Problem von Natascha - 28 Jahre

Interesse an einem Patienten

Hallo, liebes Team! Ich bin 28 Jahre alt und arbeite mit suchtkranken Menschen zusammen. Also in einer Psychiatrie. Ich konnte bisher sehr gut ein Gleichgewicht zwischen der Nähe und der Distanz zu den Patienten halten. Aber vor wenigen Wochen kam ein Mann (Patient) zu uns, der sich selbst mit den Krankenwagen einliefern lies. Wir sind eine offen geführte Station und er kam von der Akutstation direkt zu uns rüber. Weil er vor Stress und Verzweiflung zusammengebrochen ist und nicht mehr weiter wusste .. wir haben erst im Verlauf etwas mehr miteinander geredet. Und es lief und läuft selbst jetzt nach seiner (regulären) Entlassung nichts romantisches oder körperliches zwischen uns. Er hat nichts mit „harten Drogen“ zutun. Geht arbeiten, hat ein Führerschein. Sein Leben eig soweit geregelt. In einer schweren Zeit vermehrt zu aufpuschenden Substanzen gegriffen, um zu funktionieren. Er geht weiter in Therapie. Aber nicht mehr in der Klinik, in der ich arbeite. Ich weiss, dass es so (da er nicht mehr Patient ist) nicht verboten ist Kontakt zu halten. Aber natürlich hat es einen bitteren Beigeschmack, dass wir uns unter solchen Umständen kennengelernt haben. Ich als die Pflegerin und er als der Patient. Unsere Rollen sind somit quasi schon von Anfang an festgelegt. Ich bin die stärkere und er der Schutzbedürftige. Allerdings.. ich weiß nicht, was es ist, aber ich mag ihn. Unser Kontakt ist aktuell rein platonisch. Ich würde gerne eine Meinung von jemandem hören, der das rein objektiv beurteilen kann. Weder Familie, noch Freunde wissen Bescheid. Ich hab Angst vor Vorurteilen. Wir sind alles nur Menschen, oder? Sollte ich es lieber sein lassen?! Ich weiss es nicht.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Natascha!

Ein frohes neues Jahr wünsche ich dir :)

Zu deinem Anliegen habe ich folgende Gedanken: Ich sehe es als am kritischsten, dass dieser Mensch in einem Ungleichgewicht zu sein scheint, was sich durchaus negativ bemerkbar machen könnte, wenn ihr privat Kontakt habt. Allerdings tun positive neue Kontakte ja sehr gut und können als Ressource verstanden werden. Das Berufliche sollte trotzdem nicht mit dem Privaten verschränkt sein. Er ist ja nicht der "chronische Patient", auf den du ein Auge haben musst. Es ist allein seine Sache und auch wenn ihr euch im beruflichen Kontext kennengelernt habt, geht dich streng genommen sein weiterer gesundheitlicher Verlauf nichts weiter an - außer er lässt dich bereitwillig an ihm teilhaben. Deine innere Stimme kann dir da sehr gut vermitteln, falls es für dich nachteilig werden könnte. Auf sie zu hören finde ich grundsätzlich sehr ratsam.

Da bist du ja schon sehr bewusst und stellst dir Fragen. Es ist natürlich berechtigt, sich da genau anzuschauen, wie etwas gelagert ist. Aber ein gewisses Lockerlassen wäre gleichermaßen gut. Ich glaube tatsächlich, dass dir dein Verstand einen Streich spielt und dir den Gedanken von den "festgelegten Rollen" vorgaukelt. In Wahrheit seid ihr einfach zwei Menschen, die sich an einem bestimmten Ort getroffen haben und die sich offenbar mögen.
Lass dich doch einfach neugierig und offen auf alles ein, was sich dir darbietet - und schaue, wie es dir jeweils damit geht. Dann kannst du immer noch erspüren, ob es sich gut für dich anfühlt oder nicht. Aber rein vom Kopf her solltest du das nicht entscheiden, zumal es für dein Gegenüber ganz anders sein kann. Also solltet ihr da auch einmal ehrlich darüber sprechen, falls ihr noch enger zusammenrücken solltet. Dass du im privaten Bereich nicht in eine "helfende" Rolle verfallen solltest, steht auf einem anderen Blatt - ich meine aber, wenn ihr euch einfach sehr toll findet und euch gegenseitig Gehaltvolles zu bieten habt, wird das nicht so ohne Weiteres geschehen.

Du tust dir wahrscheinlich den größten Gefallen, wenn du diesen Mann als ein Geschenk betrachtest, dessen Inhalt du (noch) nicht so genau kennst. In jedem Fall kannst du aus der Begegnung mit ihm viel ziehen und dich weiterentwickeln. Halte deine Erwartungen möglichst klein, bleibe flexibel und gehe nicht von X oder Y aus. Dann kannst du den Kontakt einfach genießen, ohne lauernde Hintergedanken haben zu müssen, welche im Endeffekt nur stören und verunsichern.

Deine Ängste sind übrigens eine prima Einladung, sie genauer zu erforschen und zu reflektieren, was es mit deiner Angst vor Vorurteilen auf sich haben könnte.
Sieh ihnen mutig entgegen und erzähle z.B. einer vertrauten Person von deinen Erlebnissen und Empfindungen. Es gibt nichts, wofür du dich schämen müsstest oder was verwerflich wäre. Es ist völlig unerheblich, wo und wie man sich kennenlernt - jedenfalls sagt es nichts über die Güte der Beziehung (egal ob freundschaftlich, sexuell und/oder amourös) aus.

Ich wünsche dir viel Freude im weiteren Kennenlernen dieses Menschen!
Nuala