Problem von Anonym - 18 Jahre

Einfach nur Angst und Zweifel? Oder ein ernsthaftes Problem?

Hallo,
mir fällt es total schwer, mein Problem in Worte zu fassen, aber ich versuche es einfach mal.
Ich hatte eine ähnliche Phase mal vor ein paar Monaten für ein paar Monate, nachdem es für eine gewisse Zeit abgeklungen ist und es mir relativ gut ging, ist vieles jetzt seit ein paar Wochen wieder da.
Ich bin generell ein sehr zweifelnder Mensch mit oft wenig Selbstbewusstsein, habe nicht das Gefühl irgendwo hinzugehören, bin introvertiert etc.
Das ist das eine, aber ich bin seit ein paar Wochen ziemlich energielos. Ich bin gerade in der Phase vor dem Abi und Schule ist mir eigentlich ziemlich wichtig, doch in letzter Zeit prokrastiniere ich mehr und mehr und mir wird vieles einfach egal. Ich bin generell kein Mensch der sehr viel redet, aber ich habe in letzter Zeit oft gar nicht mehr die Lust/ Kraft, auch mit meinen guten Freunden viel zu reden.
Außerdem bin ich öfters einfach ohne Grund traurig, weine viel, vor allem abends. Wenn ich müder werde, überkommt mich oft eine generelle unbegründete Grundtraurigkeit, die ich bis zum Einschlafen nicht abschütteln kann und mich in meinen negativen Gedanken verliere. Fast als wollte ich traurig sein.
Mein Gefühlszustand ist im Moment sehr geprägt von Angst, vor allem Zukunftsangst, ich mache schließlich bald Abi und freue mich eigentlich gar nicht auf die Zeit danach, denn ich habe nicht das Gefühl, ich bin angemessen erwachsen. Oft bekomme ich durch diese Angst ein merkwürdiges Gefühl im Hals, so als wäre ich aufgeregt, was total einengend ist.
Ich habe Freunde, mit denen ich über sowas reden kann, allerdings ist das in der aktuellen Coronasituation nicht mehr so einfach.
Aber es gibt auch echt manchmal gute Tage! Da bin ich dann relativ glücklich.
Oder ich fühle total wenig. Ich schreibe diesen Text gerade nach einem sehr negativen Tag gestern und kann das alles auf einmal gar nicht mehr richtig nachempfinden, so als hätte ich keinen Zugang mehr zu meinen Gefühlen. Manchmal ist dann für ein, zwei Tage alles sehr monoton und ich lebe einfach nur vor mich hin.
Wahrscheinlich muss ich was ändern und das will ich ja auch irgendwie. Aber der Gedanke daran überfordert mich total. Ich weiß nicht, ob das verständlich ist, aber ich sehe oft mein ganzes Leben vor mir: Nächste Woche wichtige Klausur, dann bald Ferien, allerdings muss ich dann schon anfangen zu lernen, dann beginnt die stressige Abizeit und dann bin ich auf mich alleine gestellt, vielleicht ohne das richtige Zuhausegefühl, das für mich (ich wohne bei meinen Eltern, ich muss mich also längst nicht um alles kümmern und brauche eigentlich diesen SafeSpace) und so weiter und so fort. Das stapelt sich alles vor meinen Augen übereinander und ich sehe dass ich nie wieder ne Pause bekomme.
Dann hab ich das Bedürfnis, einfach nicht mit meinen Problemen konfrontiert werden zu müssen und einfach nur ganz lange zu schlafen und erst in ein paar Jahren wieder aufzuwachen. (Das mag total albern klingen, aber das ist wirklich, was ich denke. Also ich habe keine Suizidgedanken, so soll das nicht klingen)
Ich weiß meine Gefühle sind sehr durcheinander und zerstreut. Ich hab keine Ahnung, ob das tatsächlich etwas ernsteres ist oder nur typischer Teenagerkram, bei dem ich mich einfach mal zusammenreißen sollte und sehen sollte, was für ein gutes Leben ich doch eigentlich habe. Denn wie man sieht, bin ich im Kämpfen und Durchbeißen nicht besonders gut.
Falls das hier jemand liest, ich würde mich sehr über eine Antwort freuen, vielen Dank!

