Problem von Amelie - 18 Jahre

Einsam

Hallo liebes Kummerkasten Team,
Ich habe ein Problem welches bestimmt viele in dieser seltsamen corona Zeit haben. Seit dem ich nicht mehr in die Arbeit gehen kann ( ich mache ein FSJ) und den ganzen Tag mit mir oder meiner Familie verbringen muss fühle ich mich furchtbar einsam und alleine. Außerdem kommen meine Depression schleichend wieder obwohl ich dachte mir geht es schon wieder gut ( habe vor gut einem halben Jahr mit der Therapie aufgehört) :( .
Ich hab nicht wirklich Angst vor Corona nur das mit seinen Gedanken alleine sein macht mich irgendwie fertig.
Habt ihr evtl. irgendwelche Tipps wie man sich da gedanklich irgendwie ablenken kann oder so ?
Lg

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Amelie!

Du hast da bestimmt vielen Menschen aus der Seele geschrieben. Ich bekomme auch täglich mit, wie sehr sich die Einschränkungen und Unfreiheiten negativ auf das Wohlbefinden auswirken. Die seelische Komponente darf nicht vergessen werden - trotz aller körperlichen Schutzmaßnahmen.
Julia hatte kürzlich eine Zuschrift beantwortet, die ebenfalls vor dem Corona-Hintergrund verfasst worden war: https://mein-kummerkasten.de/332575/aengste-vor-der-Einsamkeit.html

Konkret zu deiner Frage: Ich glaube gar nicht, dass wir uns ablenken müssen, um uns besser zu fühlen. Denn solange ungeklärte Themen in uns schlummern und entsprechende Gefühle aufkommen, sollten wir da genau hinschauen und uns mit ihnen befassen - auch wenn das erstmal Überwindung kostet. Doch ein Ablenken löst das Ursächliche ja nicht. Und gerade bei Depressionen geht es im Kern ja um unterdrückte Gefühle, die sich in der psychischen Krankheit ihre Bahn brechen. Daher mein Tipp: Mache es dir so gemütlich und angenehm wie möglich, z.B. bei Sonnenschein im Park auf einer Wiese. Und gehe dann gezielt das durch, was du in deiner Therapie an Handwerkszeug gelernt hast. Rufe dir also gezielt ins Gedächtnis, was du über dich erfahren hast, was dir in der Vergangenheit geholfen hat und was dir bisher immer ein Lichtstreif am Horizont sein konnte. Ich glaube, die Kombi aus "Ich mache es mir schön und bin bewusst nicht dauernd zuhause" und "Ich weiche meinen inneren Baustellen nicht aus" kann sehr vielversprechend sein.

Widme dich den Fragen, was genau da alles in dir hochkommt:
* Wie fühle ich mich - und was ist daran so schlimm/erschreckend/abstoßend, etc...?
* Was zeichnet "meine" Depression aus?
* Was beschäftigt mich am meisten?
* Wodurch wird es ganz konkret und situativ ausgelöst?
* Was verschlimmert mein Befinden, was lindert es?
* Mit wem kann ich sprechen, wem kann ich vertrauen?
* Wo lasse ich meine Gefühle nicht raus, trage eventuell sogar eine Art Maske?
* Welche Entspannungsmittel und Hobbys tun mir gut?
... Du kannst solche und andere Fragen beispielsweise in einem Tagebuch bearbeiten und alles aufschreiben, was dir einfällt. Das Schreiben wirkt schon sehr entlastend.

Ich denke außerdem, dass es hilft, sich sozusagen aus der Vogelperspektive anzusehen, dass es aktuell nur ein recht begrenzter Zeitraum in unserem Leben ist, der dafür sehr einschneidend und absolut ungewohnt ist. Umso mehr können wir uns schon auf die Zeit danach freuen und uns gleichzeitig auf die Schulter klopfen, weil wir diese Herausforderung so tapfer meistern. Auch wenn uns das oft sehr krass vorkommt. Wir sind zäh und können viel schaffen.
Auch der Gedanke an die menschliche Gemeinschaft, an das große Ganze, das WIR, kann dich etwas aufmuntern. Wir sind ja nicht nur auf uns gestellt, sondern sind mit allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten verbunden, auch wenn das nicht immer so sichtbar ist. Vielleicht kannst du dir das einmal sehr detailliert vorstellen und daraus neue Kraft ziehen. Das klappt auch gut, wenn man draußen spazieren geht und ganz bewusst auf die anderen Leute achtet. Man kann sie viel intensiver spüren - so zumindest meine Erfahrung.
Eine weitere Möglichkeit kann sein, bestimmte soziale Kontakte aufleben zu lassen oder sich neue Wege zu suchen, wie die Beziehung "gefüttert" werden kann. Du kannst einer Freundin einfach mal eine handgeschriebene Grußkarte oder einen Brief schicken. Per Videokonferenz oder langen Sprachnachrichten kann man sich auch ausdrücken und dem Gegenüber zeigen, dass man es sehr gerne hat und vermisst. Den Anderen geht es ja genauso, sie werden mit Sicherheit deine Empfindungen teilen oder zumindest nachfühlen können!
Du kannst dir natürlich ein paar Brieffreund:innen oder Mail - bzw. Chatbekanntschaften suchen und die jetzige arbeitsfreie Zeit zum Aufbau neuer Beziehungen nutzen:
--> https://www.brieffreunde.de/
--> https://mailfriends.com/de
--> https://www.postcrossing.com/ (Postkarten in die ganze Welt verschicken und welche bekommen!)
Das Schreiben von Briefen bringt häufig eine Tiefe mit sich, die es in regulären Gesprächen nicht immer so ohne Weiteres gibt. Es gibt weniger Hemmungen, sich so zu zeigen, wie man ist und kann auch von persönlichen Gedanken und Gefühlen berichten.

Hier gibt es noch viele Tipps und Hintergrundinfos genau für diese Phase:
https://psychologische-coronahilfe.de/
Und speziell zur Kombination von Isolation und Depression kann ich dir diesen Hinweis mitgeben:
https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=17&typ=1&nid=111178&s=depressionshilfe&s=deutsche&s=stiftung

Du kannst auch gerne noch im Kummerkasten-Archiv zu bestimmten Schlagworten stöbern und dir unsere Soforthilfen durchsehen.

Ich hoffe sehr, dass ich dir etwas Mut machen konnte und du etwas zuversichtlicher sein kannst. Auch wenn es immer wieder Tiefs geben wird, kann die Bewältigung dieser großen gemeinsamen Aufgabe für uns alle gelingen. Dafür wünsche ich dir an dieser Stelle alles Liebe und Gute.

Nuala