Problem von Anonym - 21 Jahre

Tiefe Trauer

Hallo liebes Kummerkasten Team,

erst einmal möchte ich euch sagen, wie dankbar ich dafür bin, dass es so etwas gibt.
Kommen wir zu meinem Problem.

Ich bin wirklich sehr verletzt. Jetzt gerade spüre ich es deutlich. Ich bin am zittern, habe geweint und mein Körper tut weh. (nichts körperliches) Ich habe keine Kraft mehr. Niedergeschlagen könnte man sagen. Ich habe in meiner Vergangenheit viele blöde dinge erlebt, aber es schon so gut es ging verarbeitet. Es gibt eine Sache die in mir so eine dolle wunde hinterlassen hat und ich habe das Gefühl, dass es niemals heilen wird. Meine Mutter hat mich und meine Geschwister seitdem ich denken kann verletzt. Sie hat uns geschlagen, getreten, verbrannt, unsere Sachen kaputt gemacht wir durften nicht raus usw. Es war schlimm. Ich wohne seit Jahren nicht mehr bei Ihr und habe wie schon gesagt viel daran gearbeitet. Ich habe viel verarbeitet aber mir fällt auf, dass ich einfach so doll verletzt bin immer noch. Ich weiß nicht was ich tun soll. Ich habe mein eigenes Leben aufgebaut, habe ein Haustier, meine eigene Wohnung und bin mittlerweile am studieren. Mein Problem dacht sich darin bemerkbar, dass ich diese wunde immer versuche zu heilen.. Meine Professorin und ich haben ein gutes Verhältnis. Ich hatte letztens eine Panikattacke und Sie war da für mich. Seitdem reden wir öfters und ich muss sagen, dass es so gut tut. Sie wird uns aber bald erlassen, da Sie schwanger ist. Ich bin sehr traurig darüber. Denn ich habe das roblem, dass wenn sich jemand u mich kümmert ich direkt so dankbar dafür bin und eine emotionale verbindung aufbaue, obwohl ich das nict will aber mein Wunsch nach Familie, vorallem einer Mutter mit der ich über alles reden und mich fallen lassen kann ohne das was passiert. Meine Mutter hat mich damals so gebrochen. Ich bin so traurig darüber und wie gesagt, sobald sich mit jemanden spreche und diese Person sich um mich kümmert habe ich so den Wunsch danach das es meine Mutter wäre ( das Problem habe ich nur bei Frauen, bzw Müttern) Ich hatte es auch bei meiner ehemaligen Lhererin. Sie hat sich in der Schulzeit noch um mich gekümmert, weil sie im Sport meinen verbannten rücken gesehen hat. Wir haben gesprochen und sie war immer da für mich und hat mich auch mal umarmt etc. Das tat so so so so gut. und als ich meinen Abschluss gemacht habe wusste ich das ich sie nicht mehr sehen werde und das tat so weh weil sich das anfühlt als würde ich meine Mutter verlieren... Es tut jedes mal so weh. Vor allem weil diese Menschen nicht für mich zuständig sind aber ich direkt darein falle und eine emotionale Bindung aufbaue und mein herz denkt endlich habe ich eine Mutter.. ich will das nicht, denn im Endeffekt leide ich nur wieder darunter Ich bin mittlerweile 21 Jahre alt und das geht einfach nicht weg. Alles konnte ich verarbeiten, aber das nicht. das geht nicht weg. was kann ich denn machen?

Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen..
Liebe Grüße

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Unbekannte,

ich möchte dir mein tiefes Mitgefühl und meinen großen Respekt aussprechen. Deine Geschichte kann anderen Betroffenen Mut machen und ihnen zeigen, dass nicht alles verloren und verbaut ist, weil die Kindheit furchtbar gewesen ist. Du bist wie ein Phönix, der aus der Asche aufsteigt! Bitte glaube weiter an dich und an alles, was dir etwas bedeutet.

