Problem von Selina - 15 Jahre

Ein Problem nach dem anderen

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

Im Moment stapeln sich bei mir die Probleme und ich weiß einfach keinen Ausweg.

Alles fing vor 1,5 Jahren an. Ich kam von einem Austausch zurück, als mir meine Eltern gesagt haben dass mein Vater sich in seine Arbeitskollegin verliebt hat. Er war sich aber nicht sicher ob er sich scheiden lassen will oder nicht. Von dem Moment an war meine Mutter immer total eifersüchtig, sie ist immer fast ausgetickt wenn Papa auch nur mit einer Kollegin geredet hat. Sie war davor schon eifersüchtig, aber von da an noch viel mehr. Meine Mutter fühlt sich wie eine Belastung, weil sie selber kaum Freunde hat und auch keinen Sport machen kann. Sie hat eine Lungenkrankheit und hatte vor ein paar Jahren einen Unfall seitdem ihr Fuß kaputt ist. Ich weiß dass meine Mutter schon lange Depressionen hat, sie hat viel in ihrem Leben durchgemacht und ich weiß selber nur die Hälfte. Ich wusste aber nicht, dass es so schlimm ist. Ich habe vor ein paar Monaten ein Notizbuch beim Aufräumen gefunden. Ich habe geguckt, was es ist, damit ich weiß was ich damit machen soll. Letztendlich habe ich 2 Tagebucheinträge von ihr gefunden. Ich weiß ich hätte sie nicht lesen sollen, aber ich konnte nicht anders. Ich mache mir jetzt total Sorgen, weil ich herausgefunden habe, dass meine Mutter Suizidgedanken hat. Sie ist in Therapie, aber durch die Situation mit Corona merke ich wie es immer schlimmer wird. Sie weint viel und hat immer wieder Nervenzusammenbrüche. Zusätzlich streitet sie ständig mit meinem Vater und ist eifersüchtig. Dabei hat er sich für sie entschieden und vor 1 Jahr gesagt, dass ihre Ehekrise vorbei ist.

Ich merke auch wie sich ihre Gesundheitsliche Situation immer weiter verschlechtert. Es tauchen immer mehr Probleme auf und es ist fast als würde ich ihr langsam beim Sterben zusehen.

Ich gebe mein bestes um sie zu unterstützen und ihr zu helfen, aber ich weiß nicht was ich machen soll. Letztendlich streiten wir wieder. Mir wird das alles zu viel und ich will einfach wieder mal raus, mich mit meinen Freunden treffen und nicht den ganzen Tag mit meinen Eltern eingesperrt sein. Ich weiß das es meinen Eltern auch so geht. Gerade eben hat meine Mutter einen Nervenzusammenbruch gehabt, weil man sich ab jetzt wohl nurnoch mit 1 festen Person treffen darf. Ich habe einfach keine Kraft mehr sie auch zu stützen. Ich bin doch selbst am Ende meiner Nerven, aber ich kann sie doch nicht im Stich lassen.

Habt ihr eine Idee was ich machen kann?

Lan Anwort von Lan

Liebe Selina,

vielen Dank für deine Nachricht und dass du dich uns anvertraut hast. Bitte entschuldige, dass du so lange auf deine Antwort warten musstest. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät und meine Worte erreichen dich.

Die Nachricht, dass dein Vater sich fremdverliebt hat, muss dich geschockt und überfordert haben, das kann ich mir vorstellen.

Erst einmal muss ich dich wirklich loben. Du bist gerade einmal 15 und bist mit all diesen Problemen konfrontiert, läufst aber nicht davor weg, sondern versuchst, all diese Probleme, die vor allem deine Mutter betreffen lösen. Ich finde es beachtlich und echt toll, dass du dich so für deine Mutter aufopferst, dass du für sie da bist, sie unterstützt und an sie denkst, obwohl du selbst an deine Grenzen gekommen bist. Das ist nicht selbstverständlich. Du bist eine Tochter, die sich vermutlich jede Mutter wünschen würde. Und ich bin mir sicher, auch wenn es deine Mutter vielleicht nicht sagt oder zeigt, sie ist dankbar, dass du für sie da bist und ihr hilfst.

Nun lese ich aber natürlich heraus, dass du jetzt mit all diesen Problemen überfordert bist, am Ende deiner Nerven und Kräfte. Das ist auch absolut verständlich! Ich bin tief betroffen, dass da so viele Probleme bei deiner Mutter sind und du das auch alles miterleben musst. Du leidest da auch sichtlich drunter, schließlich geht es um deine Mutter. So viele Probleme und damit zurecht zu kommen und das auf Dauer kann fertig machen. Vor allem weil du ja selbst noch so jung bist.


Kümmere dich um dich selbst und dass es dir wieder gut geht

Ganz wichtig: Du bist zwar ihre Tochter, aber das macht dich nicht verantwortlich für die Probleme deiner Mutter. Wenn es deiner Mutter schlecht geht, dann bist du nicht schuld. Du kannst leider, auch wenn du es willst, nicht ihre Probleme lösen und bist auch nicht dafür verantwortlich. Auch wenn du gerne mehr helfen willst, was toll ist, aber du merkst selbst: Du bist an deine Grenzen angekommen. Mehr geht nicht, du musst die Reißleine ziehen, um nicht selbst zugrunde zu gehen.

Ich kann klar herauslesen, dass die Probleme deiner Mutter dominieren, die Sorge um sie und ihre gesundheitliche Verfassung. Dass sie auch Suizidgedanken hat, macht es nicht leichter. Es ist verständlich, dass du sie jetzt nicht im Stich lassen willst. Du denkst vermutlich, du musst für sie da sein, wenn du es nicht bist, wer dann? Ich erkenne, dass du deine Mutter und ihre Probleme über dein eigenes Wohlbefinden stellst. Das mag für dich jetzt richtig sein, aber auf Dauer ist es nicht gut, du wirst immer mehr leiden und das will deine Mutter bestimmt nicht.

Ich lese auch heraus, dass du dich verantwortlich für ihre Probleme siehst und ihr unbedingt helfen willst. Du machst dir ganz klar große Sorgen um sie und das belastet dich auch sehr. Du würdest gerne mehr helfen, aber kannst es nicht. Ich kann es mir vorstellen, dass du dein Bestes gibst, du machst das auch richtig toll, keine Frage.

Du sollst wissen: Auch wenn du jetzt für dich Abstand und Pause einforderst, es bedeutet nicht, dass du sie im Stich lässt. Und das kannst du ihr ruhig auch so mitteilen. Sprich bitte mit deiner Mutter darüber, wie du dich mit allem fühlst, dass du dir Sorgen machst, aber auch am Ende deiner Kräfte bist. Dass du raus willst und Abstand brauchst und merkst, dass es deinen Eltern auch so geht. Sage eben aber auch, dass sie dir wichtig ist und du für sie da bist und unbedingt jetzt Kraft tanken musst, damit du wieder voll für sie da sein kannst. Es ist wichtig, dass du deine Grenzen eben aufzeigst und nicht mehr hilfst, als möglich ist. Rede dir nicht ein, dass du sie deswegen im Stich lässt, sondern, dass du eben einfach raus willst und wieder zu Kräften kommen musst, um ihr zu helfen.

Nur so kannst du auch wirklich für deine Mutter da sein. Es bringt weder ihr noch dir etwas, wenn du vollkommen kaputt bist. Das will deine Mutter sicherlich auch nicht und will dich ganz bestimmt nicht leiden sehen.
Es ist absolut in Ordnung, wenn du das deinen Eltern so sensibel wie möglich sagst: "Ich kann gerade nicht mehr, das ist mir zu viel. Ich möchte zwar gern helfen, aber es geht nicht mehr. Ich muss hier raus." Es mag vielleicht deine Mutter im ersten Moment traurig machen, aber sie wird es sicher verstehen, wenn du ihr erklärst, dass du das einfach jetzt brauchst, damit du wieder mehr für sie da sein willst. Mal Abstand zu nehmen, eine Auszeit zu nehmen, das ist absolut notwendig, damit du wieder zu Kräften kommst. Auch wenn deine Mutter große Probleme hat, darf sie nicht blind sein für die Probleme anderer und deine. Du bist genauso wichtig und du solltest auf dein Wohlbefinden achten.

Es ist super, dass du für sie da bist. Aber: Du kannst ihr leider nicht helfen, das können Therapeuten und Psychologen, die entsprechend einen gesunden Abstand zu den Problemen haben und auch das nötige Fachwissen, um zu helfen.

Das, was du jetzt machst, ist schon mehr als genug, vielleicht auch schon zu viel. Mit all den Problemen bist du überfordert, das ist vollkommen normal, du musst dich deswegen nicht schlecht fühlen.


Sich jemandem anvertrauen

Es ist derzeit natürlich schwierig, wirklich rauszukommen, aber es ist möglich. Du kannst dich bestimmt mal mit einer guten Freundin oder einem guten Freund treffen, einfach etwas unternehmen, um wieder auf andere Gedanken zu kommen.

Oder wenn du das Gefühl hast, dass du über deine Probleme reden willst, kannst du dich ihnen auch anvertrauen. Reden kann wirklich helfen, um dich zu entlasten, die ganze Last scheint derzeit nur auf deinen Schultern zu liegen.

Rede unbedingt auch mit deinem Vater darüber und andere Menschen, die davon Bescheid wissen. Es ist wichtig, dass du da nicht alleine all diese Probleme auf deinen Schultern hast. Das entlastet dich aber auch deine Mutter, die sich vielleicht zu sehr auf dich verlässt.


Mit der Mutter sprechen

Ich kann verstehen, dass du dich schlecht fühlst, weil du heimlich ihre Tagebucheinträge gelesen hast. Aber du warst vermutlich auch einfach nur besorgt um deine Mutter. Vielleicht kannst du sie darauf ansprechen und ihr auch sensibel mitteilen, dass du weißt, dass es nicht okay war, aber die Sorge um sie dich dazu veranlasst hat. Es könnte sein, dass sie sauer wird und verletzt ist, weil es wie eine Art Vertrauensbruch ist. Aber sie wird es verstehen und dir verzeihen. Frage sie, ob sie denn darüber reden will, manchmal kann das auch sehr entlastend für sie sein.


Suche dir und deiner Mutter bitte professionelle Hilfe

Es ist für dich eine große Belastung und Herausforderung, emotional für deine Mutter da zu sein. Es könnte sein, das du selbst als Helfer in die psychische Krise kommst. Darum ist es auch super wichtig, dass du dir eigene Helfer und Unterstützer suchst. Ich denke, dass es gut wäre, wenn du dir Rat bei einer Fachperson suchst und dich ihr anvertraust. Mit dieser Person könntest du nach Wegen suchen, besser damit zurecht zu kommen und auch Möglichkeiten, wie man deiner Mutter helfen kann.

Vielleicht könntest du oder auch dein Vater mit deiner Mutter den Sozialpsychiatrischen Dienst besuchen. Diese helfen Menschen in psychischen Krisen und vermitteln weitere Hilfen.

Für dich kann es auch sinnvoll sein, Hilfe über Beratungsstellen der Jugendämter, Erziehungs- und Familienberatungsstellen zu suchen.

Der Beratungsführer online von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e.V. (DAJEB) listet mit einem guten Suchsystem unter www.dajeb.de viele Beratungsangebote auf. Da könntest du auch mal schauen.

Vielleicht reicht auch die Therapie derzeit nicht für deine Mutter aus. Möglicherweise könnte eine psychiatrische Klinik stationäre Hilfe bieten. Unbedingt sollte deine Mutter das mit ihrem Therapeuten besprechen. Denn scheinbar verschlechtert sich ihr Zustand, obwohl sie in Therapie ist und du schreibst selbst, dass es wegen Corona schwierig geworden ist. Der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V. hat eine Übersicht über psychiatrische Hilfen auf der Website zusammengefasst (http://www.psychiatrie.de/bapk/prof-hilfen/wegweiser/).

Vielleicht kannst du auch deiner Mutter, wenn es dir wieder zu viel ist, aber sie jemanden zum reden braucht, aber gerade niemanden hat, die Telefonseelsorge als Möglichkeit aufzeigen. Das könnte dich ebenso entlasten. Unter der bundeseinheitlichen Telefonnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 kann kostenlos angerufen werden. Die Mitarbeiter der Telefonseelsorge hören zu, nehmen Anteil und verweisen bei Bedarf an andere Einrichtungen


Bei akuter Suizidgefahr

Wenn du das Gefühl hast, dass eine akute Suizid-Gefährdung bei deiner Mutter gibt, solltest du unbedingt handeln. Dann gilt es den Notarzt oder die Polizei zu verständigen, wenn deine Mutter nicht mehr über ein Gespräch erreichbar ist. Ich hoffe inständig, dass es nicht so weit kommen wird.


Ich habe dir hier noch einige nützliche Links zusammengestellt, die dir helfen können:

http://frans-hilft.de/fuer-angehoerige-und-freunde/
https://www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention/angehoerige/erste-hilfe-leisten
https://www.lzg-rlp.de/de/rat-fuer-angehoerige-und-freundeskreis.html
https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/suizidgedanken-was-betroffene-und-angehoerige-tun-koennen-a-1286044.html


Ich wünsche dir und deiner Mutter ganz ganz viel Kraft, Hoffnung, Vertrauen und alles Gute, dass ihr das gemeinsam durch diese schwere Zeit schafft.

Wenn du noch etwas auf dem Herzen und Fragen hast, schreib uns doch gerne wieder.

Ganz liebe Grüße,
Lan