Problem von Anonym - 23 Jahre

An Paul: Neuer Versuch

Lieber Paul,

ich hoffe, dir geht es gut. Leider habe ich auf mein letztes Schreiben keine Antwort von dir bekommen. Das soll kein Vorwurf sein – ich muss dir nur einfach wieder schreiben.

Vielleicht hast du die Möglichkeit, mein altes Schreiben zu lesen, bevor du hierauf antwortest. Sollte das aber nicht möglich sein, möchte ich dir eine möglichst kurze Zusammenfassung liefern: Seit ein paar Monaten bin ich (mal wieder) von einem Mann fasziniert. Ich schreibe extra nicht verliebt/verknallt/ver-was-auch-immer, weil ich manchmal das Gefühl habe, mit meinen 23 Jahren immer noch nicht zu wissen, wie sich das genau anfühlt. Er ist ein Kollege von mir. 14 Jahre älter, aber sehr jung geblieben. Er könnte äußerlich sowie vom Charakter her auch Mitte/Ende 20 sein. Er fasziniert mich vom ersten Tag an, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Zuerst dachte ich „Der sieht so gut aus, der ist bestimmt total arrogant“. Aber schnell wurde ich eines Besseren belehrt. Okay, ich glaube, er weiß, was für eine Wirkung er auf Frauen hat. Er könnte sicherlich jede haben. Aber das ist ja per se nichts Schlechtes. Er flirtet gerne – und viel. ABER: Er hat eine Freundin. Sie ist neun Jahre jünger als er.

Wir haben uns von Tag 1 blind verstanden. Es ist so, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Wir sind fast immer derselben Meinung, egal, worum es geht. Wir können über Gott und die Welt reden und ich habe immer das Gefühl, nicht alles gesagt zu haben, was ich ihm gerne sagen würde. Die Zeit reicht einfach nie aus. Manchmal sprechen wir ganz normal miteinander, eben wie Kollegen oder Freunde. Und manchmal, da herrscht so eine Spannung zwischen uns beiden und wir können beide nicht aufhören, mit dem anderen zu flirten. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er genauso (viel) an mich denkt, wie ich an ihn.

Manchmal, da schaut er mich so intensiv mit seinen strahlend blauen Augen an, dass ich – schüchtern, wie ich dann bin – wegsehen muss, obwohl es nichts Schöneres gibt, als ihm in seine Augen zu schauen. Wenn wir miteinander reden, stellt er sich manchmal ganz nah vor mich und beugt sich im Gespräch tief zu mir runter, sodass unsere Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt sind.

Wir beide können nicht anders, als uns jeden Morgen zur Begrüßung so anzulächeln, als wären wir der schönste Mensch der Welt für den anderen. Außerdem versucht er oft, mich zum Lachen zu bringen, was ihm auf fast immer gelingt. Manchmal lacht er auch über das, was ich sage. Aber ich hab das Gefühl, dass er sich in der Hinsicht um Einiges mehr anstrengt als ich. Er reißt seine Witzchen in Gegenwart anderer Kollegen und sieht mich an, um zu prüfen, ob ich ihn witzig finde.

Wir haben auch ab und zu über ernstere Dinge gesprochen. Er hat mir erzählt, dass er geschieden ist und mit seiner Ex-Frau 14 Jahre zusammen war (der Punkt spricht dafür, dass er sich auf lange Sicht binden will und nicht nur auf Flirts aus ist). Zuletzt haben wir auch kurz über meinen Ex-Freund gesprochen. Er wurde knallrot (wirklich wie eine Tomate!) und hat mich mit Fragen bombardiert. Wer Schluss gemacht hat, ob mir mein Ex noch hinterher trauert… Dann hat er mich gefragt, ob nicht unser Auszubildender „einer für mich wäre“. Ich erklärte ihm, dass ich ihn zwar echt nett fände, er aber nicht mein Typ sei. Mich lässt das Gefühl nicht los, dass das seine Art ist, rauszufinden, auf welche Männer ich stehe, oder, ob mir nicht rausrutscht, dass ER mein Typ ist. Er findet, dass ich „schon viel weiter“ wäre, als andere in meinem Alter. Ich bräuchte bestimmt einen Freund der 25, 26, 27 Jahre alt ist… Nein, ich brauche jemanden, der 14 Jahre älter, 1,86 m groß ist, wunderschöne blaue Augen hat, ordentlich, lustig, intelligent, pflichtbewusst und zuverlässig ist – so jemanden wie dich. Natürlich konnte ich das nicht sagen. Ich wusste überhaupt nicht, was ich großartig darauf antworten sollte.

