Problem von HG - 26 Jahre

Asylantrag der Freundin abgelehnt

Meine Freundin ist Asylbewerberin in Deutschland. Nach nun über 4 Jahren ist gestern der negative Asylbescheid per Post gekommen.
Für uns ist damit der wohl schlimmstmögliche Fall eingetreten.

Meine Freundin hat mir, als letzte Bastion, vorgeschlagen zu heiraten. Und hier beginnt das Dilemma für mich:
Ich liebe meine Freundin. Ich liebe sie wirklich über alles, und sie macht mich unwahrscheinlich glücklich, auch in schwierigen Zeiten.
Gleichzeitig fühle ich mich, und ich weiß noch nicht einmal genau warum, nicht bereit für eine Heirat. Wenn man es ganz genau nimmt, verwehre ich damit dem Menschen, den ich unfassbar liebe und verehre, das Ticket auf ein besseres Leben, ja das Ticket auf ein Leben mit mir und in Frieden.
Ich weiß nicht einmal, wieso ich so fühle. Warum bin ich so unsicher?

Zu meiner Person, ich bin aktuell Student. Mein Studium sollte noch etwa 1,5 Jahre in Anspruch nehmen. Dementsprechend haben wir immer wenig Geld. Finanzielle Hilfe von meiner oder ihrer Familie ist nicht zu erwarten, da wir beide aus äußerst bescheidenen Verhältnissen kommen.

Wir sind seit etwa 1,5 Jahren zusammen und leben davon fast ein Jahr in einer gemeinsamen kleinen Wohnung.

Ich fühle mich gerade so egoistisch, weil ich das schlimme Gefühl nicht loswerden kann, dass ich das Leben meines geliebten Menschen ruiniere, einfach nur, weil ich mich "nicht bereit fühle". Bin ich egoistisch? Ich fühle mich jedenfalls so schuldig, wie ich es noch nie im Leben getan habe.

Ich möchte beileibe keinen juristischen Rat einholen.

Ich weiß einfach nicht einmal mehr, wie ich mich fühlen soll. Ich habe großes Mitleid mit ihr und ich möchte nicht, dass ihr etwas zustößt.

Ich schätze, ich habe große Angst vor dem Heiraten.

PaulG Anwort von PaulG

Lieber HG,

spannend finde ich es, dass du dein Problem in die Kategorie "Beziehungsprobleme" eingeordnet hast. Ich hätte spontan gesagt: Sind es nicht eher Probleme mit dir selbst?

Die Heirat an sich bedeutet erstmal nicht mehr, als dass ihr auf dem Standesamt eine Unterschrift leistet. Die Kosten halten sich in Grenzen - mit mehr als hundert Euro würde ich vorerst nicht kalkulieren. Anders gesagt, lieber HG: Warum seht ihr nicht erstmal zu, dass ihr euch die nötigen Unterlagen beschafft (was bei deiner Freundin möglicherweise schwierig werden könnte!) und einen Termin macht? Dich dagegen entscheiden kannst du immer noch.

Ich glaube nicht, dass du Angst davor hast, zu heiraten. Ich glaube, dass du Angst davor hast, was nach dem Heiraten kommt und was du, beziehungsweise ihr, unter einer Ehe verstehst. Was sich in dir bekämpft, ist auf der einen Seite die sehr rationale, unromantische Handlung, um die es geht - deinen Freundin soll einen offiziellen Status erhalten -, und auf der anderen Seite alles, was sich ein Leben lang an Vorstellungen, Hoffnungen, Träumen, Ideen und Ängsten (!) unter dem Stichwort "Hochzeit" angesammelt hat. Wenn du sie nun heiratest, muss dir klar sein, dass du das nicht tust, weil du dir sicher bist, dir mit ihr diese Träume ab jetzt erfüllen und die Ängste aushalten zu wollen. Du tust es, weil du sie liebst und weil sie eine Hilfe braucht, die du ihr bieten kannst. Ihr müsst weder für immer zusammen bleiben, noch eine Familie gründen, noch braucht es eine große Feier. Die Frage ist also: Kannst du das, was du dir vielleicht immer ganz anders vorgestellt hast, als eine zweckdienliche Handlung sehen, die vorerst niemandem weh tut, sondern nur Gutes bewirkt - und alles Andere erstmal hintenan stellen?

