Problem von Markus - 18 Jahre

Ich habe mein Leben nicht im Griff!

Ich könnte jetzt einen halben Roman schreiben um alle meine vergangenen Probleme zu erläutern, aber ich will zu Sache kommen!

Ich baue andauernd Scheiße!
Ich habe mein Leben überhaupt nicht mehr im Griff und seit geraumer Zeit habe ich eine solch’ „schwerwiegende“ Leere in mir, dass ich auch nicht mehr die Motivation finde etwas an meiner Situation zu ändern. Da ich mit der Schule seit einem Jahr fertig bin (Gymnasium) und mit einem FSJ mein Abschluss anerkennen lassen „muss“, habe ich Ende letzten Jahres auch eine Stelle bekommen, jedoch nach wenigen Monaten wieder verlassen, da ich dauernd unpünktlich war, nicht mal ansatzweise versucht habe mit meinen Kollegen klarzukommen bzw. ein Gespräch zu führen und der krönende Abschluss war meine Fortbildung wo ich mich mit einem weiteren Auszubildenen besoffen und bekifft habe! Ich wurde auf dieser Fortbildung auch mehrmals zu einem Gespräch gebeten, dessen Mahnungen ich aber komplett ignoriert bzw. gar nicht versucht habe mich zu benehmen/mich an Regeln zu halten. Es ist nicht so als würde ich nicht verstehen oder wissen was ich falsch mache, es geht mir nur wortwörtlich am Ar*** vorbei! Das Ende vom Lied war das ich nach gerade mal 2 Tagen von vorgesehenen 5 nach Hause fahren musste und eine Woche später gekündigt wurde. Jetzt, ein gutes Dreivierteljahr später, bin ich seit 2 Monaten in einem neuen „Betrieb“ eingestellt um meine restlichen Monate zu absolvieren (die Monate von meinem vorherigen FSJ wurden mir glücklicherweise angerechnet). Vor 2 Tagen fing meine 2. Fortbildung (die 1. hatte ich einen Monat zuvor) an und wer hätte es gedacht, wieder musste ich am 3. Tag, also heute, nach Hause fahren! Grund dafür war das ich mich mit Leuten die ich dort kennengelernt habe, zugedröhnt und warum auch immer ins Treppenhaus uriniert habe! Wieso kann ich schwer erläutern. Die Gemeinschaftstoiletten waren zu aber 1 Stockwerk höher, in meinem Zimmer, gerade mal 50m Fußweg, war eine Toilette. Natürlich wurde ich vom Sicherheitsdienst/der Nachtwache erwischt und konnte mir heute morgen meine Belohnung dafür abholen.. Warum und weshalb ich solche asozialen Sachen mache kann ich nicht so recht erläutern. Dauernd falle ich durch solche „Ideen“ auf. Ob es Dinge sind die ich kaputt mache, respektlos gegenüber Leuten bin die eigentlich nur mein Bestes wollen, mich vollsaufe obwohl ich es in den Momenten am wenigsten machen sollte oder auf besagte „Ideen“ komme, für die ich mich im Nachhinein schäme weil ich eigentlich ein netter Typ bin! Es ist wie eine Art multiple Persönlichkeit, ein anderes narzisstisches Ich das weder Mitgefühl noch Scham noch Regeln kennt und ab und zu Besitz von mir ergreift (klingt bescheuert, lässt sich aber in meiner Situation nur so beschreiben). Ich merke wie abgestumpft ich bin, unglaublich leer und emotionslos, dass ich mich für mein Umfeld kaum interessiere und auch nicht wirklich die Kraft/Lust finde die Dinge zu verändern. Mein Leben fühlt sich an wie ein Rausch weil ich mich dauernd betrinke und mir alles so unbedeutend vorkommt! Ich verabscheue sogar seit geraumer Zeit meinen Freundeskreis weil ich immer jemand war der von Größerem geträumt hat und alle mit ihrem, meinem Empfinden nach, belanglosem Leben zufrieden sind. Vielleicht ist das auch nur meine verdrehte Wahrnehmung der Dinge aber ich weiß nicht wem ich mich mit meinen Gefühlen anvertrauen kann! Ich weiß das weder Freunde noch Freundinnen mich verstehen , geschweige den mir einen Rat geben könnten. Wahrscheinlich würd‘ mir das ebenfalls am Ar*** vorbeigehen! Soll ich mich auf zum Therapeuten machen? Ich weiß es nicht!

