Problem von Annika - 23 Jahre

Selbstmord in der Familie

Hallo.
Meine Mutter hat seit einem Jahr einen Freund gehabt mit ihm war sie total glücklich wie nie zuvor. Ich kam auch gut zurecht mit ihm und er war so unfassbar nett und lieb. Allerdings leidet er jahrelang an Depression und ging auch zur Therapie. Wir haben viel mit ihm durchmachen müssen. Er ist auch vor 2 Wochen abgehauen und hatte einen Abschiedsbrief hinterlassen. Er konnte noch gefunden werden und ihm tat alles leid. Er wollte aber nie in eine Klinik obwohl er oft die Chance dazu hatte. Am Dienstag war er dann verschwunden und gestern Bzw. Am Freitag wurde er tot aufgefunden in seiner Garage. Er hat sich erhangen und das Leben genommen. Für meine Mutter bricht eine Welt zusammen. Ich bin auch total überfordert und weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, wie ich das alles verarbeiten soll. Ich sehe ihn immer vor mir hängen.

Lan Anwort von Lan

Liebe Annika,

vielen lieben Dank, dass du dich uns anvertraut hast. Ich bitte um Entschuldigung, dass du so lange auf deine Antwort warten musstest. Ich hoffe, dass dir meine Antwort trotzdem noch helfen kann.

Es tut mir aufrichtig leid, was passiert ist. Mein ganz herzliches Beileid... Das muss schrecklich und ein harter Schock für deine Mutter und auch für dich gewesen sein. Fühlt euch beide von mir ganz stark gedrückt. Es ist nur absolut verständlich, dass deine Mutter sehr stark darunter leidet, schließlich hat sie ihren Freund sehr geliebt und war sehr glücklich mit ihm. Dass er plötzlich nicht mehr bei ihr ist und auch nie wieder zurückkommt. Das muss ein unfassbar großer Schmerz für sie sein, mit dem sie gerade zu kämpfen hat.

Und auch du hast jetzt viel zu leiden, weil du mit der Situation nicht zurecht kommst. Auch absolut verständlich, der Verlust einer wichtigen Person in der Familie ist schwer zu bewältigen und stellt das ganze Leben auf den Kopf. Mache dich bitte nicht fertig oder schlecht, weil du nicht damit umzugehen weißt. Das ist nur nachvollziehbar, so würde es jedem in deiner Situation gehen. Das ist eben eine ganz besondere Situation. Und dass du das nur schwer verarbeiten kannst beziehungsweise nicht weißt wie, ist auch verständlich.

Wenn ein Familienmitglied Suizid begeht, hinterlässt das bei Angehörigen immer schmerzhafte Gefühle. Das Leben wird nie mehr wie vorher sein. Angehörige sind nicht nur mit Trauer und Schmerz konfrontiert, sondern auch vielleicht mit Wut oder Schuldgefühlen, wie in eurem Fall. Es gab Anzeichen mit dem Abschiedsbrief. Vielleicht fragt ihr euch selbst, was ihr hättet tun können, um den Suizid zu verhindern.
Vielleicht fragt ihr euch, wie das passieren konnte.


Verlust durch Suizid

Im Gegensatz zu anderen Toden seid ihr vermutlich mit ganz widersprüchlichen Gefühle konfrontiert. Unverständnis, Schock oder Wut überschatten vielleicht den Verlust. Und vielleicht kommen auch Schuldgefühle hoch.

Man muss bedenken, dass es sich nicht um einen "normalen Sterbefall" handelt. Es kam unvermittelt, ihr habt davor bereits viel zu kämpfen gehabt und wolltet ihm ja helfen. Vielleicht plagt euch beide noch ein schlechtes Gewissen, Reue, weil ihr dachtet, ihr könntet ihn retten. Aber bitte fühlt euch für seinen Tod nicht verantwortlich. Er hatte es in der Hand, er hätte sich Hilfe suchen und in die Klinik gehen können. Natürlich ist das schwer zu verkraften, vielleicht fühlt ihr euch gerade einfach nur hilf- und machtlos, weil wir nichts dagegen tun konntet.


Ihr dürft trauern

Ihr habt beide einen schmerzhaften Verlust zu verarbeiten. Es ist absolut in Ordnung, wenn ihr euch jetzt viel Zeit nehmt, um euch mit diesem auseinanderzusetzen. Ihr dürft und sollt trauern. Und jeder hat seine Art, zu trauern. Redet bitte unbedingt über eure Gefühle. Das ist zwar schmerzhaft, aber unvermeidlich, um den Verlust zu verarbeiten.

