Problem von Anna - 23 Jahre

Bindungsangst vs. Verlustangst

Hallo liebes Kummerkasten-Team,
ich muss ein wenig ausholen...

Ich bin jetzt frisch offiziell zusammen mit meinem Freund. Es war ein steiniger Weg bis dahin. Seit 2 Jahren lief schon mehr zwischen uns (Sex) und am Anfang war die lockere Beziehung auch kein Problem für mich. Ich habe mich jedoch in ihn verliebt und ihm vor ca. einem Jahr gesagt, dass ich Gefühle für ihn entwickelt habe und ich mir auch mehr vorstellen könnte. Es war bis dato ein sehr turbulentes Jahr, da er nie genau wusste, was er für mich empfindet (bzw. hat es sich stetig geändert). Dies hat er mir auch gesagt, und ich war für seine Ehrlichkeit immer dankbar. Kurz vor dem Ende des letzten Jahres habe ich es jedoch nicht mehr ausgehalten, ich habe noch nie solche Gefühle für Jemanden empfunden. Ich wollte, dass wir zusammen sind, dass er mich wählt, so wie ich ihn gewählt habe. Es hat mich wütend und traurig gemacht, dass wir in der Öffentlichkeit sogar Händchen gehalten haben, er sich jedoch nicht offiziell für mich entschieden hatte (also für eine feste Beziehung). Ich war so verwirrt von unserer "Beziehung", da wir wie gesagt, manchmal Händchen gehalten haben, und er mir seine Zuneigung zu mir sehr gezeigt hat. Manchmal jedoch war das nicht so, da war er total abweisend und hat sich tagelang nicht gemeldet. Genau das hat mich verwirrt, ich wollte einfach wissen was ich für ihn bin. Das habe ich ihm auch gesagt und wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass uns ein Kontaktabbruch erstmal guttun würde, da wir in unserer "Beziehung" nicht vorrankommen, bzw. wir unterschiedliche Dinge erwarten. Dann hatten wir für ca. 4 Monate keinen Kontakt. Ich habe seine Nummer und alle Social Media Kanäle von ihm gelöscht, weil ich nichts mehr von ihm hören wollte/konnte. Es tat mir nur noch mehr weh zu sehen, dass er sein Leben ohne mich lebt, bzw. dass ich die Bestätigung dafür hatte, dass er mich nicht braucht.
Ich habe wie gesagt noch nie solche Gefühle für jemanden empfunden (obwohl ich in einer 3-jährigen Beziehung war) und mich noch nie so hingezogen zu jemandem gefühlt. Wir haben sehr viele Gemeinsamkeiten und ich glaube das ist das, was ich am meisten an ihm mag. Wir teilen über viele Dinge die gleiche Ansicht und verstehen uns blind.
Ich wusste und weiß, dass er mich sehr mag und sich auch zu mir hingezogen fühlt. Er hat sehr ausgeprägte Bindungsängste, ihm fallen Entscheidungen treffen generell sehr schwer (er ist auch in psychologischer Therapie). Deshalb konnte ich ja verstehen, dass er sich nicht richtig für mich und eine Beziehung entscheiden konnte. Doch irgendwann konnte ich das nicht mehr. Er hat mich mehr traurig als glücklich gemacht vor dem Zeitpunkt, als wir den Kontakt abgebrochen haben.
Die Zeit, als er und ich keinen Kontakt hatten, war die schlimmste Phase meines Lebens. Jeden Morgen bin ich aufgewacht und habe mich gefragt was er macht, manchmal war ich wütend, manchmal habe ich einfach nur geweint und manchmal war ich kurz davor, wieder den Kontakt zu ihm zu suchen. Ich habe es jedoch nicht getan, ich war mir sicher, dass ich ihn nie wieder sehen wollte (in den Phasen, in denen ich wütend war).
Nach den 4 Monaten Kontaktabbruch hat er sich bei mir gemeldet und nach einem Treffen gefragt. Ich habe mich sehr gefreut und sofort zugesagt. Wir haben uns getroffen und es war einfach wieder so wie in unseren schönen Zeiten davor. Er hat mir wieder sehr gezeigt, dass er mich mag. Nach ca. 1 Monat habe ich wieder ein Gespräch mit ihm gesucht und gefragt, wie es mit uns weitergeht. Er meinte, dass die Zeit, in der wir keinen Kontakt hatten, ihm gezeigt hat, dass er mich nicht nochmal verlieren will und er auch eine Beziehung mit mir führen will. Das hat mich natürlich sehr gefreut, ich weiß, wie schwierig diese Entscheidung zu fällen für ihn war und schätze das so.
Dann kommen wir zu meinem eigentlichen Problem: er will eigentlich eine offene Beziehung (und ich nicht). Er ist generell ein Mensch, der nicht sehr eifersüchtig oder ähnliches ist. Ich hingegen (leider) sehr. Mein Vater hat meine Mutter und mich in meiner Kindheit verlassen und ich denke, deshalb leide ich unter großer Verlustangst. Jedoch kommt bei der offenen Beziehung nicht nur die Verlustangst und die Eifersucht ins Spiel. Ich möchte meinen Freund einfach nicht teilen, ich empfinde richtige Abneigung gegen ihn, wenn ich mir schon vorstelle, dass er eine Andere küsst oder noch mehr. Er sagte sogar, einen Andere/n küssen ist für ihn kein fremdgehen (klar, wenn er eine offene Beziehung will). Ich kann mich mit dieser Beziehungsform jedoch überhaupt nicht zurechtfinden, jedenfalls nicht jetzt, wenn ich noch total in der Verliebtheitsphase bin. Es kann ja sein, dass ich das später entspannter sehe, aber jetzt auf jeden Fall nicht. Und das habe ich ihm auch alles gesagt. Ich würde für ihn eine offene Beziehung eingehen, aber ich würde einfach immer ausrasten, wenn er etwas mit einer Anderen hat. Und ich möchte auch, dass er mir davon erzählt, wenn er etwas mit einer Anderen hat. Ich hatte auch überlegt, dass er es einfach machen soll und mir einfach nicht davon erzählen, aber ich finde es nicht schön, wenn man mit dem Partner nicht über alles reden kann und würde mir die ganze Zeit Gedanken machen, bei wem er jetzt ist etc... Davon würde ich auch verrückt werden.
Das versteht er und er will auch nicht, dass ich traurig bin oder sonst was. Deshalb haben wir uns erstmal für eine monogame Beziehung entschieden. Und ich schätze das wirklich sehr von ihm! Das zeigt mir auch, dass er mich sehr mag und mich wirklich nicht verlieren will!
Aber jetzt mache ich mir die ganze Zeit Gedanken darüber, ob bei all diesen Umständen und wichtigen Dingen, wie die Beziehungsform, er doch nicht der Richtige für mich ist... Ich bin wirklich sehr verliebt in ihn und glücklich, aber wenn ich daran denke, dass er eigentlich gar keine monogame Beziehung will, macht mich das gleich wieder traurig. Und ich will ihm ja eigentlich auch nichts vorschreiben oder ihn verändern. Ich finde es okay, dass er eigentlich eine offene Beziehung will aber für mich kommt das einfach nicht in Frage. Es tut mir irgendwie sehr weh. Vielleicht sehe ich das nach der Verliebtheitsphase auch anders... Das weiß ich jetzt noch nicht. Ich weiß nicht wie ich damit umgehen doll, mit uns, ob das das richtige ist usw... Ich brauche einfach eine zweite Meinung dazu.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass man es mir nie recht machen kann. Er hat mir jetzt so sehr gezeigt, dass er sich für mich entschieden hat, aber manchmal denke ich, dass das nicht reicht. Bzw. in der Form nicht reicht. Manchmal wünsche ich mir jemanden an meiner Seite, der sich gleich für mich entschieden hätte.
Des Weiteren kommt er mit meiner Eifersucht auch nicht gut klar. Er versteht diese glaube ich nicht so gut, da er nicht oft ein Gefühl der Eifersucht hat. Sogar jetzt, wenn wir eine monogame Beziehung führen und ich ihm 100% vertraue habe ich Angst, dass er mich wieder verlässt, wenn er sich mit einer Freundin trifft. Obwohl ich dazu keinen Grund habe. Ich weiß, dass Eifersucht viel mit dem Selbstwertgefühl zusammenhängen. Ich bin auch in Therapie und arbeite sehr an mir, und bin mittlerweile sogar sehr zufrieden mit mir. Ich mag mich aber verstehe nicht, wieso diese Eifersucht nicht weg geht. Er gibt mir ja eigentlich auch keinen Grund für die Eifersucht. Ich habe auch irgendwie Angst, dass er eigentlich gar keine Beziehung will und das halt nur sagt, damit ich nicht wieder gehe (er hat dazu jedoch gesagt, dass das nicht so ist). Ich will ihn auch zu nichts zwingen. Ich bin so hin und her gerissen.

Ich hoffe, das war alles verständlich und bedanke mich schon mal für die Antwort. Ihr macht eine tolle Arbeit!

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Anna,

es gibt viele Aspekte in deiner Beschreibung, die ich gut nachfühlen kann - sowohl von deiner Warte aus als auch bezogen auf deinen Freund. Und ich glaube, das beschreibt den Kern deiner Problematik auch ganz gut: Dass es hier offenbar viel um das Aushalten von Grau - und Zwischentönen geht, um die Ambiguität der Dinge. Du würdest dich am sichersten fühlen, wenn er sich sofort nach deinem Geständnis auf eine monogame Beziehung eingelassen hätte, nun ist es aber eine ganz eigene, individuelle Form, die sich bei euch gebildet hat.
Hast du dich einmal gefragt, was gewesen wäre, wenn er sich gleich in eurer allerersten Sex-Phase mit krasser Verliebtheitsphase auf dich gestürzt hätte? Wie hättest du dich dabei gefühlt? Vielleicht hilft dir das Gedankenspiel, etwas mehr Relativität hineinzubringen.

Insgesamt klingt deine Darstellung für mich recht positiv. Ihr arbeitet beide daran, eure seelischen Angeschlagenheiten auszugleichen bzw. für Heilung zu sorgen. Das in den Fokus zu rücken und das, was (noch) nicht optimal ist, einfach mal gut sein zu lassen, halte ich für sehr wesentlich!
Damit verwandt ist das Zelebrieren von Dankbarkeit - und das geht genauso in unsicheren Phasen und auch dann, wenn offensichtlich (noch) nicht alles so stabil ist wie gewünscht. Je mehr du dich auf das Schöne zwischen euch besinnst, dafür aufrichtig dankbar bist und deinen Freund an deiner Freude teilhaben lässt, desto mehr wird sich diese Schöne vergrößern und euch zusammenschweißen. Dabei helfen euch natürlich auch eure vielen Gemeinsamkeiten, die ihr sehr gezielt feiern und noch weiter ausbauen könnt! :)

Geduld ist ein großes Gut bei euch, da bin ich mir sicher. Ihr dürft beide bei euch keine schnellen Veränderungen erwarten und erhoffen. Alles darf Zeit brauchen, manches auch viel Zeit. Genauso sollte euch beiden bewusst sein, dass manche Dinge nie so richtig so werden könnten, wie es eure jeweiligen Bedürfnisse abdecken würde. Doch die:der Partner:in ist auch niemals dafür da, die persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen - das ist immer die eigene Aufgabe. Darum ist es umso bedeutsamer, dass du, wenn du dich momentan noch zu defizitär fühlst, sehr viel achtsame Arbeit mit dir durchführst und dich sehr gut um dich kümmerst. Mir scheint, du bist noch viel zu sehr auf deinen Freund konzentriert - das schimmert auch durch deine gesamte Erzählung durch - und noch zu wenig in dir selbst angekommen. Auch habe ich das Gefühl, dass du dich verstärkt mit dem Themen Bedürftigkeit und Grenzensetzen befassen könntest.

Du schreibst von verschiedenen Erwartungen, die ihr habt bzw. hattet. Hier kann ich dir den simplen Tipp geben, die Erwartungshaltung mal ganz abzubauen und einfach das SEIN, den IST-Zustand anzunehmen. Ohne etwas zu erwarten, ohne etwas krampfhaft zu wollen, einfach genießen und durchfühlen, was aktuell vorhanden ist. Das ist nicht so einfach, wenn man es nicht geübt hat. Doch gerade als "Dauer-Hausaufgabe" für den Alltag ist es recht spannend.

Zum Thema offene Beziehung: Solange bei deinem Freund wirklich eine Bindungsangst besteht, was ich ja nicht wissen kann (es klingt aber alles schon sehr danach zugegebenermaßen), wäre eine offene Beziehung das perfekte Schlupfloch für ihn. Da finde ich es super, dass du deine Grenze erkannt und Stopp gesagt hast. Beide müssen es von Herzen wollen - mit Kompromissen und Ja-Sagen aus Angst macht man sich nur etwas vor und vergrößert vorhandende Konfliktquellen.
Spannend wäre es vielleicht, wenn du ihn mal konkret fragen würdest, was er an einer monogamen Beziehung nicht mag bzw. was genau er sich von einer offenen Beziehung erhoffen würde. Da kann ein ausführliches reflektierendes Gespräch bzw. das immer-mal-wieder-drüber-Sprechen sehr zum gegenseitigen Verständnis und zum Erkennen der tieferen Zusammenhänge beitragen! Genauso auch über eure Therapieerfolge und sonstigen innerseelischen Vorgänge...