Ein anderes Mal war er bei meiner Kollegin und mir im Büro. Es war sehr warm bei uns, weil meiner Kollegin immer kalt ist. Da sagte er „Ihr habt es aber kuschelig hier!“ Und ich antwortete (ohne zu überlegen) „Ich könnte mich schon ausziehen!“ Das war natürlich eine Vorlage. „Mach das doch, dann habt ihr bestimmt auch mehr Kundschaft“, dabei berührte er mich kurz am Rücken. Er geht mit seiner Berührung auf Tuchfühlung, oder? Will er wissen, wie ich darauf reagiere?

Das offensichtliche Problem: Wie soll ich überhaupt auf all das reagieren? Ich kann mich doch nicht so richtig an ihn ranschmeißen, wenn er eine Freundin hat?! Was sagt das über ihn aus, wenn er mit anderen Frauen flirtet und neue Kolleginnen sofort auf Facebook sucht? Heißt das, dass er kein guter, treuer Freund sein kann? Ich denke, entweder, er ist einfach ein Mann, der viel Spaß am Flirten hat und seiner Freundin trotzdem treu ist und sie liebt. Oder, seine Beziehung mit seiner Freundin ist nicht das, was er will und er schaut sich nach anderen um. Natürlich ist beides nicht schön für seine Freundin.

Das Knistern zwischen uns ist manchmal so heftig, dass ich wünschte, er würde den ersten Schritt machen. Da wären wir wieder in der gleichen Situation wie vor zweieinhalb Jahren. Ich glaube, ich habe aus der ganzen Sache noch nichts gelernt. Würde er mich küssen wollen, ich glaube, ich könnte mich nicht selbst davon abhalten. Würde er mich ausnutzen, wie der andere Arsch damals, ich würde es wahrscheinlich wieder mit mir machen lassen, in der Hoffnung, dass ich doch die Eine für ihn bin und er sich früher oder später für mich entscheidet. Tut mir leid, ich werde grade ganz theoretisch… Aber ich habe einfach Angst davor, was vielleicht mal zwischen uns passieren könnte, das ich nicht kontrollieren kann, weil ich mich so sehr danach sehne, zu lieben und geliebt zu werden. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum er für mich trotz Freundin „in Frage kommt“; weil ich endlich wieder jemanden an meiner Seite haben will. Und wenn derjenige erst noch erkennen muss, dass ich die Richtige bin und er mit seiner Freundin Schluss machen muss, dann werde ich warten. Ich bin stur und vielleicht auch dumm, ich weiß. Auch, dass er ein Kollege von mir ist und wir, wenn’s gut oder schlecht läuft – je nachdem, wie man es sieht – noch 30 Jahre zusammen arbeiten müssen, ist mir gerade total egal, so geblendet bin ich von ihm. Früher oder später werde ich mich wahrscheinlich wieder dafür hassen, wie ich mich so von meinen Gefühlen habe überrennen lassen können…

Aber vorgestern, da hat er etwas zu mir gesagt, dass mich komischerweise total traurig gemacht hat, sodass ich vom einen auf den anderen Moment hätte heulen können. Es war kurz vor Feierabend, er kam, wie so oft, in mein Büro und wir redeten noch kurz. Irgendwann sagte er „So komm, machen wir Feierabend. Ich fahr jetzt in die Sauna…“ Darauf sagte ich (wieder ohne nachzudenken) „Ooohhh, ich will auch!“ und machte ein trauriges Gesicht. Allerdings bezog ich das in diesem Moment tatsächlich mehr auf die Sauna, als darauf, mit IHM hin zu wollen. Er hatte das aber anders verstanden und sagte „Das fände meine Freundin bestimmt nicht so geil… Aber ich würde dich ja noch glatt mitnehmen!“ Das war der Satz. Ich fragte mich sofort, ob er das wirklich ernst meint. Und falls ja, warum. Weil er mich so gern hat? Oder weil er mich nackt sehen will? Würde er gerne mich, statt sie mitnehmen? Oder würde er gerne mit uns beiden hinfahren? Irgendwie verursachte diese Bemerkung einen Stich in meiner Brust. Zu wissen, dass er mit seiner Freundin an diesem Abend Zeit dort verbringen würde, beide nackt… oder zumindest halbnackt. Währenddessen würde ich zu Hause im Bett liegen, nichts tun und stundenlang an ihn denken, bis ich zu müde und irgendwann einschlafen würde… Am darauffolgenden Tag war ich so schlecht gelaunt, dass ich mir geschworen hatte, ihm aus dem Weg zu gehen. Ich sagte ihm nur Guten Morgen, weil ich dem nicht ausweichen konnte. Ich traf ihn einmal im Treppenhaus und wollte einfach nur schnell an ihm vorbei. Ich habe nicht nach Gründen gesucht, mit ihm zu reden und er kam auch nicht zu mir. Als er zum Feierabend meiner Kollegin und mir ein schönes Wochenende wünschte, brachte ich kein Wort raus. Ich hab ihn nicht mal angesehen.