Wenn du dich fragst, ob du deine Freundin genug liebst, um mit ihr JETZT eine größere Wohnung zu beziehen und Kinder zu bekommen; wenn du dich fragst, ob du sie genug liebst, um ihr JETZT vor hundert Leuten zu versprechen, bis zu deinem Tod mit ihr zusammen zu sein; wenn das deine Fragen sind, lieber Anonymer, dann möchte ich dir sagen: Ich kann sie dir nicht beantworten! Aber ich möchte dir sagen, dass es vollkommen in Ordnung, verständlich - und wahrscheinlich normal - ist, wenn du die Antwort gerade nicht kennst und es dir Angst macht, sie kennen zu wollen. Denn das musst du nicht.

Doch dieser Punkt sollte zwischen euch geklärt werden: Ihr tätet das nicht, weil alle Pläne, die ihr vielleicht für die Zeit nach eurer Ausbildung habt, sich JETZT bewahrheiten sollen. Sondern ihr tätet das, weil, wenn ihr es JETZT nicht tätet, es wahrscheinlich nie eine Chance darauf gäbe - unabhängig davon, wie ihr in einem Jahr oder in fünf darüber befindet. Suche also das Gespräch mit deiner Freundin und erzähle ihr offen, dass du ihr gerne ein besseres Leben ermöglichen willst - dass du aber im Augenblick nicht mehr leisten und versprechen kannst als genau das. Wenn sie dich liebt, wird sie es verstehen. Einen anderen Rat kann ich dir nicht geben.

Ich weiß nichts darüber, welches Schicksal deiner Freundin drohen würde, würde sie Deutschland verlassen müssen. Daher kann ich auch schwer darüber befinden, ob es "egoistisch" wäre, ihr die Heirat zu verweigern. Allerdings scheint mir auch hier die Frage falsch gestellt. Denn es geht ja nicht darum, ob du nur an dich denkst, sondern es geht darum, ob du die Alternative mit deinem Gewissen vereinbaren könntest. Was es für sie heißen würde, weiß ich nicht; nur gehe ich davon aus, dass es das Ende eurer Beziehung wäre. Überlege dir also, wovon du glaubst, damit leben zu können. Wenn du es kannst, wäre es nicht egoistisch, sie nicht zu heiraten, sondern du würdest über die Zukunft eurer Beziehung entscheiden - und nehmen wir mal an, du hättest das einen Tag vor dem Eintrudeln des Asylbescheids getan... ich denke, du verstehst, worauf ich hinauswill. Wenn du hingegen glaubst, dir nie verzeihen zu können, "Nein" gesagt zu haben, dann hast du deine Entscheidung bereits getroffen.

Ich kann dir die Entscheidung letztendlich nicht abnehmen. Was ich dir sagen kann, ist aber, dass du dich auf keinen Fall schuldig fühlen solltest. Du kannst nicht von dir erwarten, dass du die Ängste, die viele, viele Menschen in Bezug auf ihre Zukunft haben, nicht hast, nur weil es sich um besondere Umstände handelt. Und du kannst ebenso wenig von dir erwarten, dass du dir eine Entscheidung, die gemäß deinem eigenen Anspruch dein ganzes Leben beeinflussen soll, leicht machst. Du denkst ja nicht darüber nach, ob du ihr helfen willst, in Deutschland leben zu dürfen, sondern du denkst darüber nach, ob du auf Dauer Teil dieses Lebens sein könntest. Wenn du das sofort und klar beantworten könntest, würde man sich fragen müssen, warum ihr nicht längst verheiratet seid. Ihr seid es aber nicht, weil ihr abwarten wolltet, bis euer beider Leben an dem Punkt ist, an dem ihr so zusammenleben könnt, wie es eurer Meinung nach einem Ehepaar ansteht. Und solange das nicht der Fall ist, wolltet ihr euch nichts versprechen, was ihr vielleicht nicht halten könnt, wenn dieser Punkt noch lange auf sich warten lässt oder gar nicht eintrifft. Das ist nicht egoistisch, sondern vernünftig.

Versuche, von dir nicht mehr zu erwarten, als du leisten kannst, HG. Ich vertraue darauf, dass du zu einer Entscheidung kommen wirst, die dir richtig erscheint und mit der du leben kannst. Ich will hier bewusst keine Aussage treffen, welche mir an sympathischsten wäre - sondern dir einfach die nötige innere Stärke und gute Gedanken wünschen. Deine Situation ist nicht alltäglich und keine, die ich irgendjemandem wünschen würde. Gräme dich daher nicht, sondern sage dir, dass es seltsam wäre, würdest du dir die Sache leicht machen. Und eben weil du das tust, wirst du, denke ich, letztlich gut entscheiden. Übrigens würde ich mich freuen, wenn du mir berichten würdest, wie es weiterging. Solltest du später mit deinem Entschluss hadern oder sollten andere Schwierigkeiten auftreten, darfst du dich gerne wieder an mich wenden.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul