Problem von Caro - 21 Jahre

Redehemmungen

Hallo Liebes Kummerkasten Team,

Ich bin eigentlich ein super fröhlicher Mensch, der gerne redet, jedoch habe ich ein Problem, welches ich schon mein ganzes Leben habe. Früher war ich viel zu schüchtern und hatte Angst mich im Unterricht zu melden, deshalb habe ich mich nie oder ganz selten gemeldet.
Heute bin ich schon selbstbewusster, außerhalb der Schule, doch im Unterricht kann ich mich immernoch nur melden, wenn ich hundertprozentig die Antwort weiß, aber sage nie meine eigene Meinung über ein Thema oder rede länger, sondern sage nur ein paar Stichwörter. Ich möchte einfach nicht im Mittelpunkt stehen und schäme mich, wenn ich zu viel Aufmerksamkeit bekomme.
Ich bin es einfach gewohnt mich zu verstecken.
Dadurch, dass man während dem Unterricht die ganze Zeit nur stumm zuhört, werde ich träge und es geht schnell ein negatives Gedankenkarussel an, welches sich mit anderen vergleicht und mich selbst runtermacht.

In Präsentationen bin ich zum Teil noch kaum aufgeregt und kann super präsentieren, da ich weiß, was ich sagen muss, aber bei zum Beispiel Stuhlkreisen bei dem jeder nacheinander etwas sagen muss, bekomme ich Herzklopfen, einen trockenen Mund und Angst zu reden.

Das ist ein großes Problem da ich die Ausbildung zu Gesundheits- und Krankenpflegerin mache und man dort häufig im Unterricht seine Meinung vertreten muss.
Dies bedrückt mich zurzeit so sehr, dass ich starke Selbstzweifel bekommen habe und auch im Umgang mit meinen Mitschülern gehemmt bin. Ich habe zum Glück einen Freundeskreis entwickelt, weiß aber trotzdem nie was ich sagen soll. Es ist sehr anstrengend, weil ich mich immer frage, wenn ich neben jemandem her laufe, was ich denn jetzt sagen soll. Ich rede somit auch sehr wenig in der Mittagspause mit ihnen. Oft höre ich einfach zu. Dies geht manchmal so weit, dass ich mich auch bei Freunden beobachte, und mich frage, was ich denn jetzt erzählen könnte. Dies führt dann zu einem großen Druck.

Nach der Schule, wenn ich mich mit meinen Mitschülern treffe und wir nur eine kleine Gruppe sind, rede ich viel lieber und ich bin entspannt.

Auf Station ist das Problem gegenüber Patienten nicht da, ich rede sehr gerne mit Ihnen, aber auch, weil es nicht um mich dabei geht und ich die Kontrolle habe. Ich bekomme regelrecht gute Laune, wenn ich mit Patienten viel reden kann. Im Team bin ich auch sehr gehemmt etwas zu sagen, habe Angst im Mittelpunkt zu stehen. Allgemein rede ich in Gruppen nicht viel, beobachte lieber, das war schon immer so, weil mir auch nie etwas einfällt, was ich reden könnte. Aber da ich dort reden muss, habe ich versucht mein Verhalten zu ändern.
Dazu kommt, dass ich immer denke, dass ich nicht viel weiß und oft werde ich unsicher während der Arbeit.
Oft komme ich von der Arbeit wie erschlagen zurück, da mich zu viele Reize überflutet haben und brauche meine Ruhe von Menschen.

Privat rede ich auch sehr ungern über meine Gefühle und kann nicht gut ausdrücken, wie ich mich fühle und rede nicht gern über meine Probleme. Und ich nehme mir alles viel zu sehr zu Herzen.

Ich musste einfach mal alles von der Seele schreiben. Ich hoffe ihr könnt mir auch helfen. Dankeschön.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Caro!

Hab Dank für deine Zuschrift :)
Sicherlich sprichst du einigen Menschen aus der Seele. Es gibt viele Menschen, denen es ähnlich geht wie dir. Es ist auch häufig so, dass Reden an sich keine große Sache ist, aber sobald es unter Fremden persönlich wird etc., den Leuten Unwohlsein beschert. Das ist ja auch absolut nachvollziehbar. Denn im Grunde geht es ja niemanden etwas an, was ich denke und fühle. Ich muss es ja aus freien Stücken erzählen wollen!

Was deine Situation in der Ausbildung anbelangt, wäre es super, mit deinen Lehrkräften zu sprechen und um ihr Verständnis zu bitten. So können sie mehr auf dich Rücksicht nehmen und mit dir Abmachungen treffen, an welchen Stellen bzw. in welchen Momenten es für dich geeignet wäre, etwas zu sagen - und wann lieber nicht.
Mit deinen vertrauten Schulkamerad:innen zu sprechen, wäre ebenfalls gut. -
Eine interessante Herangehensweise könnte auch sein, deine Hemmungen zum (allgemeinen) Thema eines Vortrags zu machen. Die Vorteile: Du könntest dich ein Stück weit "outen", wenn du wolltest, und gleichzeitig auf das Phänomen an sich hinweisen. Das kann den Anderen helfen, Verständnis zu entwickeln und auch zu sich selbst zu stehen, wenn das Thema bekannter werden würde.