Heute Abend hat er mir wieder geschrieben (wir schreiben seit ein paar Monaten immer öfter miteinander) und ich konnte seine Nachricht einfach nicht ignorieren. So schnell ist mein Plan, ihm aus dem Weg zu gehen also schon wieder vorbei. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Soll ich ihm weiter zeigen, wie sehr ich ihn mag? Soll ich ihm aus dem Weg gehen und nur noch das Nötigste mit ihm besprechen, weil er eine Freundin hat? Normalerweise bin ich wirklich ein moralischer Mensch, aber mittlerweile denke ich immer öfter, man lebt nur einmal und wieso sollte ich mich zurückhalten, wenn auch Zeichen von ihm kommen? Wieso sollte ich jahrelang unglücklich sein, immer auf die Gefühle anderer achten, wenn mich nur der richtige Mann an meiner Seite so wirklich glücklich machen kann? Wenn er überhaupt kein Interesse hätte oder seine Freundin ihn komplett erfüllen würde, würde er sich doch nicht so verhalten, oder? Ich weiß, man spannt einer Frau nicht ihren Freund aus, aber was ist, wenn er der Eine ist? Würdest du mir raten, ihm aus dem Weg zu gehen?

Ich hoffe, du konntest einen Eindruck von ihm gewinnen. Und ich hoffe, du kannst mir aus Sicht eines Mannes verraten, was er da gerade tut und was er damit bezwecken will.

Viele liebe Grüße
Anonym

PaulG Anwort von PaulG

Du hast ein Feedback erhalten, dessen Lektüre ich dir sehr ans Herz lege:

https://mein-kummerkasten.de/332317/Feedback-zu-An-Paul-Neuer-Versuch.html


Liebe Anonyme,

ich bin sehr glücklich, dass du dich wieder meldest. Deinen Text vom September habe ich wieder und wieder gelesen - und ich will ehrlich sein, bis heute war ich tatsächlich unentschlossen, was ich dir darauf antworten könnte. Nachdem du mich jetzt auf den neuesten Stand gebracht hast, finden meine Gedanken leichter Standfläche.

Du hast damals geschrieben, du seist ein "hoffnungsloser Fall". Das bist du durchaus nicht! Allein deshalb, weil du reflektierst, dass in deinem Liebesleben bestimmte Muster auftreten, die sich wiederholen, Herausforderungen erkennst und versuchst, sie zu bewältigen. Dass das nicht immer gelingt (weil das Herz es nun mal nicht will) ist menschlich. Tatsächlich solltest du nicht vergessen, dass du damals bei deiner Liaison mit einem Arbeitskollegen hart darum gekämpft hast, moralisch zu bleiben, und große Selbstdisziplin bewiesen hast (ihr habt nicht miteinander geschlafen, wenn ich mich recht erinnere). Eines ist klar, liebe Anonyme: Ganz egal, wie sehr du dich ärgern magst, dass diese Situation sich mehr oder minder wiederholt, sie ist nun einmal da. Es führt also zu nichts, dich zu grämen. Vielmehr musst du die Sache aktiv angehen, und vor allem bewusst. Das tust du. Manches von dem, was ich dir schreibe, wird dir möglicherweise unangenehm sein. Anderes wird dich vielleicht freuen. Vorausschicken muss ich, dass ich auch hier keine Patentlösung anbieten kann, und nicht gewährleisten, dass meine Antworten richtig sind. Was du am Ende daraus machst, liegt ganz bei dir.

