Vater kümmert sich nur um Bruder
Also, ich lebe mit meinem Bruder und meinem Vater zusammen (Mutter ist schon vor ein paar Jahren gestorben).
Seit längerem schreibt mein Bruder immer schlechtere Noten in der Schule, was meinen Vater natürlich richtig Sorgen macht. Der sagt ihm dann immer, dass er sich anstrengen solle, dass Schule wichtig sei, das Übliche eben. Zudem geht mein Bruder nicht so gut mit seinem Hab und Gut um, sodass mein Vater ab und zu ihm neue Sachen kaufen muss.
Ich auf der anderen Seite aber habe eig bisher immer gute Noten gehabt und bisher ging bei mir auch kaum was kaputt. Und hier ist nun das Ding: Ich habe das Gefühl, dass seitdem mein Bruder so schlechte Noten schreibt und sich so komisch benimmt, mein Vater komplett auf meinen Bruder fokussiert ist und meine guten Noten und dass ich mit allem gut umgehe mittlerweile selbstverständlich sind. Und das haut richtig rein, wenn du (wie's heute war) nach der Zeugnisausgabe als Klassenbeste nach Hause kommst und noch zahlreiche andere Sachen von irgendwelchen Wettbewerben mitbringst und dann dein Vater sich nur auf deinen Bruder konzentriert und dich gar nicht beachtet. Alles weil dein Bruder ein mieses Zeugnis hatte.
Vielleicht bin ich aber auch nur zu egoistisch. Mein Vater kann ja im Endeffekt auch nicht viel dafür, schließlich muss er arbeiten und zwei Kinder erziehen. Und vielleicht passiert es halt mal, dass einer mal eben etwas kürzer zieht, weil der andere aus der Reihe tanzt.
Aber das war auch schon letztes Jahr so. Da hab ich auch super Noten gehabt und voll viel gewonnen und alles, was ich zu hören bekommen habe, war ein: Gut gemacht. Damals hatte mein Bruder noch ein einigermaßen gutes Zeugnis und da hat mein Vater meinen Bruder die ganze Zeit gelobt und hat gesagt, dass er genau so weitermachen müsse, bla bla bla.
Ich habe auch Angst, meinen Vater darauf anzusprechen. Er ist ja gestresst genug und wenn ich dann ankomme und ihm sage, er solle mich mehr beachten, dann gibt's bestimmt auch wieder Streit. Zudem stehe ich dann als die Egoistin da, die nur an sich denkt.
Ich weiß nicht....bin ich wirklich einfach egoistisch oder macht da mein Vater doch was falsch?
Was meint ihr?
Anwort von JuliaZ
Hallo liebe Ratsuchende,
Vielen lieben Dank für deine Zuschrift :)
Eines vorweg: Ich kann deinen Standpunkt sehr gut nachvollziehen. Ich bin mit 3 Geschwistern aufgewachsen und meinen Eltern fiel es in einigen Jahren auch sehr schwer die Balance zu finden zwischen dem, der grade Aufmerksamkeit braucht, einfordert oder gar derzeit ablehnt und für sich sein möchte. Das ist nicht leicht als Elternteil hier "richtig" zu agieren, denn oft weiß man eben nicht, wie sich die Kinder wirklich grade fühlen. Heute, viele Jahre später kann Ich die Entscheidungen meiner Eltern besser verstehen und weiß nun, warum Sie so wie Sie es taten, gehandelt haben. Ich denke, das es vielen Kindern im Laufe des Lebens irgendwann so geht, das man sich fragt, ob das was man tut nicht ausreichend ist, weil jemand anderes viel mehr Lob und Anerkennung bekommt. Im Grunde ist das alles vergänglich und dein Bruder wird seinen Weg gehen und Du auch und dein Vater wird versuchen euch so lange wie möglich zu begleiten. Ich kann mir also nicht anmaßen zu beurteilen, ob dein Vater hier wirklich "Falsch" handelt, denn sicherlich versucht er, es euch beiden Recht zu machen - auch wenn es für dich danach derzeit gar nicht aussieht!
Es ist finde ich nicht egoistisch von dir, einzufordern was Du dir wünscht. Ganz im Gegenteil. Es kann gut sein, das Du dir darüber Gedanken machst, was Du dir wünscht. Um das aber zu bekommen, musst Du es nach außen transportieren. Wie sollte dein Vater sonst wissen, wie Du dich fühlst? Er kann nicht rumraten, was dir fehlt - denn er ist gestresst und selbst überlastet. Ich glaube nicht, das es zum Streit kommst, wenn Du Ihm von deinen Gefühlen berichtest und äußerst, wie Du dich fühlst, wenn so viel Wert auf deinen Bruders Leistungen gelegt werden und deine dabei ganz selbstverständlich und in den Hintergrund gerückten Leistungen nicht ihre Geltung bekommen, bei euch Zuhause. Wenn Du dich wirklich gar nicht traust, dieses Thema bei deinem Vater anzusprechen, dann zeige Ihm dies in einem Brief, den Er in deinem Beisein liest. Erkläre Ihm doch dabei, wie es dir dabei geht. Das alles hat nichts mit Missgunst und böswilligen Neid auf deinen Bruder zutun und demnach ist das auch wenn Egoismus - dann ein gesunder!
Alles was Du tust - ob dein gutes Zeugnis oder deine weiteren geehrten Fähigkeiten, die dir belegt wurden. Du machst das alles wirklich nur für dich und das sollte auch so sein. Es ist schön, wenn Du dafür von außen Lob bekommen kannst. Aber Du solltest nicht abhängig davon werden, diese Beachtung zu spüren, denn das ist gefährlich. Bleib bei dir und sei Stolz auf das was Du schaffen kannst und dann zeigst Du das auch viel stolzer und selbstbewusster nach außen. Denn Du musst deine Leistung nicht für selbstverständlich halten, denn da steckt einiges dahinter an Mühe und Zeit, die Du investiert hast. Du weißt das, auch wenn es vielleicht manchmal nach außen so wirkt, als fallen die gute Leistungen einfach so zu. Erkenne Du selbst und schätze es wert, was Du dir damit gutes tust!
Also,
Nur sprechenden Kindern kann geholfen werden und dein Vater ist darauf angewiesen zu wissen, was dich stört. Nicht nur, das dich etwas stört. Sei so lieb und teile es ihm mit, denn es geht dabei um dein Wohlergehen und damit auch das deines Bruders und deines Vaters. Du brauchst ja nicht zu deinem Vater gehen und um Beachtung fragen, sondern wirklich davon berichten wie Du dich in den Momenten fühlst wenn dein Zeugnis als Selbstverständlich und "gut" benannt wird. Unabhängig von deinem Bruder - denn der ist nur dein Vergleich den Du hier ziehst. Insgesamt fehlt dir die Wertschätzung und das darfst Du auch so zu geben. Also zugeben, was Du dir wünscht, damit Es dir besser geht. Darauf liegt der Fokus.
Dieses Wünsche benennen können muss man durch das ganze Leben immer mal wieder neu lernen. Aber wenn man damit anfängt, wird es leichter und fühlt sich meist auch besser an als die Wünsche nur in sich selbst herein zu sprechen.
Vielleicht kannst Du deinem Vater dann auch helfen gemeinsam Mögliche Hilfen für deinen Bruder zu finden? Klar muss Ihm auch geholfen werden. Aber dich dabei zu vergessen ist für dich verständlicherweise kein gutes Gefühl! Du kannst dich gerne erneut an uns wenden und auch berichten, wie das Gespräch gelaufen ist.
Ich wünsche Dir Alles Liebe und Gute,
Julia