Problem von Rebecca - 17 Jahre

Die ganze Klasse gegen mich

Hallo, ich mache zurzeit mein Fachabitur auf einem Berufskolleg. Am Anfang war meine Klasse ganz in Ordnung, doch dann vor ca.2 Wochen ist etwas vorgefallen was alles verändert hat. Ich war die Klassensprecherin der Klasse und wurde von meiner Lehrerin gebeten eine Whatsapp- Klassengruppe zu erstellen um Infos über Ausfälle und Vertretungen weiterzuleiten. Das habe ich dann auch gemacht. Jedoch wurde die Gruppe nicht dafür genutzt...! Erst haben sie die Gruppe mit den üblichen Nachrichten voll gespamt was sie so machen etc. Doch an einem Wochenende fingen 3 Jungs an wirklich schreckliche Sachen in die gruppe zu schicken. Erst fingen sie an mit Videos und Fotos über Hitler. Sie machten sich lustig und schickten Hakenkreuze, danach schickte einer 3 Videos wo Menschen schwer verletzt bzw. sogar getötet wurden. Ein Tod durch Verkehrsunfall (man konnte alles sehen), ein Video wo ein Mann einen anderen Mann der am Boden lag mit einer Spitzhacke schwer verletzt und dann ein Video vom IS, wo ein Mann in die Luft gesprengt wird. Ich habe das gesehen und war so geschockt davon, habe mich übergeben und geweint. Sowas geht in meinen Augen gar nicht! Ich bin also zu meinem Lehrer gegangen und habe das gemeldet. Der Lehrer hat direkt den Schulleiter informiert und dieser die Polizei. Einen Tag später kam die Polizei und führte Gespräche mit den Jungs. Danach sprach meine Lehrerin das in der Klasse an und alle guckten mich direkt an und wussten sofort das ich das war. Die sind alle total ausgerastet und haben dumme Sprüche abgegeben und mir teilweise gedroht das sie meiner Mutter die Reifen aufstechen wollen oder ich aufpassen sollte weil ich noch alles zurück kriegen würde. Die komplette Klasse ist gegen mich. KEIN Einziger, aber wirklich NIEMAND ist auf meiner Seite. Ich stehe dazu und habe das offen gesagt das ich das war. Ich weiß für mich das ich nichts falsch gemacht habe. Der einzige Grund wieso ich das gemeldet habe ist, das ich solchen asozialen Menschen keinen Platz geben will im Internet und im realen Leben um sowas zu verbreiten. Ich verstehe nicht wie man sowas lustig finden und verbreiten kann. Die ganze Klasse ist der Meinung ich hätte sie "verraten" und "hintergangen" und ich bin die Böse. Ich lasse mir die dumme Sprüche von denen nicht gefallen und ignoriere das. Aber warum ich hier euch meine Geschichte erzähle ist weil ich nicht mehr weiter weiss. Normalerweise bin ich eine starke Persönlichkeit, sage was ich denke und lasse mir nichts gefallen. Aber ich bin so verunsichert wie noch nie. Ich habe keine Lust mehr zur Schule zu gehen weil ich komplett alleine bin und NIEMAND zu mir hält. In den Pausen stehe ich komplett alleine und im Unterricht arbeite ich auch alleine. Im Sommer nach den Ferien wechsel ich sowieso auf ein anderes Berufskolleg weil ich umziehe aber ich halte es bis dahin nicht aus. Ich schaffe das einfach nicht. Meine Lehrer stehen alle hinter mir und versuchen mir zu helfen und meine Mutter auch. Ich bin denen auch sehr dankbar, aber das hilft mir in der Schule halt einfach nicht.

Hat irgendwer ein paar Tipps für mich, oder ist jemandem schonmal sowas ähnliches passiert? Ihr würdet mir sehr helfen wenn ich ein paar Antworten erhalten würde. Vielen Dank!

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Rebecca,

ich habe ein paar Tage vergehen lassen müssen, um auf deine bewegende Erzählung antworten zu können. Leider kann ich dir keine unmittelbare Hilfe bieten, doch bin ich froh, dass du dir Hilfe bei denjenigen gesucht hast, die es können - und auch die Polizei einzuschalten war in diesem Fall sicher richtig.

Wir können die Fakten ganz klar benennen, Rebecca: Du weißt, dass du moralisch richtig gehandelt hast. Ihr seid keine Kinder mehr, weswegen deine Mitschüler auch wissen können und müssen, wann die Grenzen des Anstands übertreten sind. Es ist deine Aufgabe nicht nur wegen deines Amtes, sondern auch als Mensch, die Einhaltung dieser Grenzen von ihnen zu fordern. Was du getan hast. Noch schwerer wiegt, dass hier von deinen Mitschülern nicht nur die Menschlichkeit mit Füßen getreten, sondern eben auch Straftaten begangen wurden. Ich will nicht weiter darüber reden - es gibt ohnehin keine Möglichkeit, den Ekel und das Entsetzen, die auch du empfunden hast, angemessen zu beschreiben. Doch sollst du wissen, dass auch ich ganz und gar hinter dir stehe.

Du hast deine menschlichen und demokratischen Pflichten erfüllt. Das mit Begriffen wie "Verrat" und "Hintergehen" zu beschreiben, wie deine Klasse es tut, zeugt von deren Unreife und Selbstgerechtigkeit: Mit diesen Worten werden diejenigen - die Täter - die die offene Gesellschaft und die Menschenwürde verhöhnt haben, als Opfer dargestellt. Dieses Verhalten ist fast noch beschämender als die Posts selbst: Dass der, der sich über den Anstand erhaben glaubt, sich als den eigentlich Anständigen beschreibt, der verkauft worden ist, zeigt, dass er nicht unfähig, sondern einfach unwillig ist, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Recht ist das, was ich will und mir nützt - so die Logik. Dass nicht jeder, der etwas Anstößiges, gar Ungesetzliches tut, und dem das auf die Füße fällt, gleich ein Widerstandskämpfer ist, und dass auch die Freiheit der Rede und des Denkens ihre Grenzen in der Menschenwürde haben, will diesen Leuten nicht einleuchten. Und wenn du mir die Spitze gestattest: Wir können gerade überall in Europa sehen, wohin es führt, wenn Unanständige sich als anständig bezeichnen! Aber das muss dich hier nicht beschäftigen. Du hast dein Teil getan, und alles, was sie jetzt noch tun, lässt nur vorausahnen, wie wenig sie auch in Zukunft dem Bildungsziel näher kommen werden. Das ist traurig und enttäuschend, aber nicht dein Problem.

Die eigentliche Frage ist: Wie im Schulalltag damit umgehen? Im Grunde hast du nur zwei Möglichkeiten, Rebecca. Entweder ignorierst du es total - dann wird es sich früher oder später überlebt haben, oder spätestens, wenn du die Schule wechselst. Genauso gut kann es dir allerdings als Schwäche ausgelegt werden. Im Übrigen ist es ja nicht leicht, gar nicht zu reagieren, wenn du darauf angesprochen wirst. Du musst also entscheiden, womit DU dich besser fühlst: Es zu ignorieren und einfach wegzugehen, wenn es sich anbietet, verhindert zwar wahrscheinlich eher eine weitere Eskalation - wo Leute mit dir Streit anfangen wollen, läuft sich das tot, weil du nichts erwiderst und sie nur über dich sagen können, was sie sowieso schon zu wissen glauben. Auf der anderen Seite wird dir das innerlich stark zusetzen, da du beleidigt wirst, ohne dich wehren zu können. Darüber hinaus gibt es ja im Unterricht und anderswo Situationen, in denen man nicht eben mal weggehen kann. Es liegt also bei dir, ob du die Provokationen aushalten kannst - oder ob du dich besser damit fühlst, zurückzubeißen: Damit sind natürlich keine Beleidigungen gemeint. Sondern es steht dir durchaus zu - wenn es sich für dich richtiger anfühlt - ihnen durch zielgerichtete Aussagen die Absurdität ihres Verhaltens vor Augen zu führen. Es spricht nichts dagegen, bei Gelegenheit laut zu sagen "Wieder jemand, der es nicht schlimm findet, wenn ein Mensch brutal ermordet wird!", oder "Immer noch sauer, weil ihr keine verbotenen Symbole mehr posten dürft?!" Denn eines ist klar: Die andere Seite hat keine Argumente. Sie sind alt genug, um es einfach nicht zu machen. Wenn sie es doch tun, müssen sie mit den Konsequenzen leben. Darin liegt das eigentlich Verrückte: Offenbar haben sie geglaubt, dass sie dort, wo sie vermeintlich "mit sich allein" sind, nämlich in der Chatgruppe, machen dürfen, was sie wollen. Dem ist aber nicht so. Auch der Chat ist nicht völlig sicher, er kann gehackt, eingesehen, weitergeleitet werden - und das, was da zu sehen ist, böse auf alle Teilnehmer zurückfallen. Wenn also niemand in deiner Klasse irgendwann mal arbeitslos sein will, weil sich herausstellte, dass er in seiner Ausbildung menschenfeindliches Gedankengut verbreitet hat, dann hast du ihnen einen großen Dienst erwiesen. Frag sie doch einfach mal: "Ihr habt bestimmt alle die Bilder gleich von euren Handys gelöscht? Weil ihr ja alle wisst, dass vor Gericht ein gespeichertes Foto schon "Besitz" ist? Und weil die Polizei nach Menschen sucht, die sowas speichern, weil das oft auch die sind, die sowas machen?" Lass sie spüren, wie gering ihre Kenntnis des Rechtsstaats ist. Aber tu das nur, wenn es dir gut tut, und nur, wenn sich der passende Moment ergibt.

Zieht sich das Ganze dagegen als Getuschel hin, oder kommt es zu weiteren Drohungen, dann musst du reinen Tisch machen. Das muss jedoch bei einer einzigen Gelegenheit passieren. Du kannst dich beispielsweise zu Anfang des Unterrichts melden und in die stille Klasse sagen: "Ich wollte nur bemerkt haben: Wir müssen hier nicht weiter darüber reden, was vorgefallen ist. Wer noch ein einziges Mal damit droht, mir oder meiner Familie zu schaden, wird sofort angezeigt. Lasst mich ab jetzt in Ruhe, ignoriert mich von mir aus, oder lebt mit den Konsequenzen." Es versteht sich auch, dass du alles, was dich per WhatsApp oder SMS erreicht, oder auf sonstigen Sozialen Netzwerken, natürlich speichern musst, um deinen Vorwurf im Notfall beweisen zu können. Mach ihnen deutlich, dass es ihnen zwar egal sein kann, wie es dir geht - aber es wird ihnen nicht egal sein, was aus ihrem Leben wird. Und dass daraus nichts Rechts werden kann, wenn sie so weitermachen, ist uns beiden ja klar. DU hast IHNEN einen Dienst erwiesen - auch das kannst du ihnen ruhig ins Gesicht sagen. Denn da sie ja ganz offensichtlich nicht zu sehen imstande sind, wie ernst das Ganze ist, ist die Berufsschule die allerletzte Gelegenheit, noch einmal als "dumme Junge" und nicht als Straftäter gesehen zu werden. Wer jetzt nicht in sich geht, wird dafür bitter bezahlen müssen.

Schließlich aber, Rebecca: Schau nach vorne. Du bist eine selbstbewusste junge Frau mit festen Wertbegriffen, die mit Sicherheit im Leben ihren Weg gehen wird, und sehr erfolgreich! Du darfst stolz auf dich sein. Du hast bewiesen, dass du entschlossen handeln und Druck standhalten kannst, wenn es darauf ankommt. Und es gibt viele junge Leute, die, anders als deine Klasse, wissen, dass gerade diese Eigenschaften eine wahre Freundin auszeichnen. Wenn du schon immer daran gedacht hast, eine bestimmte Landesküche kennen zu lernen, mit dem Basketball zu beginnen oder ein alternatives Festival zu besuchen, dann ist jetzt der Zeitpunkt dafür. Mach dich mit dem Gedanken vertraut, dass niemand von denen, die dich jetzt ausgrenzen, wirklich als Freund oder Freundin getaugt hätte - es war dir nicht bestimmt, dich mit ihnen zu befreunden. Geh raus, lerne neue Leute kennen, unterhalte dich, power dich aus und habe Spaß - das wird dich auch im Alltag umso tougher machen. Hab auch keine Scheu, dich vor den Augen deiner Mitschüler auszuprobieren. Auf keinen Fall solltest du also bei der Auswahl deines Kleidungsstils, deines Schmucks oder deiner Haarfarbe darauf achten, was sie eventuell sagen oder wie sie es mit diesen Vorfällen in Verbindung bringen könnten. Setz dir selbst die Vorgabe, dass das alles dein junges Leben nicht beeinträchtigen darf: Du musst das tun, worauf du Lust hast, jeden Tag, demonstrativ. Zeig ihnen, wer du bist, ein schillernder, selbstbewusster Charakter - keiner, der hinter vorgehaltener Hand über Geschmackloses und Abstoßendes lacht. Wenn sich ihre Abneigung weg von diesem sensiblen Thema auf etwas Anderes verlagert, zum Beispiel deinen neuen Style, kann dir das nur recht sein - du wirst ihnen dann mit jedem Tag umso deutlicher vorführen, wie man als Mensch lebt. Nicht als Lemming - das wissen sie ja ganz gut selbst. Nimm dir fest vor, dass jede lächerliche Bemerkung dich nur noch fester machen muss in deinem Entschluss, dein Leben zu leben, und ganz, und so, wie DU bist. Äußerlich und innerlich. Denn das ist es, was du verdienst. Und zugleich auch das, was deine Mitschüler bestimmt am meisten ärgern wird.

Ich kann dich nur nochmals zu deinem Mut beglückwünschen - die Zukunft braucht Menschen wie dich. Dass du diesen Mut in deiner ganzen Lebensführung zeigst, und dass du dabei mächtig glücklich wirst, dass wünsche ich mir für dich!

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul