Problem von Anna - 21 Jahre

Vertrauensprobleme

Hallo,
Ich stecke zur Zeit in einer Krise mit meinem Freund und ich habe Angst, dass sie dazu führt, dass wir uns trennen. Wir haben uns vor ca 1,5 Jahren im Studium kennengelernt. Wir haben angefangen uns zu Daten und ich habe schnell Gefühle entwickelt. Er hingegen schien sich nie sicher zu sein, was er empfindet und hat mich deshalb in den ersten 5-6 Monaten 3 Mal abserviert. Also er meinte wir versuchen es, aber nach ein paar Tagen hat er wieder einen Rückzieher gemacht. Ich habe mich jedoch nie aus seinem Leben zurückgezogen, da mir das große Schmerzen bereitet hätte, da ich noch nie jemanden so geliebt habe. Dann hat ein Umstand in unserem Freundeskreis dazu geführt, dass wir gegenseitig für den anderen da waren und uns ein paar Wochen eigentlich jeden Tag gesehen haben. Nach diesen Wochen ist er auf mich zugekommen und wir sind zusammengekommen. Dann waren wir ca 5 Monate unzertrennlich, was vielleicht auch etwas zu viel war. Wir haben sehr viel Zeit miteinander verbracht, aber haben alle anderen Leute vergessen, was ein großer Fehler war. Dann hat er plötzlich Schluss gemacht. Dies kam wie aus dem Nichts für mich.. ich war komplett am Boden. Habe tagelang nicht mehr gegessen, nicht mehr geschlafen und konnte nur weinen. Er meinte da zu mir , dass seine Gefühle nicht so stark wären. Nach zwei Monaten, die wir getrennt waren, kam es zu einem Treffen zwischen uns. Ich hatte auch keinerlei Hintergedanken. Ich wollte hören wie es ihm geht, weil ich ihn auch so schrecklich vermisse und es das erste Mal seit wir uns kennengelernt haben war, dass wir keinen Kontakt hatten und ich jeden Kontakt auch immer abgeblockt habe. Wir hatten vereinbart dass wir uns nicht schreiben, aber er hat sich nicht so wirklich daran gehalten. Bei diesem Treffen kam es dazu, dass er mir erzählte wie sehr er alles bereite und ob wir nicht so eine Chance hätten. Ich sagte ja, da meine Gefühle sehr stark waren. Mittlerweile sind wir 8 Moante wieder zusammen seit dem Tag. Die nächsten Monate waren sehr schön. Es gab keinerlei Probleme nur manchmal kam bei mir einfach die Angst ihn wieder zu verlieren, was bei der Vorgeschichte ja auch verständlich ist. Seit ca 1 Monaten jetzt jedoch schlafen wir so gut wie gar nicht mehr miteinander und ich habe angefangen mir Sorgen zu machen. Er meinte es gibt dafür keinen Grund, da ihm einfach gerade die Lust und die sexuelle Anziehung fehlt. Wir haben darüber gesprochen und er hat mir versichert, dass es ihn gerade auch nicht so stört und dass es nichts mit mir zu tun hat und dass er nicht mal ansatzweise den Gedanken hatte mich zu verlassen, oder das er irgendwelche Zweifel wieder hat. Er sagt, dass alles gut ist. Dass wir gerade nur selten miteinander schlafen stört mich tatsächlich gerade auch nicht, weil mein Kopf so voller anderer Dinge ist, aber ich habe wieder diese schlimmen Verlustängste, dass dies der Anfang vom Ende ist. Dass er mich irgendwann gar nicht mehr will und dann wieder nur Freundschaft. Ich habe Probleme ihm einfach zu vertrauen und ihm zu glauben, dass alles gut ist und ich mir keine Sorgen machen muss. Ich habe Angst, dass es sich in den nächsten Monaten nicht mehr ändert. Ich kann ihn nicht verlieren. Habt ihr Tipps wie ich mehr vertrauen kann? Was ist wenn er gar keinen Sex mehr will und mich dann verlässt? Ich bin so ratlos und habe solche Angst, dass ich alles wieder verliere.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Anna,

leider kam deine Zuschrift nicht mehr vor unserem "technischen Lockdown" zur Beantwortung, was mir sehr leid tut. Dennoch glaube ich, dass du von einer Einschätzung profitierst, weil Vertrauensprobleme ja etwas sehr Gravierendes und Langlebiges sind, was eine:n oft schon seit der Kindheit begleitet.

Ich habe lange nachgedacht, wie ich dir am besten antworten kann. Und dabei bin ich zu dem Ergebnis gekommen, deine Schilderung aufzugreifen, um etwas Bestimmtes herauszuarbeiten: Du schreibst, dass du die Vertrauensprobleme durch eure gemeinsame Vorgeschichte hast, weil es so ein Hin-und Her gab und er sich nicht durchgängig bzw. nie komplett zu dir bekannt hat. Und hier möchte ich ansetzen. Denn ich glaube nicht, dass es im Kern das wahre Problem ist. Ich denke, in Wahrheit hat alles schon damit begonnen, was bei dir los war, bevor und als ich euch begegnet seid.
Ich versuche das nun etwas allgemeiner zu fassen, um dann wieder konkreter zu werden. -
Es gibt verschiedene Ebenen, die ich sehe. Die eine ist die Beziehungsebene, die andere deine Persönlichkeitsebene.
Ich fange einmal mit der Beziehungsebene an - die eng verknüpft ist mit der Persönlichkeitsebene. Ganz vereinfacht ausgedrückt wirkt sich alles, was bei dir los ist, auf deine Partnersuche, - wahl und die Qualität der Partnerschaft aus. Wenn du also grundlegende Vertrauensprobleme hast, wirst du entsprechende Auswirkungen in deiner Beziehung sehen. Das beginnt schon mit dem unterschwelligen, was dein Freund spüren kann.
Und nun zurück zum Beginn, zu eurem Kennenlernen - hier liegt der Hase im Pfeffer.
Hast du dir denn einmal die Frage gestellt, _warum_ du ausgerechnet ihn so spannend und anziehend findest?
Warum du mit ihm zusammensein wolltest?
Und warum du dann all das so mitgemacht hast?
Das sind sehr wichtige Fragen, weil sie alle mit dir selbst zutun haben. Du schaust auf deinen Freund und bangst, ob er dich verlassen könnte. Doch eigentlich müsstest du auf dich schauen und in dir beginnen. Es ist so: Menschen fühlen sich von anderen Menschen nach bestimmten "Schemata" angezogen, je nachdem, wie sie geprägt sind, welche Erwartungen, Wünsche und Vorstellungen sie haben. Wer beispielsweise von sich glaubt, nichts wert und anderen unterlegen zu sein, wird eine:n entsprechenden Partner:in anziehen, die:der unzuverlässig, respektlos, lieblos, ja sogar gewalttätig sein kann. Stelle es dir wie das Schlüssel-Schloss-Prinzip vor. Eine gute Kombi wäre auf der anderen Seite, wenn sich die Personen grundlegend wertschätzen, anerkennen und sich gegenseitig unterstützen. Und das auf der Basis, weil sie sich selbst lieben und auf sich vertrauen. Ein Mensch, der Selbstliebe und Selbstvertrauen hat, wird sich nicht von einer Person angezogen fühlen, die genau das in irgend einer Weise missachtet.
Wenn du dir nun vergegenwärtigst, wie eure erste Phase gewesen ist, was dich begeistert hat, wie er sich verhalten hat, etc., wirst du sicherlich erste Muster erkennen. Vielleicht auch Dinge, die schon früher eine Rolle gespielt haben. Kann es z.B. sein, dass du beginnst, erst recht diesen Menschen "an dich binden zu wollen", wenn er sich rar macht? Das wäre so ein klassisches Nähe-Distanz-Problem. Das dann besonders gut gedeihen kann, wenn man sich selbst zu wenig lebt und mehr bei der Außenwelt ist. Sprich: Wenn man die eigenen Werte, Bedürfnisse und Eigenschaften vernachlässigt, unterdrückt oder verneint und sich dem Gegenüber anpasst, anbiedert, zu Füßen wirft.
Es ist oft auch sehr schwer, das zu durchschauen und besonders die subtilen Facetten zu erkennen. Doch wenn du genau hinspürst, bei dir bleibst, wirst du es immer mehr erkennen können.