Übrigens habe ich den Eindruck, dass du deine Eifersucht am liebsten komplett abschütteln wollen würdest. Und damit stellst du dir selbst ein Bein. Es geht gar nicht darum, Gefühle abzustellen - sie gehören ganz selbstverständlich zu uns dazu. Es geht viel mehr um den angemessenen Umgang mit ihnen, hier können wir sehr wohl regulierend eingreifen und dafür sorgen,dass wir nicht "fortgespült" werden. Ein erster Schritt kann so aussehen, dass du deine Eifersucht annimmst und sie einfach bei dir sein lässt, dies kannst du auch im Rahmen deiner Therapie trainieren. Durchfühle deine aufkommenden Emotionen, gehe mit ihnen mit - vergleichbar mit den Geburtswehen, die dann viel erträglicher werden, wenn man sich mit ihnen bewegt, anstatt gegen sie anzukämpfen.
Eifersucht ist wie schon erwähnt menschlich. Und demzufolge kannst du versuchen, viel nachsichtiger mit dir zu werden. Du DARFST eifersüchtig sein! Ja, das ist okay. Nicht okay wäre es, wenn du deinen Freund beispielsweise deswegen anschreien oder ihm Vorwürfe machen würdest. Dann wäre es deine Aufgabe, vorher einen angemessenen Umgang mit diesen Emotionen zu entwickeln. Dies könnte z.B. so aussehen, dass du Atemübungen anwendest, dich kurz zum Innehalten zurückziehst, in dein Tagebuch schreibst, einen Knetball bearbeitest, deine Gefühle aufzeichnest usw. Es gibt sehr viele Wege, damit umgehen zu lernen, auch Sport sind tolle Möglichkeiten. Und natürlich könnt ihr in eurer Beziehung da einfach viel füreinander da sein und euch liebevoll auffangen. Massagen, Sex und einfach zärtliche Nähe helfen so ungemein, die eigenen nicht sehr angenehmen Regungen zu verarbeiten.

Ich kann dir nicht sagen, ob ihr auf Dauer eine solide und glückliche Beziehung führen werdet. Doch du kannst eben viel für dich tun und dabei genau auf dein Inneres lauschen. Es wird dir leise zuraunen, sollte etwas faul sein. Die innere Stimme warnt sehr zuverlässig, wenn etwas falsch ist - man muss nur genau hinhören ;) Auch wenn die Dinge im Außen scheinbar schlecht stehen, kann die innere Stimme grünes Licht geben, genauso wie man von außen betrachtet die "ideale" Partnerschaft hat und eigentlich trotzdem spürt, das etwas nicht stimmt. ---> Je mehr du bei dir ankommst und lernst, dir zu vertrauen, wird nicht nur dein Selbstwertgefühl wachsen, sondern auch dein Vermögen, für dich sinnvolle und förderliche Lebensentscheidungen zu treffen.

Mein letzter Tipp lautet: Bleibt ständig im Gespräch über euer Innenleben. Vermeidet Geheimnisse, die eigentlich euch beide betreffen. Dir ist sicherlich bewusst, dass glückliche und langanhaltende Beziehungen auf einer sehr guten Kommunikation beruhen. Also regelmäßig miteinander sprechen, sich gegenseitig zuhören, nachfragen, behutsam sein, keine Anschuldigungen, Ich-Form und Gefühle benennen. Nichts herunterschlucken, wenn es mal unangenehm wird, sondern möglichst konstruktiv anbringen - gerne auch etwas zeitverzögert, aber mit vorheriger Ansage.

Ich verlinke dir hier noch eine Sammlung älterer Zuschriften, mit denen du wahrscheinlich auch etwas anfangen kannst (da geht es auch um Literatur, Internetseiten, weitere Tipps, usw.):
~ https://mein-kummerkasten.de/331864/Ich-kann-nicht-der-Mensch-sein-der-ich-gerne-sein-wuerde.html
~ https://mein-kummerkasten.de/332469/Schwanke-oft-in-meiner-Stimmung-und-fuehle-mich-nicht-gut-genug.html
~ https://mein-kummerkasten.de/331983/Ich-kann-schlecht-mit-meinem-Partner-offen-kommunizieren.html
~ https://mein-kummerkasten.de/332274/Vergangenheit.html
~ https://mein-kummerkasten.de/331609/bin-ueberfordert-mit-mir-selbst.html
~ https://mein-kummerkasten.de/331960/Meine-Freundin-hasst-sich-selbst.html
~ https://mein-kummerkasten.de/332019/Ich-bin-anhaenglich-Hilfe.html
~ https://mein-kummerkasten.de/331897/Vertrauensprobleme.html
Und diese Selbstliebe-Links:
* https://www.lebeblog.de/gefuehle-zeigen/
* https://www.selbstbewusstsein-staerken.net/blog/#Selbstliebe_Selbstakzeptanz
* https://dubistgenug.de/selbstliebe/
* https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/34/Selbstzweifel.html
* https://www.zeitzuleben.de/selbstfindung/

So, jetzt hast du viiiieel Lesematerial - und damit hoffentlich frische Motivation für dich erhalten.

Ich wünsche dir alles Liebe,
Nuala