Problem von Anni - 18 Jahre

Schlimme Erfahrung bei Frauenärztin

Liebes Kummerkasten-Team,

es ist zwar länger her, aber lässt mich nicht los, weshalb ich mich an Euch wende.
Im Sommer wurde ich notfallmäßig ins Krankenhaus eingeliefert aufgrund von starken Darmkrämpfen, wie sich später erst herausstellte.
Daher wurde ich zuvor gynäkologisch untersucht, weil angenommen worden war, die Gebärmutter sei schuld.
Leider war die Gynäkologin sehr unempathisch, gab nicht einmal eine Erklärung und schob mir einfach ein riesiges Spekulum "unten rein", was sehr schmerzhaft war, auch, weil ich noch Jungfrau bin und noch nie solch eine Erfahrung gemacht hatte.
Als ich schreiend und weinend um einen sofortigen Abbruch bat, schob die Ärztin es einfach weiter und patzte mich an, ich solle mich nicht anstellen.

Die Tage darauf nach der Entlassung vertraute ich mich meinen Eltern an, die den Vorfall aber als "Egal, jetzt ist es halt passiert" abtaten.
In den nächsten zwei Wochen hatte ich immer wieder Albträume von jener Untersuchung, schlief mit zusammengepressten Beinen ein und wachte ständig schweißgebadet auf, was meine Eltern nicht nachvollziehen konnten.
Nun, etwa sechs Monate später, habe ich zwar keine Albträume mehr, kann aber an die Situation leicht erinnert werden.
Als vor der Schulschließung eine Mitschülerin zufällig von einem Frauenarztbesuch gesprochen hatte, kam alles hoch und ich brach in Tränen aus, obwohl dies eigentlich völlig irrational ist, weil mir passiert ja nichts mehr.

Daher möchte ich das Ganze endlich loswerden, nur ich weiß nicht so recht wie. Eine Freundin habe ich im Moment nicht, nur männliche Freunde, mit denen ich über so eine Erfahrung natürlich nicht sprechen möchte.
Vielleicht habt Ihr ein paar Tipps.

Liebe Grüße und vielen Dank im Voraus!

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Anni,

ich kann dich sehr gut verstehen. Du hast da leider körperliche und seelische Gewalt erlebt, die ihre Spuren in dir hinterlassen hat. Umso wichtiger ist es, dass du uns geschrieben hast.

Leider scheint das ein Bereich zu sein, der zu selten beachtet wird: Gewalt, die von Frauen begangen wird. Doch sie existiert genauso wie die Gewalt, die von Männern ausgeübt wird (und damit sind ja nicht alle Geschlechter erfasst). - Kurzum: Frauen können genauso brutal und schmerzhaft agieren und den Körper einer anderen Person verletzen. Und sie können seelische Wunden reißen.
Gewalt ist ein grundsätzliches Problem und sie muss benannt werden. Sie darf weder totgeschwiegen noch verharmlost werden. Auch nicht entschuldigt. Selbst wenn diese Ärztin einen schlechten Tag gehabt, unter großem Stress stand und/oder übermüdet war: Sie darf nicht gegen den Willen der Patientin mit der Behandlung fortfahren, vor allem nicht in einem derart sensiblen Bereich wie der Scheide! Es ist eigentlich mit einer Vergewaltigung vergleichbar, da ohne dein Einverständnis in dich eingedrungen wurde. Ich finde es entsetzlich, wie sie einfach weitermachen konnte, obwohl du geschrien hast. Ich möchte mir an dieser Stelle auch keine Entschuldigungen für sie ausdenken, weil es einfach nicht zu entschuldigen ist. Sie als Ärztin müsste wissen, wie man in einer solchen Situation mit dir umgeht, um es dir möglichst angenehm zu gestalten bzw. um dir die Untersuchung zu ersparen.
Doch manche wollen es dann möglichst rasch zu einem Ende bringen und garnieren es dann noch mit dem typischen "Stell' dich nicht so an!". Das ist so unglaublich toxisch und schrecklich. Es suggeriert, dass du schuldig bist, weil du dich "so anstellst", anstatt brav alles unter größten Schmerzen über dich ergehen zu lassen. Und das von einem Menschen ernsthaft zu verlangen, ist einfach nur pervers. Und das meine ich auf unsere gesamte Gesellschaft bezogen, nicht auf diese einzelne Ärztin (wobei wir nicht wissen, ob sie nicht generell einen Hang zur Brutalität und Skrupellosigkeit hat). Wir müssen in der Gesellschaft an den Punkt kommen, wo solche Übergriffe nicht mehr einfach geschehen dürfen. Wir müssen die Grenzen aller Menschen endlich achten lernen, ein NEIN auch als solches begreifen und auf die Empfindungen Rücksicht nehmen. Das fängt schon bei den Jüngsten an. Ein Baby signalisiert auch schon, wenn es etwas (nicht) möchte. Da dürfen sich die Erwachsenen auch nicht als die Überlegenen aufspielen und sich einfach über die kindlichen Bedürfnisse hinwegsetzen. Denn was passiert? Kinder lernen, dass ihre Gefühle schlecht und falsch sind, dass die Erwachsenen immer Recht haben und sie verlernen, ihrer eigenen Wahrnehmung zu vertrauen. Was sich entsprechend negativ äußert, wenn sie älter werden. So ist es kein Wunder, dass Betroffene von Gewalt oft noch verhöhnt und ausgegrenzt werden, anstatt sich mit ihnen zu solidarisieren. Weil sie ja angeblich "selbst schuld" seien. Denn das lernen wir überall: Unterordnung, Rohheit, Rationalität, Funktionieren-Müssen. - Um es positiv zu wenden: Wir alle können uns bewusst für Offenheit, Mitmenschlichkeit, Toleranz und die Wahrung der persönlichen Grenzen stark machen. Im Freundeskreis, in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit. Vielleicht kann dir dieses Motiv auch helfen, neue Kraft zu schöpfen und etwas Zuversicht aufzubauen, mit der schlimmen Erfahrung konstruktiv leben zu lernen.

Ich würde dich gerne ermuntern, mit deinen männlichen Freunden über die Gewalttat der Ärztin zu sprechen, sofern ihr auch anderweitig über persönliche und intime Dinge sprecht. Wenn es echte Freunde sind, ist es in meinen Augen nebensächlich, welchem Geschlecht sie angehören. Natürlich ist es dennoch dir überlassen, doch ich möchte dich einfach für den Gedanken erwärmen, dass Freundschaft genau für solche Gespräche da sein sollte, um sich gegenseitig Wärme und Unterstützung zu geben. Deine Freunde müssen noch nie selbst eine gynäkologische Untersuchung erlebt haben, um prinzipiell zu verstehen, was daran so schrecklich war. Oder anders: Selbst wenn du ein paar Freundinnen zur Auswahl hättest, würdest du vermutlich auch nicht automatisch mit ihnen darüber sprechen, oder? Es kommt ja vor allem auf das Vertrauensverhältnis an und wie nahe man sich steht. Falls es für dich anders ist, dann ist das natürlich auch ok!
Ich glaube, du bist da vielleicht einfach auch etwas verschreckt, was deine eigene Körperlichkeit angeht. Du hast von "unten rein" geschrieben, anstatt deine Geschlechtsteile zu benennen: Vulva und Vagina (Scheide). Trau' dich ruhig, zu deinen Körperteilen zu stehen, das bricht diese Tabuisierung auch auf, wenn Frauen endlich mehr über ihre Genitalien sprechen und sich nicht dafür schämen.

Dass du in Tränen ausgebrochen bist, verdeutlicht sehr klar die seelische Wunde, die noch so schmerzt. Du hast Recht: In der Gegenwart bist du sicher und unversehrt. Doch der Schmerz sitzt eben noch tief. Ich fände es toll, wenn du dir ein psychologisches Beratungsgespräch vereinbaren würdest. Denn es kann sein, dass du weiterführende Begleitung bräuchtest, um deine Verletzung heilen lassen zu können. Hier kannst du nach Beratungsangeboten in deiner Nähe suchen (Frauenberatungsstellen, Hilfe nach Gewalterfahrung, usw.): https://www.dajeb.de/beratungsfuehrer-online/beratung-in-ihrer-naehe

Ich möchte dir außerdem nahelegen, dich einmal beraten zu lassen, ob du die Ärztin anzeigen könntest und möchtest. In jedem Fall möchte ich dir den Weißen Ring ans Herz legen, der sich genau mit solchen Situationen und Anliegen auskennt und ein guter Ansprechpartner sein kann. https://weisser-ring.de/
Was du auf jeden Fall auch machen kannst: Anonym in Portalen vor dieser Ärztin warnen und ggf. eine schlechte Bewertung abgeben. Das wäre ja das Mindeste, damit andere Patientinnen gewarnt sind und sich eine einfühlsame Ärztin bzw. Arzt suchen!
Das ist eine gute Überleitung: Sicherlich bist du nicht mehr bei dieser Ärztin in Behandlung. Ich denke, es könnte sich lohnen, sehr genau hinzuschauen, wer in Frage kommt. Meiner Erfahrung nach geben die Bewertungen im Internet schon einen guten Eindruck. Die, die fast durchweg die Note 1 erhalten, bekommen sie nicht von ungefähr. Und: Ich habe schon oft gehört, dass Gynäkologen häufig sanfter und vorsichtiger mit den Untersuchungen in der Vagina sind als Gynäkologinnen. Das muss nicht die Regel sein, aber es kann sich lohnen, auch nach männlichen Gyns zu schauen. Ich persönlich hatte auch über Jahre eine Gynäkologin, da tat mir nach jeder Untersuchung mit dem Spekulum die Scheide weh, sogar relativ lange danach. Das hatte ich dann nicht mehr als ich bei einer neuen Ärztin war. Diese ist allgemein sehr zugewandt, ruhig und verständnisvoll. Eine solche liebe Ärztin oder einen lieben Arzt wünsche ich dir sehr - und allen anderen Frauen auch!

Sei ganz lieb gegrüßt, du kannst dich immer bei uns melden.
Nuala