Problem von Liana - 39 Jahre

Schäme mich vor meinem Freund für meine Vergangenheit

Liebes Kummerkasten-Team,

ich möchte mich zunächst bedanken, das ihr den Leuten hier eine Möglichkeit gebt sich mal auszusprechen. Und auch für euren langen Atem alle Anfragen zu bearbeiten.
Zu meinem Problem: Ich führe eine gute und intakte Beziehung, in der wir eigentlich über alles reden können. Ich kann ihm vertrauen und er kann mir vertrauen. Wir sind nicht nur ein Paar sondern auch gute Freunde.
Es gibt da leider ein Problem, von dem ich meinem Freund nie was erzählt habe, weil ich es einfach nicht über mich bringe und mich schrecklich dabei fühle ... ich habe in meiner Vergangenheit eine Lücke in meiner Berufslaufbahn wo ich sehr lange arbeitslos war .. es sind zehn Jahre. In den zehn Jahren war ich in einer Ehe und mein Exmann hat nach einiger Zeit angefangen mich zu isolieren, zu erpressen, zu überwachen, und später wurde er gewalttätig, hat mich geschlagen und mir auch offen gedroht. Ich hatte am Ende nur noch Angst und kam nur mit viel Kraftaufwand und professioneller Hilfe von Aussen aus dieser Ehe raus.
Als Kind und Jugendliche wurde ich lange Zeit psychisch und körperlich misshandelt, was mich zu einer leichten Beute für meinen Exmann machte.
Mein Freund weiss über diese Geschichten Bescheid, aber nicht das ich während dieser Zeit keinen Job vernünftig ausführen konnte. Ich musste ein paar Jobs die ich damals anfing, nach einiger Zeit abbrechen, weil mein Exmann mir das Leben in jeder Weise zur Hölle gemacht hat, und ich starke psychische Probleme bekam. Später musste ich auch in Therapie, davon hatte ich einige. Ich halte meine persönlichen Unterlagen unter Verschluss, und mein Partner findet das seltsam und fragt sich immer mehr, warum er meine Bewerbungsunterlagen noch nie gesehen hat.
Ich habe drei Ausbildungen abgeschlossen, hatte aber wegen meiner Lücke in der Berufslaufbahn immer große Schwierigkeiten an Arbeit zu kommen. Mein Freund hatte im Gegensatz zu mir Glück im Berufsleben, ist erfolgreich und steht im Leben. Ich habe kein Interesse an allen Details aus seinem Leben, aber er erzählt mir trotzdem alles auch wenn ich nicht alles wissen möchte, und besteht dann darauf das ich meine Vergangenheit offen lege. Ich schäme mich aber furchtbar und versuche solche Themen generell zu vermeiden. Aber mittlerweile hakt er mehr nach weil ich seit dem Corona Ausbruch wieder ohne Beschäftigung bin. Ich kann auch sonst niemand von den zehn Jahren erzählen und breche bei Fragen dazu öfter in Tränen aus. Ich habe mir manchmal schon die Trennung und keine Beziehung mehr gewünscht, weil das Thema und die Fragen dazu mich emotional sehr mitnehmen.

Lan Anwort von Lan

Liebe Liana,

vielen Dank, dass du dich uns anvertraut hast. Das war sehr mutig von dir, großes Lob an dich. Und bitte entschuldige, dass ich dir erst jetzt schreibe. Ich hoffe, die Antwort kommt nicht zu spät und ist trotzdem hilfreich für dich.

Ich freue mich sehr über deine lieben Worte und danke dir für das Lob! Es freut uns sehr, wenn wir mit unserer Arbeit helfen können und geben unser Bestes, auch auf alle Anfragen ausführlich einzugehen.

Schlimme Vergangenheit

Es tut mir leid zu hören, dass du so viel Leid in den zehn Jahren erlebt hast, das muss sehr schwer für dich gewesen sein und hat dich nachhaltig auch sehr geprägt. Das ist so schrecklich. So etwas hat niemand verdient und sollte auch unbedingt bestraft werden, was dir dein Ex-Mann angetan hat. Ich bin sehr froh, dass du aus dieser Ehe rausgekommen bist. Es tut mir auch zu lesen, dass du sogar als Kind und Jugendliche psychisch und physisch misshandelt wurdest. Das ist unglaublich schlimm. Fühle dich bitte von mir gedrückt, wenn du magst.

Zunächst einmal finde ich: Dich trifft keine Schuld und du brauchst dich auch nicht für diese berufliche Lücke zu schämen. Du hast in der Zeit etwas unglaublich Schlimmes erfahren, hast sehr gelitten und trägst das heute noch mit dir. Das war eine unglaublich schwere Zeit für dich und jeder würde es verstehen, dass du in der Zeit eben dich nicht mit deinen Jobs befassen konntest, einfach weil das für dich zu viel war. Das würde jedem so gehen, der so etwas durchmacht. Da hat man andere Sorgen und muss versuchen, erst mal mit den persönlichen Problemen zurecht zukommen.


Sich selbst Fragen stellen

Es ist schwer, diese zehn Jahre und der Lücke im Lebenslauf vor deinem Freund geheim zu halten, wo ihr euch doch eigentlich sehr vertraut. Nun frage ich mich: Warum machst du das? Wovor hast du Angst, wenn er das mitbekommt? Welche Gefühle könnten dahinter stecken? Angst, Scham oder noch mehr?
Was könnte im schlimmsten Fall passieren, wenn du darüber sprichst? Was, wenn du es auf Dauer geheim hälst?

Du schreibst, das du dich dafür schämst und darum diese Themen außen vor lässt. Aber warum? Versuche deine Scham und was dahinter steckt, zu ergründen und zu hinterfragen. Steckt vielleicht die Angst vor Ablehnung dahinter? Oder weil dein Freund im Vergleich dazu besser beruflich dasteht? Du schreibst, dass du sonst niemandem davon erzählen kannst, weil du sonst in Tränen ausbrechen würdest. Mir scheint, dass sich eventuell ein Trauma bei dir befestigt hat und das noch nicht aufgearbeitet wurde. Das ist aber nur eine Vermutung von mir.

Es reicht, wenn du dir diese Fragen einmal selbst stellen und drüber nachdenken würdest.
Vielleicht kannst du das mal niederschreiben, was dir in den Sinn kommt, einfach unzensiert, wie in einem Tagebuch. Welche Gefühle kommen da hoch? Welche Ängste? Was macht das mit dir? Drücke die negativen Empfindungen nicht weg, lasse sie raus.


Reden kann helfen, muss aber nicht sein

Versuche dich aber auch in seine Situation zu versetzen: Ihr vertraut euch, aber da gibt es etwas, was du ihm noch nicht erzählen kannst. Da ist ein blinder Fleck auf deiner Landkarte, die er noch nicht kennt. Vielleicht fühlt er sich unsicher oder er will dich einfach nur besser verstehen. Er meint es gar nicht böse, er ist neugierig, ahnt aber nicht, was dahinter steckt. Ihr beide habt unterschiedliches erlebt und du willst nicht alles preisgeben, er schon. Aber er muss auch dein Bedürfnis nach sagen wir Privatsphäre akzeptieren. Keine Wahrheit um jeden Preis. Du allein entscheidest, wie viel du von dir preisgibst. Und wenn es dir so viel Kummer macht, wäre es besser, nicht zu schnell alles zu offenbaren. Gib dir selbst Zeit, dich da ranzutasten.

So schmerzhaft auch diese Zeit war und ist: Sie gehört zu dir und deinem Leben dazu. Und dein Freund möchte am liebsten vielleicht auch alles über dich wissen, auch die Schattenseiten. Das kann durchaus eure Beziehung stärken, auch wenn es dich gerade verletzlich machst und für dich unerträglich ist. Es kann helfen, darüber mit ihm zu reden, vielleicht kannst du so auch ein Stück weit das Vergangene besser verarbeiten und loslassen? Wenn du merkst, dass es doch nicht geht, kannst du immer noch stoppen und wieder Zeit für dich beanspruchen, um dich zu beruhigen.

Du kannst ihm ja vielleicht sagen, dass es dir schwer fällt ihm oder irgendjemandem davon zu erzählen, weil es eine schwere Zeit für dich war. Bitte ihm Zeit zu geben und Verständnis, dass du das emotional nicht händeln kannst derzeit, ihm davon zu erzählen. Sage ihm auch, wie sehr dich das belastet, wenn das Thema immer wieder aufkommt und dass du dann auch an der Beziehung zweifelst. Das ist wichtig, dass er es auch weiß.


Du musst nichts erzählen, wenn du nicht willst

Am wichtigsten ist aber, dass du für dich entscheidest, ob du ihm davon erzählst oder nicht. Und wenn du ihm davon doch erzählen möchtest, entscheidest du, wann und wie du das tust. Ich finde, da solltest du auf jeden Fall auf dich selbst hören und dich auch nicht von deinem Freund dazu überreden oder zwingen lassen. Du entscheidest, wie viel du von dir preisgibst. Und ich merke, es fällt dir sehr schwer, nicht weil du ihm vielleicht nicht vertraust, sondern weil es eben sehr schwierige Erlebnisse für dich waren, bei denen noch mal schlechte Gefühle aufkommen können, wenn du es erzählst.


Einen Mittelweg finden

Vielleicht kannst du deinem Freund auch einfach sagen, dass du dich nicht bereit fühlst, es ihm anzuvertrauen. Und dabei aber bei dir bleibst: Also du sagst, dass es dir sehr schwer fällt und es eine schwere Zeit war und du noch nicht bereit bist, darüber zu reden. Du musst das selbst einmal verdauen, und es könnte dich zu sehr belasten. Wenn er ein guter Freund ist, wird er das verstehen, dir Zeit geben und das auch akzeptieren. Bitte ihn darum, wenn es wirklich nicht anders geht und wirklich nicht reden willst, dass er das Thema künftig nicht anspricht. Und biete ihm an, wenn du irgendwann bereit bist, dass du von dir aus darüber reden möchtest. Und dass es nichts mit ihm zu tun hat und er auch nichts falsch macht, aber dass es einfach zu schwer für dich ist. Man muss in der Beziehung nicht alles übereinander wissen, Geheimnisse gehören auch dazu, vor allem wenn es um so etwas Schmerzhaftes wie bei dir geht. Du musst dich nicht verpflichtet fühlen, ihm alles zu erzählen. Bitte setze dich nicht unter Druck und tue nur das, was du auch willst und nicht nur ihm zuliebe. Es geht ja schließlich um deine Vergangenheit, deine Erlebnisse und Gefühle. Du allein entscheidest, wie du damit umgehst und wie viel du offenbarst.

Vielleicht kannst du ihm auch sagen, dass es dir vielleicht wichtiger ist, dass ihr euch auf eure Gegenwart und Zukunft konzentriert und du die Vergangenheit ruhen oder zumindest alleine abschließen willst.

Ich kann dir natürlich nicht sagen, wie er reagieren wird, wenn er davon erfährt. Das müsstest du dann leider auf dich ankommen lassen. Aber vielleicht reicht es auch, es nicht direkt anzusprechen, sondern anzudeuten, damit er ungefähr eine Ahnung hat, was in dir vorgeht und was du durchmachst.


Professionelle Hilfe suchen

Ich lege dich ans Herz, dass du da alles in einer Therapie nochmal aufarbeitest, wenn das nicht ohnehin schon passiert. Eine so lange Zeit der Qualen lässt sich nicht einfach so schnell unvergessen machen, wahrscheinlich bleiben noch immer Wunden. Aber vielleicht kannst du lernen, damit irgendwann besser umzugehen. Du musst das nicht alles mit dir allein ausmachen, wenn es zu viel wird. Es wird auch wahrscheinlich ein anderes Gefühl sein, wenn du das alles jemandem anvertraust, der dir professionell zur Seite stehen kann.


Ich wünsche dir wirklich ganz viel Kraft, Mut und Hoffnung, du schaffst das ganz sicher. Wenn du Fragen oder Redebedarf hast, schreib uns gerne.


Liebe Grüße,
Lan