Problem von Anonym - 23 Jahre

Was ist richtig?

Hallo,
ich bin ein bisschen verwirrt und verzweifelt deswegen schreibe ich euch. Ich bin seit über fünf Jahren mit meinen Freund "zusammen". Er war mein erster richtiger Freund und anfangs war auch alles gut aber mit der Zeit merkte ich, dass er nicht der richtige war. Meine Mum war von Anfang an nicht mega begeistert von ihm, was natürlich auch Einfluss auf mich hat. Wir sehen uns immer nur am Wochenende und erleben nie den Alltag miteinander, da wir nicht zusammen wohnen. Ich habe mich nun schon mehrmals von ihm getrennt, aber nach spätestens zwei Wochen kann ich nicht ohne ihn und melde mich wieder bei ihm und ich hasse mich selbst dafür. Erst fühle ich mich mega befreit und dann sehne ich mich so nach ihm. Dann will ich ihn nur küssen und dann nach paar Wochen finde ich ihn einfach nur wieder abstoßend und will ihn nicht berühren. Wie kann das sein? Was ist los mit mir? Ich weiss nicht mal, ob ich ihn jemals geliebt habe. Er achtet nicht auf sein Äußeres (ist wirklich dick und ihm ist es egal), er hat hohe Schulden, lebt über seine Verhältnisse und keine Einsicht, dass er das mal in Griff bekommt , er lügt oft und ist unordentlich. Ich würde auch nie zu ihm ziehen wollen, da seine Wohnung schrecklich aussieht. Er wohnt in dieser seit einem Jahr und hat immer noch keine Küche drin, weil er faul ist und kein Geld hat. (Wieder ein Grund warum meine Mum nicht begeistert von ihm ist) Mal sind wir in einer Beziehung, dann nur Freunde und dann wieder Freundschaft Plus. Gestern habe ich zu ihm gesagt, dass ich das nicht mehr kann. Ich sagte, dass ich mich in einer Dating App anmelden werde, da das mit uns nichts mehr bringt und ich natürlich iregndwann auch eine Familie gründen möchte und meine Zeit auch abläuft. Seine Antwort war, dass er es nicht versteht und er möchte wenigstens noch bis Februar das so weiter führen, dass wir nochmal Sex haben und er es die letzten Male geniessen kann. Das ist doch das letzte oder? Außerdem sagte er er wird niemand anderes finden, da niemand mit seinem Beruf klar kommt (Busfahrer) und wenn dann nur Frauen, die wenig verdienen und so eine Will er nicht, da er ja dann immer arbeiten müsste. Will er mich etwa nur ausnutzen? Ich weiss einfach gar nichts mehr und hoffe von Ihnen eine Antwort, die mir weiter helfen kann. Oft bekomme ich nämlich dann auch wieder Mitleid mit ihm. Er sagte nämlich gestern als er sein Auto sah und es weiter weg stand ohne andere Autos in der Nähe, dass es so einsam ist wie sein Besitzer.
Natürlich ist er auch oft nett zu mir gewesen, hat mir Dinge geschenkt oder mich massiert oder war zärtlich. Was soll ich tun?

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

vielen Dank für deine Zuschrift. Ich werde versuchen, dir meine Sicht der Situation zu veranschaulichen. Vielleicht ermöglicht dir das, eine Entscheidung zu treffen, die sich für dich richtig anfühlt.

Zunächst einmal solltest du zwei Dinge dringend auseinander halten: Das eine ist die Frage "Liebe ich ihn?" Und das andere ist "Lohnt es sich, mit ihm zusammen zu sein (oder auch nur Kontakt zu halten)?"

Es ist menschlich und verständlich, dass es dir schwerfällt, die Trennung von ihm konsequent durchzuhalten. Denn er war, wenn man so will, deine erste große Liebe. Ihr habt sehr viel miteinander erlebt, sehr viel miteinander durchlitten, du hast eine Unmenge an Zeit, Kraft, Energie und Träumen in diese Beziehung gesteckt. Dein ganzes Herzblut einer wichtigen Zeit in deinem Leben steckt darin. Niemand wird dir einen Vorwurf machen können, dass du das nicht so einfach wegwerfen möchtest. Dennoch kommt in der Liebe früher oder später der Punkt, an dem das, was eigentlich aus der Liebe leben soll - die Beziehung - nur noch eine Art "leerer Hülle" ist.

Du kannst es dir vorstellen wie ein altes Möbelstück, das so morsch und zerfressen ist, dass es zwar noch schön aussieht, solange man es nicht berührt oder benutzt; sobald man das aber tut, zerbricht es und ist hässlich und unbrauchbar. Ganz ähnlich ist es mit vielen Beziehungen: Sie sind über Jahre hinweg gewachsen, man hat sein Herzblut hineingesteckt, hat viele Stunden damit verbracht, sich eine gemeinsame Zukunft auszumalen, hat dem Partner oder der Partnerin Geschenke gemacht, zugehört, ihn oder sie unterstützt. Du hast dein liebstes und ältestes Möbel - deinen Freund! - sorgfältig dekoriert und angestrichen, du hast alles unternommen, damit die Beziehung sich schön anfühlt, du hast gemeinsame Erlebnisse geplant und dich um Komplimente bemüht: Du hast diese Liebe wirklich gelebt. Dein Herz will, dass diese Bemühungen, dieser ganze Aufwand sich lohnen, es will, dass das nicht umsonst war. An diesem Punkt zu stehen, liebe Anonyme, und sich einzugestehen, dass man nicht erfolgreich war, ist extrem hart.

Denn das Gefährliche ist: Es mag zwar sein, dass du ihn vermisst, wenn du ihm den Laufpass gegeben hast. Und dass du gemeinsamen Erlebnissen und schönen Momenten nachtrauerst, seine Berührungen vermisst. Das ist logisch, denn du hast alles getan, um ein Interesse daran zu haben, dass diese Momente echt und voller Liebe waren. Dir einzugestehen, dass sie das nicht waren (weil du für ihn nie das warst, was er für dich ist), ist eine schwere Aufgabe. Aber das ist eben der entscheidende Punkt, du musst sie bewältigen. Denn von innen, liebe Anonyme, ist dieses Gebilde - deine Beziehung - hohl, hässlich und zerfressen. Es gibt eine Reihe von Dingen, die einer Beziehung "Leben" einhauchen, ohne die sie nicht wirklich vorhanden ist: Nämlich Vertrauen, Opferbereitschaft, Kommunikation und Rücksicht. Kannst du sagen, dass all das da ist? Kannst du sagen, dass du dir bei deinem Freund sicher sein kannst, dass er aus Rücksicht auf dich auf Dinge verzichtet, die ihm wichtig sind? Kannst du sagen, dass du dich bei ihm fallen lassen kannst, dass alles zwischen euch geklärt werden kann, egal was du sagst? Oder hast du in Wirklichkeit Angst, in seiner Gegenwart du selbst zu sein, weil du fürchten musst, dass er Kritik als persönlichen Angriff wertet und dich nicht akzeptiert, wie du bist, sondern dich verändern will? Ich denke, wir beide kennen die Antwort auf diese Fragen.

Deine Beziehung ist ein schönes altes Möbel, aber mehr ist sie nicht. Du hast dir viel Mühe gegeben, hast Ereignisse herbeigeführt, die sich schön anfühlen, um das Gefühl zu haben, dass alles gut ist. Ist es aber nicht. In Wahrheit erzwingst du längst ein falsches Bild der Wirklichkeit, um dir selbst nicht klar machen zu müssen, dass er nicht das ist, was du verzweifelt in ihm sehen willst. Deine Gefühle mögen noch vorhanden sein, ja, sie mögen sogar stark sein... aber: Sie richten sich auf etwas, was er nicht ist, was er vielleicht nie war. Sie richten sich auf etwas, wovon du wolltest, dass er es sein möge. Und du hast alles getan, um dich in diesem Gedanken wiegen zu können. Doch zu deinem Selbstschutz solltest du dich unbedingt bemühen, damit aufzuhören. Und ich glaube, damit hast du bereits angefangen. Ich behaupte nicht, dass es leicht ist, mit ihm endgültig abzuschließen. Aber vergiss dabei nicht, dass du dir nicht vorwerfen musst, es nicht versucht zu haben. Er ist es, der nie die Art von Beziehung wollte, um die du dich bemüht hast.

Und damit stehen wir bei der zweiten Frage: Der nämlich, ob er "der Richtige" ist. Nein, liebe Anonyme, selbstverständlich ist er das nicht. Er macht dir sehr deutlich, dass er an einem bequemen Leben auf Kosten eines Menschen interessiert ist, der sich für ihn aufopfert. Er will weder seine Wohnung in Ordnung bringen, noch auf seine Gesundheit achten, noch kümmert es ihn, ob man ihm vertrauen kann. Er will lieber von einer besser verdienenden Frau ausgehalten werden, statt mit einer Frau, die er liebt und die ihn liebt, mit einem geringeren Einkommen hauszuhalten, dafür aber glücklich zu sein. Er hat kein Interesse an Selbstachtung, kein Interesse an einer geordneten Zukunft, er hat schlicht und einfach überhaupt kein Interesse, die Kontrolle über sein Leben zu haben. Wenn er aber all das nicht will, wenn er lieber in den Tag hineinleben und nicht an morgen denken will, dann kannst du mit ihm nicht zusammen sein. Dann kann er eigentlich auch keine Rolle in deinem Leben spielen. Er hat seinen Weg gewählt. Du aber hast, so wie ich dich verstanden habe, doch eine ganz andere Vorstellung von Glück? Du wünschst dir eine Familie, einen Partner, mit dem du sie gemeinsam stemmen kannst, du wünschst dir einen geregelten Alltag und ein schönes, ordentliches Heim. All das sind völlig normale und fromme Wünsche - sein seltsames Bild von einem zufriedenen Leben ist es, das irritiert. Dann lass dich auch nicht mehr davon irritieren, denn es ist klar, dass er seine Einstellung für dich nicht ändern wird. Lass ihn tun, was er tun will. Du hingegen solltest tun, was du tun musst.

Sein ganzes Verhalten zeigt eindeutig, dass er an dir als Persönlichkeit, als Mensch mit Gefühlen und Bedürfnissen, überhaupt kein Interesse hat: Seine erste Sorge, nachdem du eine Beendigung eures Verhältnisses in den Raum gestellt hat, war, dass ihm bald der Sex fehlen könnte. Wenn du in seinem Leben gut genug dafür bist, ihm Befriedigung zu bieten, aber sonst entbehrlich bist, dann solltest du ihm nichts davon geben. Es ist schlicht und von Grund auf falsch. Und dass er unter diesen Umständen Schwierigkeiten haben wird, eine Partnerin zu finden, wird niemanden verwundern. Auch eine besser verdienende Frau würde sicher mit ihm als Partner glücklich sein können, wenn er bereit wäre, einen entsprechenden Beitrag zu leisten: Wenn er ihr im Haushalt Arbeit abnehmen würde, wenn er ein ordentlicher und aufgeschlossener und ehrlicher Mann wäre, der echte Zuneigung und echten Rückhalt bietet. Aber das begreift er nicht und das erscheint ihm auch nicht erstrebenswert... schade für ihn! Aber da das so ist, liebe Anonyme, wie soll er je ein Verständnis dafür entwickeln, dass du mehr vom Leben willst als er? Wie soll er sich aufraffen, dich dabei zu unterstützen? Das ist alles mehr als unwahrscheinlich.

