Problem von S. - 49 Jahre

Undankbarer "Aschenputtel"-Job bzw. Mädchen für alles - Ich ertrage es nicht mehr!

Seit 30 Jahren arbeite ich (hinter den Kulissen!!!) eines Theaters (vom Land subvensioniert!) und bin daher in der glücklich privilegierten Lage, mir finanziell bzgl. des monatlich pünktlich gezahlten Gehalts (auch in Zeiten von Corona!) keine Existenzsorgen machen zu müssen ... Aber ich kann/will nicht mehr, bin innerlich völlig ausgebrannt und mit mir restlos am Ende!

Jeder, der hört, wo ich arbeite, sagt: "Ah das ist cool, das ist ja mal was ganz Besonderes!".

Ja, weil keiner weiß, wie es hinter den Kulissen zugeht, um dem Publikum ein Event XY zu bieten bzw. was es bedeutet, von einer Spielzeitpause im Sommer bis zum nächsten Sommer ohne Urlaub durchzuarbeiten bzw. immer dann durchzuarbeiten, wenn alle anderen feiern, Feiertage oder Brückentage nehmen, um genau diesem Publikum Unterhaltung zu bieten. ...

Medizinische Dienste, Feuerwehr, Polizei, Tierpfleger u.ä. Berufszweige teilen diese Last aus einer dringenden Notwendigkeit heraus, wohingegen Kunst/Gastronomie/Hotelgewerbe einzig der Unterhaltung/Freizeit dienen, jeder Mitarbeiter dieser Unternehmen stets einen Teil seines Sozial-/Familienlebens dafür opfert, um Personen XYZ Unterhaltung zu bieten.

Allerdings wird es nur den wenigsten Konsumenten dabei tatsächlich bewusst sein, während sie all diese Dienstleistungen für sich in Anspruch nehmen und doch sei es allen von Herzen gegönnt, einen unterhaltsamen Tag/Abend zu haben. Genau davon leben die Gewerbe, sowie alle, die dazugehören und erhoffe mir daher idealistisch, statt des selbstverständlichen Konsums einen vielmehr bewussten Genuss all dieser Angebote und ja, insofern auch mehr Wertschätzung gegenüber den Anbietern und Mitarbeitern dieser Freizeitunternehmen.

Hinter den Theaterkulissen ist man jedoch im Gegensatz zum Regieteam/Künstlern nur das zuarbeitende "Fußvolk" - nicht mehr und nicht weniger und sie alle fordern ihre Opfer. Denn Künstler sind insofern anspruchsvoll sensible "Patienten", die Rundumbetreuung auf Zuruf, zudem stets soziale Zuwendung, enorm viel Verständnis und "Zauberei" entsprechend der künstlerischen Vorstellung oder Umsetzung diverser Ideen ohne Rücksicht auf Verluste vom Personal abverlangen. Übersetzt heißt das: Es ist Sommer, aber sie wollen jetzt Winter! ...

D.h. in meinem Job werde ich jeden Tag genötigt, für die Kunst bzw. jeden Schauspieler ein Sozialdienstleistender im psychologischen Sinne oder selbst Künstler in Form künstlerischer Kreativität auf Abruf zu sein, um besagte "Zauberei" von jetzt auf gleich umzusetzen. Bin ich nicht in der Lage dazu, bekomme ich zu hören: "Ach und warum geht es nicht? Das muss aber gehen, weil ich es will und es dein Job ist!" "Ähm, weil ich leider gewisse naturgegebene bzw. physikalische Gesetze nicht außer Kraft setzen kann und keine psychologische Ausbildung habe, um dir/euch zu helfen!" "Interessiert niemanden! Finde eine Lösung ... bis gestern!"

Ich werde also daran gemessen, ob ich Unmögliches kann oder nicht. Kann ich es nicht, werde ich als Versager angesehen oder als arbeitsununwillig degradiert, sobald ich nicht "zaubern" oder verständnisvoller Psychologe für jede Lebenslage sein bzw. nicht wie beim Film, einfach einen radikalen Cut machen kann, um eben die gewünschte Illusion herbeizuführen! ...

Theater ist aber nicht Film (das vergessen die Kunstschaffenden nur zu gern!), sondern reale Kunst auf der Bühne mithilfe von Bühnentechnik! Doch Künstler sehen nur ihre Visionen ...

Ich bin nicht überfordert von meinem Job (und nach wie vor erzwungenermaßen kreativ), sondern mittlerweile nur noch restlos desillusioniert und angenervt von meinem Job (den einem keiner dankt und zunehmend undankbarer wird), jemals aus dieser Aschenputtelrolle des frei verfügbaren Dienstleisters für künstlerische (Über-) Ansprüche heraustreten zu können, geschweige denn für meine Arbeit die Wertschätzung zu erfahren, die ich verdiene. ...

Nein! Ich bin und bleibe das niedere Aschenputtel im großen Schlagschatten der Kunst und werde zunehmend unter Druck gesetzt, da ja auch Theater der wirtschaftlichen Maschinerie ausgesetzt sind, um den Umsatz zu machen, den die Landesbehörde von ihnen verlangt.

Jammern auf hohem Niveau, werden viele sagen ... Aber ich ertrage ich nicht mehr bis zur Rente der Prellbock für die Kunst oder Künstler zu sein bzw. ungerechtfertigte Anschisse dafür zu bekommen, dieses oder jenes eben nicht einfach mal so von jetzt auf gleich "herbeizaubern" zu können, sondern dauerhaft der Sklave von Kunst und Künstlern zu sein!!!

Was hindert mich also daran einfach zu kündigen bzw. Job zu wechseln? ...

Die finanzielle und soziale Sicherheit (öffentlicher Dienst), zumal ich 50 werde, kein Abitur habe (nur den 10 Klassen-Abschluss der Polytechnischen Oberschule der DDR, wobei ein Notendurchschnitt von 1,6 zwingend und zudem entsprechend politische Voraussetzungen für eine Weiterbildung an der EOS [heutigem Abitur] gefordert waren usw.) und genau das fällt mir jetzt knallhart auf die Füße. Denn damit bin und werde ich auf dem Arbeitsmarkt unter meiner vorhandenen Intelligenz eingestuft, bin mit diesem Makel gehandicapt, da dieser minderwertige Schulabschluss trotz abgeschlossener Berufsausbildung heutzutage nichts wert ist. 30 Jahre Theaterjob sowieso nicht, der keine greifbaren Substanz bieten kann, um mich igendwo zuzuordnen und ich (wie erwähnt) in dem kritischen Alter von 50 eh nicht mehr gefragt bzw. als Quereinsteiger erwünscht bin! Nur Aushilfsjobs zum Mindestlohn oder 450€-Jobs sind drin, anspruchsvoll erfüllende Jobs sind damit für mich unerreichbar.

Ich will etwas Sinnvolles tun, z.B. Sozialassistent für Menschen, die wirklich Hilfe benötigen und nicht wie Schauspieler, die es nicht nötig haben, aber im Theater "plötzlich" nicht mehr wissen, wie und womit man Nägel in die Wand schlägt und dafür das "Aschenputtel" rufen!

Ich wünsche mir so sehr einen ernsthaft vernünftig bezahlten Job wünschen, mit sozialem oder "grünem" Hintergrund, fern der Unterhaltungswelt, der mich glücklich macht und absichert und da liegt das Problem! Denn ich bin derzeit perfekt abgesichert, habe aufgrund der permanenten Inanspruchnahme meiner Arbeitskraft jedoch keine Möglichkeit nebenbei umzuschulen und bin zutiefst unglücklich, da ich diesen Theaterjob nicht mehr ertrage! ...