Grundsätzlich denke ich, dass das Thema Vertrauen sehr ausufernd und wesentlich ist. Ich kenne deine Vorgeschichte und dich als Mensch nicht. Du kannst für dich am ehesten wissen: Brauche ich hier professionellen Beistand? Muss ich genau beleuchten, wie ich aufgewachsen bin, was ich alles erlebt habe? Woher kommen meine starken Verlustängste?
In jedem Fall kann ich dir versichern: Deine Beziehung ist als eine Art "Symptom" zu verstehen. Dein Freund zeigt dir sehr viele Dinge auf, die offenbar im Argen liegen. Und ja, es kann gut sein, dass ihr nicht als dauerhaftes Paar Bestand haben könnt. Aber hier ist wieder mein Rat: Bleibe bei dir, kümmere dich um dein Wohlergehen. Du wirkst auf mich so, als würdest du voller Verzweiflung nach ihm schielen und alles von seinem Verhalten abhängig machen. Damit begibst du dich allerdings auf verlorenen Posten. Übernimm wieder das Steuerrad deines Lebens, mache dir Gedanken über das, was du brauchst. Und gleiche es mit der Gegenwart ab. Du hast alles verdient, was du dir nur wünschen magst. Du musst dich nicht mit "etwas" Aufmerksamkeit zufrieden geben. Warum solltest du dich mit einem fehlenden Sexualleben zufrieden geben? Warum solltest du dich ständig arrangieren und in Angst leben?
Beginne, dich für dich selbst zu öffnen, dich selbst zu verwöhnen. Beispiel Sexualität. Genieße Erotik mit dir selbst, lerne dich spüren und lass dich fallen. Die Liebe, die du dir selbst zuteil werden lässt, wird dir auch durch andere Menschen begegnen, die wahrlich zu dir gehören, die also gewillt zu sein, dich eine Weile zu begleiten und dir nahe zu sein.

Im Übrigen können wir uns gar nicht "verlieren", zumindest spirituell betrachtet nicht. Wir Menschen gehören alle zusammen und können uns aktiv miteinander verbinden. Du kannst diese Verlustangst als etwas begreifen, das eigentlich wie ein Schreckgespenst fungiert, aber dir in Wahrheit nichts Böses kann. Denn du hast stets die Macht über dein Leben und deine Beziehungen.
Sicher: Die Verlustangst kann sehr tief gehen und dann kann eine therapeutische Begleitung u.U. sinnvoll sein. Du kannst aber auch selbst lernen, mit ihr konstruktiv umzugehen, indem du sie als Hinweisgeber nutzt. Sie muss nicht verdrängt werden, lass sie bei dir sein und arbeite mit ihr. Schaue dir dann an, was sie dir sagen will. Was dahintersteckt.
Die Kunst besteht ja auch darin, sich selbst so treu zu sein, sich selbst derart ehrlich zu begegnen, dass man genau das für die Außenwelt sichtbar macht. Und somit gleich"gepolte" Menschen spüren: Hier bin ich genau richtig, hier will ich bleiben! Egal ob es sich um das Berufliche, das Freundschaftliche oder das Partnerschaftliche dreht. Wenn du das erreicht hast, brauchst du nicht fürchten, verlassen zu werden. Weil alles so gewachsen ist, wie es dir entspricht. Weil du selbst die machtvolle Akteurin bist, nicht die hilflose Zuschauerin.

