Problem von Felix - 19 Jahre

Auslandsjahr

Hallo,
Vor 3 Jahren habe ich ein Auslandsjahr in Australien gemacht. Im großen und ganzen hatte ich eine wirklich schöne Zeit, die mir viel gelehrt hat und die ich nie vergessen werde. Es war wirklich was besonderes. Zudem hatte ich noch eine wirklich tolle Gastfamilie. Sie haben mich von Anfang an behandelt wie ein Familienmitglied, waren unglaublich lieb und wir haben im laufe der Zeit eine wirklich enge Bindung aufgebaut. Meine Gastfamilie hatte wirklich dieses Feingefühl und knowhow, um mir ein gutes Gefühl zu geben und um mir zu zeigen dass ich praktisch ein teil der Familie wäre. So habe ich mich auch wirklich gefühlt. Seit meinem Auslandsjahr habe ich sie einmal in Amerika besucht und letzten Sommer sind sie zu uns nach Deutschland gekommen. Entsprechend schwierig und tränenreich war das Abschied nehmen jedesmal. Naja, hier in Deutschland hat meine Gastfamilie dann natürlich meine Familie hier kennengelernt und alle haben sich toll verstanden. Ich habe einen weiteren älteren Bruder, der auch schon im Ausland war, und einen zweiten kleinen Bruder. Dieser ist 2 Jahre jünger und hatte immer gemischte Gefühle, wenn es um die Frage ging ob er auch ein Auslandsjahr machen möchte. Sein großes Problem ist die Angst. Er hat Angst in eine doofe Familie zu kommen und schlechte Erfahrungen zu machen. Er versteht leider die Chancen die nunmal mit Challenges und Rückschlägen kommen nicht. So kam also eines Tages der Vorschlag, dass er doch zu meiner Gastfamilie gehen könnte, da er sie ja nun schonmal kennengelernt hat und er sie gerne mag. Meine Gastfamilie war dem ganzen ebenfalls sehr positiv gestellt und freute sich schon darauf, wenn er eines Tages zu ihnen kommen würde. Mein Bruder war auch wie angeknippst und hat sich total gefreut. Nun hier kommt mein Problem beziehungsweise mein Frust.
Ich möchte einfach nicht, dass er zu meiner Gastfamilie geht. Dieser ganze Gedanke ist total egoistisch, was mich ebenfalls echt fertig macht, dass ich so denke. Aber es ist meine Gastfamilie. ICH hatte das Glück aus Zufall mit ihnen zusammengepaart zu werden. ICH habe das Abenteuer begonnen 1 Jahr bei einer Familie zu wohnen die ich nicht kenne. ICH habe sie kennen und lieben gelernt. Ich bin ein Teil ihrer Familie. Es macht mich fertig, dass ich so denke..
Nach ein paar Wochen habe ich mich mit meinem Bruder und meiner Mutter zusammen gesetzt. Ich habe ihnen meine Sorgen erzählt und dass ich es nicht schön fände wenn er zu meiner Gastfamilie ginge. Allerdings weiß ich, dass er sonst wahrscheinlich garnicht nach Amerika gehen würde und dass er da wirklich hin möchte. Also habe ich ihm die Wahl gelassen und gesagt, dass er trotzdem dorthin kann, er aber bitte meine Gedanken und Gefühle nicht außer acht lassen soll. Er hat es leider überhaupt nicht verstanden, warum ich mich dabei so schlecht fühle und warum ich ihm diese Chance verwehren würde.. Meine Mutter hat mich verstanden und es ihm auch nochmal deutlich gemacht. Sowie später mein älterer Bruder. der gesagt hat, er fände es auch nicht gut, wenn er zu seiner Gastfamilie gehen würde. Meine Mutter meinte, ich fühle so, weil unser Leben lang wir immer teilen mussten. Und nun habe ich mir etwas selber aufgebaut, was mir sehr am Herzen liegt und das ich nun wieder mit meinem Bruder teilen muss.
Im Endeffekt hat sie sich dann aus der Entscheidung rausgehalten und gesagt er soll es selber entscheiden. So wie ich ebenfalls zu ihm gesagt habe, dass ich ihm nicht verbieten möchte zu meiner Gastfamilie zu gehen und er es einfach entscheiden soll.
Lange Geschichte kurzer Sinn, er hat sich dafür entschieden trotzdem zu meiner Gastfamilie zu gehen. Diese Entscheidung liegt jetzt auch schon Monate zurück. Ja sogar fast ein Jahr. Aber es lässt mich einfach nicht los. Es macht mich wirklich traurig. Vorallem weil das keine kleine Sache ist. Das ist etwas, dass mir sehr wichtig ist und sich dann total verändert.
Normalerweise bin ich ein Mensch, der versucht in allen Kriesen und Rückschlägen das gute zu sehen. Nur kann ich hier einfach nicht das gute sehen.
Ich bin total in der Zwickmühle mit meinen Gefühlen. Ich möchte nicht, dass mein Bruder sein Amerikatraum wegen mir aufgibt. Ich möchte, dass er diese Möglichkeit und Sicherheit hat, welche ihm so wichtig ist, dass er eine tolle Gastfamilie haben wird, die er sogar schon kennt. Ich möchte, dass er weltoffener und selbstständiger wird. Und vielleicht kann er meinen jetzigen Standpunkt auch irgendwann einmal verstehen.
Trotzdem macht mich das alles fertig. Jetzt auch gerade mit Corona waren natürlich auch die Gedanken und Sorgen, dass sein Auslandsjahr nun doch nicht klappt. Und das wollte ich dann auch wiederrum nicht... Nun ist es aber relativ sicher, dass er sein Auslandsjahr antreten kann.
Und dann macht es mich jedesmal fertig, wenn sein kommendes Auslandsjahr irgendwo zur Sprache kommt. Am schlimmsten ist es, wenn ich in den emails meines Gastvaters lese, was er schon für Planungen hat und das sie sich freuen. Bitte nehmen sie das nicht falsch, ich freue mich für meinen Bruder und für meine Gasteltern, die immoment ein bischen einsam sind, weil ihre einzige Tochter aufs College gegangen ist. Aber es nimmt mich leider wirklich mit. Und das möchte ich nicht. Ich weiß aber nicht, wie ich mich deshalb besser fühlen kann.
Zudem habe ich das Gefühl, dass irgendwie keiner Rücksicht nimmt. Als hätte ich meiner Mutter und meinem Bruder nie meine Gefühle gesagt. Ständig wird in meiner Anwesenheit an allen Seiten darüber geredet. Freundes Freunde freuen sich für ihn, Großeltern freuen sich, Onkel und Tanten freuen sich und es kommen Fragen von meinem Bruder was z.b. ich davon halte welchen Sport er in Amerika machen soll, oder was er für Kurse wählen soll usw. Ich hab das Gefühl das alle Angehörigen es nicht verstehen beziehungsweise es nicht für tragisch halten.
Und dann... Wie soll das alles in der Zukunft aussehen.. Dann kann ich meine Gastfamilie mit meinem Bruder zusammen besuchen. Oder noch schlimmer. Wenn ich sie im kommenden Jahr besuchen möchte, (was ich sehr gerne möchte, da ich jz auch fast 2 Jahre nicht mehr dort war) bin ich da, während mein Bruder auch da ist. Mein Zimmer wird belegt sein durch meinen Bruder. Meine Lila Vorhänge, Lila Bettwäsche, Lila Handtücher werden alle ausgetauscht werden. Mein Bruder wird aufeinmal auch Teil meiner Gastfamilie werden. Mein Bruder wird seine Geschichten und Insider mit meiner Gastfamilie haben. Es fühlt sich fast so an, als würde ich meine Gastfamilie verlieren...
Was soll ich bloß machen? Viel an der Situation kann ich garnicht ändern und möchte ich auch garnicht.. Ich möchte nur das ich mich in Zukunft besser fühlen werde und nicht das Gefühl haben werde, als würde mir mein Bruder einen wichtigen Teil wegnehmen.. Aber ich weiß nicht wie ich das anstellen soll. Meiner Gastfamilie möchte ich auch nicht davon erzählen, weil ich ihnen kein schlechtes Gewissen geben möchte. Ich möchte nicht, dass sie sich schlecht fühlen, nur weil es mir nicht so gut geht mit der Situation.
Was soll ich machen ?