Doch muss ich noch etwas Anderes schon jetzt deutlich machen - weil du nämlich erfahrungsgemäß eine große Bereitschaft hast, das zu übersehen: Es gehören immer zwei dazu! Auch das Verhalten deines Kollegen dir gegenüber trägt dazu bei, dich in die Unsicherheit und innere Zerrissenheit zu bringen, in der du dich befindest (und die sich ja offensichtlich in den letzten zwei Monaten noch gesteigert hat!) Du kannst daher die Verantwortung für das, was daraus entsteht, nicht ganz allein bei dir suchen, sondern musst zwischen dem, was du steuern kannst, und dem, worauf du keinen Einfluss hast, unterscheiden. Nehmen wir an, dein Kollege hat - ähnlich wie damals H. - eine Bereitschaft, mit dir eine Affäre zu beginnen. Dann liegt es freilich bei dir, ob du auf dieses Angebot eingehst. Es liegt aber bei ihm, wie einfach oder schwer er es dir macht. Deshalb würde es nicht gut sein, wenn du dir - wie damals - Vorwürfe machst, weil du in einem Moment schwach geworden bist. Viel sinnvoller wäre es da, dich zu fragen, ob du eine Situation, in der er dich zu verführen versucht, zu meiden versucht hast. Tut ER das nicht, sondern legt es mit aller Gewalt darauf an, hast du darauf keinen Einfluss. Ganz unabhängig von der Frage, wie groß deine Widerstandsfähigkeit wirklich ist - und von der Frage, ob du überhaupt Widerstand leisten willst. Ich kann und will dir da nichts vorschreiben. Aber ich habe zumindest die Hoffnung, dass dein jetziger Schwarm sich etwas erwachsener verhalten wird als H.

Du hast mich um eine Einschätzung "aus der Sicht eines Mannes" gebeten, was sein Verhalten bedeutet. Um das leisten zu können, möchte ich mich allerdings zuerst damit auseinandersetzen, was eigentlich dein Wunsch ist, wenn du mir diese Frage stellst. Dein Text lässt eines ganz klar erkennen: Du bist sowas von leidenschaftlich verknallt! Und das ist auch total okay so. Im Moment wünschst du dir vor allem Klarheit, um deine nächsten Schritte planen zu können. Jedoch ist mein Eindruck, dass es dir durchaus am liebsten wäre, wenn er auch Gefühle für dich hätte. Und weißt du was? Das ist total in Ordnung. Allerdings muss dir klar sein, dass (falls die Gefühle erwidert werden) diese Sache nur zu deinem Besten ausschlägt, wenn du dich entscheidest: Entweder dazu, ihnen nicht nachzugehen - oder dazu, die Vorhaltungen deines Umfeldes konsequent zu ignorieren und es zu wagen. Im Augenblick erlebe ich dich hin- und hergerissen zwischen deiner ungeheuren Anziehung zu ihm, und der Sehnsucht, es möge alles nicht schon wieder kompliziert sein. Mach dir klar: Dasjenige ist richtig, was du vor dir selbst verantworten kannst. Dass es unwahrscheinlich ist, dass eine Beziehung Erfolg hätte, wenn sie als Affäre beginnt, brauchen wir hier nicht endlos abzuhandeln. Das ist eh klar. Vielleicht ist dieser Mann aber auch mutiger (oder unbedarfter) als H.; vielleicht würde er sich entscheiden, mit dir noch einmal ganz von vorn anzufangen. Und vielleicht ist dies auch die Zeit, in der du dir sagst, dass du mit älteren Männern nun einmal besser kannst als mit gleichaltrigen (falls du das so siehst - ich will es nicht behaupten). Jedenfalls und überhaupt: Tu das, was du tust, zu einhundert Prozent. Denn sonst entsteht am Ende womöglich wieder eine Situation wie schon einmal, in der du nicht zu sagen vermagst, was das Ganze dir außer Schmerz, Scham und Diskussionen eigentlich eingebracht hat.

Wir beide wissen, dass du ein Mensch bist, der, was Gefühle betrifft, keine halben Sachen macht: Du verliebst dich mit aller Heftigkeit - oder eben nicht. Daraus musst du die Konsequenz ziehen, und dich auch mit aller Kraft um einen Menschen bemühen. Oder eben nicht, weil es dir nicht vernünftig oder nicht richtig erscheint. Dann müssen die Maßnahmen, die du ergreifst, um es für dich erträglich zu machen, aber auch radikal sein. Darauf komme ich unten noch zu sprechen.

Aber nun zum Kern deines Anliegens: Was fühlt er für dich, was ist seine Absicht? Ich zähle einfach mal ein paar Fakten auf.

Dein Kollege hat offensichtlich nicht nur ein reges Interesse an deinem Privatleben (und deinem Liebesleben), sondern er hat auch ein Bedürfnis, dir von seinem zu erzählen. Dabei erfährst du Details, die als Rechtfertigung dafür verstanden werden können, warum etwas so ist, wie es ist - zum Beispiel, dass er vierzehn Jahre verheiratet war. Wenn er so etwas erzählt, liegt der Gedanke nahe, dass ihm selbst dieses Detail wichtig ist; in der Tat kann es sich also darum handeln, dass er seine Seriosität in deinen Augen erhöhen will. Dass er den Altersunterschied zwischen seiner Partnerin und ihm hervorhebt, lässt annehmen, dass er glaubt, du könntest an dieser Information Interesse haben. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass er seine Chancen bei dir ausloten möchte. Jedoch solltest du vorsichtig sein, denn man kann sich diese Dinge auch anders schlüssig erklären. Es ist genauso gut möglich, dass er dein Interesse an ihm erkennt, und versucht, dich von sich abzulenken - indem er zu kommunizieren versucht, dass er nicht zu haben ist. Dass diese Äußerungen für dich genau gegenteilig aussehen, weil sie teilweise sinnlich sind, mag ihm klar sein oder auch nicht - dass er dir Interesse an einer Beziehung signalisieren möchte, ist nicht gesagt.

Ganz ander sieht es dagegen schon mit der Frage aus, ob er sexuell an dir interessiert ist: Es wäre "aus der Sicht eines Mannes" nicht wahrscheinlich, dass er dir sagt, was er nun einmal sagt, wenn er sich Sex mit dir nicht zumindest vorstellen könnte. Du kannst davon ausgehen, dass er dich attraktiv und anziehend findet. Wie weit diese Anziehung reicht, ist sehr schwer zu bestimmen: Es könnte sich um eine Art Faszination handeln, weil ihr gut miteinander reden könnt, weil er ein jüngeres Alter und eine jüngere Lebensphase im Kontakt mit dir noch einmal durchlebt - weil es ihm Freude bereitet, von dir angehimmelt zu werden (was ihm ja nicht entgangen sein kann. Wir dürfen davon ausgehen, dass dieser Mann sich seiner Wirkung auf Frauen wohl bewusst ist.) Mit einem Wort: Vielleicht bist du für ihn eine Bestätigung dessen, was jeder Mann gerne erfährt, nämlich Attraktivität, äußerlich und innerlich verstanden. Es wäre menschlich, der Versuchung zu erliegen, dieses Spiel zu spielen - ich kann allerdings nicht sagen, wie sehr ihm klar ist, wie stark deine Hoffnungen wirklich sind. Sonst würde er sich vielleicht mehr zurückhalten. Genauso gut kann es aber auch sein, dass er zurzeit vorhandene Ängste und Unsicherheiten in seinem Leben und seiner Beziehung kompensiert, ohne sich klar zu sein, dass er dich dafür ein Stück weit "missbraucht". Und schließlich ist es möglich, dass er tatsächlich in dich verliebt ist, und versucht, seine Gefühle im Rahmen dessen, was gerade noch vertretbar ist, auszuleben. Entweder, weil er herausfinden will, ob er deinetwegen seine Beziehung aufs Spiel setzen kann / darf / möchte, oder, weil er sich schon entschieden hat, es nicht zu tun - und seine Grenzen austestet in der Hoffnung, von dir Ablehnung zu bekommen oder eine Situation zu provozieren, die ihn "abkühlt" - jedenfalls, auf die eine oder andere Weise nicht selbst die Initiative ergreifen zu müssen.

Ich muss dir nicht erklären, dass nach Jahren in einer festen Partnerschaft das Wort "verlieben" auch mit größerer Vorsicht ins Spiel gebracht werden muss, als wenn man keine hat oder noch jünger ist: In seinem Leben bleibt ihm weniger Zeit, das zu verwirklichen, was er sich wünscht - er riskiert mehr und weiß das auch. Er trägt viel mehr Versprechen, Gewohnheiten, Ansprüche an sich selbst, von denen er sich lösen müsste, um sich auf dich einzulassen. Hätte er sich bereits fest entschieden, dass du seine Partnerin werden sollst, sofern du nur willst, würde dieser Mann sich anders verhalten. Warum auch sollte er zögern, dich auf einen Kaffee oder ins Kino einzuladen? Du würdest kaum Nein sagen. Entweder, er will, dass die Lage so, wie sie jetzt ist, möglichst lange so bleibt - wohl wissend, dass es nicht ewig so weitergehen kann (aber er genießt es). Oder, er möchte etwas Lockeres und hat Spaß daran, nach und nach die Schlinge enger zu ziehen. Oder, er will gar nichts Bestimmtes und versucht nur, dich dahin zu lenken, dass du sagst, was DU willst. Oder - und auch das müssen wir in Betracht ziehen - er ist selbst in einer Entwicklung und möchte noch erkennen, wie es in ihm selbst eigentlich aussieht. Generell gehe ich davon aus, dass es ihm ein Anliegen ist, dich nicht zu verletzen oder zu verunsichern. Wie weit er sich bewusst macht, dass er auf dem besten Weg ist, das zu tun, ist schwer zu beantworten. Du kannst davon ausgehen, dass du für ihn mehr bist als "nur" eine Kollegin - ob er das fühlt, wovon du so innig wünschst, er möge es fühlen, müssen wir als unwahrscheinlich einordnen.

