Problem von Anonym - 20 Jahre

Depression im Studium; Mutter hasst mich; Emotionale Misshandlung

Ich studiere im dritten Semster Chemie und bin von den Prüfungsleistungen auf dem Stand eines Erstsemesters. Von den vier Klausuren im ersten Semester habe ich nur zwei bestanden, die meisten aus dem zweiten Semester habe ich gar nicht versucht zu schreiben, die hätte ich eh nicht bestanden. Vor zwei Monaten hätte ich mich beinahe aus Verzweiflung exmatrikuliert (konnte noch gerettet werden). Immer wenn ich versuche mich auf das Studium zu konzentrieren, kommen mir Gedanken, dass ich es eh nicht schaffen werde, dass es keinen Sinn macht, da sich meine Situation sowieso nicht ändern wird. Jegliche Motivation die ich zu Beginn des Studiums hatte ist abgestorben. Ich bin andauernd müde obwohl ich genug Schlafe (war auch schon beim Arzt, die haben nichts gefunden) und ich habe keine Energie mehr irgendwas zu machen. Der Grund dafür ist folgender: Meine Mutter hasst mich, ich bin ihr nur im Weg und lässt es mich in jeder Weise die ihr möglich ist wissen. Jeglicher Hinweis auf meine Existenz lässt sie in Rage verfallen und sie fängt an im Haus zu randalieren, Dinge umher zu schmeißen und Beleidigungen vor sich hin zu murmeln. Wenigstens schlägt sie mich nicht. Das geht seit ca. 5 Jahren schon so. Vor drei Jahren hat sie angefangen sich tagsüber zu betrinken und seitdem ist ihr Trinkverhalten und ihr Verhalten mir gegenüber noch viel schlimmer geworden. Ich übernehme für sie ihre Aufgaben im Haushalt, weil sie meistens noch auskatert oder zu besoffen ist um es selbst zu tun. Sonst würde das Haus wie ein Schweinestall aussehen. Mein Vater ist hingegen nicht präsent (Morgens vor der Arbeit seh ich ihn 10 Minuten und Abends vielleicht eine oder zwei Stunden), somit bekommt er auch nicht mit was in seiner Abwesenheit vor sich geht. Wenn ich ihn auf den Alkoholismus meiner Mutter anspreche, sagt er er wisse nicht ob das Alkoholismus sei. Wenn ich sage das sie mich emotional misshandelt, kommt eine Gesicht der Aufnahmefähigkeit von ihm, letztendlich passiert aber nichts. Es gilt eine allgemeine "Was du mir heute sagst, hab ich morgen vergessen"-Politik. Er hat Angst sich gegen sie zu Stellen und wenn mich meine Mutter in seiner Hörweite lautstark anschreit tut er so als sei er nicht da. Ich bin Monate lang depressiv und vielleicht für 3-4 Tage wieder okay, nur um dann wieder wochenlang in depressive Zustände zu verfallen. Das ist ein ständiges auf und ab das schon seit der 9.Klasse ein Normalzustand ist. Freunde an der Uni hab ich keine mehr, nach den ersten drei Wochen im Studium hatten alle langsam gerafft, dass ich emotional nicht stabil bin und haben mich dementsprechen aus ihrem Leben verbannt (wer will schon mit einem Dauertraurigen rumhängen). Ich hab keine Ahnung wie es weitergehen soll. Mein Abi war schlecht somit sind meine Möglichkeiten in Richtung Studium sehr eingegrenzt. Einfach alles zu schmeißen und jobben zu gehen empfinde ich auch nicht als richtig. Ausziehen wird schwer, ich bekomme kein Bafög (mein Vater verdient zu viel), neben dem Vollzeit-Studium jobben und mir eine eigene Wohnung, plus was man sonst noch braucht, selbt leisten zu können ist so gut wie unmöglich (Wohnungspreise im Umkreis meiner Uni sind unverschämt hoch). Und ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Mutter, wenn ich ausziehe sollte, jegliche finanzielle Unterstützung abdrehen wird, sobalt sie es schafft meinen Vater dazu zu nötigen. Mein Vater sagt zwar dass er mich bei all meinen Entscheidungen unterstützt, ich weiß jedoch erfahrungsgemäß, dass er sobalt es zum Konflikt kommt sein Wort nicht halten wird. Ich habe keinen Ort mehr an dem ich mich wohlfühle. Zuhause muss ich ständig Angst vor einer erneuten Attacke meiner Mutter haben, an der Uni sitzt ich alleine in den Vorlesungen oder alleine irgendwo und brüte über den Lernstoff.

Adriano Anwort von Adriano

Hallo, Du!

Zunächst einmal möchten wir uns für deine Nachricht und das Vertrauen, das du in uns setzt, herzlich bedanken!


Ich habe mir deine Nachricht nun einige Male durchgelesen. Deine beschriebene Situation stimmt auch mich sehr traurig und ich finde es beachtenswert, wie du, trotz aller Widrigkeiten, im Alltag immer noch so gut funktionierst, dass du nicht nur dein Studium, so gut es dir möglich ist, wahrnimmst, sondern auch noch Aufgaben im Alltag erledigst, irgendwo auch noch die Kommunikation zu deinem Vater suchst und darüber hinaus bemüht bist, deinen Kopf allen Umständen entsprechend über Wasser zu halten. So sehr über Wasser zu halten, dass du dir in einem ruhigen Moment die Gelegenheit suchst und dann auch hast, uns zu schreiben. Deshalb möchte ich dir an dieser Stelle nochmal sagen, dass wir uns für das Vertrauen, das du uns entgegenbringst, sehr bedanken möchten! Dass du dich aktuell so fühlst wie du dich fühlst, kann, denke ich, jeder absolut nachvollziehen. Ich denke, würde ich jetzt vor dir stehen oder sitzen, würde ich dir zuallererst mal eine dicke Umarmung schenken.

Sehr früh in deiner Nachricht hast du ein sehr starkes Wort benutzt, um das Verhältnis deiner Mutter zu dir zu beschreiben: Hass. Du hattest geschrieben, dass sie dich hasst. Ohne deine geschilderten Umstände vernachlässigen zu wollen, hätte ich an jener Stelle in deiner Nachricht jedoch gerne mehr darüber erfahren, weshalb oder seit wann du der Meinung bist, dass dich deine Mutter hasst. Hattest du dieses Gefühl auch schon früher als Kind oder Jugendlicher? In welchen Momenten bringt sie dir Hass entgegen? Und wie genau zeigt sich ihr Hass? Ist deiner Meinung nach ausschließlich der Alkohol für ihren Hass verantwortlich? Durch welche Umstände ist es dazu gekommen, dass deine Mutter zunehmend zum Alkohol gegriffen hat? Wenn du möchtest, kannst du mir in einer Antwort dazu ja ein paar Antworten geben, das wäre für meine Antwort an dich äußerst hilfreich.


Da ich deine Situation als sehr akut empfinde, möchte ich dir nun ungefiltert und ohne weitere Verzögerung meine Gedanken dazu mitteilen.


Zuallererst MUSST du dich um dich kümmern! Um dich kümmern bedeutete bereits, dass du beispielsweise uns geschrieben hast. Es ist mir in diesem Moment leider nicht möglich, dein persönliches Umfeld an Menschen einschätzen, geschweige denn, mir davon ein Bild machen zu können. Es ist jedoch äußerst wichtig, dass du dir Hilfe suchst, die stets nah bei dir bzw. erreichbar ist. Was ich damit meine: Idealerweise wäre das eine Person aus deinem näheren familiären Umfeld, die du über deine aktuelle Situation in Kenntnis setzt UND um Hilfe bittest. Tante, Onkel, Bruder, Schwester oder die Großeltern. Teile deine Sorgen mit jemanden, zu dem du Vertrauen hast UND von dem du der Meinung bist, dass deine Sorgen dort gut und vertraulich aufgehoben sind. Bitte sie um Hilfe! Sollte es niemanden aus deinem näheren familiären Umfeld geben, erkundige dich doch, ob es einen Sozialdienst oder Therapeuten an deiner Universität gibt, an den/die du dich vertraulich wenden kannst. Dort findest du nicht nur Verschwiegenheit und Vertrauen deiner Situation gegenüber, sondern gleichzeitig Hilfe, was du von nun an konkret tun könntest. Sollte das nicht der Fall sein, ist deine Universität ja möglicherweise Mitglied in einem Netzwerk sozialer Dienste oder weiß, wohin oder an wen sich Studenten wenden können. Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen könntest, dich an ein Familienmitglied, einen sozialen Dienst oder einen Therapeuten zu wenden. Und natürlich wäre es zu respektieren, wenn du das schlicht nicht möchtest, da es immerhin um ein sehr intimes Problem geht. Die Scheu davor aber solltest du, wenn vorhanden, versuchen abzulegen und es nicht so bewerten, als würdest du damit deinen Eltern etwas Schlechtes tun. Denn das möchtest du damit ja nicht. Du möchtest deinen Eltern helfen, zunächst aber auch dir. Mir ist bewusst, dass man dafür Zeit benötigt, die du als Student möglicherweise nicht immer hast. Wenn du jedoch beispielsweise einen vertrauensvollen Hausarzt hast, würde ich dir empfehlen, dich mal für eine oder zwei Wochen krankschreiben zu lassen, um die beschriebenen Wege besser erledigen zu können, um zwischendurch auch mal etwas Zeit für dich zu haben. Unter nachfolgendem Link ist es beispielsweise möglich, Sozialberatungsstellen in deiner Gegend zu suchen und zu finden. Vielleicht ist es dir ja mal einen Blick wert? Das würde mich freuen!

https://studentenwerke.de/de/ansprechpersonen-sozialberatung


Gerade bezüglich des Alkoholismus' in der Familie können wir die professionellen Beratungsstellen leider nicht ersetzen. Aber ich möchte dich dazu ermutigen, dir professionelle Hilfe an deine Seite zu holen. Dort erhälst du nicht nur die gebotene Vertraulichkeit zu deiner Situation, sondern auch zielgerichtete, konkrete Hilfestellungen. Insbesondere, was beispielsweise deine Wohnsituation anbelangt. Auch die Fragen der finanziellen Unterstützung durch deine Eltern lassen sich unter professioneller Beratung sehr viel leichter beantworten.

Darüber hinaus: es könnte sein, als sei auch dein Vater durch die vorherrschende Situation schlicht überfordert. Es ist überhaupt nicht selten, dass Partner oder Ehepartner sich und den an Alkoholismus leidenden Partner schlicht nicht zu helfen wissen, sobald sie mit dieser Situation konfrontiert sind. Das ist auch nicht weiter verwerflich, denn solch eine Situation lässt nahezu alles aus den Bahnen geraten. Du kannst deinen Vater über deine Gefühle und Empfindungen jedoch umfangreich in Kenntnis setzen. Du hattest geschrieben, dass, wenn du das getan hast, dein Vater dir zwar aufmerksam zugehört habe, danach jedoch in ein Muster der Gleichgültigkeit zurückgefallen war. Dass er Angst habe, sich deiner Mutter zu stellen. Um ehrlich zu sein, könnte das auch eine ziemlich natürliche Reaktion deines Vaters sein, sie schreit nach Überforderung und Hilflosigkeit. Vielleicht ergibt sich, trotz aller bisher vergeblicher Versuche, die Möglichkeit für ein weiteres, sehr direktes Gespräch. Nur du und dein Papa. Oder aber du schreibst ihm vielleicht mal einen Brief, öffnest ihm seine Augen, wie es dir wirklich geht, was du dabei empfindest zu sehen, wie er sich verhält wenn du ihm von deinen Ängsten erzählst. In dem du aber auch Verständnis dafür äußern könntest, dass du verstehst, dass auch er sich möglicherweise hilflos fühlt. Einen Brief, in dem du deinen Wunsch deutlich formulieren könntest dass du von ihm erwartest, dich dabei zu unterstützen, der Mama, eurer Familie zu helfen.

Alkoholismus zu behandeln ist unglücklicherweise äußerst schwierig. Insbesondere ohne die willentliche Mitwirkung der betroffenen Person, die sich zunächst eingestehen muss, dass sie an dieser Krankheit leidet. Bedauerlicherweise ist es ein sehr explosiver schmaler Grat, insbesondere als Kind oder Ehepartner. Worte und Taten zu finden, das Familienmitglied, das an Alkoholismus leidet, darauf aufmerksam zu machen, dass der Alkohol diesen krankhaften Zustand und alle Begleiterscheinungen erst hervorruft. Vielleicht hilft es hier aber auch, deiner Mutter, wenn sie nüchtern ist, seine Gedanken möglichst vorwurfsfrei, aber deutlich und bestimmend mitzuteilen. Ob in einem Gespräch oder, wenn man sich das aus guten Gründen einfach nicht mehr zuzutrauen meint, auch hier wieder mit einem Brief. Auch wenn die nach Außen getragene Reaktion in vielen Fällen eine zunächst völlig ablehnende und aggressive sein kann, ist es viel wichtiger, was so eine Art Geständnis und Aufmerksammachen im Inneren der Person auslösen kann. Selbst, wenn es nur ein sich Bewusstwerden ist, dass andere Menschen sich große Sorgen machen und unter den Umständen leiden.


Ich weiß, es ist alles leichter gesagt als letztlich getan. Ich bleibe jedoch voller Überzeugung dabei, dass es dir helfen wird, wenn du dir zunächst professionelle oder aber familiäre Hilfe suchst, die dich bei den weiteren Schritten tatkräftig unterstützen kann. Lass dich mit diesem Problem bitte nicht alleine! Dir steht jedes Recht zu, dich anderen Menschen anzuvertrauen und um Hilfe zu bitten!


Lass doch bitte wieder von dir hören, wenn du weitere Hilfe benötigen oder weitere Fragen haben solltest. Ich hoffe, dir ein wenig geholfen zu haben und wünsche dir in diesen Zeiten sehr viel Kraft! Du scheinst ein sehr, sehr bewusster junger Mann zu sein, der bereits jetzt äußerst stark handelt. Ich finde es außerordentlich beachtenswert, wie du bis hierhin die Situation gehandhabt hast. Ich finde, du kannst sehr stolz auf dich sein.

Viele Grüße,
Adriano