Vielen dank fürs Lesen und eventuelle antworten. Ich finds toll, dass es so eine Seite gibt. Danke!

Stephanie Anwort von Stephanie

Hallo Felix,

ich danke dir für deine Zeilen an uns. Es freut mich zu lesen das du bei einer Gastfamilie warst und gute Erfahrungen dort gesammelt hast. Auch das der Kontakt weiter besteht ist sehr schön. So eine Zeit dort prägt das ganze Leben. Die Unternehmungen zusammen, die andere Umgebung, weit weg von zu Hause ohne die anderen klar zu kommen. Einfach klasse wenn ich so darüber nachdenke. Jetzt geht es um deinen Bruder, du hast ihm vorgeschwärmt wie toll so ein Besuch bei einer Gastfamilie sein kann. Diese Erfahrungen haben dich verändert und dein jüngerer Bruder schaut zu dir auf. Ihr habt es ihm schmackhaft gemacht es auch zu erleben. Und wäre es dann nicht eher super wenn er genau diese positiven Erfahrungen bei deiner Gastfamilie erlebt? Er dort Dinge erlebt mit netten Leuten die ihn gut aufnehmen werden. Sieh es doch mal aus einer anderen Sicht, er nimmt dir nicht deine Gastfamilie weg sondern er tritt in deine Fußstapfen um diesen Weg zu gehen den du gegangen bist, von dem du geschwärmt hast wo du wieder zu Hause warst. So wisst ihr auch das es ihm gut gehen wird. Besser als in eine fremde Familie die er gar nicht kennt mit dem ungewissen was auf ihn zu kommt. Er hatte ja vorher bedenken weil er nicht zu fremden wollte, deswegen ist es so doch besser. Du vertraust dieser Gastfamilie, du hast sie kennen und lieben gelernt und eure gemeinsame Zeit kann euch niemand mehr nehmen. Gönne deinem Bruder dieses große Abenteuer, zeig ihm das du dich für ihn freust. Schlag ihm vor was er dort unbedingt mal machen oder ansehen soll. Ihr seid Geschwister und ihr liebt euch doch. Dein Bruder wird dort seine Erfahrungen machen und diese werden ganz anders sein als deine. Unterstütze ihn und bleibt in Kontakt. So kannst du auf seinen Unternehmungen in seinen Gedanken und im Herzen dabei sein, wenn er weiß das du hinter seiner Entscheidung stehst und du auch schon dort warst. Vielleicht kannst du ihm auch helfen wenn er was braucht oder Heimweh hat. Er hat sich dafür entschieden und ändern wird man das nicht mehr können, dennoch denke ich das deine Gastfamilie weiß was sie an dir hat und was ihr zusammen erlebt habt. Das alles kann euch niemand wegnehmen auch nicht der Besuch deines Bruders. Halte weiter gut Kontakt zu den Gasteltern und freue dich das dein Bruder auch diesen Schritt wagt und sich auf das riesengroße Abenteuer einlässt. Und wenn du dort Urlaub machst wenn er auch da ist, freue dich darauf. Da könnt ihr gemeinsam Erfahrungen sammeln die nur ihr als Geschwister dort erleben dürft und die euch keiner wegnehmen kann. Du bist toll so wie du bist und ich kann deine Bedenken verstehen aber versuch positiv in die Zukunft zu schauen. Und wenn dein Bruder bei eurer Gastfamilie ist unternimmst du vielleicht auch einige tolle Abenteuer mit deiner Familie.
Wenn du möchtest kannst du dich sehr gerne wieder hier melden.

Alles Liebe
Stephanie