Problem von einfühlsamer - 36 Jahre

traumatisiert

Liebes Kummerkasten-Team,

ich finde das wirklich toll, dass es so eine Seite gibt, auf der man anonym, aber sehr direkt und detailliert, über seine Probleme schreiben darf.

Bevor ich mit meinem Problem beginne, muss ich eine Sache ansprechen, die vielleicht eine ausschlaggebende Hilfe sein kann, mein Problem besser zu verstehen und nachzuvollziehen. Ich bin seit meiner Geburt auf beiden Augen vollständig erblindet. Aber gerade weil ich nicht späterblindet bin, komme ich sehr gut damit zurecht. Wie bei jeder "Behinderung", die für mich ja so keine ist, gibt es hier und da mal Barrieren zu überwinden, aber wo hat man diese nicht? Meinen PC kann ich ganz alleine mit einer Sprachsoftware bedienen - bei barrierefreien Seiten geht das natürlich besser. Diese Seite ist übrigens sehr barrierefrei. :-) So, jetzt komme ich zu meinem dicken Päckchen:

Vor Ca. einem Jahr habe ich ein Handicaptreffen besucht, um einfach auch mal mit gleichgesinnten Menschen in ein austauschendes Gespräch zu kommen. Da sind aber nicht nur Blinde, sondern von psychisch gehandicapten bis Rollstuhlfahrern alles dabei. Es sind auch Leute mit sehr unauffälligen Handicaps vorhanden. Also, richtig gut gemischt. Ich habe mich mit allen gleich auf Anhieb sehr gut verstanden, konnte mich hobbytechnisch austauschen und sehr schnell öffnen - sehr, sehr untypisch für meinen Charakter. :-)
Aber da habe ich mich wohl zu früh gefreut und habe gelernt, dass man den Tag nicht vor dem Abend loben sollte. :-(
Einer war dort, der mich nicht nur einfach so nicht mochte, was ja vollkommen legitim ist, sondern mich auf dem Kicker hatte und das aller erste Sahne. Er konnte noch sehr gut sehen, war eigentlich nur minimal eingeschränkt, also auch noch im Vorteil. Er hatte halt extreme psychische Probleme, was für mich ja überhaupt kein Grund ist, jemanden auszuschließen oder zu meiden. Im Gegenteil, ich arbeite mit Kranken zusammen, so viel verrate ich hier mal. Aber dieser mensch wurde mir sehr gefährlich und hat sich aber leider erst am nächsten Tag gezeigt, wie er eigentlich so drauf sein kann. ich war dort nämlich mit Übernachtung, weil es doch eine längere Strecke mit der Bahn war. Er wollte mich am nächsten Tag zur Bahn bringen und ich wünschte, ich hätte mich alleine durchgeschlagen. :-( :-(
Als er mich am nächsten Tag vom Hotel abgeholt hat, meinte er, dass wir beide dringend mal ein Hühnchen rupfen müssten. Aber das mit so einem unfreundlichen, aggressiven ton, dass ich eine Gänsehaut bekommen habe und ich hatte Angst vor diesem Typen da. Angeblich würde ich mich nur so öffnen, um ihn auszuschließen, um seinen Traum, in der Gruppe aufzugehen, komplett zu vermasseln. Ich habe ihn gestern nach seiner nr. gefragt, ohne Hintergedanken und am nächsten Tag kam der Vorwurf, dass ich ihn vor allen Leuten bloßstellen wollte und ihn irgendwie "aufdecken" wollte oder was weiß ich denn. Das habe ich eigentlich auch nur gefragt, weil er einer der drei Administratoren war und ich die Nummern einspeichern wollte. Hätte ich das doch nicht getan!!! Er war aber so wirr und aggressiv, dass ich nicht mehr wusste, was jetzt noch kommen würde. Dann ist er weinend zusammengebrochen und hat bei einer Freundin angerufen. Ich habe natürlich die Bahn verpasst und habe versucht diesen Menschen zu beruhigen, trotz meiner Höllenangst. Schließlich konnte seine Freundin ihn doch irgendwie über das Handy beruhigen und er hat mich zwar an den Bahnsteig gebracht, wollte aber mitfahren. Ich musste mir dann doch noch Hilfe holen, damit er nicht mit einsteigt - erst einmal überstanden, aber war noch nicht alles. Der Terror geht weiter.

Dann hat er sich zwei Tage später bei mir ganz diplomatisch entschuldigt und gemeint, dass er mich doch sehr gut leiden kann und das so nicht wollte. Ich konnte das nicht glauben und meine Nase hat sich doch nicht getäuscht. 10 Minuten später schreibt er mir wortwörtlich: "Du bist ein scheiß Drogenpfutzi und deshalb so scheiße zu mir! Gib es doch zu und meinen Traum hast du mir kaputtgemacht! Danke dafür!!!"

Ich habe nichts gegen kranke, aber er hat dann auch noch zu allen dort gesagt, dass er mich nicht mehr sehen möchte, damit er nicht außer Kontrolle gerät. Ist das eine Drohung??????
Ich bin seit dem nicht mehr dort hingegangen, weil ich keinen unnötigen Ärger mehr wollte. Wenn ich Augenlicht hätte, würde ich das trotzdem machen. Lasse mir doch von so einem da, der mich nicht einmal kennt, so etwas nicht verderben. Aber mir war das so dann doch zu gefährlich - das müsstet ihr mal echt erleben. Das Unheimlichste war ja, dass er mir an diesem "netten Tag" auch noch eine Bleibe bei sich angeboten hatte. Was ist das??????
Sorry, es platzt aus mir heraus. Das hat jetzt dazu geführt, dass ich sehr oft Treffen mit unbekannten Gruppen abblase, weil ich einfach eine schreckliche Angst habe, dass dort wieder so einer/eine mich ins Visier nimmt. Ich weiß, dass dieser Gedankengang sehr unreif ist, aber ich habe einfach immer wieder diese Panik und blase vielleicht richtig gute Treffen einfach so ab. Ab und zu gewinne ich diesen Kampf und besiege meine Selbstzweifel, aber ich ziehe mich immer mehr zurück und in meinem Kopf manifestiert sich nur der eine Gedanke - lass es lieber, bevor dich jemand wieder so kickt. Bleib daheim und gib auf. Alle sind so und das hast du ja am eigenen Leib erfahren. ich bin so verbittert und tief traurig. Wenn aber jemand dabei ist, den/die ich kenne, geht das sehr gut. Weil ich ja die Gesichter nicht sehen kann, mache ich das alles über meine Kommunikation und/oder über das Tasten, wenn ich den Menschen mal länger kenne und dieser das natürlich auch möchte (Gesicht abtasten und so). Aber ich habe so eine HÖLLENANGST und hasse mich selber dafür wie die Pest!!!

Was soll ich tun, um mich wieder zu öffnen und um wieder leben zu können? :-(
Wars das jetzt??? Was habe ich diesem Menschen getan? Ist es falsch auf menschen zuzugehen? Ist das genau der Fehler? ich hasse mich!!! Manchmal mag ich einfach nicht mehr, wenn ich ehrlich sein darf. Immer bin ich der Depp, der Trottel, der Versager.

Eigentlich habe ich ja zu 90% positive Erfahrungen gemacht und es gibt soooooo nette Menschen! Aber wenn es dann mal kommt, kommt es so geballt und das f.... mich dann richtig! Dann sind die besten Beleidigungen dabei und der Mensch könnte den ersten Preis dafür bekommen.

So, jetzt habe ich mich mal ausgeschrieben. Gibt es dagegen eine Therapie??? Ja, mit Sicherheit, aber was könnt ihr mir da raten? Es sind ja nicht alle Monster.

Vielen Dank schon mal im Voraus für die Aufmerksamkeit und sorry, falls zu viele Schreibfehler vorhanden sind. Ich habe nur noch so in die Tasten gehauen.

Lieben Gruß

Einfühlsamer

Nuala Anwort von Nuala

Lieber einfühlsamer,

ein nettes Pseudonym hast du dir da ausgesucht!
Und Danke für deine Rückmeldung zur Barrierefreiheit :)

Sehr verständlich, dass du alles runtergeschrieben hast. Da bist du an einen üblen Zeitgenossen geraten. Ich möchte nicht mutmaßen, was bei ihm losgewesen ist - Fakt ist, dass er einen sehr negativen und bleibenden Eindruck bei dir hinterlassen hat.

Du hast rational begriffen, dass Rückzug und Vermeidung nur noch schädlicher wirken. Und damit hast du Recht. Denn das, was dir passiert ist, wird sehr wahrscheinlich nicht genauso noch einmal geschehen. Zumal du dich stets mit anderen Anwesenden verbünden bzw. zusammentun kannst, um im Zweifelsfall schnell aus der Situation verschwinden zu können. Ich ermuntere dich daher ausdrücklich, solche sozialen Interaktionen bewusst anzugehen. Durch Corona hast du die Möglichkeit, dich via Online-Treffen heranzutasten und wieder daran zu gewöhnen, mit einer Gruppe im Austausch zu sein. So lassen sich auch erste Vertraute finden und ggf. auch Freund:innen bzw. gute Bekannte finden, die sich bereiterklären, mit dir gemeinsam zum ersten Treffen zu kommen, wenn es offiziell wieder erlaubt ist.

Auch wenn du sehr verstört wurdest, kann sich dennoch die Frage lohnen, was du aus diesem Zusammentreffen lernen könntest. Eventuell kam er genau zur richtigen Zeit in dein Leben, um dich "wachzurütteln", an etwas zu erinnern, alte Wunden aufzuzeigen, etc. Du kannst davon ausgehen, dass du aus deinem Erlebnis mehr Produktives ziehen kannst, als du es dir im ersten Moment vorstellen kannst!Allein schon der Punkt, dass du dich so sehr selbst für deine Reaktionen verurteilst, ist schon ein Fingerzeig! Du darfst dir erlauben, Angst zu haben. Punkt. Aber du darfst dir genauso erlauben, sinnlose Angst nach und nach abzulegen.