Ich will, muss aussteigen, aber finde keine Lösung, keinen Job, bin in der Sackgasse gefangen!
Corona hat für mich zwar irgendwie Weichen im Kopf gestellt, doch fehlt mir der Zugang zu neuen Ufern, denn ich habe seit meinem 19. Lebensjahr in meiner "Theaterblase" gelebt! Mir fehlt der Zugang zur "realen" Arbeitswelt, die für mich ein Parcour mit Stolpersteine ist. (((:

Nuala Anwort von Nuala

Liebe S.,

ja, das liest sich nach einer verfahrenen Situation. Ich pflichte dir bei, dass du etwas verändern musst.
Ich möchte dir gerne eine positive Sichtweise geben und hoffe, dass ich dir damit ein Stück weit helfen kann.

Zunächst einmal glaube ich, dass du dich auch deswegen so "ausweglos" siehst, weil du dir sehr wahrscheinlich mit negativem Denken, viel "Herunterschlucken" und wenig Weiterentwicklung selbst ein Bein gestellt hast. Das meine ich keineswegs böse, bitte verstehe mich da nicht falsch. Aber wie du schon geschrieben hast - du warst immer im gleichen Business und hast dich (zu sehr) arrangiert. Das ist ja auch menschlich, denn Gewohnheiten haben auch ihr Gutes.

Es wäre toll, wenn du (eines Tages) versöhnlicher auf deine Arbeit blicken könntest. Denn auch wenn die Bedingungen zweifellos miserabel klingen, so ist es doch etwas Schönes, was ihr tagtäglich für andere Menschen leistet.
Vielleicht rührt dein großer Frust gerade daher, dass du eigentlich eher in den Sozialberufen aufgehoben wärst. Es gibt seit 2020 eine neue Pflegeausbildung, die gut vergütet wird. Da kann man dann gucken, ob man in die Altenpflege, ins Krankenhaus, in die Psychiatrie etc. gehen möchte. Eine super Sache, wie ich persönlich finde. Darin kann man einen sehr lebensnahen Sinn finden und gemeinsam im Team anderen Menschen helfen. Das könnte eventuell etwas für dich sein? Guck mal hier: https://www.deutsches-pflegeportal.de/magazin/pflegeberufegesetz-die-generalistische-pflegeausbildung-ab-2020

Umso erfreulicher ist es, dass du nun gemerkt hast, dass endgültig dein Schmerzpunkt erreicht ist. Sieh ihn als große Chance! Du kannst selbstverständlich neue Dinge beginnen, warum auch nicht? Sicherlich stehen dir nicht alle Türen offen, aber das ist bei anderen Menschen auch nicht anders. Das solltest du bedenken. Weder dein Alter noch deine bisherige Arbeitsumwelt sind grundlegende Hindernisse. Was dich wirklich dauerhaft behindern kann, ist dein Denken und deine Hemmungen. Es gibt einige Leute in deinem Alter, die per Abendschule ihr Abitur nachholen oder sich anderweitig ausbilden lassen.
Du scheinst da sehr festgefahren zu sein. Ja, sicherlich ist der Arbeitsmarkt hart, aber du musst ja nicht die Anlaufstellen wählen, bei denen es schon ersichtlich ist, dass du wenig Chancen zugesprochen bekommst. Also anstatt z.B. zur Arbeitsagentur zu gehen, würde ich an deiner Stelle viel mehr auf psychologische Beratung und Angebote zur persönliche Neuorientierung setzen. Allein dazu gibt es einige kostenlose Angebote, nicht nur im Internet, sondern auch in Form von Vorträgen, Gesprächsrunden, Kennenlerntreffen usw.
Weil es auf mich so wirkt, als seist du sehr resigniert, empfehle ich dir tatsächlich, dich psychologisch coachen zu lassen, vielleicht hast du auch Lust auf ein (Wochenend)-Seminar rund um Träume, Selbstverwirklichung, Zuversicht, etc. Stichwort Selbstwert und Selbstliebe!