Und nochmal konkret zum Sex: Sex ist nicht losgelöst von Liebe, jedenfalls kann man Sex nicht als eine "Ware" begreifen, die ausgetauscht wird. Sex beruht auf Freiwilligkeit, Hingabe, Vertrauen und dem innigen Wunsch, sich miteinander zu verbinden. Alles andere ist eben mechanischer Geschlechtsverkehr mit verschlossenem Herzen. Diejenigen, die viel unverbindlichen Sex haben, kennen dieses Phänomen: Körperlich gibt es vielleicht die erhoffte Befriedigung, aber das lässt bald wieder nach. Wir brauchen eine viel tiefer reichende Sättigung, bei der unser Herz berührt wird.
--> Du entscheidest, was du willst! Dein Partner spiegelt dir deine Themen, auch im Bereich der Sexualität. Wenn er also nicht mit dir schlafen möchte, kann das auch wieder ein Symptom sein, weil eure Schwierigkeiten viel tiefer reichen und das Alltägliche, Offensichtliche übersteigen. Mit irgendwelchen äußerlichen Faktoren hat das meistens gar nichts zutun, wenn sich der Partner sexuell zurückzieht. Sondern zeigt, dass man einfach generell "abgeturnt" ist. Und ich bin mir sicher, dass sich Veränderungen ergeben werden, wenn du beginnst, dich selbst lieben zu lernen und dir treu zu sein. Dann können es alle anderen auch. Wenn du anfängst, dich selbst in den Mittelpunkt deines Lebens zu stellen, dich anzuerkennen und konsequent deine Pläne zu verfolgen, wird das unweigerlich positive Konsequenzen haben. Nicht zuletzt auf sexueller Ebene, denn es ist natürlich sehr attraktiv, mit einem lebensfrohen, kraftvollen Menschen intim zu sein. Weil das gleich viel mehr "gibt", als einfach irgendwelche sexuellen Praktiken durchzuführen. Und so sollte Sex ja auch sein: Auf Augenhöhe, mit absoluter Gleichberechtigung, Gleichbehandlung der jeweiligen Regungen und dem Willen, sich dem Anderen komplett hinzugeben. Das allein schon kann intensive Auseinandersetzung bedeuten. Aber sie lohnt sich so sehr! Denn wenn wir uns selbst kennen und lieben, so wie wir eben sind, können wir ein erfüllendes und nach unseren Maßstäben erfolgreiches Leben führen. Was auch bedeuten kann, die eigenen Unzulänglichkeiten sein zu lassen und sie augenzwinkernd in unser Dasein zu integrieren.

Du schreibst, dass du ihn so liebst und nicht verlieren willst. --> Jetzt drehe das Ganze um, und richte diese Aussagen auf dich! Du solltest dich lieben und dich nicht verlieren, indem du zum Spielball der Anderen wirst! Lerne, auf dich zu achten, deine menschliche Würde zu sehen und Nein zu sagen, wenn du dich unwohl fühlst. Ein Nein kann z.B. auch bedeuten, dass ihr einmal eine Beziehungspause einlegt, weil es dir zuviel wird. Ein Nein zu den anderen Menschen kann sehr oft das JA zu dir bedeuten!

Ich hoffe, ich konnte dir damit etwas weiterhelfen - da ja viel Zeit verstrichen ist, kannst du auch gerne noch eine aktuelle Info an uns senden, ich antworte dir dann gerne zeitnah.
Wir haben im Archiv einige ähnliche Zuschriften, die ergänzend zu dieser Antwort bestimmt interessant sind. Beispielhaft habe ich dir die folgende verlinkt, weil diese wiederum andere enthält:
https://mein-kummerkasten.de/332560/Freund-sagt-er-liebt-mich-nicht.html

Ich wünsche dir alles Gute,
Nuala