Stichwort Vergangenheit: Das bringt mich gleich zu einer ersten kleinen "Übung" für dich: Versuche, möglichst oft in der Gegenwart zu verweilen, anstatt in Gedanken in die Vergangenheit abzugleiten. Wir neigen dazu, zu wenig im Hier und Jetzt zu sein und mehr im Vergangenen oder im Zukünftigen zu sein. Das Leben findet aber nicht in der Vergangenheit und nicht in der Zukunft statt. Sondern genau jetzt!
Daran angeschlossen kannst du probieren, die aktuellen Emotionen kommen und bei dir sein zu lassen. Mit Akzeptanz und einer neugierigen Betrachtung. Als würdest du einen vorbeiflatternden Schmetterling näher ansehen und ihn begrüßen.

Einerseits gebe ich dir Recht: Wir können sehr viel schaffen, wir heilen uns letztlich selbst. Das ist auch in einer Therapie nicht anders.
Aber: Von allein kommt man leider nicht auf alles, was den Kern der Sache trifft bzw. kennt einfach viele nützliche Kniffe und Werkzeuge nicht. Selbst wenn du dir vieles anliest: Bei sehr schwerwiegenden psychischen Themen ist eine behutsame Begleitung mit einer entsprechenden Heranführung zur richtigen Zeit das Mittel der Wahl. Du hast zum Beispiel Panikattacken, da finde ich es echt wichtig, sich in Profi-Hände zu begeben.

Ich möchte dennoch zuerst auf das sich-selbst-Helfen eingehen, weil es die Basis für alles bildet.
Das, was du an Halt suchst, ist in erster Linie in dir selbst angelegt. Wir sind zwar ständig geneigt, bei anderen Menschen Aufmerksamkeit, Liebe und Geborgenheit zu suchen. Was ja wegen unserer sozialen Veranlagung auch normal ist. Doch es ist alles schon in uns. Wir brauchen uns nicht über ein Gefühl von Leere, Trauer und anderen niederschmetternden Empfindungen wundern, wenn wir zwar permanent mit unserer Aufmerksamkeit bei anderen Personen sind, aber nicht bei uns verweilen und uns auf _konstruktive_ Weise mit uns beschäftigen.
Das müssen wir neu erlernen. Wir müssen lernen, in uns selbst den Tempel zu sehen, der uns schützt, Ruhe und Energie spendet.
Streichle dich einmal behutsam selbst. Das ist auch schön! Sage dir ein nettes Wort. Gib dir einen liebevollen Blick im Spiegel. - Ja, das kann sehr ungewohnt sein. Und es ist auch ohne so eine extreme Gewalterfahrung wie bei dir für sehr viele Menschen schwierig. Doch letztlich führt nichts daran vorbei: Die Liebe und Nähe, die wir uns vom Umfeld erhoffen, müssen wir uns immer erst selbst zuteil werden lassen. Zum Glück kann man das alles schrittweise erlernen. Das ist unter anderem ein wiederkehrendes Element in der Psychotherapie.

Du verspürst eine tiefe Dankbarkeit - wunderbar! Das hat eine sehr große Kraft in sich. Du kannst dir angewöhnen, für all das, was dir etwas bringt, was dich erfreut, was dich belebt, dankbar zu sein. Und letztlich kann das alles sein. Wirklich alles. Es gibt sogar Menschen, die nach einer langen therapeutischen Begleitung so fest bei sich sind, dass sie sagen: Ich bin sogar dankbar für all das Schlimme, was mir widerfahren ist. Denn sonst wäre ich nicht die Person, die ich jetzt bin. Ich bin daran gewachsen. Es hat mich nicht vernichtet. Es hat mich stärker gemacht.
Natürlich ist das _eine_ mögliche Perspektive. Es ist auch schon viel geholfen, wenn man die Vergangenheit ruhen lassen kann und sie nicht mehr (dauernd) in der Gegenwart spürt.

Du vieles allein versucht. Ich kann nicht einschätzen, ob dir wirklich so viel an Heilung gelungen ist, wie du es beschreibst. Allerdings weiß ich, dass man sich da auch viel vormachen kann. Es sind Erfolge, dass du beispielsweise studieren kannst! Keine Frage. Deine Psyche ist aber derart geschunden, dass du sie nicht durch alleinige "Intervention" heilen können wirst. Das ist zumindest meine Einschätzung. Denn bei einer solchen Vergangenheit und solchen Folgebeschwerden "dokterst" du eher an der Oberfläche herum, ohne die Kraft freisetzenden Gespräche und Techniken mit einer professionell arbeitenden Person zu haben. Ohne eine lang anhaltende Psychotherapie wirst du sehr wahrscheinlich niemals alles aufarbeiten können. Das hat mehrere Gründe. Ich denke, du weißt das eigentlich auch bzw. kannst es dir denken. Also: Ran an den Speck! Suche dir bitte einen Therapieplatz. Das kannst du dir deinen Hausarzt/deine Hausärztin in die Wege leiten. Heilpraktiker:innen für Psychotherapie haben eher freie Plätze. Des weiteren kann auch ein Aufenthalt in einer Psychiatrie das Richtige sein! Vor allem dann, wenn du bezüglich deiner Panik schwer Land findest.

Außerdem wäre es toll, wenn du dich möglichst vielen Gruppen anschließen würdest, die dich in deiner Weiterentwicklung und deinem Heilungsprozess unterstützen. Das können Selbsthilfegruppen und Gesprächskreise sein. Vorübergehend online, später dann mit Offline-Treffen.
Hier zählen auch Foren, Social Media- Gruppen usw. mit hinein. Ein für dich interessantes Forum kann dieses sein: https://www.forum.angst-und-panik.de/
Du kannst dir aber zu deinen größten Hobbys und Interessen Foren und Gruppen suchen. Ich bin optimistisch, dass es 2021 auch wieder mehr Möglichkeiten geben wird, Menschen vor Ort zu treffen. Und ein Teil einer Gemeinschaft, einer Gruppe zu sein, bietet psychologisch gesehen viele Vorteile.

Ich glaube, was dir noch sehr, sehr gut tun würde, wären intensive freundschaftliche Beziehungen - und Partner:innen, mit denen du eine geschützte Liebesbeziehung beginnen könntest. Damit meine ich nicht, dass du dir diese jetzt auf Krampf suchen solltest oder dass diese nicht schon um dich herum sind. Sondern, dass es vermutlich schon helfen würde, deinen Hang, dich an Personen wie Lehrerin, Professorin, etc. zu halten, verringern könnte. Innige Freund:innenschaften entlasten an diesem Punkt. Du kannst dir Belastendes von der Seele reden, dich austauschen, andere Blickwinkel gewinnen. Du kannst durch gemeinsame Interessen Spaß und Erfüllung finden. Auch das ist sehr tragend!
Die Zuversicht, stets die zu deiner Situation passenden Menschen zu treffen, kannst du größer und größer werden lassen. Denn das hat schon ein paar Mal bei dir funktioniert :)
Ich habe ja schon Gruppen & Gemeinschaften angesprochen. Vielleicht hast du ja Lust auf einen bestimmten Verein, vielleicht sogar auf ein Ehrenamt. Über solche Wege findet man eher Gleichgesinnte und Leute, mit denen sich nach und nach Freund:innenschaften aufbauen lassen.

Die Kombination aus
* Selbstliebe, Freundinnenschaft mit dir selbst
* Psychotherapie bzw. Psychiatrie (ggf. Tagesklinik)
* die "richtigen" Beziehungen
zusammen mit Geduld, Nachsicht und gesetzten Zielen würde dich bestimmt dahin bringen, wo du ein deutlich entspannteres, glücklicheres Leben führen könntest.

Lies bitte noch die Zuschriften, die ich für eine sinnvolle Ergänzung halte. Wir sind in einigen Antworten sehr ausführlich auf bestimmte Themen eingegangen, was dir hoffentlich dienlich ist. Ich hab in letzter Zeit auch viel beantwortet, schau da auch gerne rein.
- https://mein-kummerkasten.de/310503/mutterkomplex-dana-kannst-du-mir-antworten.html
- https://mein-kummerkasten.de/275331/http-mein-kummerkasten-de-274373-Hoffnungslosigkeit-und-Suizidgedanken-html-Die-Hilfe-Community-fuer-alle-deine-Fragen-und-Probleme-http-mein-kummerkasten-de.html
- https://mein-kummerkasten.de/322433/Ich-will-meine-Familie-nicht-mehr-sehen-bin-ich-deswegen-kalt.html
- https://mein-kummerkasten.de/332300/Depression-im-Studium-Mutter-hasst-mich-Emotionale-Misshandlung.html
- https://mein-kummerkasten.de/320613/Meine-Psyche-ist-am-Popo.html


Ich wünsche dir alles Liebe und Gute,
Nuala