Insgesamt gesehen denke ich, dass deine Ausbildungszeit eine Art Durststrecke ist, die zum Glück absehbar ist. Das Tolle ist ja, dass deine Arbeit mit den Patient:innen eine Freude für dich ist, das ist eine Kraftquelle! Und es ist beruhigend, denn viel schlimmer wäre es, wenn du am Job grundlegende Zweifel haben würdest.

Davon einmal abgesehen solltest du dich fragen: Was WILL ich denn eigentlich erreichen? Will ich mich einfach einer gefühlten Mehrheit anpassen - oder habe ich tatsächlich viel zu sagen und brauche einen Anstoß, den bildlichen "Korken von der Flasche zu ziehen"?

Ich glaube, dass dein wahres Problem nicht deine Redehemmungen sind, sondern deine fehlende Selbstakzeptanz! Denn ich lese vor allem eines aus deinen Zeilen heraus: Dass du dich so, wie du eben bist, noch nicht akzeptiert hast. Dadurch entsteht ein enormer Druck, weil du dich fast krampfhaft anpassen möchtest und damit scheiterst. Das wiederum verunsichert dich dann noch mehr, was weitere Redehemmungen produziert.
Ich wage zu behaupten, dass du dir gerade selbst am meisten im Weg stehst. Mach den Weg frei, indem du lernst, deine Persönlichkeit als etwas Individuelles und Kostbares anzuerkennen. Du bist anscheinend ein introvertierter Mensch, vielleicht sogar hochsensibel. Beides bringt bestimmte Herausforderungen mit sich, aber genauso tolle Eigenschaften, die viel zu oft vergessen bzw. übersehen werden.
Wir leben leider in einer Gesellschaft, in der es belohnt wird, möglichst laut, oberflächlich und gesellig zu sein. Das klingt jetzt sehr böse, aber das ist es beim näheren Hinsehen nicht. Ich will nur verdeutlichen, dass man das, was landläufig als die "Norm" gilt, auch anders betrachten kann. Und beispielsweise Hintergründigkeit, Bedachtheit, Nachdenklichkeit, Vorsicht, Tiefgang und dergleichen mehr als schöne Gegenpole in den Raum werfen kann.
--> Konzentriere dich viel, viel mehr auf deine Stärken! Du bist total auf deinen angeblichen "Makel" fixiert. Allein das Ruhigsein hat viele Vorzüge! Betone deine zahlreichen Schokoladenseiten, deine Begabungen und das, was dir Spaß bereitet. Das wird über kurz oder lang zu viel mehr Zufriedenheit führen und zu mehr Selbstsicherheit, mit deinen Einschränkungen lockerer und gelassener umzugehen.

Du kannst dich nicht von Grund auf "umkrempeln". Du hast dich schon verändert, indem du etwas mehr aus dir herausgehst. Das ist gut, doch warum sollte es noch mehr werden? Schüchternheit ist an sich keine Schwäche! Es kommt nur auf die Umstände an - und natürlich kommst du dir blöd vor, wenn die Umgebung alles dafür tut, um NICHT als schüchtern zu gelten. DAS ist doch das eigentlich Beknackte, nicht die Schüchternheit an sich! Denn wenn ganz viele Personen zu sich selbst stehen würden, wäre der Umgang miteinander eben ein anderer. Anders, nicht schlechter!

Sicherlich kannst du Coachings, Workshops und Trainings besuchen, um dich individuell noch mehr zu fördern und noch mehr über dich hinauszuwachsen.
Doch hier wieder: Das nützt alles nichts, wenn du die Grenzen deines Ichs nicht annehmen kannst. Du wirst nie absolut spontan-gesprächig werden und große Freude am Plaudern über dich selbst haben. Das brauchst du auch nicht! Viel wichtiger ist doch, dass du dir Lebensbedingungen schaffst, in denen du dich wohlfühlen kannst. Das bedeutet bei Introvertiertheit beispielsweise, sehr auf Rückzugsmöglichkeiten, Ruhe und Alleinsein zu achten und statt auf Masse in Kontakten viel mehr auf tiefergehende Beziehungen zu setzen.

Mein Buchtipp für dich - "Still: Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt" von Susan Cain.
Ich bin mir relativ sicher, dass du damit etwas anfangen können wirst!

Ich habe abschließend noch ein paar Links für dich:
- https://sicher-reden.de/sprechangst.html
- https://www.psychic.de/redeangst.php
- https://www.psychotipps.com/selbsthilfe/redeangst.html
- Außerdem unsere Soforthilfen:
* Angst, Panik: https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/52/Angst-Furcht-Phobie-Panik.html
* Hochsensibilität: https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/53/Hochsensibilitaet.html

Versuche, dich mehr zurückzulehnen und den Druck von dir zu nehmen. Das gelingt dir am ehesten, wenn du dich über Introvertiertheit, die Redeangst/hemmung gut informierst, dir passende "Werkzeuge" aneignest und dich schlicht so anerkennst, wie du bist. Was bedeutet, dich selbst auch ruhig sein zu lassen.
So kannst du die restliche Ausbildungszeit überstehen. Und wie gesagt: Deine Hemmung einmal anzusprechen, kann große Erleichterung bedeuten und für dich von Vorteil sein. Und: Suche dir die passenden Umfelder. Menschen, die dich nicht so nehmen, wie du eben bist, passen ganz einfach nicht zu dir. So machst du dir dein Leben sehr viel leichter. :)

Ich wünsche dir alles Liebe!
Nuala