PaulG Anwort von PaulG

Lieber Markus,

du hast einige Zeit auf eine Antwort warten müssen, inzwischen ist Weihnachten vergangen, das neue Jahrzehnt angebrochen. Ich hoffe sehr, dass du trotz aller Vorfälle besinnliche Festtage verbringen konntest und gut in 2020 gestartet bist!

Du hast als Überschrift "Ich habe mein Leben nicht im Griff!" gewählt. Richtiger wäre - deiner Beschreibung nach - tatsächlich gewesen "Ich fahre mein Leben mit großer Lust an die Wand." Und ehe du mich falsch verstehst: Es geht mir nicht darum, dir einen Vorwurf zu machen. Ich kann und will und muss dir nicht erklären, was richtig und falsch, verantwortungsbewusst und verantwortungslos ist; du bist ja gerade deshalb so irritiert, weil du ziemlich bewusst Dinge tust, von denen du weißt, dass sie dir zum Schaden gereichen. Und hier ist nun ein Punkt, an dem wir ansetzen können.

Es ist offensichtlich, dass du auf der Suche nach Konfrontationen bist. Du hast ein großes Talent, in jeder neuen sozialen Situation, in die du kommst, diejenigen Menschen ausfindig zu machen, in deren Gesellschaft du dir am ehesten Probleme einhandelst. Du bist sehr schnell bereit, Autoritäten herauszufordern und alles auf eine Karte zu setzen. Und schließlich: Du provozierst durch Aktionen, die nicht nur Leichtsinn und Leichtlebigkeit sind (wie etwa, sich zu betrinken), sondern durch Dinge, die aus dem Rahmen dessen fallen, was den Konventionen nach "noch irgendwie normal" ist, und die im Prinzip über den Abgründen der Kriminalität kreisen. Ich denke, du weißt, worauf ich hinauswill, Markus: Du hast bisher großes Glück gehabt. Denn streng genommen kann dir schon bei der nächsten vergleichbaren Aktion eine Anzeige blühen. War bisher auch schon immer der Fall, nur wurde es durch die Kulanz der Verantwortlichen nicht vollzogen. Wenn du aber erstmal eine Akte hast, Markus, dann hast du dein Leben nicht mehr bloß "nicht im Griff", dann musst du verdammt hart arbeiten, um es überhaupt je wieder in den Griff zu kriegen. Warum erzähle ich das? Wie schon gesagt, NICHT, um den Moralapostel zu spielen. Ich bin fest überzeugt, dass du sehr genau weißt, was du tust. Und genau darum geht es ja: Was reizt dich an solchen Aktionen immer wieder so sehr, dass du das hohe Risiko auf dich nimmst? Und wieso scannt ein Teil deines Bewusstseins jedes Umfeld darauf, wie du eine solche Risikosituation herbeiführen könntest? Die meisten Menschen würden an einer neuen Arbeitsstelle weiß Gott andere Gedanken haben, als etwa, wie es gelingen könnte, nach Dienstschluss unbemerkt im Gebäude zu bleiben. Oder woher man illegale Drogen bekommen könnte. Oder wer sich dafür wohl als Gleichgesinnter anbieten würde. Die Tatsache, DASS dein Denken offenbar so strukturiert ist, Markus, kann die Verantwortung für dein Tun selbstverständlich nicht von dir nehmen. Aber sie kann uns etwas über die Gründe verraten, warum es dich reizt, dich mit aller Kraft ins Risiko zu werfen, dir Provokationen auszudenken.