Wichtig ist nun vor allem, dass du die Dinge nicht einfach so stehen lässt. Denn dadurch wird die empfunde Unsicherheit und Machtlosigkeit nur noch größer. Deshalb habe ich oben geschrieben: Du musst dich entscheiden, was du willst, und das verfolgen. Eine naheliegende Idee wäre, ihm deine Gefühle zu gestehen und ihn zu bitten, es dir durch sein Verhalten nicht schwer zu machen - dabei würdest du voraussetzen, dass er bei seiner Partnerin bleiben will (was sich empfiehlt). Wesentlich wäre, dass er sich mit anzüglichen Aussagen in deiner Gegenwart zurückhält, sodass du nicht mehr grübeln musst, ob sie eventuell Interesse an dir bedeuten. Wenn du ihn nicht überfallen möchtest, kannst du natürlich einfach auch erstmal versuchen, ihn außerhalb der Arbeit zu treffen - wenn er dem zustimmt, ist das schon einmal ein deutliches Anzeichen dafür, dass seine Gedanken zumindest die Vorstellung, dass du einen größeren Raum in seinem Leben einnehmen könntest. Wie stark diese Vorstellung schon zum Wunsch gereift sind, der Wunsch zum Plan, der Plan zum Entschluss - das kannst du nur herausfinden, indem du die Initiative ergreifst, liebe Anonyme. Denn es wäre zwar grundsätzlich auch möglich, abzuwarten, ob seine zweideutigen Aussagen sich vermehren und verstärken, und ob du noch mehr körperliche Signale erkennst. Aber ist es das, was du willst - zu erleben, wie ein Mann Tag für Tag seine Wirkung auf dich prüfen kann, ohne dass du weißt, ob er nur wissen will, wie begehrenswert er ist, oder doch Trockenübungen für eine Beziehung vollführt? Je mehr Zeichen du empfängst oder zu empfangen glaubst, die nicht von eindeutigen Aussagen begleitet sind, desto frustrierter wirst du werden - und desto mehr wird dein Frust auch dein positives Bild von ihm eintrüben. Denn irgendwann kommt der Punkt, an dem zweideutige Bemerkungen unangenehm werden, und Nachfragen über dein Privatleben ein schales Gefühl hinterlassen, weil du fühlst, dass mit dir gespielt wird - ohne ersichtlichen Grund und ohne Ziel, einfach nur, weil dieser Mann es kann. Das ist nicht schön. Aber du kannst nicht davon ausgehen, dass er sich etwas Ernstes dabei denkt. Gerade deshalb wäre es eurer Freundschaft angemessen, mit offenen Karten zu spielen und das Verhalten zu erbitten, das es für dich braucht, um wieder Klarheit zu haben. In die eine oder andere Richtung. Auch für ihn wäre es gewiss wertvoll, wenn er weiß, wie sein Verhalten ankommt. Denn gerade in seinem Alter ist es doch sehr fragwürdig, wenn er seine Wirkung auf eine junge Frau derart ausspielt, um hinterher womöglich vorzugeben, nichts davon gewusst zu haben, wie es ankommt. Wenn er das wirklich nicht weiß, wirst du daraus ersehen können, dass er bei weitem nicht so ernst und reif ist, wie du ihn bisher siehst; wenn er es weiß, sollte sehr wahrscheinlich etwas dahinter stecken. Falls dies aber seine Begriffe von Freundlichkeit sind, kannst du ihn darüber aufklären, dass du gerne etwas deutlicher zwischen Werben und Scherzen getrennt haben würdest. Du siehst: Wenn du diesmal etwas anders machen möchtest, liebe Anonyme, solltest du die Dinge in die Hand nehmen - anders läuft es nämlich so, dass du wieder wochen- und monatelang überlegst, was da sein KÖNNTE, nichts so richtig glaubst, vieles willst, und am Ende mit der Entwicklung entweder überfordert oder todtraurig und beschämt bist. Ich wäre nicht froh darüber, wenn du das noch einmal durchleben müsstest.