Vielleicht hilft es euch auch, einen Brief an ihn zu schreiben, indem ihr eure Gefühle ausdrücken könnt. Schaut beide, wie ihr einen Weg findet, euch von ihm zu verabschieden und loslassen zu können. Es ist in Ordnung, wenn ihr viel Zeit braucht, um den Verlust zu überwinden. . Da gibt es kein Richtig oder Falsch. Entscheidend ist nur, dass wenn ihr merkt, dass ihr mit dem Leben und dem Verlust nicht mehr allein zurechtkommt, euch unbedingt Hilfe sucht. Trauern ist vollkommen individuell, manchmal kann es Wochen, Monate oder gar Jahre dauern. Doch es wird mit der Zeit besser. So abgedroschen es klingt, es ist wahr, die Zeit heilt viele Wunden, vielleicht nicht komplett, aber es wird einfacher

Du schreibst, er hat auch einen Abschiedsbrief hinterlassen. Vielleicht könnt ihr diesen wieder zur Hand nehmen, ihn durchlesen, auf euch wirken lassen und in dem Brief auch Antworten auf offene Fragen finden. Es kann euch helfen, sich damit zu beschäftigen und um den Verlust zu verarbeiten.


Mit Gefühlen auseinandersetzen

Ganz wichtig: Egal, welche Gefühle ihr habt, Verzweiflung, Angst, Wut, Einsamkeit, Schuldgefühle oder Hilflosigkeit. Nehmt diese Gefühle wahr, sie haben ihre Berechtigung, Unterdrückt sie nicht. Diese Gefühle mögen eine Zeit lang da sein und euch belasten. Aber sie werden mit der Zeit schwächer. Wenn ihr wollt, legt euch ein Tagebuch zu und schreibt dort alles, was euch gerade beschäftigt, vertraut ihm eure Gedanken und Gefühle an.

Und denkt bitte daran: Trauern ist etwas sehr individuelles. Jeder hat seine Art zu trauern, das lässt sich nicht vergleichen. Wenn ihr also ganz unterschiedliche Gefühle gerade erlebt, ist das eure persönliche Art und Weise, damit umzugehen. Die kann euch keiner nehmen, sie gehört zu euch.

Vielleicht gebt ihr euch auch selbst die Schuld an seinem Tod oder fragt euch, was ihr hättet tun können, um den Suizid zu verhindern. Doch ich denke, dass ihr euch nicht zu viel Verantwortung aufbürden solltet. Der Freund deiner Mutter war erwachsen und schon länger in Behandlung. Er hat sich aber nicht weiter helfen lassen. Es war seine Entscheidung.

Es ist hart zu verstehen, dass ein so wichtiger Mensch einfach so geht, obwohl er doch eigentlich geliebt wird und eine so liebevolle Familie hat. Aber ihr dürft euch das nicht zu Herzen nehmen, nicht die Schuld bei euch suchen. Manchmal reicht selbst die tollste Familie und die größte Liebe nicht aus, um das zu verhindern. So schmerzhaft es ist. Immer dann wenn die seelischen Belastungen doch weitaus schwerer wiegen. Und dann müssen wir leider akzeptieren, dass es Dinge gibt, die wir nicht beeinflussen können. Auch wenn wir uns ohnmächtig fühlen und uns das sehr belastet, wir müssen das akzeptieren und loslassen.


Mit anderen darüber sprechen

Ich weiß nicht, inwiefern ihr beide mal darüber gesprochen habt. Vermutlich wird es sehr sehr weh tun und deine Mutter wird immer wieder in Tränen ausbrechen. Das kann alles sein. Ich weiß nicht, wie sie das verarbeitet und damit umgeht und wie schnell sie wieder auf die Beine kommt.

Sprecht mit anderen Freunden oder Menschen, denen ihr vertrauen könnt. Das kann euch Entlastung geben, auch wenn der Verlust immer noch hart ist.

Was ich für wichtig erachte, wenn es euch beiden zu viel wird: Sucht euch unbedingt psychologische Betreuung. Ihr seid auch nicht allein und es ist mehr als verständlich, wenn ihr euch an einen Psychologen oder Therapeuten wendet, um das zu verarbeiten.