Nein, es ist sogar sicher, dass es dir nicht am Allerwertesten vorbei geht. Wäre das nämlich so, würdest du lockeren Sinnes ins Gefängnis gehen, wenn du erst einmal so weit abgestiegen wärst. Aber offensichtlich nimmst du ja wahr, dass bei dir etwas anders ist als bei anderen Menschen: Du nimmst wahr, dass du keinen Willen hast, dich einzufügen, sondern dass du Autoritäten herausfordern und provozieren willst. Wie es dazu kommt, kannst du selbst nicht exakt erklären - was überaus schlüssig ist, denn für dich ist es ja normal. Deine Angst und dein Entsetzen entzünden sich daran, dass du nicht weißt, wie es anders gehen soll. Du kennst es nicht anders, als dass es dich mehr oder weniger von selbst in Problemlagen hineinzieht, wie du welche geschildert hast. Entweder also ist deine Problematik auf einer tiefen psychischen Ebene angesiedelt, auf die ich nicht zugreifen kann, schon gar nicht, ohne dich eigentlich zu kennen, und weswegen du wirklich eine Therapie beginnen solltest. Oder aber, du versprichst dir von dem, was du tust, irgendetwas: Sei es Anerkennung, sei es Nervenkitzel, sei es ein Image, das du pflegen möchtest. Denn das ist etwas, was ich mich frage, Markus. Wie möchtest du von anderen Menschen wahrgenommen werden? Daran, dass man sich zudröhnt und ins Treppenhaus pinkelt, ist nichts, aber auch gar nichts, Heroisches, Sinnvolles oder auch nur Ästhetisches. Es ist eine Situation voller Entwürdigung und Enthemmung.

Ich bin insofern überrascht über die Kluft, die sich zwischen dem Anspruch, den du an dein Leben hast, und dem, was du in Wirklichkeit tust, auftut: Einerseits strebst du deinen Worten nach danach, etwas Bedeutendes zu sein und zu leisten, andererseits verhältst du dich wie jemand, dem sein Leben in jeder Hinsicht egal ist. Ist es demnach möglich, dass du in den Lebensbahnen, die du als "belangslos" empfindest, nicht die Erfüllung findest, die du suchst, nicht die Emotionen, die dir aufregend und erstrebenswert erscheinen? Und dass du aus Not und Mangel an Empfindungen, die eine Situation für dich als sinnvoll und gut markieren, die Provokation suchst - weil eben nichts so schnell und so sicher ein Gefühl von "Besonders-sein" und "Heraus-stehen" verspricht, wie, eine Straftat zu begehen? Ich weiß es nicht! Ich kann dir hier keinen anderen Rat geben als den, dir zu überlegen, was für eine Funktion all diese Handlungen in deinem Leben haben. Es liegt auf der Hand, dass man nicht jeden Tag einen Geiselnehmer zur Strecke bringen oder den Nobelpreis gewinnen kann. Und wenn du dir zum Ziel gesetzt hast - überspitzt gesagt - nichts weniger als das Ultimative zu leisten, wird es dir sehr schwer fallen, in dem Umfeld, in dem du dich bewegst, annähernd die besondere Rolle einzunehmen, die du dir zugedacht hast. Ich will damit nicht dich als überheblich oder größenwahnsinnig bezeichnen, sondern ich verstehe es so, dass du hervorstechen willst. Und zwar viel, und zwar sehr, und zwar JETZT. Was Leistung und gehorsames Einfügen dir, wenn überhaupt, nur nach vielen Jahren und im Wettbewerb mit vielen anderen Menschen bringen könnten, versprechen Vandalismus und Drogen sofort, auf der Stelle: Die Grenzen des "Normalen" zu sprengen, bekannt zu sein, herauszustechen, eine Aura der Unnahbarkeit um sich zu haben. Auch wenn es in diesem Fall keine angenehme, sondern eine sehr delikate Aura ist, und auch wenn der eingenommene Status kein gesellschaftlich verlangter ist, so gewinnst du dennoch auf diese Art eine Form von Respekt, Anerkennung und Bewunderung... Wobei sich fragt, in welcher Weise das gut sein soll. Denn auf lange Sicht wirst du so zum Kriminellen, der auch wieder in einem Wettbewerb steht. In deinen jetzigen Kreisen bist du als Provokateur etwas Besonderes. Erst einmal abgerutscht auf die schiefe Bahn, bist du nur ein gewöhnlicher Kleinkrimineller. Dann hast du dasselbe Dilemma wie zuvor, nur mit noch wesentlich größeren Risiken. Es wird dich nicht glücklich machen. Ich kann dir kein Patenrezept geben noch eine Alternative anbieten, Markus, aber ich denke, du solltest, um verhüten zu können, wissen, was du dir davon eigentlich versprichst. Denn etwas muss es ja sein. Sonst würdest du nicht tun, was du tust. So ist der Mensch nicht gestrickt.

Denke also ernsthaft nach: Was willst du vom Leben, und wie kannst du es erreichen? Auf die bis jetzt praktizierte Art: Mit aller Sicherheit nicht. Auf die der Anderen? Wahrscheinlich auch nicht, Markus, aber das "Normale", das "Bürgerliche" und "Unbesondere", der "Standard", das "Langweilige" - all das ist die Basis. Wäre es nicht eher ein Anspruch, den du an dich, der du nach etwas Besonderem strebst, haben solltest, die Anderen auf dem üblichen Pfad zu überflügeln? Dafür musst du ihn aber erst einmal gehen, musst wissen, wo und wie du überhaupt glänzen möchtest. Du bist ein junger Mann von 18 Jahren und hast in deinem FSJ die Chance, genau das herauszufinden. Wenn du dich also orientieren, dir eine Richtung geben möchtest, wenn du in einer Bahn laufen möchtest, statt ständig herauszuspringen, dann ist das FSJ eine Gelegenheit. Wenn du das, was dir eigentlich helfen soll, aber nutzt, um eine Bühne für Provokationen zu erschließen, werden dir die wirklich großen Würfe immer versagt bleiben - zum Preis eines sehr kurzen Vergnügens. Ich erzähle dir da gewiss nichts Neues. Aber ich erzähle es trotzdem, weil mich beschäftigt, dass du all das weißt und doch nicht danach handelst. Bist du denn, obwohl du etwas Besonders sein möchtest, so unmündig und unselbstständig, dass du nicht rational entscheiden kannst, was du tust? In diesem Fall haben die Menschen, die du deiner eigenen Aussage nach verabscheust, dir nämlich etwas Wesentliches voraus. Wie willst du dich über jemanden erheben, der zwar "nur" eine Ausbildung macht, aber immerhin nicht falsche Begleitschaft vorschützen muss, um zu erklären, warum er etwas ausfrisst? Wenn du sein willst, was du sagst, Markus, dann musst du dich entscheiden: Willst du die Gesellschaft verändern, oder willst du von ihren Netzen eingesponnen werden? Die Mittel, mit denen du zu provozieren und dich von den bürgerlichen Strukturen zu isolieren, zu emanzipieren versuchst, sind nämlich todsichere Garanten dafür, früher oder später ihr Opfer zu werden. Möchtest du das? Ich bitte dich, Markus: Such dir die Hilfe, die du nötig hast - und nutze deine große Intelligenz, um bewusst zu leben! Denn wenn du es nicht bald tust, gibt es keine Entschuldigung mehr dafür. Und ich glaube, dass du Potenzial hast, auf das die Welt nicht verzichten müssen sollte - sofern du es nutzbar machst. Was aber ganz allein bei dir liegt.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul