Problem von Jay - 19 Jahre

Eltern belauscht

Moin, ich habe soeben meine Eltern belauscht, wollte eigentlich schlafen aber sie redeten so laut, dass ich mich erstmal wunderte, warum sie denn um 0:00 Uhr noch mit einander reden (beide müssen um 6 bei der Arbeit sein). Habe mitbekommen, dass es um mich und meine Arbeitslosigkeit geht.
Erstmal zu mir:
Ich bin seit November 2019 wegen einer schweren Depression arbeitsunfähig. Musste leider meine Ausbildung, in der ich ein Einserschüler war abbrechen und habe seitdem auch nicht viel geschafft. Außer halt, dass ich mich im Rahmen meiner psychischen Kraft immer wieder nach Jobs und Psychologen umguckte. Habe nun endlich einen gefunden und bereits Donnerstag das erstgespräch.

Soviel zu mir.

Was ich aber grad hörte hat meine Hoffnung wieder komplett zerstört.
Es fielen Sätze wie „sie zieht doch eh nichts durch, hat kein Abitur, die Ausbildung hat sie auch weggeworfen. Und dann will sie irgendwann ein Studium schaffen?“ oder aber auch „Ja dann kommt sie nach 4 Wochen an „Ja der mag mich nicht und der mag mich nicht“ aber sie sieht nicht dass sie das Problem ist“.
Ich bin am Boden zerstört und weiß nicht mehr weiter. Ich habe so Angst dass meine Krankheit wieder die Kontrolle übernimmt und ich gar nichts mehr schaffe. Aber meine Eltern sehen nicht die Krankheit, sondern mich als die Person, die sich das Leben verbockt und selber schuld ist.

Was soll ich tun? Ich werde die Worte nie wieder vergessen können...

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Jay,

ich fühle sehr mit dir. Worte können wie Waffen sein!
Dennoch solltest du dir vergegenwärtigen, dass es nicht deine Realität ist, was deine Eltern sagen, solange du es nicht zulässt! Sprich: Wenn du es erlaubst, dass sich ihre Aussagen in dir niederlassen und dich von innen vergiften, wird das auch geschehen. Wenn du dir aber sagst: "Stopp! Das geht zu weit! Ich schütze mich, weil ich es mir wert bin.", prallen sie an dir ab. Hier können auch bildliche Vorstellungen helfen, z.B. dass du dich in einem warmen Kokon befindest, der dich schützt. Oder dass du ein mentales Schutzschild hast, etc. Solche Bilder kann man sich selbst ausdenken und dann bewusst abrufen, um sich zu stärken. Genauso schützende Sätze, die du dir vorsprichst, einen Talisman tragen, Ruhe und Entspannung in den Tag integrieren, etc. Umgib dich mit so vielen stärkenden und wohltuenden Dingen wie nur möglich!

Es mag für dich vielleicht abwegig erscheinen, aber zumindest für den inneren Seelenfrieden kann Folgendes helfen: Konfrontation mit deinen Eltern. Du könntest heute auf sie zugehen und ihnen erzählen, dass du alles mitangehört hast. Sage ihnen, was es mit dir macht. Und: Dass du nicht dein Verhalten BIST und dass du auch nicht mit der Depressionen und mit "Erfolglosigkeit" gleichzusetzen bist. Du bist ein Mensch mit vielen tollen Eigenschaften und Potenzialen, die du wegen deiner Erkrankung nicht alle zeigen kannst. Das kannst du sehr wohl betonen. Du könntest deine Darlegung damit abschließen, dass du dir einfach nur eine Rückenstärkung ohne Wertungen, Vorwürfe und schlechte Prognosen wünschen würdest. Dass du das tust, was in deiner Macht steht und du schon sehr viel geschafft hast, gerade _weil_ du psychisch sehr angeschlagen bist! Gerne kannst du dich hier dazu belesen bzw. auch deinen Eltern zeigen, um sie für Depression zu sensibilisieren: https://www.spektrum.de/news/wie-hilft-man-einem-depressiven-angehoerigen/1737196?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
Ich weiß nicht, ob es bei ihnen eine positive Veränderung im Sinne von Verständnis, Einfühlen, zukünftige Rücksichtsnahme etc. auslösen würde, aber zumindest für dich kann es entlastend wirken und dir zeigen: Ich bin dem Ganzen nicht hilflos ausgeliefert, ich kann etwas gegen diese Ungerechtigkeit tun! Und das wiederum kann neue Energie in dir freisetzen.

Wichtig finde ich außerdem, dass du dich nicht als Opfer begreifst und deine Eltern als Täter:innen. Klar, das was sie gesagt haben, ist zweifelsohne niederschmetternd. Doch vermutlich sind sie selbst überfordert, traurig und stecken in Ratlosigkeit fest. Bestimmt haben sie dich trotzdem sehr lieb, können es nur nicht so zeigen oder dir gewinnbringend in gute Taten übermitteln. Es kann dir helfen, nicht das Böse in ihrem Tun zu sehen, sondern es erstmal als geschehen anzuerkennen und dabei zu belassen. Wenn du nämlich sagst: "Ich werde das nie wieder vergessen", schaffst du genau diese Fakten, weil du ihnen Raum dafür gibst und sie sozusagen verdichtest und vergrößerst, bis sie in dir sehr viel Platz einnehmen. Und ja, vermutlich wirst du die Situation nicht an sich vergessen, aber deine Empfindungen dazu können andere werden. Du kannst den Schmerz aktiv bearbeiten und so dafür sorgen, dass er sich abschwächen kann. Das Ganze kann dann immer mehr in den Hintergrund treten und an Bedeutung verlieren. Weil du selbstbestimmt dein Leben führst, ohne ein Spielball äußerer Umstände zu sein. Hierzu kannst du beispielsweise in diesem Beitrag weiterführende Infos und Techniken finden: https://mindhelp.de/macht-der-gedanken/

Es ist schon ein toller Anfang, dass du bald das Erstgespräch hast. Bei Sympathie und wenn feststeht, dass du mit der therapeutischen Person zusammenarbeiten möchtest, kannst du direkt von den aktuellen Beeinträchtigungen durch die negative Denkweise deiner Eltern berichten und so dann ggf. gleich Lösungsmöglichkeiten erarbeiten (sofern das in die therapeutische Gesamtsituation passt).

Ich wünsche dir alles Gute und einen angenehmen Start in die Therapiephase.
Nuala