Nun wäre es an der Zeit, dass du beginnst, Grenzen zu setzen. Du hast das Beispiel mit dem Nageleinschlagen gebracht. Hier könntest du ab sofort sagen: "Probiere es selbst, du kannst das! Und falls es dann Schwierigkeiten geben sollte, kann ich dir immer noch helfen." Gerne charmant verpackt. Damit möchte ich dir sagen: Du hast vermutlich so viel Frust in dir angesammelt, dass du dich selbst nicht mehr richtig "verorten" kannst. Doch ist es so, dass andere Menschen genauso in den starren Strukturen stecken. Wenn sich niemand verändert, bewegt sich nichts. Deine Kolleg:innen sind vielleicht aus Gewohnheit auf dich angewiesen, weil sie aus Erfahrung wissen, dass du sofort zur Stelle bist. Genauso geht vieles so weiter, wenn es keinen Widerspruch gibt. Wenn keine öffentliche Kritik gibt, nur Stillschweigen und nicht-sichtbarer Frust, wird alles beim Alten bleiben. Wenn man sich nicht mit den Kolleg:innen solidarisiert und lieber allein leidet, wird sich keine Bewegung ergeben. Wir können unsere Umwelt ständig aktiv mitgestalten, wir müssen es nur erkennen und die Möglichkeiten ergreifen! Oftmals sind es viele kleine Dinge, nicht ein großes Ding, das scheinbar alle Probleme lösen würde.

Doch bei dir ist der Zug an dieser Arbeitsstelle wohl endgültig abgefahren. Also wirklich Zeit für Neues! Nichtsdestotrotz könntest du vor deinem Abgang etwas hinterlassen, was die Anderen zum Nach - oder Umdenken anregen würde.

Ganz pragmatisch könntest du den Ausstieg aus dem Job so gestalten, dass du dir einen Schlusspunkt setzt, um noch etwas Gehalt ansparen zu können - um dann aufhören zu können. In dieser Zeit könntest du dir Gedanken machen, was du wirklich möchtest. Das kann auch gerne eine mehrmonatige Auszeit sein - vielleicht wäre zum Beispiel der Jakobsweg etwas für dich, das ist eine recht kostengünstige Reiseform und bringt zum persönlichen Ankommen sehr viel. Den könntest du auch in Deutschland gehen. Das würde dir Ruhe und Entschleunigung bringen - und viel Zeit zum Nachdenken über das, was du dir tatsächlich erträumst.

Auch hinsichtlich eines Ehrenamtes, das dich erfüllt, könntest du dir dann Gedanken machen. Denn ja, es ist möglich, einen befriedigenden Job ohne zeitliche und energetische Ausuferungen zu haben und dann hie - und da noch etwas ehrenamtliches als Ergänzung zu machen. Oder nebenbei eine Selbstständigkeit aufzubauen. Vielleicht wäre das ja dein Ding: Dich freiberuflich zu verwirklichen. Viele machen das parallel zur Festanstellung, d.h. du könntest das theoretisch schon jetzt beginnen.

Ich habe dir noch eine ähnliche Zuschrift herausgesucht, in der ich noch andere Aspekte angesprochen habe. https://mein-kummerkasten.de/330589/Berufliche-Verzweiflung.html


Zusammengefasst gibt es folgende Kontraste:

Wenn du dich selbst nicht siehst, wirst du von Anderen nicht gesehen.
Wenn du dich selbst nicht wertschätzt, wird dich deine Umwelt nicht wertschätzen.
Wenn du den Kopf hängen lässt, wirst du Pessimismus reproduzieren.

Wenn du anfängst, an dich zu glauben, wirst du erste positive Veränderungen erleben.
Wenn du an Zielen arbeitest, wirst du ungeahnte Hilfen erhalten.
Wenn du zuversichtlich bist, wirst du leichter durch den Alltag kommen.
Wenn du vertraust, dass alles seinen Sinn hat, wirst du dich selbst verwirklichen können.



Ich wünsche dir alles Liebe und viel Erfolg für deinen weiteren Weg, der sicherlich noch viel zu bieten hat! :)

Nuala