Achtet auf eure Gesundheit

Versucht, trotzdem auf eure eigene körperliche und mentale Gesundheit zu achten. Achtet auf euren Körper, kümmert euch trotzdem gut um euch und tut euch auch etwas Gutes. Auch wenn es schwer fällt, versucht auch mal rauszukommen, bleibt in Bewegung und versucht auch Dingen nachzugehen, die euch mal Freude bereitet habt.

Vielleicht braucht ihr jetzt besonders viel Ruhe und Zeit für euch, um alles zu bewältigen. Andere Menschen brauchen vielleicht mehr Bewegung oder Sport. Wie andere wollen möglichst in ein "normales Leben" zurück und finden am Arbeitsplatz Hilfe. Das müsst ihr beiden selbst ausprobieren und herausfinden, was für euch am besten ist. Jeder hat seinen individuellen Weg, aus dieser schweren Lebenskrise herauszufinden.


Trauerbewältigungsgruppen

Vielleicht kann es euch auch helfen, eine Trauerbewältigungsgruppe aufzusuchen. In dieser treffen Menschen aufeinander, die allesamt wichtige Menschen in ihrem Leben durch Suizid verloren haben. Dort könnt ihr in einem geschützten Rahmen über eure Trauer sprechen und auch erleben, wie andere mit Verlusten umgehen. Natürlich ist jeder Verlust anders, sehr individuell und die Art darüber zu trauern. Aber vielleicht kann es das helfen, Verständnis zu finden, bei Menschen denen es ähnlich geht. Gemeinsam könnt ihr euch Kraft und Trost spenden, um diese harte Zeit zu überstehen. Die Adresse einer Selbsthilfegruppe in eurer Nähe könnt ihr bei Nakos erfragen. Auch eine Selbsthilfegruppe für Angehörige nach einem Suizid könnte ähnlich hilfreich sein.


Weitere Hilfsangebote

Vielleicht könnt ihr beide auch eine Beratungsstelle für Suizidbetroffene in eurer Nähe aufsuchen. Diese richtet sich an Personen, welche durch Suizide einer nahestehenden Person betroffen sind.

Ihr könnt euch auch direkt an den Sozialpsychiatrischen Dienst wenden. Dieser bietet auch persönliche Unterstützung bei psychischen Schwierigkeiten an.

Weiterhin gibt es vielleicht auch bei euch einen Krisendienst, der schnell bei akuten psychischen Krisen und Nothelfen kann. Dieser ist rund um die Uhr erreichbar.

Ihr könnt euch auch an euren Hausarzt wenden und dieser könnte euch an einen Psychotherapeuten oder Psychiater überweisen, falls ihr mit dem Verlust nicht zurecht kommen solltet.

Außerdem empfehle ich dir als Akut-Ratgeber die Nummer gegen Kummer (116 111 oder unter https://www.nummergegenkummer.de/und die Telefonseelsorge (0800.1110111 oder 0800.110222 oder unter der Webseite https://www.telefonseelsorge.de). Gerne kannst du dich aber jederzeit auch an uns wenden und uns schreiben.

Mehr Hilfsangebote findet ihr auf dieser Webseite:
https://www.hilfe-nach-suizid.de/hilfsangebote

Ihr seht, ihr seid nicht allein damit und müsst auch nicht allein durch diesen schweren Trauerprozess durch. Es wird immer Menschen geben, die euch helfen können, wenn ihr Hilfe braucht.


Hier habe ich dir einige Links zusammengestellt, die euch weitere Anregungen geben können:
https://www.palverlag.de/selbstmord-angehoeriger.html
https://www.familienhandbuch.de/familie-leben/schwierige-zeiten/tod-trauer/wenneinsuizidinderfamiliegeschieht.php
https://www.agus-selbsthilfe.de
https://chrispaul.de/trauerinstitut/
https://chrispaul.de/trauerinstitut/
https://koeln.efl-beratung.de/fileadmin/koeln/infothek/fachartikel/Was_beginnt__wenn_jemand_sein_Leben_beendet.pdf


Ich hoffe, dass ich euch mit meiner Antwort weiterhelfen kann. Ich wünsche euch beiden wirklich alles Gute, ganz ganz viel Kraft, Hoffnung, Trost. Ihr beide könnt es gemeinsam durch diese schwere Zeit schaffen. Schreibt uns gerne jederzeit, wenn euch etwas auf dem Herzen liegt und ihr Fragen habt.

Viele liebe Grüße,
Lan