Ob du tatsächlich traumatisiert wurdest, ist aber im Bereich der Diagnosen angesiedelt. Darum lautet mein erster Hinweis: Suche dir bitte professionelle Hilfe, wenn du denkst, dass du alleine nicht mit deiner Angst fertig wirst. Ich kann dir versichern: Du kannst das auch selbst schaffen, insbesondere dann, wenn du wirklich einen so guten Zugang zu deinen Gefühlen hast. Es gibt gute Literatur, u.a. "Gedanken verändern Gefühle von Greenberger & Padesky. Mit diesem Arbeitsbuch könntest du bestimmt tolle Erfolge erzielen.

Konzentriere dich nicht auf den Umstand, dass du nun oftmals Angst hast. Es wirkt sonst wie eine Art Spinnennetz, in welchem du dich immer mehr verhedderst.
Konzentriere dich stattdessen auf "angstfrei". Und darüber hinaus auf alles Positive, was dir täglich über den Weg läuft. Auch du selbst hast so viel Gutes und Schönes in und an dir. Vergiss das bitte nicht!
Du kannst dabei auch mit Affirmationen arbeiten, z.B. "Ich bin auf dem Weg, meine Ängste vor Angriffen abzulegen.", "Bald werde ich wieder mit Freude Leute treffen." Denke dir einfach eine eigene Formulierung aus, die sich für dich realistisch anfühlt.

Dann möchte ich dir allgemein den Tipp geben, deine Angst nicht abzuwehren, sondern in ihrer ganzen Bandbreite anzuschauen und zuzulassen. Damit meine ich, dass du sie akzeptierst, ohne sie weiter zu kultivieren. Du solltest also vermeiden, deine Angst zu füttern, indem du dir innere Bilder und Szenen vorstellst und dich dann noch mehr "hineinsteigerst".
Du kannst deiner außerdem Angst sagen: "Okay, du bist jetzt wieder da, ich habe aber keine Zeit für dich." - Weil du dich mit anderen Sachen beschäftigst. Und das machst du dann auch konsequent.
Es gibt da viele Techniken und du kannst dir alles heraussuchen, was dir gut gelingt und sich in deinem Alltag am stimmigsten anfühlt.

Dann möchte ich dir noch die sogenannte Ho‘oponopono-Technik vorstellen. Sie besteht aus vier Sätzen, die du auf jedes beliebige Problem mit dir selbst, anderen Menschen und auf bestimmte Glaubenssätze und Ängste anwenden kannst. Die Grundannahme ist, dass wir alle als Menschen miteinander verbunden sind und daher stets positiven Einfluss aufeinander nehmen können. Uns selbst eingeschlossen. Du sagst die Sätze wie ein Mantra auf, bis sich das jeweilige Thema für dich gelöst hat. Du kannst es dann vor allem daran erkennen, dass du tief durchatmen kannst, einen tiefen Frieden in dir spürst (Erleichterung!) und nicht mehr das Bedürfnis hast, die Sätze auszusprechen. Du vergisst das Ganze sozusagen. Diese Technik kann sehr effektiv sein. Wenn du sie anwenden möchtest, bereitest du dich folgendermaßen vor: Du fokussierst dich auf dich, suchst dir einen ruhigen Ort ohne äußerliche Ablenkungen und stimmst dich innerlich langsam ein. Das kann z.B. im Rahmen eines Naturspaziergangs sein, bei einem wohltuenden Vollbad, zu meditativer Musik und dergleichen mehr. Du kannst dir die Sätze auch einfach so im Alltag vorsagen, wenn du sie gelernt hast. Für den Anfang halte ich eine besondere Ausgangsstimmung und -situation für förderlich.

Die Grundform lautet:
1. Es tut mir leid.
2. Ich verzeihe mir.
3. Ich liebe dich.
4. Danke für die Transformation.

Angewandt auf den Typen von damals:

1. Es tut mir leid, dass ich wegen dir Angst vor neuen Treffen habe.
2. Ich verzeihe dir.
3. Ich liebe dich.
4. Danke für die Transformation.

Angewandt auf dich selbst:

1. Es tut mir leid, dass ich Angst (vor erneuten Konfrontationen) habe.
2. Ich verzeihe mir.
3. Ich liebe mich.
4. Danke für die Transformation.

Du kannst die inhaltliche Formulierung bei 1. natürlich beliebig anpassen. Die Grundstruktur bleibt aber gleich.

Als Letztes zeige ich dir noch das Forum zu Angst und Panik, das ist gleich 2in1: Soziale Interaktion plus Hilfestellung. :) https://www.forum.angst-und-panik.de/

Ich hoffe, ich konnte dir mit diesem Input gutes Werkzeug für deine Veränderung an die Hand geben.
Ich wünsche dir auf jeden Fall, dass du 2021 im Rahmen der gesundheitlichen Möglichkeiten wieder an den Treffen teilnehmen kannst, auf die du Lust hast.

Alles Liebe!
Nuala