Anwort von CharlotteK

Liebe Schreiberin,

habe vielen Dank für Deinen Text und Dein Vertrauen.

Du beschreibst Dich als zweifelnden Menschen mit oftmals wenig Selbstvertrauen, der nicht das Gefühl hat irgendwo hinzugehören und introvertiert ist.
Seit einigen Wochen fühlst Du Dich ziemlich energielos. Du bist in der Vorabi-Phase und, obwohl Dir die Schule eigentlich ziemlich wichtig ist, prokrastinierst Du mehr und mehr. Dir scheint vieles dann egal zu werden und Dir fehlt dann selbst die Lust und Kraft mit Deinen guten Freunden zu reden.
Dazu kommt, dass Du öfters ohne Grund traurig zu sein scheinst und vor allem abends viel weinst. Du beschreibst, dass das auch mit Deiner Müdigkeit zusammenzuhängen scheint und Du Dich in negativen Gedanken verlierst.
Dazu kommt eine diffuse Zukunftsangst (sehr verständlich!), weil Du bald mit der Schule fertig bist.
Nun beschreibst Du aber auch gute Tage, an denen Du recht glücklich bist - oder Tage, an denen Du wenig fühlst. Du scheinst dann den Zugang zu Deinen Gefühlen zu verlieren, kurze Zeit sind die Tage monoton und Du lebst vor Dich hin.

Du schreibst, dass Du wahrscheinlich etwas ändern musst und das auch auf irgendeine Art und Weise willst. Aber der Gedanke daran scheint Dich zu überfordern. Alle möglichen Dinge, die Du zu tun hast, stapeln sich vor Dir und scheinen unfassbar viel zu sein in dem Augenblick und Du hast das Gefühl nie wieder eine Pause zu bekommen. Bei solch einer Gefühlslage, die Du da beschreibst, ist es nur verständlich, dass da bei Dir das Bedürfnis entsteht, "einfach nur ganz lange zu schlafen und erst in ein paar Jahren wieder aufzuwachen".

Du machst Dir Gedanken, ob es sich um etwas ernsteres oder "typischen Teenagerkram" handelt. Dazu möchte ich Dir gleich schreiben, dass Du Dich nicht "einfach mal zusammenreißen" solltest. Deine Gefühle in all ihren Facetten von Traurigkeit, Gleichgültigkeit, Überforderung und Angst sind da. Und Du solltest sie ernstnehmen. Ob Dein Problem nun eine solche Dimension und Ausprägung hat, dass Du professionelle Hilfe brauchst (dazu später mehr), kann ich aus der Ferne nicht beurteilen. Aber es ist erstmal gut, dass Du alles so wahrgenommen hast. Beobachte Dich weiter. Tu so, als wärst Du Beobachterin von einem interssanten Objekt - Dir selbst - und werte dabei nicht, sondern schau Dir Deine Gefühle erstmal weiter an. Vielleicht kannst Du sie Dir ja auch aufschreiben (z. B. in einen Kalendar oder Tagebuch). So würdest Du auf Dauer sehen, welche Tage und Gefühle wie und auch wann überhand nehmen. Es ist toll, dass Du Dich bereits soweit beobachtet hast, dass Du erkannt hast, dass Deine abendliche Traurigkeit mit der Müdigkeit zusammenhängt. Diese Erkenntnisse kannst Du nutzen! Wie wäre es also hier z. B. früher ins Bett zu gehen oder auf mehr Schlaf zu achten, sodass die Müdigkeit nicht so sehr hochsteigen kann?

Nun möchte ich noch auf die Themen Abistress und Zukunftsangst eingehen. Zunächst einmal finde ich es immens, was Schüler*innen für ihr Abi leisten müssen. Und ich selbst habe diese Zeit auch als eine der anstrengendsten in meinem Leben in Erinnerung. Von allen Fächern wird man überladen mit Hausaufgaben, Klausurterminen und Materialien. Es scheint so viel zu sein, dass man gar nicht alles gut machen kann. Vielleicht liegt auch genau darin erstmal der Punkt für Dich: Sieh Dir nicht den ganzen Berg an, denn der ist schwer zu schaffen. Sieh Dir erstmal die Dinge an, die Dich interessieren, Deine Lieblingsfächer oder Aspekte Deiner Lieblingsfächer. Und dann die Sachen, die Du machen musst. Und ich möchte Dir einen Tipp mitgeben: Habe Mut zur Lücke. Mach nicht alles, denn das kann auch einfach zu viel sein. Es ist in Ordnung, wenn Du nicht alles schaffst. Denn wichtiger bist Du. Und das Abitur kannst Du auch schaffen, wenn nicht alles immer gemacht wird.
Und genauso wie ich das mit dem Abistress nur zu gut nachvollziehen kann, kann ich auch Deine diffuse Zukunftsangst gut verstehen. Es ist einfach eine Zeit des Umbruchs, die da auf Dich zukommen wird und es ist noch offen, wie sich der Umbruch gestaltet. Mich würde interessieren, wieso Du das Gefühl hast nicht angemessen erwachsen zu sein? Was müsstest Du denn Deiner Meinung nach sein nach dem Abi oder um angemessen erwachsen (dafür) zu sein?
Es klingt in Deinem Text durch, als ob Du keine Pläne und Visionen für die Zeit danach hättest. Vielleicht könntest Du Dir welche basteln, als Anreiz. Wenn es Dir in Deinem momentanen Zustand schwer fällt, könntest Du Dir überlegen, was früher Deine Träume waren. Vielleicht gilt ja einiges davon jetzt noch? Ein paar Fragen als Anreiz: Was möchtest Du mal arbeiten? Wo möchtest Du nach dem Abi wohnen? Was möchtest Du direkt nach dem Abi machen? Brauchst Du erstmal eine Auszeit? Aber auch: Wer ist Dir wichtig? Welche Freundschaften möchtest Du weiter pflegen? Welche Tätigkeiten/Hobbys möchtest Du verfolgen?

Solltest Du auf Dauer merken, dass Dir alles über den Kopf wächst und Du nicht mehr kannst oder willst und da nicht mehr rauskommst: Such Dir professionelle Hilfe. Es gibt verschiedene Angebote von längeren Therapien bis zu kürzeren Beratungen, welche in der Regel entweder von der Krankenkasse übernommen werden. Solltest Du also nicht mehr weiter wissen: Scheue Dich nicht diesen Weg zu gehen, er ist ein super Angebot! (Und da ist es auch egal, wie "ernst" Dein Problem objektiv betrachtet ist. Hauptsache Du ersehnst eine Veränderung.)
Hier schicke ich Dir einen nützlichen Link zu dem Thema Psychotherapie: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/behandlung/psychotherapeutische-behandlung
Auch sonst kannst Du die Seite gut zum Nachlesen rund um das Thema Despression nehmen, sollte Dich das Thema beschäftigen. Recherchiere doch auch mal zum Thema "Grübeln" oder "Grübelspirale", wenn Du magst. Da kannst Du einige Tipps finden, wie Du Dein Denken neu gestalten kannst.

Nun wünsche ich Dir erstmal allen Erfolg für Deine Klausuren, die noch anstehen. Und vor allem viel Kraft. Sei gut zu Dir selbst und mache Dir nicht fertig, auch wenn Du weniger schaffst, als Du möchtest.

Sei lieb gegrüßt und melde Dich gerne wieder, falls Dich etwas bewegt oder Du noch Nachfragen hast.

Charlotte