Problem von Anonym - 24 Jahre

Berufliche und private Abhängigkeit

Ich bin Berufseinsteigerin. Meine Probezeit ist noch nicht vorrüber und meine anfängliche Motivation ist abgeebbt. Ich wollte etwas leisten und ein Teil eines Teams sein, dass das gleiche Ziel hat. Aber in diesem Team gibt es sehr viel gegeneinander.

Meine Vorgesetzte ist ebenfalls Berufseinsteigerin, und nur wenige Jahre älter als ich. Wir treffen uns manchmal in unserer Freizeit und anfangs gefiel mir dieser Kontakt, weil wir interessante Dinge unternehmen und sogar Sicherheit im Beruf schien mir diese Freundschaft zu bieten.
Mich ärgert jedoch zunehmend Ihre rücksichtslose und unprofessionelle Art. Sie fällt harte Urteile ohne geeignete Grundlage und redet schlecht über ihre Unterstellten. Wenn diese Mitarbeiter anwesend sind, redet Sie Ihnen aber plötzlich nach dem Mund und versucht sich selbst in vorteilhaftes Licht zu rücken.

Bei meinen Kollegen ist sie trotzdem nicht beliebt. Ständig muss ich mir Lästereien über Sie von meinen Kollegen reinziehen. Dadurch habe ich dauernd ein schlechtes Gewissen, weil ich Ihr nichts davon erzähle, obwohl sie mich ausdrücklich dazu aufgefordert hat. Leider geht Sie mit diesen Informationen nicht gewissenhaft genug um, sodass ich schnell als Verräterin bei meinen Kollegen dastehe und darüber hinaus kann ich in mancher Hinsicht die Kritik an ihr nachvollziehen.

Meine Laune wechselt seit einiger Zeit unkontrollierbar, weil ich mich so zerrissen fühle. Eine große Traurigkeit lähmt mich, sodass ich mich nicht mehr konzentrieren kann, dann bin ich wütend... mich ärgert das Verhalten meiner Vorgesetzten und gleichzeitig habe ich Angst vor den Konsequenzen, die entstehen können, wenn ich die Freundschaft beende oder weiter versuche Meinungsverschiedenheiten zwischen uns herauszustellen.

Ich fühle mich abhängig von Ihr, da Sie Einfluss darauf hat, ob ich im Unternehmen bleibe oder nicht. Sie hat direkten Kontakt zur Geschäftsführung und kann mich auf Knopfdruck kündigen lassen.
Meine Kündigung hatte ich tatsächlich zwischendurch schon in der Hand.

Ich kann meinen und allen anderen Anforderung einfach nicht mehr gleichzeitig gerecht werden. So kann es auf keinen Fall weiter gehen.
Was soll ich tun? Soll ich den privaten Kontakt abbrechen und mich um professionelle Distanz bemühen? Oder kann es sein, dass mein Fluchtreflex aus Bindungsangst resultiert? Oder muss ich mir einfach ein dickeres Fell zulegen?
Und wie stelle ich das am Besten an?

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Leider hat es mit der Antwort etwas gedauert. Ich hoffe, sie erreicht dich nicht zu spät.

Deinen Anspruch finde ich klasse, mit dem du in das Berufsleben gestartet bist. Bitte versuche dir diesen zu bewahren - er ist wirklich ein toller Kompass, an dem du dich immer orientieren können wirst!

Ich merke, du bist sehr zwischen den Stühlen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Entweder grenzt du dich radikal ab, indem du dich gegen Lästereien deiner Kolleg:innen verwahrst oder dich ihnen schlicht entziehst (z.B., indem du dann die Szene verlässt), was sich aber genauso auf deine Vorgesetzte beziehen würde - oder du kündigst. Das Abgrenzen kannst du genauso auf viele weitere Aspekte beziehen, welche dich aktuell so fertigmachen.

Bindungsangst hat eine völlig andere psychische Grundlage als das, was du beschreibst. Ich tippe eher darauf, dass dein Kopf versucht, deine Gefühle zu relativieren bzw. die Schuld für dein Unbehagen bei dir zu suchen. Doch es gibt handfeste Punkte, die sehr klar werden lassen, dass du schlechte Arbeitsbedingungen hast. Andere Leute würden sich bestimmt auch unwohl fühlen an deiner Stelle.

Meine Frage an dich: Was ist denn für dich Freundschaft? Ist das, wenn man gemeinsam außerhalb der Arbeit Zeit verbringt? Wenn ja, dann hast du wohl wenig Ansprüche an eine Freundschaft.
Ich finde, mit einer Freundin, die deine Vorgesetzte ist, könntest du ganz anders umgehen und arbeiten. Da wären dann ganz andere Gespräche und Reflexionen möglich! D wüsstest, woran du bei ihr bist, weil ihr offen und ehrlich auch mal über eure gemeinsame Arbeit sprechen würdet, in der auch mal ein Satz fallen würde wie "Weißt du, ich bin manchmal mit unserer Jobsituation überfordert. Du erlebst mich gerade entspannt, aber auf Arbeit stehe ich irgendwie unter Druck..."
Mit einer wirklichen Freundin oder einer Kumpeline könntest du ungekünstelt die Wahrheit ansprechen und deine Sichtweise nennen, ohne Angst vor Verurteilung und Ablehnung fürchten zu müssen. Eine solche Person würde dir zuhören, um deine Meinungen bitten, konstruktive Kritik begrüßen und diese ernstnehmen.

Ich habe das Gefühl, du wurdest von deiner Vorgesetzten bissl um den Finger gewickelt und fühlst dich jetzt wie gefangen und gelähmt. Vielleicht lehne ich mich damit zu weit aus dem Fenster, doch klingt mir deine Beschreibung schon sehr nach diesem "Zuckerbrot und Peitsche" - Prinzip. Es kann sein, dass deine Vorgesetzte sehr "karrieregeil" ist und dabei wahre Menschlichkeit vergisst. Und dich (unbewusst) gefügig halten will. Du kannst ja mal überlegen, ob da etwas dran sein könnte.
Möglicherweise ist sie aber auch einfach im Sozialen schwach und kriegt es schlicht nicht besser hin. -
Egal, was dahinter steckt - du tust sehr gut daran, nicht die Leidtragende zu sein!
Und dann wäre zu überlegen, ob und vor allem WARUM du deine Vorgesetzte noch in deiner Freizeit treffen solltest, wenn du schon das Arbeiten mit ihr unangenehm findest? Was hast du davon?

Ich verstehe, dass du motiviert warst und etwas leisten möchtest. Nur musst du dir wirklich die Frage stellen, ob du das genau an diesem Arbeitsplatz weiter durchziehen möchtest. Auf Biegen und Brechen, auf Kosten deiner Gesundheit? Und, ohne zu übertreiben, du scheinst schon erste Anzeichen psychischer Ermattung zu zeigen, was auf jeden Fall ein Warnzeichen ist!
Es ist absolut keine Schande, aus Gründen der Unzufriedenheit zu kündigen. Mit Sicherheit könntest du genauso woanders arbeiten, wo du dich vielleicht sogar noch mehr einbringen könntest!

Sicher: Du kannst vorher um ein andere Klima kämpfen, allerdings müsstest du erstens dein Verhalten um 180 Grad verändern (um eine andere Arbeitskultur bitten, dich abgrenzen, nicht mitlästern, Ungerechtigkeiten aufdecken und bekämpfen, zu deinen Meinungen und Bedürfnissen stehen, nicht aus falschem Strategiedenken so weiter machen wie bisher, usw.). Und selbst dann kann es sein, dass sie die meisten Dinge, die dich stören, nicht grundlegend verändern werden. Du kannst aber lernen, durch Achtsamkeit einen guten Abstand zu erlangen.
Du musst abwägen, was dir wichtiger ist. Und wie realistisch es ist, dass du dort so arbeiten kannst, wie es für dich optimal wäre. Und das ist sehr entscheidend.

Je mehr du erspüren kannst, was du tatsächlich brauchst, um zufrieden zu sein, desto eher wirst du stimmige Entscheidungen für dich treffen können. In der Arbeitswelt, in der Freizeit, in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Ich wünsche dir alles Gute!
Nuala