Du merkst, dass ich mich hier schon wieder vieler "möglicherweise" und "vielleicht" und "wenn" und "falls" bediene. Der Punkt, liebe Anonyme, ist der: Ich bin sehr vorsichtig mit geschlechtsspezifischen Antworten, weil es meiner eigenen Erfahrung nach dem Menschen nicht gerecht wird, wenn man sein Handeln von seinem Geschlecht und nicht von seiner individuellen Persönlichkeit und seiner Geschichte und Lebenslage her beurteilt. Ich kann dir nicht genau sagen, was dieser Mann, in den du dich verliebt hast (und das hast du) für dich fühlt. Aber ich glaube, dass etwas vorhanden ist. Eigentlich halte ich sein Verhalten für unprofessionell - oder denke wenigstens, dass er sich bewusst sein sollte, was er damit bei einer jungen Frau in unserem Alter damit auslösen kann. Gleichzeitig möchte ich ihm auch kein Unrecht tun. Es sollte mich wundern, wenn sein Interesse an dir rein kollegial ist. Was darüber hinaus sein könnte, hängt einzig und allein davon ab, was du daraus machen möchtest. Du kannst versuchen, ihn zu erobern - mit den erwartbaren Kosten und Risiken. Oder du kannst dich entscheiden, Distanz zwischen euch zu schaffen - auf die Gefahr hin, dass das Bisherige dadurch unwiederbringlich zerstört wird. Egal wie du dich entscheidest, denke immer daran: Es gehören zwei dazu. Einer agiert, einer reagiert. Und im Gegensatz zu dir hat er aufgrund seines Alters, seiner Position und Erfahrung keine Entschuldigung dafür, wenn er unangemessen reagiert. Wenn er mit einem Liebesgeständnis von dir - oder auch mit der Bitte, dich etwas nüchterner zu behandeln - nicht sensibel umgehen kann, wäre er sowieso nicht der Richtige für dich, da braucht sich niemand etwas vorzumachen. Selbst wenn er aber einfühlsam damit umgeht, bliebe immer noch die Frage, was ihn daran hindern würde, dich bei der nächsten Gelegenheit wiederum zu ersetzen. Mit dieser Unsicherheit aufgrund der Vorgeschichte würdest du leben müssen. Dass er eine feste Partnerschaft will, muss nicht heißen, dass er das besonders gut kann - auch wenn es ihm bisher gut gelungen zu sein scheint. Ich kenne ihn nicht. Und ich werde ihn auch nicht kennen lernen. Ich versuche, in deinem Interesse zu raten: Und mir ist am wichtigsten, dass du mit Würde aus dieser Situation hervorgehst. Mit einer Entscheidung im Rücken, die du vertreten kannst. Aber welche das ist, weißt nur du. Erinnere dich jedoch an letztes Mal: Damals war es H.'s fehlende Konsequenz und Selbstkontrolle, aber auch deine eigene Zögerlichkeit und Bereitschaft zu verzweifeltem Hoffen und "sich-festklammern" an Erinnerungen, die dazu geführt haben, dass das Ganze am Ende in Sprachlosigkeit und Scham auströpfelte. Wenn du dir etwas Gutes tun magst - bemühe dich, dich diesmal davor zu bewahren.

Schließlich möchte ich noch etwas über die Liebe sagen, denn auch dieses Thema beschäftigt dich ja immer wieder. Ganz allgemein: Die Liebe ist immer anders. Und was du als erfüllend erlebst, hängt auch ganz wesentlich davon ab, was du suchst, liebe Anonyme. In den Jahren, in denen wir jetzt miteinander schreiben, ist nach meinem Empfinden eines bei dir immer gleich geblieben: Du bist auf der Suche nach dem ultimativen Gefühl, nach dem "So, jetzt ist es voll und absolut richtig." Dieses Gefühl mag es geben, ich weiß es nicht. Ich persönlich würde die Liebe aber eher so sehen, dass sie etwas ist, das sich zwar auf die Verliebtheit gründet, aber durch gemeinsame Erlebnisse und Momente nach und nach Gestalt annimmt. Das Gefühl, das du suchst, ist der Rohstoff, aus dem du etwas bauen kannst. Es kann aber auch sein, dass es gar nicht so spektakulär daher kommt, weil du dich bei einem Menschen einfach so geborgen und angenommen fühlst, dass es dieses Feuer gar nicht braucht. Manchmal ist die Liebe gar nicht so atemberaubend. Und ich glaube, was dich beschwert, ist, dass es für dich so sein muss. Das muss es aber in Wirklichkeit gar nicht. Hast du es zum Beispiel schon einmal mit Online-Dating probiert, einfach mal ein paar Männer treffen und schauen, ob dein Herz spricht? Hast du schon einmal mit jemandem unverbindlich etwas unternommen, nicht weil du in ihn verliebt BIST, sondern einfach, weil du gerne Zeit mit ihm verbringst? Natürlich stimmt es: Letztendlich ist die Liebe da, oder eben nicht, man kann sie nicht herbeizaubern. Aber man kann der Liebe Raum geben, den sie nach und nach füllt. Sie muss nicht von Anfang an riesig und atemberaubend und heftig sein.

Genau dieses heftige Gefühl hattest du bisher immer bei Männern - ob nun gleichaltrig oder älter - die für dich in irgendeiner Form schwer erreichbar waren, entweder durch Konventionen, Altersunterschiede, Gebundenheit des Mannes, oder durch ein Schönheitsideal, an dem du dich gemessen und in dem du dich nicht wiedergefunden hast (deinen Erwählten aber sehr wohl). Deine Gedanken haben bisher aus jedem Mann, von dem du mir vorgeschwärmt hast, ein Ideal gemacht, einen Engel, ein so perfektes Bild, das es fast lächerlich erscheint, dich selbst dort hineinzusetzen. Liebe ist aber nicht nur Idealisierung - Liebe ist vielmehr gerade auch das Inkaufnehmen von Schwierigkeiten, Unebenheiten, offenen Fragen. Von den meisten Männern, in die du verliebt warst, hast du kaum etwas gewusst - das haben deine Träume schon besorgt. Wenn du dann mit der Wirklichkeit konfrontiert wurdest, hast du festgestellt, dass dahinter auch nur ein Mensch stand, und warst beschämt und wolltest am liebsten alles vergessen. Von dem ständigen Wechsel zwischen diesen zwei Extremen - entweder totale Perfektion und Versenkung, oder aber Selbstverdammung und verzehrende Scham und Wut - musst du wegkommen. Trachte danach, einen Menschen kennen zu lernen, nicht jemanden, an dem deine Träume sich abarbeiten können. Du hast den Mann deines Herzens bereits jetzt wieder derart idealisiert, dass du das Naheliegendste - nämlich einfach mit ihm zu sprechen! - gar nicht in Betracht ziehst, sondern lieber von mir wissen willst, wie sein Verhalten zu bewerten ist. Dabei ist mir klar, dass du natürlich hören möchtest, was deinen Träumen entgegen kommt. Frage doch lieber einmal: Was kann ich machen, damit er sich auch in mich verliebt? Was kann ich tun, um vorhandene Gefühle zu verstärken? Und nicht: Liebt er mich? Das ist für meinen begrenzten Horizont zu groß. Ich bin nur ein Mensch. Ich kann dir helfen, zu erreichen, was du willst - wenn dein Wunsch realistisch ist. Etwas herbeierzählen, das vielleicht nicht da ist, kann ich auch durch noch so kluge Interpretationen nicht. Ich habe nicht den Eindruck, dass du eine Beziehung zu deinem Schwarm für realistisch hältst. Ich glaube, du möchtest in erster Linie eine Grundlage schaffen, um ihn heftig zu vergöttern - wenn er sich dann aber offenbart, wirst du womöglich wieder ratlos sein. Bewahre dich davor, indem du dir klarmachst, dass sein Verhalten vielleicht großer Gedankenlosigkeit, ja Selbstgefälligkeit geschuldet sein könnte - genauso könnte es aber auch echte Liebe und Schüchternheit, die bisweilen derb daher kommt, sein. Ich weiß es nicht! Ich weiß nur, dass du auf mich nicht den Eindruck machst, wirklich ins Handeln kommen zu wollen. Du möchtest dich lieber hingeben, die Dinge fließen lassen, statt sie zu gestalten und dich Herausforderungen zu stellen. Das funktioniert aber nicht. Deshalb sage ich: Wisse was du willst - und handle danach. Und wenn du handelst, wirst du auch wissen, ob du liebst.

Ich kann dir leider nur viele unbestimmte Gedanken mitgeben. Aber vielleicht kannst du darin etwas finden, dass du zu etwas Konkretem formen kannst, indem du es auf dein Leben anwendest. Das würde ich dir sehr wünschen. Und ebenso würde ich mich natürlich freuen, wieder von dir zu hören! Ich wünsche dir viel Glück bei allem, was du anpackst!

Alles Gute und Liebe Grüße - und eine gesegnete Weihnachtszeit,

Paul

PS: Vielen Dank, dass du gefragt hast, wie es mir persönlich geht. Ich kann glücklicherweise sagen, dass alles gut ist. Ich bin gesund, habe viele Pläne, und seit einiger Zeit gibt es auch wieder eine Frau in meinem Leben, von der ich mich unglaublich verstanden, angenommen und geliebt fühle. Das ist wundervoll. (Dein Wunsch für mich ist in Erfüllung gegangen! - Nun hoffe ich, meiner für dich möge sich auch erfüllen.)