Problem von X - 21 Jahre

Sorgen und Versagensangst

Hallo Kummerkasten-Team.

Ich nenne mich mal X. Ich bin 21 und Studentin. Letztes Jahr im Sommersemester habe ich beschlossen, mein derzeitiges Studium abzubrechen und zu einem anderen Fach an einer anderen Hochschule zu wechseln. In dieser Zeit ging es mir ziemlich schlecht, weil ich noch für ein Modul lernen musste obwohl ich keine Motivation und Energie hatte, aber auch wegen der Angst, meine Eltern zu enttäuschen (da ich wusste dass meine beiden älteren Geschwister schon in der Vergangenheit nicht besonders erfolgreich studiert haben und unsere Eltern oft gezeigt habe, dass sie nicht glücklich darüber sind). Ich habe da in der Nähe der Uni gelebt und mich zunehmend von meinen Kommilitonen abgekapselt. Stattdessen war ich meistens alleine in meiner Wohnung, antriebslos und hab mich einfach nur elend gefühlt.
Später habe ich meinen Eltern dann von meinem Wunsch erzählt abzubrechen und den Studiengang zu wechseln. Mein Vater meinte dass er mich weiterhin unterstützt aber meine Mutter war tatsächlich nicht zufrieden damit. Für einige Wochen konnte ich nicht vernünftig mit ihr über das Thema sprechen. Erst nach längerer Zeit und einigen Gesprächen hat sie sich dann damit abgefunden.
Jetzt wohne ich wieder bei meinen Eltern. Ich bin zwar noch in der Uni eingeschrieben aber gehe zu keinen Veranstaltungen mehr, stattdessen arbeite ich, um für das nächste Studium zu sparen. Für dieses habe ich mich bereits beworben und werde es dann im kommenden Wintersemester beginnen.
Obwohl alles sich soweit beruhigt hat, ging es mir vor einigen Wochen (oder Monaten?) dann doch plötzlich schlechter. Irgendwann habe ich immer öfter negative Gedanken gehabt, die ich nicht wirklich kontrollieren kann. Es sind vor allem Dinge wie „ich bin nicht gut genug“ die sich in meinem Kopf festgesetzt haben. Ich weiß wirklich nicht, woher das plötzlich kommt, da es mir von Ende letzten Jahres bis Frühling diesen Jahres eigentlich ganz gut ging.
Ich merke es vor allem beim Zeichnen. Ich zeichne schon seit Jahren sehr gerne und möchte auch im kreativen Bereich arbeiten (in der Spielentwicklung zB) und der Studiengang den ich mir ausgesucht habe ist auch danach ausgerichtet.
Vor einiger Zeit ist mir aufgefallen, dass wenn ich ein Bild anfange und es nicht sofort so klappt wie ich es mir vorstelle, werde ich schnell frustriert, aber auch so dass ich es körperlich merke. Meine Brust fühlt sich dann eng an, ich habe einen Kloß im Hals und bin kurz vorm Weinen. Ich weiß zwar, dass ich mich wegen solchen Kleinigkeiten nicht fertig machen sollte, aber es ist wie ein Trigger, der solche Reaktionen bei mir auslöst. (ob das mit dem Zeichnen noch immer so ist kann ich nicht sagen, weil ich schon seit längerem nicht mehr gezeichnet habe und mich stattdessen auf andere Sachen konzentriere, die ich fürs Studium schon mal lernen kann). Früher war es nicht so, das kam erst in den letzten ein, zwei Monaten. Ich weiß, dass ich Zeichnen unglaublich gerne mag und ich möchte auf keinen Fall darauf verzichten. Ich weiß dass es das richtige für mich ist, nur hat sich irgendeine sehr negative Stimme in meinem Kopf eingenistet, die sich am liebsten meldet wenn ich zeichne oder über die Zukunft nachdenke.
Allgemein habe ich das Gefühl, psychisch nicht mehr ganz stabil zu sein. Ich habe viel zu hohe Ansprüche an mich selbst und obwohl nicht weiß dass ich sie nicht erreichen kann (bzw muss), mache ich mich deshalb automatisch total fertig. Ich mache mir oft Sorgen und denke viel zu viel nach. Oft endet das mit den „Symptomen“ die ich oben beschrieben habe. Wenn es einmal angefangen hat dauert es immer eine ganze Weile bis es mir wieder einigermaßen ok geht, auch wenn ich mich dafür einmal ausheulen muss. An einigen Tagen hatte ich auch sowas wie „depressive Verstimmungen“. Es nur für begrenzte Zeit, aber da habe ich mir auch so leer und antriebslos gefühlt und konnte einfach nicht wirklich glücklich sein.

Ich weiß zwar nicht, ob es etwas damit zu tun hat, aber vor einigen Monaten habe ich auch immer öfter Magen-Darm-Probleme gehabt (Blähungen, Schmerzen). Ich war schon beim Arzt und nach ein paar Tests gibt es nun einen Verdacht auf zwei Unverträglichkeiten. Nun bin ich auf Diät und verzichte auf die entsprechenden Lebensmittel. Und obwohl es weniger wird habe ich trotzdem ein paar Mal Bauchschmerzen und Blähungen bekommen. Ich weiß nicht ob es Zufall ist, aber in letzter Zeit mache ich mir Gedanken wegen des Führerscheins den ich noch machen muss. Ich fühle mich eigentlich noch gar nicht bereit ein Auto zu fahren, aber da ich gerade die Zeit dazu habe, muss es ich ja machen, was mich aber stresst. Ich dachte dass die Bauchschmerzen vielleicht auch davon kommen, aber sicher bin ich mir nicht.

Meine Familie und einige Freunde wissen über meine Lage Bescheid, ich hab ihnen erzählt, dass ich öfter negative Gedanken habe. Mit ihnen zu reden hat schon recht gut geholfen, aber ganz kriege ich die Sorgen einfach nicht weg. Manchmal gehts mir für einige Tage ganz gut und dann kommen die Gedanken wieder. Ich habe Angst, dass es in Zukunft nicht besser wird und ich deshalb im Studium Probleme haben werde.
Vielleicht muss ich ja einfach abwarten um dann zu sehen, dass es in der Uni wieder gut laufen wird. Möglicherweise reicht das schon, dass ich keine Sorgen und Versagensängste haben werde. (… aber was ist wenn es immer noch so weiter gehen wird?)

Ich bin mir nicht sicher, was ich jetzt aktiv tun kann. Meine Mutter meinte, dass ich regelmäßig einen Tee trinken soll, der angeblich gegen Depressionen helfen soll, das könnte ja etwas bei den schlechte Stimmungen und Gedanken bringen. Ich weiß nicht, ob dass schon alles lösen kann. Mich ärgert es einfach total, dass vor etwa einem Jahr noch alles gut war, aber ich mit der Entscheidung abzubrechen plötzlich so viele Probleme habe. Ich bereue meine Entscheidung nicht und eigentlich freue ich mich auch auf das neue Studium, aber all dies kommt mit so vielen Nebenwirkungen, mit denen ich einfach nicht richtig klar komme.

Ich würde mich sehr über einen Rat von euch freuen.
Vielen Dank schon mal fürs Lesen und habt einen schönen Tag,
X

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Unbekannte!

Es ist sehr verantwortungsvoll, dass du dich uns anvertraut hast. Denn du hast schon körperliche und psychische Symptome an dir bemerkt, die auf einen besonderen Zustand hindeuten, in welchem du baldmöglichst eine neue Richtung einschlagen solltest. Dafür gibt es so Einiges, was du ausprobieren kannst.

Du hast Recht - mit ein bisschen Tee ist es natürlich nicht getan. Das kann zwar etwas Feines sein, aber wenn es einer:m über mehrere Wochen oder gar Monate größtenteils schlecht geht, kann ein Tee wenig ausrichten, da er die Ursachen nicht beseitigen kann. Dennoch spricht nichts dagegen, einen Kräutertee unterstützend zu trinken. Beruhigend wirkt u.a. Lavendel. Im Zweifel kannst du dich ärztlich bzw. pharmazeutisch in einer Apotheke beraten lassen.
Überhaupt gilt: Falls du die Befürchtung haben solltest, eine Depression entwickelt zu haben, wäre der Gang zum Arzt/zur Ärztin wirklich sinnvoll.

Insgesamt liest sich für mich deine Schilderung allerdings so, als ob du vermutlich einfach stark verunsichert bist und von halbwegs normalen Versagensängsten geplagt wirst. Solche Phasen kennen viele, besonders in Kombination mit einem Studium. Gerade wenn die Eltern mehr oder weniger stark ihre Erwartungen und Wünsche übermitteln, gesellschaftlicher Leistungsruck auf eine:n einwirkt und man selbst zu Perfektionismus neigt, ist es nicht verwunderlich.
Das muss keineswegs ein Dauerzustand werden, meistens ebben diese "Down-Phasen" wieder ab.

Es ist sehr nützlich, sich immer wieder zu sagen:
* Ich genüge!
* Ich bin gut, so wie ich bin!
* Ich tue das, was mir Spaß macht und bin deswegen gut!
* Ich leiste das, was ich ohne Schmerzen liefern kann, das ist ausreichend!

Ja, es gibt Charaktere, die sehr stark von Erfolgserlebnissen "leben". Das ist auch in Ordnung, solange sie sich zugleich auch mit weniger tollen Leistungen arrangieren können.

Alles in allem wirst du lernen müssen, die latente Unzufriedenheit deiner Mutter vor allem aushalten zu können. Es ist immerhin dein Leben - sie kann sich das noch so sehr ausmalen, wie sie es sich für dich vorstellen würde, das macht dich aber weder glücklicher, noch hat es etwas mit wahrer Akzeptanz zutun. Hilf ihr dabei, indem du dich gebührend davon abgrenzt und dich davon freimachst.

Guck mal z.B. hier, da schreiben andere Studis von ihren Ängsten und Sorgen:
- https://mein-kummerkasten.de/330837/3-Studium-Selbstzweifel.html
- https://mein-kummerkasten.de/328858/Job-Studium-Leben-und-Lieben-Und-das-alles-gleichzeitig.html
- https://mein-kummerkasten.de/327744/Zukunftsangst.html
- https://mein-kummerkasten.de/326242/Weiss-nicht-mehr-weiter.html

An sich ist es wirklich ein wichtiger Schritt, ein unpassendes Studium abzubrechen. Denn früher oder später wird es zur Sackgasse. man kann nur dann in etwas brillieren und aufblühen, wenn man dafür brennt. Alles andere ist Käse. Nichts halbes und nichts Ganzes, schlimmstenfalls etwas, was krank macht.
Von daher: Versuche, deinen Weg mutig weiterzugehen, wenn du weißt: Das ist es, was ich machen will!
Im Übrigen kannst du noch einige andere Dinge tun, du musst dich ja nicht auf eine Sache beschränken. Im beruflichen Bereich kannst du z.B. zwei verschiedene Sparten abdecken. Und/oder dir überlegen, was du gerne hobbymäßig betreiben und was tatsächlich als Beruf ausüben möchtest.

Dann ist mir noch aufgefallen, dass du dich schon sehr nach äußerlichen Vorgaben richtest - oder dir selbst ziemlich viel auferlegst, was gar nicht unbedingt sein müsste. Ein gutes Beispiel ist die Sache mit dem Führerschein. Denn nein, denn musst du überhaupt gar nicht jetzt machen!
Sorge erstmal für Ruhe und erledige alles in kleinen Etappen, anstatt dich selbst zu überfrachten und dich damit nur lahmzulegen! Alles in dir schreit: STOPP, ICH WILL DAS GAR NICHT!! Dann höre auch darauf. Wenn man sich permanent selbst übergeht, macht man sich krank. Dein Ehrgeiz bringt dir nämlich rein gar nichts, wenn du letztlich psychisch am Ende bist.
Hier auch wieder der Hinweis: Achte auf psychosomatische Reaktionen deines Körpers: Er zeigt dir sehr genau, was dir Bauchweh macht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er kann somit auch vor weitere Überforderung schützen. Nimm das bitte sehr ernst!
Dazu noch eine ähnliche Zuschrift: https://mein-kummerkasten.de/331070/Ich-habe-keine-Kraft-mehr.html

Rund um deine dich niederdrückenden Gedanken möchte ich dir Hoffnung machen - sie bestimmen dich nur solange, wie du es zulässt! - Ich zitiere mal mich selbst aus einer anderen Zuschrift:
"Du kannst deine Gedanken lenken! Sei kein Spielball deines Kopfes!
Meine Buchempfehlung für dich: `Gedanken verändern Gefühle` von D. Greenberger und C.A. Padesky. Damit kannst du sehr aktiv arbeiten."

Wegen deines Zeichnens: Ich frage mich, welches Ziel du hast, wenn du anfängst, zu zeichnen. Geht es dir einfach um das Zeichnen als solches? Möchtest du am Ende ein fertiges "Produkt" haben? Möchtest du dir selbst etwas beweisen? Willst du dich einfach entspannen? Je mehr du herausfindest, was du mit Zeichnen verbindest und welche (versteckten) Anforderungen du an dich stellst, desto eher kannst du deine Hemmungen und den Druck von dir nehmen.
Eine Übung: Nimm dir ein großformatiges Blatt, mache entspannende Musik an und lasse den Pinsel oder Stift einfach kreisen (Malschwungübung) oder male (zeichne Muster, die ganz intuitiv der Musik folgen. Hier gibt es kein Richtig oder Falsch. So kannst du dich dem unverkrampften Kreativsein wieder etwas mehr annähern.

Nun ganz generell zum Bereich Entspannung.
Folgendes hab ich einmal jemandem geschrieben:
"Du kannst auch in dich gehen und herausfinden, welche Art der Entspannung dir etwa bringen würde. Bist du beispielsweise ein sportlicher Typ? Dann kannst du nicht nur im Freien, sondern auch in deinem Zimmer für Bewegung sorgen - was wiederum gut für deine Seele ist. Du kannst z.B. joggen, Trampolin springen, Krafttraining machen etc. Auch Yoga wirkt sehr gut! Oder wenn du eine Neigung zu Handwerk, Kunst und Musik hast, kannst du deine Gefühle in Songtexten, Skulpturen oder Bildern zum Ausdruck bringen. Auch Fotografie ist ein schönes Hobby, das erfüllend und entspannend wirken kann. Auch gibt es einige Spiele, die entspannen und helfen, die Gedanken zu ordnen. Puzzlen ist da richtig toll! Sich in der Natur aufhalten ist ein weiterer Punkt, denn zum Einen tut die frische Luft gut, du kannst dich bewegen, nachdenken, neue Eindrücke gewinnen, interessante Sachen beobachten und dich an ihnen erfreuen... und damit das alles noch mehr Spaß macht, kannst du Freund:innen und/oder Kumpels mitnehmen."

Ich denke, in deiner Situation wäre es sehr wesentlich, dass du viel mit anderen Leuten unternimmst, um runterzukommen und dich nicht so sehr in etwas Leistungsmäßigem zu "verbeißen". Zumal man ja auch gemeinsam lernen kann, dafür sind Lerngruppen schön. es muss also kein striktes Entweder - Oder sein.

Dann habe ich noch folgende Entspannungstipps für dich:
- Klassik zum Entspannen, z.B. https://www.youtube.com/watch?v=hSnD30bcAS8
Es gibt auch viele Radiosender rund um Ambient, Chill-Out und Entspannungsmusik.
- Vielleicht magst du auch ASMR: https://blog.teufel.de/was-ist-asmr/#chapter1
und passend dazu ein geflüstertes Märchen: https://www.youtube.com/watch?v=Jb5HFn2deCQ


Sooo, ich hoffe sehr, dass ich dir mit meinen Ausführungen weiterhelfen konnte.
Viel Freude auf deinem weiteren Weg durch dein Studium wünsche ich dir.

Herzliche Grüße,
Nuala