Es ist absolut nachvollziehbar, dass dich die aktuelle Situation verletzt, irritiert und wütend macht. Schließlich handelt es sich hier um einen Menschen, für den du unglaublich viel geopfert hast, von dem du dir unheimlich viel erhofft hast. Ein Teil von dir fragt sich, ob ihm das alles denn nichts bedeutet. Und ein anderer wirft dir selbst vor, dass du auf ihn hereinfallen konntest. Diese Zerrissenheit und Scham sind furchtbar, aber das ändert nichts daran, dass du nur auf die Zukunft Einfluss hast. Löse dich von ihm, und zwar möglichst bald und möglichst vollständig. Wenn dich der Schmerz und die Sehnsucht zu überwältigen drohen, denke an eines: Was immer du für ihn getan hast, hast du für den Menschen getan, den du in ihm gesehen hast. Er war dieser Mensch nicht, aber du hättest es nicht getan, wenn es dir nicht irgendwie gut getan hätte, es zu tun. Du stehst jetzt an einem Punkt, an dem du dir eingestehen musst, dass deine Opferbereitschaft nichts mehr nützt. Trotzdem gehören die Dinge der Vergangenheit ganz allein dir, kannst du dir auch weiterhin gestatten, lieb gewonnene Erinnerungen zu pflegen und glücklich an Manches zurückzudenken... denn: Du ganz allein hast es gelebt, du hast es erschaffen, es war real, weil du wolltest, dass es real war. Und er kann es dir nicht mehr nehmen. Er hat mehr bekommen, als er sich verdient hat, und womöglich konnte er es nie so wertschätzen, wie du es dir gewünscht hättest. Dennoch darf es dich stolz machen, alles gegeben zu haben - gerade, weil er nie sehen konnte, wie viel er dir bedeutet hat. Er ist ein armer Mensch, weil ihm die ganze Tiefe deiner Zuneigung und die Höhe deines Einsatzes nicht begreiflich sind. Doch jetzt musst du aufhören, zu versuchen, aus ihm einen Anderen zu machen. Das kann, wenn überhaupt, nur er selbst. Es ist ihm überlassen, das Lotterleben zu führen, das er führen will. Solange er niemanden mit hineinzieht, soll es so sein. Du aber darfst nicht den Fehler machen, in der Hoffnung auf einen Wandel, der so niemals kommen wird, weiter am Bisherigen festzuhalten. Durch jeden Tag, den du bei ihm bleibst, ermutigst du ihn, der zu bleiben, der er ist. So ist niemandem geholfen und nichts gewonnen, im Gegenteil.

Dieser Mann mag seine zärtlichen und poetischen Seiten haben. Es geht mir ja auch nicht darum, ihn als einen schlechten, gefährlichen und bösen Menschen darzustellen. Ich will nur zum Ausdruck bringen, dass er willentlich etwas aus seinem Leben macht, das nicht in Ordnung ist, solange er dich da mit hineinzieht. Würdest du ihm wirklich das sein, was du verdienst, würde er sich entsprechend verhalten. Wenn er es nicht kann, weil er zu chaotisch oder zu ängstlich oder zu planlos oder zu überarbeitet ist, nun, das mag alles sein... aber DU kannst ihm da NICHT helfen. Du hast alles getan, was du konntest, und es hat sich gezeigt, dass er es nicht würdigen und nicht annehmen kann, dass sich nichts ändert. Entweder hat er also entschieden, lieber zu bleiben, was er ist, oder aber - wenn er es nicht will -, dann muss er sich bessere und professionelle Hilfe suchen. Vielleicht muss er erst ganz unten im Jammertal ankommen, um zu verstehen, dass er sein Leben gerade ungebremst an die Wand fährt. Und vielleicht bist du diejenige, die ihm diesen Stoß geben muss. Es geht hier nicht darum, ihm mutwillig und grausam zu schaden - lass dir von ihm auf keinen Fall einreden, dass du so wärst! Du tust das, was für euch beide am besten ist. Denn es wäre weit schlimmer, wenn du an einer "Beziehung" kaputt gehst, die dir nichts von dem bietet, was du dir wünschst, während sie ihm ermöglicht, an einem lustlosen, ziellosen, charakterlosen Lebenswandel festzuhalten. Löse dich von ihm, und schau konsequent nach vorn. Alles Andere hilft langfristig nichts, weder ihm noch dir.

Ich wünsche dir den Mut und die Kraft, die notwendigen Schritte zu gehen und Worte zu wählen, die ihn erreichen! Und ich wünsche dir auch und vor allem, dass du darin konsequent bleiben, das Leben von Neuem genießen und dein Glück finden kannst! Ich bin sicher, die Fähigkeit dazu schlummert in dir. Traue dich, sie zu nutzen. Du hast dir Ruhe und Zufriedenheit mehr als verdient.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul