die du ständig übst, deine Zweifel und deine Unzufriedenheit fordern natürlich ihren Tribut. Deshalb ist es auch nur logisch, dass du, sobald sich die Gelegenheit bietet, nichts weiter willst als schlafen. Der Schlaf deckt vieles zu, er ermöglicht wenigstens für den Moment, sich von dem anstrengenden Gedankenkreise zurückzuziehen. Umso weniger gerne stehst du dann wieder auf - und wenn, dann oft ja nur, um dich im Training wieder mit Menschen zu konfrontieren, die die hübscher, beliebter, gewandter erscheinen als du selbst. Dadurch wird das, was dir zuvor Kraft gegeben hat, dir geholfen hat, vom Stress Abstand zu gewinnen, zum größten Verursacher von Stress. Überall bedrängt dich der Vergleich, überall hast du den Eindruck, als würden dir deine Mängel und Fehler vorgeführt - und aus diesem Kreis entkommst du nicht, denn es geht ja jeden Tag von vorne los, in der Schule, im Training. Noch einmal, Marie: Erwarte nicht von dir, dass du heldenhaft erträgst, was schon viele gefestigte Gemüter schwer betroffen hat! Objektiv weißt du, dass auch du hübsch und klug bist - jedenfalls bin ich davon überzeugt. Aber etwas mit dem Verstand wissen, und mit dem Herzen fühlen, sind natürlich zwei verschiedene Dinge.

Man kann das Herz nicht anweisen, dem Verstand zu folgen. Aber man kann daran arbeiten, die zwei wieder zur Zusammenarbeit zu bringen. Im Augenblick ist das bei dir nicht der Fall: Dein Herz will den Selbstzweifeln freien Lauf lassen, will dich kritisieren, abwerten - dein Verstand will es ihm verbieten; dein Herz will seine Unzufriedenheit mit deinem Leben, das Gefühl der Enge, der Traurigkeit fließen lassen - dein Verstand will es zur Ordnung rufen, schimpft es, dass es Marie doch gut geht... und am Ende bist du vollkommen erschöpft, irritiert und orientierungslos. Das ist der Zustand, in dem du jetzt bist. Ich will es dir nicht verschweigen: Er wird nicht von heute auf morgen verschwinden. Aber es ist möglich, ihn zu überwinden. Der erste Schritt dazu ist, dir selbst zu sagen: Ich habe ein Recht darauf, getrieben, unglücklich zu sein, mich eingeengt zu fühlen; ich darf eine Sinnkrise haben, weil das in meinem Alter weder ungewöhnlich, noch unverständlich ist. All die Erwartungen, die an dich herangetragen werden, all die Pläne und Träume, all die Ängste, all das, was sich ändert - Schulabschluss, vielleicht Auszug, Auslandsreisen, Lehre oder Studium, alles möglich, nichts sicher, vieles interessant, aber auch alles irgendwie beängstigend... Marie: Es ist keine leichte Aufgabe, seinen Weg und seinen Platz zu finden. Viele Menschen suchen ihr ganzes Leben. Dass du deine Gefühle formuliert hast, und - vor allem! - zugegeben hast, dir deine Situation zurzeit selbst nicht erklären zu können, ist ein großer Schritt, der dich stolz machen darf. Denn zu wissen, dass man nichts weiß, statt zu erwarten, es schon wissen zu müssen - das ist der erste Schritt, um herauszufinden, wie es weitergeht.

Du musst jetzt noch keinen Plan haben, was du aus deinem Leben machst. Viel wichtiger ist etwas Anderes: Nicht mehr von Schmerz zu Schmerz, von Erschöpfung zu Erschöpfung zu treiben, sondern die Gewalt über deinen Tag zurückzugewinnen. Es ist gegen einen Schlaf nichts einzuwenden - nur solltest du darauf hinarbeiten, ihn zu begrenzen: Wenn du dich hinlegst, um auf unbestimmte Zeit einzunicken, wird es dir auch schwer fallen, wieder aufzustehen. Deshalb brauchst du einen Rhythmus, den du einzuhalten versuchst - es ist nicht schlimm, wenn es dir nicht immer gelingt, aber andererseits ist es dann auch vollkommen in Ordnung, dass du es tust. Versuche also den nachmittäglichen Schlaf auf eine Stunde zu begrenzen. Dann brauchst du einen effektiven Wecker - sagen wir, einen Song, der dich daran erinnert, woran du arbeitest, nämlich daran, dein Leben neu zu ordnen. Überhaupt braucht es Motivation: Wenn du gerade das Bedürfnis hast, dir ein neues Teil zu kaufen, nun gut - dann tu das am Wochenende, wenn du Zeit hast und dich belohnen kannst. Und wenn du den Wunsch hast, dein Styling zu verändern, dann mach aus der Not eine Tugend: Sieh es nicht als verzweifeltes "Ich muss mich ändern, damit ich gemocht werde", sondern wandle den Frust in Neugier - "Ich würde gern wissen, wie die Leute reagieren, wenn ich meinen Style verändere." Nimm dir länger Zeit, um zu überlegen, wie du dich verändern willst - welche Frisur, welche Farben und Farbkombinationen, welche Düfte, und spare dein Geld, um ihn gründlich zu verwirklichen. Auf diese Weise hast du ein Ziel, etwas, worauf du dich freuen kannst, und zugleich ist das, was dich frustriert, ein positiver Anreiz geworden. Denn wenn du deinen Stil änderst, dabei aber krampfhaft gefallen willst, wird sich das auch darauf auswirken, wie du wahrgenommen wirst: Deine Unsicherheit strahlt von dir aus und wandelt sich in Vorsicht bei den Anderen, nach der Art, "Hey, was ist denn bei Marie los? Hat die eine Krise?" Wenn du dagegen gespannt und stolz auf das, was du dir geschaffen hast, ankommst, wird die Reaktion eher ein "Hey, was ist denn bei Marie los! Echt klasse!" sein. Es ist nicht zu leugnen, dass der Mensch nicht nur durch "innere Werte" gefällt. Aber die inneren Dinge sind es, die das Äußere erst wirklich interessant machen: Deine Lebenslust, dein Lachen, deine Offenheit. Deshalb ist es wichtig, dass du dich nicht von Tag zu Tag dahinschleppst, sondern Pläne, Ziele und vor allem Rituale ausbildest. Sie müssen nicht Jahre voraus reichen. Aber es genügt, wenn du, sagen wir, weißt, wo du in vier Wochen stehen willst. In dieser Weise kannst du auch dein Training strukturieren: Versuche dich konsequent auf dich zu konzentrieren, auf das, was du für deinen Sport und deinen Körper erreichen möchtest, und nicht darauf, was die Anderen beim Tanzen wieder denken. Es wird dir nichts einbringen, wenn du dich selbst wie ein Stück Fleisch auf den Markt trägst, schon damit rechnest, begutachtet zu werden, statt wertgeschätzt - du musst deinen Sport leben, weil das DU bist. Wenn dir das nicht gelingt, sondern damit nur ein Leidensdruck verbunden ist, solltest du darüber nachdenken, eine Weile zu pausieren, um wieder mit dir ins Reine zu kommen.

Nun gibt es da noch die Sache mit deiner Schwester. Und ich muss dir ehrlich sagen: Ich selbst war einmal in der Situation, dass ich in meiner Familie das "Sorgenkind" war, alles sich um mich drehte... meine Geschwister hatten so zu funktionieren. Bis es dann irgendwann aus meinem Bruder herausbrach, und er mich anfuhr: "Verdammt, ist dir klar, dass deine Krise uns alle betrifft, dass wir unser ganzes Leben um dich herum ausrichten, während du es nicht einmal merkst?" Ich fordere dich keineswegs auf, mit deiner Schwester Streit anzufangen. Ich möchte dir aber gerne begreiflich machen, dass, wenn du deine eigenen Bedürfnisse nicht anmeldest, das über kurz oder lang zum Schaden aller ist. Denn wenn deine Schwester sogar noch tiefere Täler durchwandert als du selbst, benötigt sie auch Weckrufe - sonst kann es geschehen, dass sie sich in der Rolle des "Gekümmerten" einlebt, ohne es zu merken, und unrealistische Vorstellungen vom Leben jenseits dieser Rolle bekommt. Auch sie ist irgendwann in der Verpflichtung, ihr Leben wieder zu ergreifen, nicht mehr vor sich hin zu leben, sondern die Schule fertig zu machen, Belastungen auszuhalten. Wenn du ihr nicht einmal zumuten willst, dass du, ihre Schwester, etwas von der Fürsorge eurer Eltern abziehst - wie soll sie es dann aushalten, wenn sie älter ist und eure Eltern dazu nicht mehr die Zeit oder die Kraft haben? Zumal an einem Platz, wo sie keine herausragende Rolle einnimmt, in Schule und Job? Jede Therapie hat als einen wesentlichen Teil, die eigenen Kräfte des Therapierten zu wecken. Denn wenn einmal festgestellt wurde "Dieser Mensch hat ein Problem" (braucht also eine Sonderbehandlung), entsteht irgendwann die Verlockung, diese als selbstverständlich zu nehmen. Dass du um die Probleme deiner Schwester weißt und sie nach Kräften zu unterstützen versuchst, steht nicht dazu im Widerspruch, dass du dir mehr Aufmerksamkeit wünschst und Ängste hast, die du gerne besprechen möchtest. Und so, wie du deine Eltern schilderst, wäre ihnen gewiss nichts unrechter, als dass du deine Gefühle in dich hineinfrisst, bis du irgendwann nicht mehr kannst. Suche das Gespräch mit ihnen und bitte sie um Hilfe, wenn du glaubst, dass sie dir helfen können - und mach dir keine Gedanken, ob du ihnen etwa zuviel zumutest. Sie sind deine Eltern - dies ist ihr Job. Und du verlangst nicht zuviel, wenn du dir wünschst, als junges Mädchen an der Schwelle zum großen Leben deine Ängste und Sorgen zu thematisieren. Vielleicht haben deine Eltern ja eigene Erfahrungen, die sie dir mitteilen können, oder vielleicht gibt es schon kleine Dinge in eurem Alltag, die sich umstellen lassen, sodass es dir besser geht? Zum Beispiel, dass du deine Eltern informierst, wie schwer dir die Einhaltung deines Schlafrhythmus fällt, und sie dir dabei behilflich sind? Oder sie für dich da sind, wenn du gerade in Sorge um deinen Freund bist? Es sind ganz verständliche Ängste und Probleme, Marie. Niemand hat sie lächerlich zu finden. Es sind die deinen, aber deshalb sollst und kannst du damit nicht allein bleiben. Jeder hat ein Recht auf Verständnis und Beistand.

Ich wünsche dir die nötigen Gelegenheiten und den Mut, um anzusprechen, was du ansprechen musst. Auch wünsche ich dir die Standhaftigkeit und das Zielbewusstsein, die du brauchst, um deinem Leben eine Richtung zu geben. Vergiss nie die wichtigste Grundregel: Habe keine Angst vor dem nächsten Tag - sondern sei neugierig auf ihn! Frage nicht "Oh je, was das wieder werden wird!", sondern sei offen und sage dir "Was wird mich da wohl erwarten? Ich bin gespannt!" Und du darfst gespannt sein, Marie, denn dein Leben fängt an. Es wird wunderschön, glaube mir.

Wenn sich deine Situation entwickelt oder du noch Redebedarf hast, darfst du dich gern jederzeit wieder bei uns melden. Ich werde dann - wenn du das möchtest - die Beantwortung übernehmen. Diesmal rascher, ich verspreche es.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul