Problem von Anonym - 22 Jahre

An Paul: Wie lerne ich ihn besser kennen?

Hallo Paul,

es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich Dir zum letzten Mal geschrieben und Dich um Rat gebeten habe. Ich hoffe, Dir geht es gut.

Das Kapitel „H“ habe ich mittlerweile (fast) hinter mir gelassen. Ich weiß nicht mehr, was ich Dir zuletzt zu dem Thema erzählt hatte, aber wir haben seit acht Monaten keinen Kontakt mehr und uns seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen – und das ist auch gut so. Ich habe ihm nicht mehr geschrieben, er mir auch nicht. Es ist fast, als hätte es ihn nie in meinem Leben gegeben. Leider bleiben aber die Erinnerungen, für die ich mich heute zutiefst schäme.

Es musste über ein Jahr vergehen, bis ich realisiert habe, wie falsch das alles doch war. So lange Zeit habe ich mir meine Fehler schön geredet. Wenn ich heute darauf zurückblicke, habe ich das Gefühl, das war nicht ich, die eine Affäre mit einem vergebenen Mann hatte. Auch wenn er so getan hat, als gäbe es nur ihn und mich.

Er hat mich benutzt, ausgenutzt, verarscht. Wenn ich jetzt an ihn denke, fehlt glaube ich nicht mehr viel, um ihn zu hassen. Ich will ihn nie wieder sehen, habe seine Nummer gelöscht und arbeite jeden Tag daran, ihn zu vergessen und mir irgendwann vielleicht selbst zu verzeihen. Ich will nach vorne blicken.

Und genau da beginnt mein neues „Problem“. Es ist wesentlich banaler, aber trotzdem würde ich mich freuen, ein paar Worte von Dir zu lesen. Nicht zuletzt, weil Du ein Mann bist und mir damit vielleicht am ehesten helfen kannst.

Ich hoffe, Du denkst jetzt nicht „Die verliebt sich öfter, als sie ihre Socken wechselt“, aber ich glaube, ich bin schon wieder ein bisschen verknallt in jemanden. Ich kenne ihn genau genommen kaum bisher. Und da liegt mein Problem.

Er geht auf die gleiche Schule wie ich, in meine „Parallelklasse“. Er macht also die gleiche Ausbildung wie ich. Während unserer Praxisphasen haben wir zusätzlich woanders ein Mal die Woche Unterricht. Dort sind wir dann in der gleichen Klasse. Daher konnte ich ihn zumindest schon etwas im Unterricht kennen lernen. Ich kenne ihn also seit anderthalb Jahren, doch erst jetzt habe ich gemerkt, wie besonders er ist.

Ich weiß, das tut jetzt nicht viel zur Sache, aber ich habe trotzdem das Bedürfnis, Dir zu erzählen wie toll ich ihn auf den „zweiten, ersten Blick“ finde. Er sieht so unfassbar gut aus, hat wunderschöne, riesige dunkelbraune Augen, die mich beinahe durchbohren, wenn er mich ansieht. Wenn er lacht und dabei nach unten schaut, hat man den Eindruck, er „denkt sich Seines, statt es auszusprechen“ – ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber es wirkt frech und charmant zugleich. Und unglaublich attraktiv und sexy. Seine Stimme ist so schön, ich könnte ihm den ganzen Tag lang zuhören. Und mal abgesehen von den Äußerlichkeiten: Er ist wirklich nett, zuvorkommend, vernünftig, wie bereits gesagt charmant, witzig, ziemlich selbstbewusst und doch bescheiden. Zumindest sind das alles Eindrücke, die ich von ihm habe, so wie ich ihn bisher kennen gelernt habe. Und zum Glück: Er ist ein Jahr jünger als ich. Und das ist mir zehntausend Mal lieber als wieder jemanden zu mögen, der mein Vater sein könnte. Zumindest in der Hinsicht gibt es für mich kein Problem.
Außerdem wohnt er nur 40 km von meinem Heimatort entfernt. Darüber bin ich auch sehr erleichtert, da die Schüler auf meiner Schule aus dem gesamten Bundesland kommen und es auch hätte sein können, dass wir über zwei Stunden voneinander entfernt wohnen. Aber das ist ja zum Glück nicht der Fall.

Da wir ein Wahlfach zusammen belegen, haben wir einige, wenige Stunden auch während der „normalen Schulzeit“ gemeinsam. Es fällt mir unheimlich schwer, dem Unterricht zu folgen, da ich ihn ständig anstarren muss. Wenn ich nicht dauernd in sein Gesicht schauen kann, weil das zu auffällig wäre, gucke ich mir seine Beine und Füße an, so lächerlich das auch klingt. Einfach alles scheint perfekt an ihm zu sein.
Und ich glaube, zuletzt hat er vielleicht auch bemerkt, dass ich ihn viel ansehe. So oft es geht, versuche ich zu lächeln bzw. ihn anzulächeln, sofern ich mich traue. Ich versuche, besonders „positiv“ rüber zu kommen, ohne mich dabei zu sehr zu verstellen. Aber wenn ich in seiner Gegenwart bin, muss ich automatisch viel lächeln und lachen.
Er ist ziemlich viel an seinem Handy und mit jedem Tag, an dem ich ihn nicht besser kennen lerne, habe ich Angst, dass er mit 10 anderen Mädchen schreibt und vielleicht gerade selbst dabei ist, sich in eine von ihnen zu verlieben.

Wie Du mich sicher bisher selbst einschätzt, bin ich ein sehr unsicherer, meist schüchterner Mensch, gerade, wenn es um das Kennenlernen von Fremden geht. Generell weiß ich nie, worüber ich mit den Leuten sprechen soll, wenn sie selbst nicht offen mir gegenüber sind. Sind sie locker, bin ich es auch, aber sobald es darum geht, dass ich den ersten Schritt machen muss, fällt mir nichts Gescheites ein, worüber ich mit der Person reden könnte. Und bei ihm ist das alles noch drei Mal schlimmer, weil mein Gehirn wirklich Aussetzer hat, sobald ich in seiner Nähe bin. Zuletzt hat er mit meiner Freundin vor dem Unterricht kurz über Shisha-Bars gesprochen (ihr fällt es im Gegensatz zu mir überhaupt nicht schwer auf Menschen zu zugehen). Er sagte etwas, guckte dabei in unsere Richtung und sie antwortete plötzlich nicht mehr darauf, weil sie ein schlechtes Gewissen mir gegenüber hatte, dass sie sich mit ihm unterhielt (wobei mir das sogar gelegen kam, da er mir zumindest ganz kurz etwas Aufmerksamkeit schenkte). Jedenfalls antwortete sie ihm nicht mehr und er sah mich erwartungsvoll an, mit seinem durchbohrenden Blick, dem ich daraufhin ausweichen musste, weil ich absolut keine Ahnung hatte, was ich ihm darauf antworten sollte. Ich war noch nie in einer Shisha-Bar und finde es ehrlich gesagt auch eher eklig als schön… Da war meine Chance mit ihm zu sprechen schon wieder verstrichen.
Ein weiteres Problem im Problem ist also, dass ich wahrscheinlich nicht interessant genug bin. Oder zu kompliziert, zu langweilig, zu verklemmt. Ich habe zu Hause keine Freunde und sollte er davon irgendwann erfahren, wirkt das sicherlich sehr unattraktiv auf ihn. Er hingegen ist sehr beliebt bei allen, spielt im Verein, geht auf Partys…

Jetzt, wo ich das schreibe, höre ich mich so negativ an. Genau davor habe ich Angst, sollte er mich besser kennen lernen. Dass er nicht die guten Dinge in mir sieht, sondern vielmehr die ganzen Eigenschaften, die mich schwach und verletzlich machen. Für die ich mich schäme, weil ich einfach nicht wie andere bin.
Ich will einfach nur glücklich sein und dazu gehört für mich eine Beziehung zu einem Mann, der mich liebt und nimmt wie ich bin. Den ich von ganzem Herzen liebe und schätze und ohne den ich mir mein Leben nicht mehr vorstellen kann. Vielleicht ist er diese Person nicht, vielleicht aber doch.

Abends sage ich mir, man lebt nur einmal, und jetzt, wo er wohl noch keine Freundin hat, habe ich die Chance, ihm zu zeigen, wer ich bin.
Morgens in der Schule, wenn ich ihn sehe, sage ich allerhöchstens „Hi“ zu ihm, wenn ich ihm über den Weg laufe.

Und wieder ein ander Mal, frage ich mich, ob ich überhaupt wirklich ein bisschen in ihn verknallt bin oder nur in die Idee, einen attraktiven, netten Mann an meiner Seite zu haben. Ich bin so unfassbar unsicher und habe Angst, schon wieder enttäuscht und verletzt zu werden. Ich glaube, ich vertraue mir und meinen Gefühlen selbst nicht mehr, weil ich so einen großen Fehler vor anderthalb Jahren gemacht habe.
Aber wenn ich ihn nicht besser kennen lerne, werde ich auch nie rausfinden, was ich wirklich will…

Ich weiß, Du kennst ihn nicht, mich im Grunde genommen auch nicht allzu gut und daher wird es Dir sicher schwer fallen, mir gezielte Tipps zu geben. Aber vielleicht kannst Du aus der Sicht eines Mannes erklären, wie Männer angesprochen werden wollen oder wie ich ihn dazu bekomme, mich anzusprechen, sollte er mich kennen lernen wollen.
Würdest Du ihn an meiner Stelle persönlich kennen lernen? Lieber wäre mir das natürlich schon. Aber heutzutage lernen sich so viele über WhatsApp, Facebook usw. kennen und es wäre erst einmal einfacher, wenn man die Tatsache außer Acht lässt, dass ich auch dann nicht wüsste, was ich ihm schreiben soll… Vor allem, da wir bisher kaum 10 Worte miteinander gewechselt haben. Ich weiß einfach nicht, wie ich den ersten Schritt machen soll.

Ich freue mich über Deine Antwort.

Anonym

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

ich muss sagen, es ist mir wirklich eine große Freude, von dir zu hören. Unser Austausch zieht sich jetzt mit Unterbrechungen schon bald fünf Jahre hin, und ich glaube, dass du in dieser Zeit in jeder Hinsicht gewachsen bist, auch und gerade persönlich. Darauf kannst du wirklich sehr stolz sein! Auch ich habe durch den Kontakt mit dir vieles über das Leben und mich selbst gelernt. Es war eine interessante Erfahrung für mich, als ich heute die Texte, die wir uns im Lauf der Jahre geschrieben haben, noch einmal durchgelesen habe. Überhaupt fühle ich mich geehrt, dass du solches Vertrauen in mich setzt. Ich hoffe, es nicht zu enttäuschen.

Dass der Kontakt zu H. abgerissen ist, ist im Nachhinein wahrscheinlich besser. Zwischen euch ist zuviel vorgefallen, als dass eine Freundschaft oder gar Beziehung Aussicht auf Bestand gehabt hätte. Da H. nicht der Kern deines jetzigen Anliegens ist (und weil irgendwann im Leben auch der Zeitpunkt kommt, an dem man ein Kapitel schließen muss), will ich darauf nicht zu ausführlich eingehen. Eigentlich möchte ich dir nur zwei ganz wichtige Dinge mitgeben. Erstens: Schäm dich nie! Denn du hast dir in dieser Sache nichts vorzuwerfen. Möglicherweise erscheint dir dein eigenes Handeln im Nachhinein unverständlich, aber du darfst nicht vergessen, dass es das aus deiner damaligen Lage heraus nicht war. Ich habe, wie gesagt, unseren Schriftwechsel noch einmal gelesen, und ich kann dir sagen, dass du stets sehr einleuchtende Begründungen für dein Handeln hattest und dabei immer schon sehr viel selbst darüber reflektiert hast. Dein Einfühlungsvermögen und dein Wunsch, nach konsequenten Werten zu leben - wozu Ehrlichkeit, Vertrauen und Liebe gehören - waren schon zu Anfang unseres Austauschs stark. In dieser Zeit aber sind sie (natürlich nicht durch mich, sondern durch deine eigenen Erfahrungen und durch die Schlüsse, die du daraus gezogen hast) noch weiter gewachsen. Das ist eine Leistung, die du ganz allein vollbracht hast. Ich habe dir gelegentlich mal einen Tipp gegeben, aber du hast dein Leben gelebt, das habe nicht ich. Und das ist das Zweite, was du unbedingt sehen solltest: Wenn du die letzten Jahre Revue passieren lässt, dann ist auf der Haben-Seite ein großer Posten entstanden. Du hast an Einfühlsamkeit, an Stärke und an Überzeugung gewonnen (auch wenn du schon vorher viel davon hattest), und du hast klare Vorstellungen gewonnen, wie du leben willst.

Wenn du also glaubst, du seist für deinen Schwarm nicht interessant genug, dann muss ich dir sagen, dass du dich mit Sicherheit täuschst. Wenn er einfach nicht auf dich fliegt, dann kann keine Macht der Welt etwas daran ändern. Wenn er nicht der ist, der er zu sein scheint, und eher oberflächlich, dann ist er nicht der Mann, den du suchst - seine Meinung müsste dich in diesem Fall nicht kümmern. Wenn ihr aber dasselbe Ziel verfolgt, und wenn er den Wunsch hat, sich zu verlieben, dann sehe ich keinen Grund, warum es nicht in dich sein sollte.

Im Moment siehst du nur die Unterschiede zwischen euch: Er ist aktiv, traut sich viel, steht im Mittelpunkt und genießt das auch. Du hingegen siehst dich als eher durchschnittliche Frau, die zurückhaltend ist und nicht hervorsticht. Dass du etwas an dir haben könntest, was ihn für dich begeistert, ziehst du gar nicht in Betracht. Auch wenn ich dich nicht persönlich kenne, nehme ich doch an, dass deine Haltung zum Leben sich auch in deinem Auftreten zeigt: Und du bist nicht nur beständig in deinem Handeln und deinen Überzeugungen, sondern vor allem zielbewusst und verstehst, Prioritäten zu setzen. Die Folgen deines eigenen Verhaltens sind dir immer klar - du denkst über den Tag hinaus. Kurzum: Du bist erheblich reifer, als viele in unserer Altersgruppe es sind. Trotzdem - oder gerade deswegen! - macht es dir zu schaffen, wenn du dich vergleichst: Denn die Anderen, die oft weniger fokussiert und leichtlebiger und unbefangener sind als du, erscheinen dir dadurch "in einer höheren Liga". Tatsächlich zeigt ihr Lebensstil ja nur, dass sie andere Prioritäten und andere Herangehensweisen ans Leben haben - und von einigen muss man wohl sagen, dass sie vielleicht einfach noch nicht so richtig erwachsen werden wollen. Aber es gibt zwischen dir und ihnen keinen prinzipiellen Unterschied - es wäre denn der, dass ihr euch für Verschiedenes begeistert. Das ist in Ordnung. Wenn du dich aber wegen dieses Unterschiedes abwertest, weil du glaubst, es könnte zwischen dir und einem bestimmten jungen Mann keine Anziehung geben - dann stellt sich doch die Frage, wofür du von ihm geliebt werden möchtest: Für das, was du bist, oder für das, was du nicht bist? Partner müssen sich auch ergänzen. Und auch jemand, der nach außen hin völlig selbstsicher wirkt, kann vielleicht gut eine brauchen, der er die Dinge mitteilt, die er sorgfältig in sich verschließt.

Überhaupt hängt deine eigene Wahrnehmung sehr davon ab, mit welchen Begriffen du etwas beschreibst: Was du an dir selbst als "langweilig" oder "schüchtern" bewertest, ist für andere Menschen vielleicht "stabil" und "konzentriert", was für dich "schwach" und "verletzlich" ist, würde ein Anderer als "ehrlich" und "unverstellt" beschreiben. Und nebenbei - ich denke, wir beide wissen, dass es niemanden gibt, der nicht in irgendeiner Weise schwach und verletzlich ist. Beziehungen zeichnen sich dadurch aus, dass beide diese Seiten voneinander kennen und nicht nur akzeptieren, sondern sich gemeinsam darüber hinweg helfen. Wenn du dich also verliebt hast und dir eine Beziehung wünschst, bietest du genau das: Ihm zu helfen, die Dinge hinzukriegen, die an ihm nicht perfekt sind. Du magst sie nicht sehen, ja nicht einmal glauben, dass sie da sind - aber glaub mir, sie sind da. Er versteckt sie bloß besser, oder verdrängt sie. Oder sie liegen in einem Bereich, der im Alltag nicht zur Sprache kommt. Von daher ist es auch möglich, dass - obwohl du dich selbst als schüchtern und unsicher einordnest - sich das für ihn völlig anders darstellt: Möglicherweise ist er gerade deshalb von dir fasziniert, weil du dein Herz behütest und lieber nichts sagst, wenn du etwas nicht weißt, statt unbedingt gesehen werden zu wollen. Vielleicht wirkst du auf ihn genauso geheimnisvoll und aufregend, wie er auf dich? Du weißt es nicht. Und solange du es nicht weißt, versuche, nicht das Schlechteste anzunehmen.

So - das war jetzt der allgemeine Teil :)

Es ehrt mich, dass du dir von mir einen Ratschlag erhoffst, wie Jungen und Männer angesprochen werden wollen. Ich will ganz ehrlich zu dir sein: Im Moment bin ich wieder Single, und die beiden Beziehungen, die ich bisher hatte, kamen auf eher ungewöhnliche Weise zustande. Das erste Mal haben wir uns am Telefon unsere Liebe gestanden, das zweite Mal habe ich ihr einen Liebesbrief geschrieben und anschließend hat sie mir ihren direkt übergeben, als wir allein waren. Der erste Kontakt war nur ein paar Tage vorher - per Zettel im Unterricht (weil du dich vermutlich fragst: Wir waren damals siebzehn...) Trotzdem ist daraus eine - mit Unterbrechungen - fünf Jahre dauernde Liebe und inzwischen gute Freundschaft entstanden. Ich würde deine Frage einmal umdrehen: Gäbe es eine Art, wie ich auf keinen Fall angesprochen werden wollen würde? Ich bin mir nicht sicher, aber ich nach allen bisherigen Erfahrungen, die ich mit Frauen hatte, würde ich sagen: Ich hätte gern etwas, auf das ich eine klare Antwort geben kann. Wenn eine Frau mich wie nebenbei nach meinem Befinden fragt, habe ich keine Ahnung, was sie für eine Antwort hören will und was dahinter steht - wenn wir uns nicht gerade schon länger kennen, sondern uns mehr oder weniger fremd sind. Es könnte von ihrer Seite reine Höflichkeit sein; es könnte sein, dass sie tiefere Absichten hat - wobei ich mich dann sofort ermahnen würde, nicht zuviel hineinzudeuten; oder es könnte sein, dass sie sich aus irgendeinem Grund um mich Sorgen macht; es könnte auch sein, dass es auf eine Spitzzüngigkeit hinausläuft. Von der Reaktion auf die simpelste aller Fragen kann unendlich viel abhängen.

Das erste Mädchen, in die ich verliebt war, fragte mich während eines Ausflugs über meine Familie. Ich war nervös, weil ich einen guten Eindruck machen wollte - da traf es sich einen Hauch unglücklich, dass ich ehrlich antwortete, mein Vater und Bruder seien an diesem Tag auf einem Golfturnier. Sie kommentierte das nämlich mit den Worten "Ich dachte, Golf sei nur was für Reiche..." Ehrlich gesagt: Meine Familie hat nicht wenig Geld, das stimmt. Wenn so ein Satz als Entgegnung auf eine Antwort kommt, die unverfänglich gemeint war, muss ich daraus ableiten, dass sie eine komische Meinung von mir oder zumindest meiner Familie hat. Sind wir jetzt in ihren Augen reich und deswegen nicht sympathisch, oder sind wir nicht reich, aber dafür schnöselig? Und das nur wegen weniger Worte. Wenn eine Person, die wir eigentlich nicht kennen, uns anspricht, sind wir Männer auch erstmal unsicher. Viele verstecken das hinter knappen Antworten, die cool wirken sollen - oft aber das genaue Gegenteil von dem sind, was frau sich wünscht. Wenn eine fremde Person versucht, Kontakt aufzubauen, sind wir erstmal ratlos - das ist etwas Menschliches. Darum empfiehlt es sich, diesen Kontakt in einer Weise zu beginnen, die es deinem Schwarm ermöglicht, auf sicherem Terrain zu bleiben: Frag ihn nicht "Hey, wie geht es dir?" (Wie soll's einem schon gehen, wenn Klausuren zu schreiben sind und das Wochenende mal wieder viel zu kurz war? Niemand antwortet da total ehrlich, denn eine ehrliche Antwort würde genau das Vertrauen voraussetzen, das noch nicht aufgebaut ist). Die banalste Frage überhaupt, die man genau deshalb stellt, um auch ja nichts falsch zu machen, führt am ehesten zu peinlichem Schweigen.

Dass Shisha-Bars sich für ein erstes Gespräch nur dann empfehlen, wenn du selbst gern in welche gehst und welche kennst, dürfte klar sein. Trotzdem bietet dir dieses Erlebnis einen Anhaltspunkt: Am einfachsten und am wenigsten verdächtig funktioniert das Kennenlernen, wenn du an ein gemeinsames Interesse anknüpfen kannst. Versuche Gemeinsamkeiten zu finden und halte dann nach einer Gelegenheit Ausschau, ihn auf ein Thema zu stoßen, das ihm liegt. Wenn ihr zum Beispiel ähnliche musikalische Vorlieben habt, könntest du ihn fragen, ob er das letzte Album von... nicht auch zu Mainstream / zu depressiv / zu mutlos fand. Es macht nichts, wenn er deine Meinung nicht teilt, und dir widerspricht - entscheidend ist, dass ihr das Eis gebrochen habt und über etwas reden könnt, zu dem ihr beide etwas zu sagen habt. Dafür kann es auch nicht schaden, ihn zu etwas Protest zu reizen. Denn dein Ziel ist es ja gerade nicht (sollte es nicht sein!) ihm zu einhundert Prozent zu gefallen. Was gefällt, ist für gut befunden, abgehakt und nicht weiter spannend. Dein Ziel ist es, in seinen Augen Ecken und Kanten zu bekommen, ihn zu animieren, sich mit dir zu beschäftigen. Er soll über dich nachdenken, mit dir diskutieren, dir Zeit widmen. Und wenn ihr euch über etwas nicht einig seid, findet das statt. Wenn du ihm nach seiner Erklärung zustimmst, hast du damit zugleich erreicht, dass er sich erstens stolz fühlen kann, dich überzeugt zu haben - und zweitens weiß, dass du eine eigene Meinung hast, die du auch vertrittst. Denn nehmen wir an, er schreibt wirklich mit zehn verschiedenen Mädchen, die ihm alle äußerlich gefallen und ähnliche Hobbys haben: Dann wird er sich voraussichtlich nicht in die verlieben, die zu allem nur Ja und Amen sagt - sondern in die, die ihm Widerstand entgegen setzt, die eine Herausforderung für ihn darstellt. So sind wir Männer. Wir sind angezogen von dem, was anders ist, was unseren Entdeckungsdrang weckt - abnicken und lächeln ist dagegen nicht weiter interessant. Um einen Mann für dich zu entflammen, musst du nicht nur in Kauf nehmen, mit ihm auch Differenzen zu haben, du musst auf sie hinweisen: Es ist eine verlockende Herausforderung, einer Frau sagen zu müssen, was man denkt. Arbeite also daran, in seiner Gegenwart nicht nur zu lächeln, sondern eine Aufgabe zu werden, die er lösen muss.

Auch und gerade das, was euch nicht verbindet, kann also zu einem Aufhänger werden. Du magst für Shishas nichts übrig haben, aber was spricht dagegen, ihn zu fragen, ob die Dinger auch nur annähernd so gut schmecken, wie sie riechen - und ob es sich wirklich lohnt, mit fünf Leuten die DNA zu teilen? Es geht nicht darum, ihn zu kritisieren - schließlich möchtest du ihn auch nicht verschrecken -, aber du kannst es so formulieren, dass die Rede von dir ist: "Ehrlich gesagt hab ich mich da bisher immer ausgeklinkt... wie kamst du eigentlich dazu?" Wenn er dich fragt, ob du es überhaupt nicht ausprobieren möchtest, kannst du sagen "Nun ja, vielleicht brauch ich die richtige Begleitung, um es auszuprobieren?" Ich will dir hier nicht raten, ihm gegenüber anzüglich zu werden oder ein Interesse vorzugeben, das du nicht hast. Allerdings solltest du dich auch nicht scheuen, einen Ausdruck zu gebrauchen, der ihn möglicherweise überrascht oder vielleicht sogar schockt. Du findest Shishas eklig - dann kannst du ihm auch ein Bild in den Kopf pflanzen, dass ihm das vermittelt. Denke nicht nach "Wie wird er das finden?", denn konform sein wollen bringt nichts - es klappt sowieso nicht. Davon abgesehen hast du ja vor, mehr als eine zufällige Bekannte deines Schwarms zu werden. Du willst mit ihm zusammen sein - und daher gilt es zu vermeiden, dass er dich "süß und nett" findet. Männer sind angezogen von einer Frau, die sich auch mal Kritik, eine Zweideutigkeit oder einen Witz auf ihre Kosten erlaubt. Du sollst dabei nicht wirken, als würdest du ihn ins Bett bekommen wollen - entscheidend ist, dass er dich als unverstellt wahrnimmt. Die Frauen sind am interessantesten, die in unserer Gegenwart GENAU SO sind, wie sie sich wohl fühlen - und nicht so, wie sie glauben, dass wir es mögen würden. Insgesamt geht es beim Flirten darum, zu zeigen, worauf du aus bist: Er soll spüren können, dass du an ihm Interesse hast, aber gleichzeitig dafür begeistert werden, den restlichen Weg zu dir selbst zu gehen.

Wenn du also ein schüchterner Typ bist, dann musst du ihm weder auf den Schoß krabbeln noch ihn provozieren. Es geht weder darum, dich ihm sexuell anzubieten, noch, ihm auf die Nerven zu gehen. Du kannst einen ruhigen und sanften Tonfall wählen, wenn das normalerweise deiner ist. Sage ihm aber auch, wenn dir etwas nicht gefällt. Denn wenn dein Traummann sich als ein anderer entpuppt, als er zu sein scheint, nützt es dir nichts, dich an die Illusion von vorher zu klammern - sonst wirst du am Ende nur ausgenutzt. Genauso wenig musst du ihm durch aufreizende Kleidung oder Make-up gefallen! Wähle den Stil, der dir selbst liegt und mit dem du dich wohlfühlst; wenn er konservativer ist als der der Frauen, von denen du glaubst, er würde sie mögen, dann verbiege dich nicht. Du wirst, wenn überhaupt, von anderen Menschen für dein "So-sein" gemocht, für das, was dich zu dir selbst macht. Wenn du einen Mann dazu bringen willst, sich in eine Frau zu verlieben, die du nicht bist, kannst du nur verlieren. Auch Schüchternheit kann sehr attraktiv sein - wenn sie nicht begleitet ist von einer ständigen Demutshaltung nach dem Muster "Oh, ich bin leider nicht so toll wie ihr..." (zumal das nicht wahr ist!), sondern wenn du deine stille Art beharrlich durchziehst und im richtigen Moment sagst, was du zu sagen hast, wird das deiner Meinung großes Gewicht verleihen. Daran, wie lang meine Texte sind, kannst du ja schon sehen, dass ich ein Mensch bin, der stets etwa dreimal so viele Worte macht wie notwendig. Das ist nicht unbedingt ein Fluch, aber ein Segen ist es auch nicht, weil man dadurch die Leute genauso schnell ermüden und langweilen kann wie durch einigeln und leisetreten. Aber zwischen "demütig den Kopf einziehen" und "nur dann reden, wenn geredet werden muss" ist ein gewaltiger Unterschied. Ersteres kann Außenstehende peinlich berühren, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, dass eine Person, gegen die sie doch gar nichts haben, sich selbst erniedrigt. Zweiteres gibt dir einen ernsten Anstrich - etwas, das neugierig macht auf mehr. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass dein Schwarm von dir selbst einen ähnlichen Eindruck hat wie du von ihm.

Natürlich kannst du ihn auch in den Sozialen Netzwerken kontaktieren. Das hat den Vorteil, dass sich leichter ein Aufhänger finden lässt: Neben seinen Interessen kannst du ihn auch zu einem Foto oder einem Spiel fragen. Andererseits ist es per Chat manchmal noch schwieriger, ein Gespräch in Gang zu halten, da manchmal ein halbes Dutzend gleichzeitig ablaufen... Im Endeffekt gibt es die Möglichkeit, dass du zuerst mal versuchst, dich mit ihm bekannt zu machen - ob nun direkt oder per Chat, aber besser natürlich direkt - um ihn dann später nach einem Treffen zu fragen. Oder aber, du fällst gleich mit der Tür ins Haus - ich denke nicht, dass ihn das stören würde, aber es hat den Nachteil, dass du vorher vielleicht keine Gelegenheit hast, ihn auf dich neugierig zu machen. Ich möchte dir deshalb ganz allgemein raten: Breite nicht dein ganzes Seelenleben aus, sondern lass immer etwas offen, dass er noch wissen wollen kann - das stärkt den Kontakt und mehrt sein Interesse an deiner Person. Wovon ich dir aber unbedingt abrate, ist, dich nach der ersten Berührung zurückzuziehen, um zu testen, wie er sich verhält. Nach meiner Erfahrung gibt es bei vielen Frauen die Vorstellung, dass man es aufs "Na, meldest du dich?" ankommen lassen müsse, um zu erfahren, wie ernst es dem Mann ist. Tatsächlich sorgt das bei Männern nur für Irritation, da Schweigen uns daran zweifeln lässt, ob wir wirklich die erste Wahl sind. Verzichte also auf Machtspiele - nicht, dass ich sowas bei dir erwarten würde, aber es mag ja sein, dass andere Leute in deinem Umfeld dir dazu raten. Es führt aber zu nichts. Wenn wir Männer einmal im Spiel sind, möchten wir nicht, dass es sich verzögert. Gewinnen oder verlieren - dazwischen gibt es nichts. Die Partie muss beendet werden.

Ich möchte noch kurz auf deine Frage eingehen, ob du möglicherweise nur in ein Ideal verliebt bist, nicht in ihn als Person. Da kann ich nur die Gegenfrage stellen: Wo siehst du den Unterschied? Er zieht dich als Person so an, dass er in deine Träume zu passen scheint. Deshalb liebst du ihn. Ob er ist, wie er wirkt, wirst du hoffentlich bald herausfinden. Ich möchte dir sagen, liebe Anonyme: Ich habe, wie schon erwähnt, seit unserem letzten Kontakt eine Trennung hinter mir, und deine offenherzige Erzählung hat mich nun wieder ermutigt, nach der großen Liebe zu suchen. So ergriffen und ganz und gar begeistert, wie du deinen Schwarm beschrieben hast, KANN es sich nur um echte Liebe handeln - und es war wunderschön, zu lesen, wie stark und ehrlich deine Gefühle sind. Ich wünsche dir alles Glück, das du brauchst, denn du hast es verdient. Zunächst aber: Den nötigen Mut und das Selbstvertrauen! Du hast recht - man lebt nur einmal. Und ich hoffe, es kommt der Moment, in dem du dich überwindest und das Eis zum Schmelzen bringst - und hoffentlich auch sein Herz.

Ich würde mich freuen, zu erfahren, wie die Geschichte weitergeht. Natürlich bist du zu nichts verpflichtet. Du weißt, wo du mich finden kannst - ich werde hier, wenn es nach mir geht, noch lange dabei sein.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul