Problem von Anonym - 16 Jahre

Ich fühle mich vernachlässigt

Hallo..
Ich weiß nicht mehr was ich machen soll.
Ich hab das Gefühl als würde ich von meiner Familie nicht ernstgenommen/
wahrgenommen werden.
Ich bin gerade mit meinem Papa und meiner Schwester (15) im Urlaub. Aber mir kommt es so vor als wär ich das 5. Rad am Wagen.
Meine Schwester führt sich wie die Queen auf, und mein Vater macht nichts dagegen.
Ich hab ihn schon mehrmals angesprochen aber tun tut sich nichts. Zb. wenn wir essen gehen möchten, schaut sie während wir uns anziehen noch Fernseh und wenn wir sagen komm, sagt sie sie muss sich noch fertig machen oder so. Wir müssen immer mindestens 20 Minuten auf sie warten.
Aber wenn wir mal 5 minuten brauchen, dann gibts Terror. Es wird alles durchgesetzt was sie will und was ich möchte interessiert niemand. Außerdem finde ich es rücksichtslos wie die beiden sich verhalten.
Als ich krank wurde und gesagt hab das mir richtig übel ist meinte meine Schwester nur "tu mal nicht so, du bist ein schlechter Schauspieler". Etwas später musste ich mich mehrmals übergeben und war komplett krank. Ich hatte selbst Gallenflüssigkeit ausgekotzt. Meine Mama ist zuhause und schrieb mir, mein Vater solle in die Apotheke und Medikamente holen! Und was ist passiert? nichts.
Es schien sie nicht ansatzweise zu interessieren..
Meine Mama hat Borderline und hatte früher immer ihre Wutausbrüche wo runter ich und meine Schwester sehr litten.
Sie ist einmal ausgerastet weil ich ohne fragen das Klebeband genommen hatte und hat mich damit verprügelt. Mein Vater und meine schwester saßen daneben und haben weder was gemacht, noch was gesagt. Sie saßen wie versteinert da. Und zu meiner Verteidigung, ich wusste nichtmal das meine mama zuhause war, ich dachte sie wäre noch auf der Arbeit..
Ich weiß nicht mehr was ich machen soll, nichts hilft.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Unbekannte!

Deine Gesamtbeschreibung klingt recht besorgniserregend für mich. Es scheint ja um Konkurrenz und Kampf im weitesten Sinne bei euch zu gehen. Wäre es jetzt "nur" das Verhalten deiner Schwester, würde ich versuchen, dir ein paar Tipps für den Umgang mit ihr zu geben. Doch durch die Krankheitsgeschichte deiner Mutter, die Gewalt und noch dazu deinen untätigen Vater, der da irgendwie mit verstrickt ist, würde ich dir gerne etwas Anderes empfehlen: Suche, sobald ihr wieder daheim seid, eine Familienberatungsstelle in deiner Nähe auf. Das hätte den Vorteil, dass du alles genau erzählen kannst und mit dir konkrete Lösungsstrategien erarbeitet werden können. Außerdem könnten auch deine Eltern teilnehmen, zumindest bei späteren Sitzungen. Du kannst da auch allein einen Termin ausmachen und allein hingehen. Dafür sind diese Beratungsstellen da. Du kannst auch nach "Kinder - und Jugendberatungsstelle" schauen.

Allgemein möchte ich dir mit auf den Weg geben, dass wir oft stark von unseren eigenen Erwartungen und Gefühlen gelenkt werden und dies dann auf unsere Mitmenschen übertragen. Es kann sein, dass du ein bestimmtes Verhalten von deiner Familie erwartest, weil DU dich so verhalten würdest. Zum Beispiel, wie du deine Liebe ausdrücken würdest. Doch jede:r tickt da anders: Die einen zeigen ihre Zuneigung über Worte, andere über Taten, wieder Andere sind einfach da und der Fels in der Brandung, usw.
Es ist nicht gesagt, dass es niemanden interessiert, was mit dir ist! Vielleicht siehst du nur (noch) nicht, wie dein Vater dir seine Liebe zeigt, Zeit mit dir verbringen möchte.Finde es heraus, indem du dich für viele Möglichkeiten öffnest :)
Und dann: Zeigst du denn immer, dass sie dir wichtig sind? Zeigst du deinem Vater: Ich hab dich lieb? Sei hier bitte ganz ehrlich zu dir, ohne Vergleiche, ohne Schuldzuweisung, ganz nüchtern!

Deine Schwester hat ihre Gründe, sich so zu verhalten - egal wie absurd und blöd sie für dich sein mögen. Ich kann mir vorstellen, dass sie auf ihre Art leidet. Anders als du, aber dennoch kämpft. Und sich nicht anders zu helfen weiß.
Genauso kommt in Betracht, dass sie ein paar Macken hat, die du so gar nicht leiden kannst. Dann ist es deine Aufgabe, einen für dich besseren, "gesünderen" Umgang damit zu finden. Mehr dazu schreibe ich unten noch.

Jetzt bist du im Urlaub und erlebst so ein Theater. Daher probiere ich mich doch noch an ein paar Ideen.
Zunächst einmal möchte ich dich auf unsere Soforthilfe zu allgemeinen Familienproblemen hinweisen, da stehen schon mehrere Tipps drin:
https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/10/Familie-allgemeine-Familienprobleme.html
Außerdem hier:
- https://mein-kummerkasten.de/331916/Vater-kuemmert-sich-nur-um-Bruder.html
- https://mein-kummerkasten.de/331833/Bruder-wird-bevorzugt.html
- https://mein-kummerkasten.de/331157/Probleme-mit-Mutter.html
- https://mein-kummerkasten.de/256375/Familie.html

Zusätzlich möchte ich dir eines sehr empfehlen: Löse dich von dem Negativen auf mehrere Arten:
1. Übe dich im Entspannen. Weg vom Aufregen, Genervtsein, Wütendwerden. Denn das kannst du erlernen! Atme ruhig ein - und aus, lasse alles geschehen, ohne gleich zu reagieren. Nimm wahr, was passiert. Fühle, was es mit dir macht. Und dann überlege, was du sagen oder tun möchtest. Oder: Gar nichts zu sagen, die Situation einfach zu verlassen.
Gelassen zu bleiben bringt ganz oft die besten Effekte! Und selbst wenn du sauer wirst, weil es wegen deiner Schwester wieder länger dauert, kannst du sagen: "Ich gehe schon mal raus und warte draußen auf euch." Und dann allein entspannen und Gedanken sortieren. Wer weiß, vielleicht würden es deine Eltern dann genauso machen, zumindest dein Vater? Probier es aus!
2. Konzentriere dich nicht auf das, was schlecht läuft, sondern auf das Gute. Besonders bei deiner Schwester! Mache dir bitte eines bewusst: Nichts ist nur Schwarz oder Weiß. Wo Schatten ist, ist auch Licht - und umgekehrt. Schwierig wird es, wenn du dich einseitig auf das stürzt, was dir missfällt. Damit wirst du unzufrieden sein und dich nicht aus dem Loch befreien können.
3. Unternimm ganz bewusst etwas nur mit deiner Schwester. Geht spazieren, guckt euch um, nehmt an Animationsprogrammen teil, geht zu Kinder - und Jugendangeboten, etc. Was eben in eurem Urlaub in Frage kommt. Bestimmt gibt es etwas, was euch beide interessiert. Und das solltet ihr machen. Hier solltest du dich als Vorbild fühlen und benehmen, indem du sie mitreißt, ihr zeigst, dass du mit ihr Zeit verbringen möchtest und an ein gutes Verhältnis mit ihr haben willst. Es kommen manchmal die erstaunlichsten Offenbarungsgespräche heraus, wenn man einmal mit jemandem für ein paar Stunden in den Dünen oder in den Bergen herumläuft. Die Chance liegt darin, sich danach viel besser verstehen zu können, zumindest nachvollziehen zu können, WARUM sich jemand so verhält und welche Wahrnehmungen es überhaupt gibt.
4. Sollte dich Punkt 3 total abschrecken, frage dich zunächst, warum das so ist. Warum dich das alles so extrem belastet, also was es mit dir zutun hat.
Nimm dir ruhig viel Zeit außerhalb deiner Familie und erkläre das auch. Du kannst ihnen erklären, dass du dich gerade nicht wohlfühlst und dich auf das beziehen, was du schon mehrfach versucht hast: Deine Bedürfnisse verständlich zu machen. Das kannst du kurz und knapp als Begründung hernehmen, ohne dich in eine Auseinandersetzung hineinziehen zu lassen. Und dann kannst du rausgehen/weggehen. Du kannst ihnen auch sagen, dass du z.B. in zwei Stunden wieder da bist/beim Abendessen anwesend bist/den Tagesausflug nicht mitmachen willst... was eben bei euch so üblich und machbar ist, ohne eine Eskalation heraufzubeschwören.
5. Du kannst, wenn du mit deinem Vater Zeit verbringen möchtest, extra etwas suchen, was genau euch beide begeistern kann. Vielleicht findest du sogar etwas, was deine Schwester nicht interessiert ;)
5. Sieh deine eigenen Anteile:
* Was von dir kann deine Schwester provozieren, sich so zu benehmen?
* Was beziehst du auf dich, was eventuell aber gar nichts mit dir zutun haben könnte?
* Wann trägst du zu einem Streit bei?
* Warum kannst du deine Schwester nicht akzeptieren, wie sie eben ist?
* Bist du sehr empfindlich bei Ungerechtigkeiten?
* Wo reagierst du eventuell über?
6. Befrage mal deine Freund:innen zu deiner Familiensituation. Möglicherweise schätzen sie etwas ganz anders ein als du und können dir wertvolle Denkanstöße liefern.
7. Und nicht zuletzt: GENIESSE deinen Urlaub ganz für dich allein! Urlaub zu machen ist ein Geschenk, ein Privileg. Koste das aus! Genieße die andere Umgebung, knüpfe neue Kontakte, erkunde die Landschaft, nutze die Zeit für z.B. für ein tolles Buch, das du dabei hast.

Alles in allem liegt der "Trick" darin, aus deiner familiären Rolle auszubrechen bzw. diese auszudehnen oder aufzuweichen. Also: Du kannst schon viel ausrichten. Nichtsdestotrotz bleibe ich bei meiner Empfehlung mit der Beratungsstelle, um mal mit Profis auf eure gesamte Familienkonstellation - und Situation schauen zu können.

Ich wünsche dir einen schönen Urlaub - trotz deines Kummers. Mach bitte das Beste draus!

Nuala