Problem von Anonym - 14 Jahre

Ich hasse mich so sehr

Ich hasse mich unglaublich. Ich hege schon seit Jahren eine Art Groll gegen mich selbst. Mittlerweile ist es echt schlimmer geworden. Erstmal zu meiner Geschichte.
Ich leide seit Jahren unter Depressionen, Panikzuständen und einer Angststörung und habe auch noch eine schwierig zu erklärende andere psychische Erkrankung, die ich seit ich 5 bin habe. Sie hat mir das Leben echt schwer gemacht und so bin ich für 7 Monate in die Psychiatrie gekommen. Das ist jetzt schon ein bisschen her und anfangs dachte ich, dass sich meine psychische Verfassung total gebessert hätte, leider stelle ich gerade das Gegenteil fest. Ich bin durch mein Antidepressivum zwar weniger ängstlich geworden, dennoch wird mein Selbsthass immer stärker.
Ich hasse es, wie ich Leute immer wieder enttäusche.
Es fing damit an, dass ich ein Portrait von einer anderen Person zeichnen sollte. Da ich aber mich nie irgendwie dazu aufraffen konnte, ist es nie fertig geworden und das ist schon ein Jahr her. Die Person war schrecklich enttäuscht. Des Öfteren sage ich auch Verabredungen spontan ab, lüge meine Freunde an, nur um dann traurig in meinem Bett zu liegen. Ich glaube, sie sind schon echt enttäuscht von mir. Ich ignoriere auch öfter Nachrichten, weil ich zu müde bin, mir irgendein Drama jetzt noch anzuhören. Ich habe das Drama nämlich mittlerweile echt satt. Teilweise habe ich da noch ungelesene Nachrichten von vor 3 Monaten, und ich traue mich auch nicht, jetzt zu antworten, weil es ja irgendwie schon kackendreist wäre, erst jetzt zu antworten. Ich höre mir die Probleme meiner Freunde an, nur um den Therapeuten zu spielen. Manchmal fühle ich mich, als würde ich sie ausnutzen, um meine eigenen Probleme zu überspielen. Ich kann ihnen auch nicht wirklich helfen. Und dann sind sie enttäuscht. Ich lebe auch in einer Wohngruppe etwas weiter weg von meinen Freunden und wenn sie das mal wieder vergessen, fühle ich mich schlecht. Dann wollen sie sich verabreden mit mir und ich muss sagen "Sorry, du weißt ja, ich wohne etwas zu weit weg"
Mein momentanes Problem ist, dass eine Freundin von mir auf ein Konzert mit mir möchte, auf dass ich seit Monaten will. Ich war dumm genug und habe nur 2 Tickets für eine Veranstaltung um 20 Uhr gekauft und da kommen wir wahrscheinlich nicht alleine rein (sie ist 15). Ich überlege gerade, ihr einfach beide Tickets zu geben, und sie kann dann jemand Volljährigen mitnehmen. Ein drittes Ticket ist keine Option, da alle Tickets ausverkauft sind. Ich hatte mich zwar seit Monaten unglaubich auf dieses Konzert gefreut, aber ich möchte sie nicht enttäuschen. Sie macht mir auch jetzt schon ein schlechtes Gewissen, dass ich kein 3. Ticket gekauft habe.
Also Frage 1: Ist mein Selbsthass berechtigt?

Und Frage 2: Soll ich ihr beide Tickets geben, oder wie regele ich das?

Danke für die Hilfe schon mal im Voraus
LG

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Leider hast du nun eine ganze Weile auf eine Antwort warten müssen, was mir leid tut.
Da Themen wie Selbsthass nicht einfach mal mit einem Schnipps verschwinden, möchte ich dir jetzt schreiben und dir ein bisschen Input geben. Außerdem habe ich dir einige Zuschriften herausgesucht, die sehr wertvolle Gedanken und Tipps für dich bereithalten. Bitte lies auch diese alle aufmerksam durch und wende am besten auch die Übungen auf den entsprechenden Internetseiten an!

Die gute Nachricht ist - tadaaaa: Du bist ein wunderbarer Mensch, der nicht nur selbst ganz viel Liebe geben kann, sondern auch diese auf ganzer Linie verdient!
Und das ist auch schon eine erste Aufgabe für dich: Lasse diese Aussage auf dich wirken, lasse ihre Botschaft zu! Sage sie dir immer wieder vor, denn sie bedeutet nichts anderes als: Ich bin toll und liebenswert.
=> Zu deiner ersten Frage: Nein, Selbsthass ist NIE berechtigt!

Nun möchte ich konkret auf deine Beschreibungen eingehen.
Die Sache mit der deinem Antidepressivum klingt sehr schlecht. Bitte besprich das umgehend mit der zuständigen Psychiaterin bzw. Psychiater. Es sollte ein neues Medikament ausprobiert werden, das nicht derartige Nebenwirkungen erzeugt! Es nützt ja auch nichts, wenn ich dir Tipps rund um Selbstakzeptanz und Selbstliebe gebe und du auch in Therapie bist, gleichzeitig aber alles durch das falsche Antidepressivum zunichte gemacht wird. Also: Bitte kläre das mit deinen Eltern und den zuständigen Fachpersonen. Außerdem sollte erwogen werden, ob es bei dir nicht auch ohne ein Antidepressivum ginge. Ich vermute, dass es weitere Mittel und Wege gibt, um dir diese "Keule" zu ersparen.
Und die Sache mit der Angst ließe sich ja unter anderem verhaltenstherapeutisch angehen.
In jedem Fall darf es mit diesem Medikament nicht so weitergehen, wenn die Nebenwirkungen dich quasi menschlich niederdrücken!

Zu deinen sozialen Verhaltensweisen möchte ich sagen, dass es sich für mich nach einer ungesunden Angewöhnung anhört. Wie ein Teufelskreislauf.
Ich glaube, du machst es in der jeweiligen Situation durch deine Angst erst richtig zu einem Problem. Also angenommen, am Anfang war es eine Lappalie. Dann wurde es durch deine "Schreckstarre" immer größer und größer - und somit für dich immer schlechter kontrollierbar. Am Beispiel mit dem Portraitbild ist das gut zu erkennen. Du hast dich wahrscheinlich nicht getraut, frühzeitig Bescheid zu geben, dass du etwas getrödelt hast oder etwas dazwischen kam. Genau das darfst du aber tun - denn wir alle haben viele Aufgaben im Alltag und niemand kann von uns erwarten, immer alles sofort erledigt zu haben. Also kannst du dir erlauben, etwas nicht perfekt, nicht sofort und nicht vollständig erledigt zu haben. Der Clou ist, das rechtzeitiges Kommunizieren ganz toll ist, weil es hilft, alles nicht noch schwerer und komplizierter zu machen. Und nach einem Jahr war es wohl schon sehr spät. Doch auch da kann man noch drüber reden, sich entschuldigen. Dafür ist es nie zu spät! Und das gilt auch für deine anderen Beispiele.

Zum Kommunizieren mit deinen Freund:innen kann ich dir nur raten, keine Rolle zu spielen und echt zu bleiben. Wenn du bei einem Problem von ihnen keinen Rat weißt, kannst du das doch sagen oder schreiben. Dafür gibt es andere Leute, die ihnen helfen können. Außerdem kannst du ihnen einfach zeigen, dass sie sich bei dir mal ausheulen können und du Verständnis für ihre Nöte hast. Im Gegenzug solltest du das auch tun dürfen. Also trau dich das bitte, dafür sind echte Freund:innen ja schließlich da!

Du kannst auch an dir arbeiten, indem du mehr raus gehst, deine soziale Isolation durchbrichst. Übe es, ein Treffen mit einer vertrauten Person zu vereinbaren und dich dann an die Abmachung zu halten. Du kannst sie ja auch einweihen und ihr gestehen, dass es dir aufgrund psychischer Schwierigkeiten noch ziemlich schwerfällt, Verabredungen einzuhalten, dass du dich jedoch sehr bemühst und es keinesfalls am Gegenüber liegt!

Zum Thema nicht auf Nachrichten zu antworten: Ich verstehe nicht, was daran dreist sein soll, erst später zu antworten - das ist doch besser, als sie zu ignorieren?! Klar, am schönsten wäre es, relativ zeitnah darauf zu reagieren, doch ich kann zumindest von mir sprechen, dass ich gar keine Antwort viel schlimmer finde, als wenn es mal länger dauert. Auch hier gilt also: Sei mutig, stehe zu dem, was war und ist und antworte den Menschen, die dir etwas bedeuten! Wer dich wirklich mag, wird sich auch über eine späte Reaktion und Entschuldigung freuen.

Zu der Konzertgeschichte - nun, das ist blöd gelaufen. Doch mal ehrlich: Wir alle erleben es im Alltag, dass wir bei einer Sache zu wenig mitgedacht haben und uns deswegen ein Malheur passiert. Das ist ganz normal! Bei dir ist aber sofort die Angst da, dass du deine Mitmenschen enttäuschen würdest. Doch setze einfach bei dir selbst an: DU bist doch zunächst enttäuscht - was auch okay ist - und das merken deine Leute und zeigen dir das eventuell zusätzlich zu ihrem eigenen Gefühl. Es kommt auf den Umgang mit deinen Gefühlen an, hier also die Enttäuschung und die Trauer. Eine Möglichkeit wäre, auch wenn das Konzert wohl schon gelaufen ist, dass du sagst: Sorry, ich habe es verkackt, lass uns zusammen überlegen, wie wir das Beste daraus machen können. Stichwort Ehrlichkeit, Offenheit - und Kompromisse finden! Wenn man etwas verbockt hat, reicht meistens eine ehrliche Entschuldigung. Und wenn man das dringende Wiedergutmach-Bedürfnis hat, kann man ja auch mal einen ausgeben, einen Gutschein verschenken, einen Gefallen tun, für die Person kochen, etc. Man kann sich auf so viele Weisen entschuldigen und die Zuneigung zeigen! Dir fallen bestimmt Dinge ein, mit denen du das schaffen kannst :) Ohne dich zu zerfleischen und (grundlos) mies zu fühlen.

All das, was du beschreibst, sind klassische Anliegen innerhalb einer Psychotherapie. Dort kannst du lernen, wie du deine Bedürfnisse mit denen deiner Mitmenschen in Harmonie bringen kannst. Sodass Erwartungen, Enttäuschungen und Ängste nicht die Oberhand haben, sondern auf ihren Platz verwiesen werden.
Also falls du bereits einen Therapieplatz hast, solltest du genau diese sozialen Enttäuschungen ansprechen, um zusammen Lösungen erarbeiten zu können (und falls du noch nicht in Therapie bist, empfehle ich dir das sehr; es gibt übrigens auch die Möglichkeit, bei einer:m Heilpraktiker:in für Psychotherapie einzusteigen, was u.U. wegen längerer Wartezeiten bei den regulären Therapeut:innen sinnvoll sein kann).

Ganz allgemein kann ich dir ein paar "Merksätze" mitgeben, welche du dir ebenfalls immer vorsagen kannst:
* Ich habe mich lieb.
* Ich höre auf mein Inneres und gehe nach dem, was ich will und brauche.
* Ich löse mich von erdrückenden Erwartungen.
* Ich darf NEIN sagen, wenn mir etwas nicht passt und es mir zuviel wird.
* Wenn ich etwas zugesagt habe und es nicht (sofort) einhalten kann, gebe ich der Person Bescheid:
"Ich verspäte mich leider um 10 Minuten, ich beeile mich!", "Ich brauche leider länger mit dem Projekt, es tut mir leid", "Mir geht es heute leider schlecht und muss absagen, gerne sehe ich dich ein anderes Mal!", etc.
* Ich stehe zu meinen Macken und schäme mich nicht unnötig dafür. Macken gehören einfach zu jedem Menschen.
* Ich habe viele, viele tolle Seiten an und in mir, die ich immer zeigen darf.
* Ich traue mir alles zu, ich bin mutig!
* Ich darf immer die Wahrheit sagen, denn das ist das, was zählt.
* Ich suche mir viele Sachen, die mir Spaß machen und baue diese in meinen Alltag ein.

Und hier noch die versprochenen Links:
- https://mein-kummerkasten.de/288812/starker-Selbsthass-bitte-helft-mir.html
- https://mein-kummerkasten.de/329493/Extremer-Selbsthass.html
- https://mein-kummerkasten.de/325058/Selbsthass.html
- https://mein-kummerkasten.de/301396/selbsthass.html
- https://mein-kummerkasten.de/106149/Selbsthass.html

Ich wünsche dir alles Gute und dass du deinen gesamten Mut hernimmst, um deine schädigende Situation zu verändern. Du kannst das und du schaffst das! :)

Nuala